Die veränderte Wahrheit
Der Stich der BieneDas Leben der Familie Barnes ändert sich abrupt, als ihr Autogeschäft kriselt. Familienvater Dickie baut im Wald einen Bunker, Mutter Imelda verkauft online ihren Schmuck und fühlt sich zum Rinderzüchter ...
Das Leben der Familie Barnes ändert sich abrupt, als ihr Autogeschäft kriselt. Familienvater Dickie baut im Wald einen Bunker, Mutter Imelda verkauft online ihren Schmuck und fühlt sich zum Rinderzüchter Big Mike hingezogen. Die achtzehnjährige Tochter Cass flüchtet vor ihrem Schulabschluss in Alkohol und der zwölfjährige PJ will von zu Hause abhauen. Doch wann begannen all diese Schwierigkeiten? Wie weit muss man die Zeit zurückdrehen, um zur Ursache des Übels vorzudringen? Liegen die Gründe zurück in Dickies Kindheit? Begannen sie beim Autounfall seines Bruders? Oder hat der Stich einer Biene an Imeldas Hochzeitstag das derzeitige Chaos verursacht?
Das Cover ist schlicht und ruhig; und doch fällt es mit den abwechselnd braunen und gelben Streifen und der Biene im Zentrum sofort auf. Die 700 Seiten lassen ein umfangreiches Familienepos erahnen. Der Roman ist in einige größere Abschnitte unterteilt, die jeweils über längere Kapitel verfügen. Der Schreibstil ist sehr intensiv; teils mit tragischer und depressiver Komponente, doch dann wieder hoffnungsvoll und mit humorvollem Unterton. Nach und nach erfährt das Publikum die Umstände aus dem Leben der Barnes, abwechselnd legt jedes Familienmitglied aus seiner Sicht die Geschichte dar. Die unterschiedlichen Charaktere haben dabei durchaus einen eigenen Erzählstil. Bei Imelda, die in einer Sozialsiedlung aufgewachsen ist, verzichtet der Autor – bis auf das Fragezeichen - gar auf die Satzzeichen. Und dennoch stört diese Tatsache beim Lesen überhaupt nicht. Murray bändigt die Wörter auf eine unglaubliche Weise; mit einfachen Wörtern gelingt es ihm beispielsweise eindringlich das Gefühl der Trauer zu beschrieben. Die Gedanken der Personen entwickeln eine unglaubliche Sogwirkung. Der Umfang von 700 Seiten mag einen abschrecken, doch weder ist ein Wort in diesem Roman zu viel, noch kann man irgendwelche Längen in der Geschichte feststellen.
Der Autor beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die uns das Leben stellt. Der Schauplatz kann von einer irischen Kleinstadt nahe Dublin dabei ganz einfach auch an einen anderen Ort verlegt werden. Murray schreibt über das Schicksal, das Pflichtgefühl der Familie gegenüber, den Versuch, das zu sein, was andere von uns erwarten; gleichzeitig dokumentiert er zum Beispiel die Probleme von Jugendlichen oder das Leben in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Ein Werk, das absolut empfehlenswert für jeden ist, der sich für das Leben anderer interessiert; man kann es als neugieriger Nachbar genießen, der die Barnes vom Fensterplatz hinter der Gardine beobachtet; man kann sich auf diese Geschichte aber auch einfach einlassen, mit den Beteiligten mitfühlen und - trotz allem - die Hoffnung nicht verlieren.