Beeindruckende Geschichtsstunde
Das PhilosophenschiffMEINE MEINUNG
Der neue historische Roman des vielfach ausgezeichneten Autoren Michael Köhlmeier mit dem Titel „Das Philosophenschiff“ ist ein gelungenes, tiefsinniges Werk. Es gewährt uns nicht nur aufschlussreiche ...
MEINE MEINUNG
Der neue historische Roman des vielfach ausgezeichneten Autoren Michael Köhlmeier mit dem Titel „Das Philosophenschiff“ ist ein gelungenes, tiefsinniges Werk. Es gewährt uns nicht nur aufschlussreiche und beklemmende Einblicke in den bolschewistischen Terror nach der Oktoberrevolution sondern zeigt auch die vielfältigen Gefahren durch Diktaturen, Willkürakte von ideologisierten Staatenlenkern und die Verfolgung von Andersdenkenden auf und regt sehr zum Nachdenken an.
In der Rahmen- und Binnenerzählung seiner fesselnden Geschichte verwebt Köhlmeier auf beeindruckende Weise Fiktion und viele historische Fakten, die er sehr sorgsam recherchiert hat.
Im Mittelpunkt des Romans steht die Begegnung eines namenlos bleibenden Journalisten und Schriftstellers mit der hochbetagten russisch-jüdischen Architektin Anouk Perleman-Jacob, die ihn überraschend zu ihrem hundertjährigen Geburtstag eingeladen hat. Die alte Dame möchte, dass er ihre bewegte und bewegende Lebensgeschichte verfasst, die eng mit den Schrecken der Russischen Revolution und dem bolschewistischen Regime verflochten ist. In Anouks rückblickenden Berichten erfahren wir nach und nach, wie sie auf Befehl von Lenin 1922 als 14-jähriges Mädchen mit ihren Eltern und vielen unliebsamen Intellektuellen des Landes, darunter Schriftsteller, Philosophen, Journalisten und Historiker, auf einem der sogenannten "Philosophenschiffe" aus Russland ins Exil deportiert wurde. Überraschender Weise begegnet das junge Mädchen auf einem abgeriegelten Deck dem schwerkranken Lenin, der sich mit ihr in Gesprächen über Macht und Revolution austauscht.
Der Autor hat sich mit dieser fiktiven Begegnung eine literarische Freiheit herausgenommen und nutzt dieses geniale Stilmittel geschickt für eine subtile Darstellung von Lenin. Die verschiedenen einfühlsam erzählten Momentaufnahmen von Anouks Schicksal und dem der Verbannten auf dem Philosophenschiff hat mich sehr berühren können. Köhlmeier versteht es hervorragend, die Anspannungen, Ängste, Verzweiflung und das gegenseitige Misstrauen der Passagiere angesichts ihrer ungewissen Zukunft sehr authentisch und glaubhaft einzufangen.
Mich hat Köhlmeiers facettenreiches Spiel mit Wahrheit und Fiktion sehr in den Bann geschlagen. Gekonnt thematisiert er darüber hinaus in den Reflektionen des Schriftstellers auch die vielen Ebenen in Bezug auf die Kunst des Erzählens und den Unschärfen biografischen Schreibens.
ZUM HÖRBUCH
Der Roman wird vom Autor selber ungekürzt und äußerst überzeugend eingelesen. Michael Köhlmeier erweist sich als versierter Sprecher. Seine getragene Stimme passt hervorragend zur Geschichte und den Figuren. Er vermittelt die bedächtig und einfühlsam erzählte Geschichte sehr akzentuiert und nuancenreich, so dass sie einen immer mehr in ihren Bann zieht.
Ein grandioses Hörbucherlebnis!
FAZIT
Ein gelungenes, tiefsinniges Werk und eine faszinierende, nachdenklich stimmende Geschichtsstunde, die sehr zum weitergehenden Recherchieren anregt.