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Veröffentlicht am 22.05.2021

Intensive Lesezeit

Die Beichte einer Nacht
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"Ich möchte gern mit einem anderen Menschen reden, selber höre ich ja meine Stimme und meine Worte, aber heute kann ich es nicht ertragen, dass sie ungehört zu mir zurückkommen,..."
Diese Worte richtet ...

"Ich möchte gern mit einem anderen Menschen reden, selber höre ich ja meine Stimme und meine Worte, aber heute kann ich es nicht ertragen, dass sie ungehört zu mir zurückkommen,..."
Diese Worte richtet Heleen, eine Patientin und die Protagonistin dieses Romans eines Nachts an die Nachtschwester in der Klinik, in welcher sie seit 7 Monaten in dem großen, bewachten Saal liegt und auf Entlassung oder Verlegung in die Nervenheilanstalt wartet. Chronologisch beginnt Heleen in der Kindheit, als älteste Tochter einer sehr kinderreichen und dem protestantischen Glauben verbundenen Familie aus armen Verhältnissen, der Stubenwagen war nie lange leer und die Arbeiten zur Unterstützung der Eltern wurden immer mehr. Der Ausbruch aus diesen engen, bedrückend familiären Verhältnissen gelingt ihr bereits sehr früh, in junger Jugend beginnt sie als Näherin und das mit viel Talent. Durch sehr gute Leistungen, Mut und Glück erzielt sie einen Jobwechsel, auch ihre Schönheit und Anmut wirken dabei hilfreich und es folgt die Begegnung mit ihrem zukünftigen Mann. Sie verlässt die Familie trotz düsterer Prophezeiung durch den Vater und beginnt ein Leben in finanziellem Wohlstand. Wenig später nimmt sie ihre jüngste Schwester, Lientje, bei sich und ihrem Mann auf, da die Eltern sehr krank sind und schließlich versterben. Es ist jedoch nicht alles Gold, was glänzt und eines Tages tritt Hannes in ihr Leben und die Fahrt in ein großes Drama nimmt ihren Lauf.

Dieser Roman hat mich eiskalt erwischt und eine intensive Lesezeit geschenkt. Eine Pause und das Buch beiseite legen war fast unmöglich, denn Heleen erzählte mir ihre Geschichte, durch die Ich-Erzählung schlüpfte ich in die Rolle der Nachtschwester und immer wenn diese ihre Handarbeitssachen, die sie für die Schicht mitgebracht hat, beiseite legen wollte, waren es Passagen in denen ich versucht war auch kurz zu unterbrechen, aber ausser einer Nacht um selber zu schlafen war es nicht möglich Heleen's eindringliche Worte zu unterbrechen.
"Nein, bitte legen Sie die Näharbeiten nicht weg. Lassen Sie mich bitte noch ein bisschen bei Ihnen sitzen,...."
Der Stil hat mich begeistert und mitgenommen durch die erzählten Jahre Heleen's, atmosphärisch sehr dicht, alles greifbar, sehr bildstark und Heleen spürbar.
"Können Sie sich vorstellen, dass ich jetzt am liebsten den Kopf auf die Tischplatte legen würde, Schwester, um zu weinen, alle Tränen zu weinen, die ich in meiner Kindheit zurückgehalten habe?..."
Die Sprache sehr klar, flüssig, ergreifend, präzise, bildhaft und teils poetisch.
Die Geschichte erzählt das Leben einer Frau, eines Menschen, der irgendwann falsch abgebogen ist, deren Entscheidungen irgendwann Konsequenzen hatten, die ihre Seele nicht verkraften konnte und sie krank machten und schließlich zu einem großen, unfassbaren Unglück führten.
Der Roman ist in vielen Zügen autobiografisch, beeinflusst vom Leben der Autorin, was im Nachwort erklärt wird. Geschrieben und veröffentlicht wurde er bereits 1930, dann verboten und nun wollte die Enkelin ihrer Großmutter wieder Gehör schenken.
Gelungen und mir eine intensive, alles um mich herum vergessende Lesezeit geschenkt, zwei lange, ruhige, dunkle Abende, eine Erzählerin und ein ganzes Leben.

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Veröffentlicht am 05.11.2020

Ein neues Herzensbuch

Herzfaden
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Ein zwölfjähriges Mädchen verirrt sich auf dem Dachboden der Augsburger Puppenkiste, als sie vor Wut über ihren Vater davonlaufen will. Sie entscheidet sich wahllos für eine Türe und ähnlich wie schon ...

Ein zwölfjähriges Mädchen verirrt sich auf dem Dachboden der Augsburger Puppenkiste, als sie vor Wut über ihren Vater davonlaufen will. Sie entscheidet sich wahllos für eine Türe und ähnlich wie schon Alice platzt sie eine andere Welt. Auf dem Dachboden erwarten sie der Kasperl, König Kalle Wirsch, das Urmel, Jim Knopf, Lukas, Li Si, der kleine Prinz und “Hattü”, die Marionettenschnitzerin, vielmehr ihr Geist, denn Hannelore Oehmichen ist längst verstorben. Eine phantastische Begegnung auf einem Augsburger Dachboden und die Erzählung der Geschichte der Augsburger Puppenkisten nehmen ihren Lauf auf zwei Zeitebenen und das Geheimnis um den Kasperl, ob er nun böse oder gut ist, scheint sich zu lüften.

"Die Vergangenheit ist die Gegenwart und die Gegenwart die Vergangenheit. Die Zeit löst sich in der Dunkelheit auf. In einer Geschichte setzt sie sich wieder zusammen."

Auf diesen Roman habe ich mich sehr gefreut, denn meine ersten Fernseherfahrungen waren die Vorführungen der Augsburger Puppenkiste, besonders ‘Schlupp vom grünen Stern’ habe ich sehr geliebt. Meine Erwartungen, wenn auch unbewusst, waren hoch und zu hohe Erwartungen sind nicht die besten Lesebegleiter.
Auffällig ist, dass der Roman zweifarbig ist und die Zeitebenen so kennzeichnet, die Gegenwart, in welcher sich das namenlose Mädchen auf dem Dachboden befindet ist rot, die Vergangenheit, die Erzählung Hattü’s über ihr Leben und die Entstehung der Augsburger Puppenkiste ist blau. Dieser zweifarbige Druck und dass es Zeichnungen gibt erinnert stark an die “Unendliche Geschichte” und diess hat mich tief durchatmen lassen.
Über die Geschichte und den “Herzfaden” möchte ich bewusst nicht viel erzählen, denn das soll jeder selbst auf sich wirken lassen. Es geht geschichtlich in die frühe Vergangenheit zurück, 1944 als das Augsburger Stadttheater zerstört wird und wie es schließlich dazu kam, dass Walter Oehmichen zu den Marionetten fand, Hannelore, genannt "Hattü" seine Schnitzkunst übernahm, die Augsburger Puppenkiste geboren wurde und welche Wege gegangen werden mussten, damit sie heute noch das ist, was sie ist. Als Leserin begegnet man vielen der großartigen Figuren und gewinnt eine tiefen Einblick hinter die Kulissen.

“Ich tomme mit”, wie Urmel sagen würde, dachte ich und ließ mich ein auf Hetteche’s Buch für mittelgroß und groß, auf ein Märchen für Erwachsene mit wahrer Historie.
Der Schreibstil ist simpel, märchenhaft und flüssig, ich folgte den Worten des Autors als würde er mich Wort für Wort führen, es hatte etwas magisches an sich, nicht nur die Lesezeit, sondern auch Aufbau und Verlauf des Buches. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht und ich wünschte diese besondere Begegnung wäre mir geschehen, es öffnet die Augen für kleine Wunder und Dankbarkeiten.
Ein Buch über Abschied, Neuanfang, Mut, Kampfgeist, Courage, Freundschaft, Liebe, die Kraft des Glaubens, Phantasie und die Freude am Leben...dass man nur mit dem Herzen das Wahre erkennen kann.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Spannende Unterhaltung

Puls
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“In Wahrheit war ich aber schon mehr als interessiert - langsam war ich besessen von dem Namenlosen und den Umständen seines Todes.”

Dr. Chris Rankin, 41 Jahre alt, ist Oberärztin der Notaufnahme, sie ...

“In Wahrheit war ich aber schon mehr als interessiert - langsam war ich besessen von dem Namenlosen und den Umständen seines Todes.”

Dr. Chris Rankin, 41 Jahre alt, ist Oberärztin der Notaufnahme, sie liebt ihren Job und auch ihr Privatleben lässt wenig Wünsche übrig. Sie hat einen sehr fürsorglichen und liebevollen Ehemann und zwei intelligente, muntere und pubertierende Söhne, die sie lieben. Erkrankungen sind nicht immer sichtbar und seelische Krankheiten können jeden treffen, so auch Chris. Sie ist depressiv, kämpft mit Panikattacken und wird immer weniger, denn die Magersucht hat sie fest im Griff. Nach der Einlieferung und dem Tod des Unbekannten bleiben diese Dinge niemandem mehr verborgen, die Trauer um den Toten nimmt besondere Ausmaße an, es gibt nichts anderes mehr in ihrem Leben, sie versteckt sich in der Abstellkammer der Notaufnahme um Panikattacken zu vertuschen und von Tag zu Tag besteht sie zunehmend nur noch aus Haut und Knochen. Es bleibt kein anderer Weg mehr, als sie stationär behandeln zu lassen, gegen ihren eigenen Willen, und von ihrer Arbeit wird sie ebenfalls freigestellt bis die Todesumstände des Unbekannten geklärt sind, die Untersuchungen abgeschlossen sind, denn schließlich starb er in ihrer Obhut. Doch kaum hat Chris sich behandeln lassen und ist nach vielen Wochen wieder zuhause, meldet sie sich als Notärztin während der Pferderennen um den Jockeys auf den Zahn zu fühlen, stellt Ermittlung zu dem Fall auf eigene Faus an und begibt sich damit selber in Lebensgefahr.

“Sich der Stimme zu widersetzen war ein täglicher Kampf, und wenn ich meinen zweiundvierzigsten Geburtstag erleben wollte, musste ich ihn gewinnen.”

Der Stil ist gut und die Sprache empfand ich als sehr bildhaft. Viele Informationen rund um den Pferderennsport und interessante, unterschiedliche Charaktere. Mir ist eines negativ aufgefallen, ich möchte fast sagen, ich spürte förmlich, dass dieser Krimi aus der Hand eines Mannes ist, denn Chris wird so klischeehaft und teilweise oberflächlich dargestellt, dass ich sogar darüber schmunzeln musste, nicht mal aufgebracht war. Insbesondere die seelischen Probleme und Themen wie Menopause sind doch sehr überzeichnet und abgedroschen. Aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um einen Krimi handelt und es wohl schlicht eine Protagonistin mit vielen eigenen Päckchen sein sollte ist dies jedoch verzeihlich, wenn auch unrund und etwas weniger davon hätte ich angenehmer gefunden. Der Aufbau ist anfangs etwas zäh und schleppend, nimmt ab Mitte und vor allem im letzten Viertel sehr an Fahrt auf und erreicht viel Spannung.

Felix Francis nimmt Leser*innen im Galopp mit durch eine spannende und interessante Kriminalgeschichte und zeigt seine Protagonisten mit vielen Ecken und Kanten. Sattelt die Pferde und schaut wer sich hinter dem unbekannten Toten der Rennbahn verbirgt.

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Veröffentlicht am 22.10.2020

Coming-of-Age zur Wendezeit

Am Rand der Dächer
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Lorenz Just nimmt Leserinnen mit ins Berlin der Wendezeit bis hin zum neuen Jahrtausend. Man trifft auf drei Jungs, die Freunde Andrej, seinen Bruder Anton und seinen besten Freund Simon, die ihren Weg ...

Lorenz Just nimmt Leserinnen mit ins Berlin der Wendezeit bis hin zum neuen Jahrtausend. Man trifft auf drei Jungs, die Freunde Andrej, seinen Bruder Anton und seinen besten Freund Simon, die ihren Weg suchen in einer Zeit des Um- und Aufbruchs, aber auch des Abstieges. Zwei Freunde, die durch Dick und Dünn gehen, heranwachsen, auf Abwege geraten und dunkle Hinterhöfe, besondere Menschen, die Dächer Berlins und sich selber kennenlernen.

“Am Rand der Dächer” ist ein Coming-of-Age-Roman, Schauplatz der Geschichte ist das Berlin von der Wendezeit bis zum Jahrtausendwechsel. Die drei Jungs, die den Mittelpunkt des Romans bilden, Andrej und sein Bruder Anton, sowie Simon, erleben Leser
innen in ihrer Jugendzeit, das Heranwachsen, sich ausprobieren, Grenzen überschreiten und die Suche nach der eigenen Identität. Aus geordneten Verhältnissen stammend stromern sie hinaus die Welt, die sich um sie herum neu ordnet, eine Zeit des Um- und Aufbruchs, eine Zeit der Reise in eine neue, andere Zukunft, der Chancen und Möglichkeiten, positiv, wie negativ.
Ort und Zeit spielten für mich gefühlt eine eher untergeordnete Rolle, vordergründig befasste sich die Ich-Erzählung von Andrej, rückblickend auf seine Jugendzeit, mit der Freundschaft zu Simon und deren gemeinsamen Erlebnisse.

Die Sprache des Autors empfand ich teils als etwas unausgewogen, zwar poetisch und zwischenzeitlich auch märchenhaft, es gibt viele gelungene Metaphern und Vergleiche, u.a. zu Inhalten von Michael Endes Romanen, aber stellenweisen fabuliert der Autor für meine Begriffe zu ausufernd, nicht unbedingt störend, dennoch empfand ich Längen, welche meinen Lesefluss beeinträchtigten. Was ihm in meinen Augen gelungen ist, ist, dass er die Stimmung, melancholisch und dicht, durchgängig aufrecht hält und Andrej’s Erinnerung und Erzählung seiner Jugendzeit somit authentisch wirkt.

Ein Coming-of-Age-Roman, Kinder der 90’er in Berlin. Für Leser*innen, die explizit eine Schilderung einer Jugend während der Wendezeit als Mittelpunkt wünschen nicht geeignet, wer jedoch eine Erzählung über das Heranwachsen dreier Jungs mit interessanter, eigener, teils poetischer Sprache sucht , dem ist dieses Buch zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 19.10.2020

Inspirierend

Die Welt auf dem Teller
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“Inspirationen aus der Küche”

Nach “Lesen schreiben atmen” ein weiteres leidenschaftliches Buch von Doris Dörrie an ihre Leser*innen und liefert damit einen umfangreichen, sehr persönlichen Blick auf ...

“Inspirationen aus der Küche”

Nach “Lesen schreiben atmen” ein weiteres leidenschaftliches Buch von Doris Dörrie an ihre Leser*innen und liefert damit einen umfangreichen, sehr persönlichen Blick auf ihre Teller und Sinne. Für viele ist Essen mittlerweile zu einem Problemthema geworden, die ganzen Gesundheitsgurus, sowie die Schönheitsindustrie haben über die Liebe, die Lust, die Leidenschaft für das Essen einen Schatten gelegt. Die Autorin reist mit denen, die ihre Nase zwischen die Seiten stecken einmal um die Welt.
Gerüche, Farben, Lebenslust, Dankbarkeit für das, was uns das Leben und die Welt schenkt und Freude springen einen förmlich an und reißen mit, denn der Sinnlichkeit konnte ich mich kaum entziehen und ich wollte mehr. Doch ist es nicht nur die Liebe zum Essen, zum Kochen, der Diversität in den Ernährungsgewohnheiten und Bräuchen rund um die Welt, sondern auch das soziale Miteinander, Nachhaltigkeit unserer Esskultur mit dem Appell zur Eigenverantwortung, was dieses Buch so besonders macht, nebenbei sind die Illustrationen abrundend perfekt.
Es sind nicht immer die großen Dinge, die uns ein Lächeln ins Gesicht und Farbe in den Alltag zaubern, sondern es ist unser Blick auf die Welt und auf die Kleinigkeiten, die wir zu Wundern werden lassen können, Zaubermomente, die wir mit allen Sinnen wahrnehmen können.
Schnappt euch euer Einkaufskörbchen, kauft dieses Buch und Zutaten für euer Lieblingsessen, tut eurer Seele etwas Gutes und berücksichtigt dabei unseren Planeten, seid achtsam mit euch und der Umwelt.
Guten Appetit.

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