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Veröffentlicht am 03.05.2024

Ein kurzes Inseljahr

Die Tage des Wals
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1938 träumt die achtzehnjährige Manod auf einer abgelegenen Insel vor Wales von einer Zukunft auf dem Festland. Als ein Wal strandet, deuten die Fischer dies als schlechtes Omen. Kurz darauf betreiben ...

1938 träumt die achtzehnjährige Manod auf einer abgelegenen Insel vor Wales von einer Zukunft auf dem Festland. Als ein Wal strandet, deuten die Fischer dies als schlechtes Omen. Kurz darauf betreiben Edward und Joan aus Oxford ethnografische Studien auf der Insel. Die kluge und zielstrebige Manod ist fasziniert von den Wissenschaftern und wird deren Übersetzerin und Gehilfin. Diese Zweckgemeinschaft wird bald zu einer Art Freundschaft, aufgeladen ist mit Hoffnungen und Sehnsüchten.
Das Cover mit dem stilisierten Küstenabschnitt ist unscheinbar, die Seitenanzahl recht überschaubar. Dennoch hat es dieses Buch in sich und man sollte sich Zeit dafür nehmen, selbst wenn die Abschnitte recht knapp gehalten sind. So bleibt genügend Platz für eigene Überlegungen und Interpretationen. Rasch wechseln kurze Erzählungen der Ich-Erzählerin Manod mit Volksliedern oder Geschichten, die man auf der Insel den Kindern erzählt, und denen eine Quellenangabe angehängt ist. Die gewählte Sprache passt hervorragend zu einer abgelegenen Insel; die kurzen, etwas sperrigen Sätze lassen einen sofort die Kargheit der Insel, die wenigen Ereignisse, das Leben, das so wenig Raum für Entfaltung bietet, spüren. Und dennoch findet die Autorin in diesen kurzen Sätzen genügend Platz für großartige Sprachbilder. Darin verarbeitet sie das harte Leben der Fischer und den Aberglauben der Inselbewohner, aber auch die Überheblichkeit der beiden Wissenschafter vom Festland und deren romantisierte und verfälschte Sicht auf das Inselleben. Die Protagonistin Manod entpuppt sich dabei als überaus kluge und gewitzte junge Frau, die es durchaus schaffen kann, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Trotz der recht kurzen Zeitspanne, in der die Geschichte spielt, dann man ihre Entwicklung deutlich spüren.
Das Buch ist ein sehr gelungener Debütroman, einzigartig in seiner Form.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

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Das Mondscheincafé
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Ein japanischer Mythos besagt, dass Katzen jenen Menschen etwas zurückgeben, von denen sie gut behandelt wurden. In Kyoto betreiben Katzen daher das Mondscheincafé. Es taucht ohne festen Standort unvorhersehbar ...

Ein japanischer Mythos besagt, dass Katzen jenen Menschen etwas zurückgeben, von denen sie gut behandelt wurden. In Kyoto betreiben Katzen daher das Mondscheincafé. Es taucht ohne festen Standort unvorhersehbar nur in Vollmondnächten auf. Neben süßen Köstlichkeiten servieren die charismatischen Katzen lebensverändernde Ratschläge zu Liebe, Arbeit und Beziehungen. Dabei interpretieren sie die astrologischen Lebensphasen ihrer Gäste, wie einer Drehbuchautorin in der Krise, einer Fernsehregisseurin mit gebrochenem Herzen und zwei Unternehmern mit beruflichen Schwierigkeiten.
Illustrationen von Chihiro Sakurada haben die Autorin zu diesem Buch inspiriert; die enthaltenen Illustrationen und das Cover sind wirklich überaus gelungen. Der abgebildete Mond, die Sterne und die erleuchteten Fenster des Cafés haben eine angenehme Haptik und leuchten am Cover sogar im Dunkeln. Im Zusammenklang mit Beethovens mehrfach angesprochener „Pathetique“ ist das Buch auf den ersten Blick ein Augen- und Ohrenschmaus. Die drei Kapitel sind in weitere Abschnitte unterteilt und der Schreibstil ist flüssig, der Text ist aber doch recht auf die Astrologie hin bezogen, denn die Ausführungen der Lebensphasen nehmen wirklich viel Raum ein und bleiben oft recht schulmeisterlich. Selbstverständlich kann man einige Inspirationen und Lebensweisheiten in sein eigenes Leben daraus mitnehmen, ein perfektes Buch zum Wegträumen ist es für mich allerdings nicht. Das mag durchaus auch am kulturellen Unterschied zwischen Japan und Europa liegen oder ich habe mich zu sehr vom schönen Cover und dem Hinweis auf Katzenliebhaber ablenken lassen. Sicher, man bekommt einen Einblick ins Leben der japanischen Gesellschaft und natürlich auch ins Leben der Protagonisten, die alle auf irgendeine miteinander verbunden sind; man merkt, dass sie Hilfe nötig haben, eine tiefere Beziehung zu ihnen ist bei mir aber nicht entstanden.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Eine Frau (wirklich) zwischen zwei Welten?

Mühlensommer
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Maria freut sich mit ihren Töchtern auf ein stressfreies Wochenende fern von Stadt und Schule. Der Anruf der Mutter über den Unfall des Vaters bringt sie zurück auf den elterlichen Bauernhof, wo sie sich ...

Maria freut sich mit ihren Töchtern auf ein stressfreies Wochenende fern von Stadt und Schule. Der Anruf der Mutter über den Unfall des Vaters bringt sie zurück auf den elterlichen Bauernhof, wo sie sich sich nun um Tiere, aber auch um die demente Oma kümmert; Maria erinnert sich an ihr fast vergessenes Leben mit starren Traditionen und kleinen Freiheiten. Zusammen mit ihrem Bruder und der Mutter sorgt sie sich um den Vater; und die Familie arbeitet endlich Verdrängtes auf …
Das Cover mit reifem Getreide, Lindenblüten und Schmetterling macht Freude auf den Roman mit sommerlicher Leichtigkeit. Genau wie der Beginn des Buchs, wo man das frisch gebackene Brot regelrecht riechen kann. Für mich hat die Geschichte leider nicht gehalten, was versprochen wurde. Die Kapitel sind nicht nummeriert oder betitelt, dennoch erkennt man die zwei Erzählstränge der Ich-Erzählerin. Das angekündigte Leben zwischen zwei Welten wird dabei nur angedeutet. Aus Marias Gegenwart erfährt man nur, dass sie mit ihren beiden Töchtern in der Stadt lebt. Eine richtige Gegenüberstellung von Stadt- und Landleben findet nicht statt.
Das Hauptaugenmerk der Autorin liegt auf aneinandergereihten Anekdoten ihrer Kindheit; teils sind dies allgemeingültige Erlebnisse, in denen sich das Publikum in die eigene Vergangenheit zurückversetzt sieht, teils handelt es sich um spezielle Geschichten, die sich nur auf einem Bauernhof abspielen konnten; an einigen Stellen gibt es detaillierte Beschreibungen, an anderen humorvolle Begebenheiten. Den Humor der Autorin muss man dabei allerdings mögen. Ich kann mir ihre Anekdoten gut in einem Kabarettprogramm vorstellen, in welchem sie durch ihre Geschichten auf den Retro-Trend des Publikums abzielt und so manchen Schenkelklopfer hervorruft. Als sommerlich leichte Lektüre möchte ich dieses Buch aber eher nicht bezeichnen.

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Veröffentlicht am 25.04.2024

Der Duft des Vergessenwerdens

Die Vermesserin der Worte
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Weil der Autorin Ida plötzlich die Worte – und dadurch auch ihr Verdienst – fehlen, bewirbt sie sich als Haushaltshilfe bei der älteren Ottilie, die wenig spricht und jeden Tag mehr zu verschwinden scheint. ...

Weil der Autorin Ida plötzlich die Worte – und dadurch auch ihr Verdienst – fehlen, bewirbt sie sich als Haushaltshilfe bei der älteren Ottilie, die wenig spricht und jeden Tag mehr zu verschwinden scheint. Im in die Jahre gekommenen Herrenhaus findet Ida Staub und Moder, aber auch viele Schätze aus Papier und Erinnerungen eines interessanten Lebens. Als Ottilies Verbindung zur Gegenwart immer mehr schrumpft, will Ida sowohl ihre eigenen Worte wiederfinden als auch Ottilies Verblassen verhindern. So erzählt sie ihrer Arbeitgeberin eine Geschichte …
Das Cover mit seinen Pastelltönen, der Blumenvase und den drei Büchern ist eher unscheinbar, und doch fällt es ins Auge und macht zusammen mit dem Titel neugierig auf den Inhalt. Die Kapitel sind kurz und mit aussagekräftigen Überschriften versehen, der Schreibstil ist sehr angenehm. Der Roman wird bis auf ein Kapitel aus Idas Perspektive erzählt; an einigen Stellen wechselt diese Sicht aber auch innerhalb Idas Geschichte in die Gefühlswelt anderer Charaktere. Die Hauptfigur Ida bleibt leider recht blass; sowohl ihr Gefühlsleben als auch ihren Beruf betreffend, denn leider erfahren wir nicht, für welche Art von Büchern ihr plötzlich die Worte fehlen. Dafür sind immer wieder Anspielungen auf andere Romane eingestreut. Die Autorin beschreibt sehr detailliert, oft kommt es zu überflüssigen Wiederholungen; unter anderem auch Idas Putzen betreffend, die ihre ganz eigene Methode zur Beseitigung des überall vorhandenen Staubs hat.
Die behandelten Themen Freundschaft und Vergessen sind mit viel Leichtigkeit verarbeitet. Einiges wird sogar etwas zu einfach gelöst, gerade auch was das schwierige Thema Demenz angeht. Wer sich mit einer langsam erzählten Geschichte einige Stunden vom Alltag ablenken will, wird mit diesem Buch aber sicher seine Freude haben.

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Veröffentlicht am 11.04.2024

Der Zeichner von der Piazza del Mercato

Caffè sospeso
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Der Franzose Jacques Madelin bleibt nach einer enttäuschten Liebe in Neapel hängen, wo er fast jeden Tag im Café Nube die Schicksale der anderen beobachtet und auf Papier festhält. Sei es eine betrogene ...

Der Franzose Jacques Madelin bleibt nach einer enttäuschten Liebe in Neapel hängen, wo er fast jeden Tag im Café Nube die Schicksale der anderen beobachtet und auf Papier festhält. Sei es eine betrogene Ehefrau, ein Mann, der keinen Schlaf mehr findet oder eine junge Frau, die den geerbten Seidenschal ihrer Großmutter loswerden will.
In Neapel kann man einem Unbekannten einen Kaffee bezahlen, der sich gerade keinen leisten kann. In diese Tasse verpackt die Autorin nicht nur ein Stück Leben für den Geber und den Nehmer, sondern Erinnerungen, Anekdoten und Legenden einer Stadt, die selbst ein Gespür für das Schicksal zu haben scheint. Die Geschichten beziehen sich auf einen Zeitraum, der sich über einige Jahrzehnte erstreckt, dessen Episoden aber nicht chronologisch erzählt werden.
Als Leser ist man versucht, die Sichtweise des Protagonisten Jacques auf den Verfasser des Buchs zu übertragen. Immer wieder vermutet man daher auch einen Mann als Autor. Amanda Sthers führt die Leser durch die Wortwahl und manchmal durch die Darstellung der Frauen an der Nase herum. Wobei es letztlich natürlich egal ist, welches Geschlecht der Verfasser des Romans hat. Herausgekommen ist eine Sammlung sehr berührender Geschichten, die durch den Protagonisten und einige immer wieder auftauchende Personen zusammengehalten werden. Sthers beschreibt verschiedene Personen, aber auch deren Lebensraum, die Stadtviertel, macht Abstecher in die Ursprünge der Commedia dell´Arte, in die Machenschaften der Mafia, in die Mythologie, und allgemein in die Atmosphäre des lebensprallen Südens und dessen volkstümlicher Freude; es entstehen aber auch nachdenkliche Zeilen über das Leben und Sterben in Neapel. Ein Roman, der einen erfreut und gleichzeitig auch immer wieder zum Nachdenken anregt.

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