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Veröffentlicht am 18.04.2018

Der Boden unter den Füßen

Wahrheit gegen Wahrheit
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Vivian und Matt Miller. Zehn Jahre verheiratet, vier Kinder. Sie Analystin bei der CIA, er IT-Spezialist. Eigentlich eine echte Bilderbuchfamilie. Vielleicht ein wenig zu perfekt. Als Vivian einen Algorithmus ...

Vivian und Matt Miller. Zehn Jahre verheiratet, vier Kinder. Sie Analystin bei der CIA, er IT-Spezialist. Eigentlich eine echte Bilderbuchfamilie. Vielleicht ein wenig zu perfekt. Als Vivian einen Algorithmus entwickelt, der ihr Zugriff auf die Daten eines russischen Agentenbetreuers gewährt, bricht alles zusammen. Zwischen all den Informationen befindet sich auch ein Bild von ihrem Mann.

Es ist das Szenario einer typisch amerikanischen Krimiserie: Russische Schläferagenten. So ganz ist der alte Ost-West-Konflikt nie aus den Köpfen und der Politik verschwunden. Mit dem Unterschied, dass es im Krimi meistens nur die amerikanischen Agenten gegen die russischen Schläfer sind. Vivian hat den Konflikt direkt in ihrer Familie. Liefert sie ihren Mann an die CIA aus, nimmt sie gleichzeitig ihren Kindern den Vater und zerstört ihre Familie. Wenn sie schweigt, macht sie sich strafbar.

Karen Clevelands Motivation einen Roman über Spionageabwehr der CIA zu schreiben, kommt nicht von ungefähr. Die Autorin war selbst als Analystin tätig. Dennoch ergeben sich ein paar Ungereimtheiten. Wie kann es sein, dass jemand, der gegen russische Schläferagenten ermittelt, keine russischen Sprachkenntnisse nachweisen muss? Oder, dass sich jemand, der sich so um seine Familie sorgt, keine Hilfe sucht, obwohl die Bedrohung offensichtlich ist?

Nichtsdestotrotz ist Karen Cleveland ein spannender und fesselnder Roman gelungen. Dadurch, dass der Leser die Ereignisse aus Vivians Sicht erlebt, entsteht stellenweise eine erschreckend reale Beklemmung, die es nahezu unmöglich macht, nicht weiterzulesen. Und dann ist da noch die stete, im Subtext gestellte, Frage an den Leser, wie er wohl handeln würde, wäre er selbst in der Situation. Vivians Verhalten mag zwar mitunter nicht völlig nachvollziehbar sein, regt aber zum Nachdenken an. Sieht man von den mehr oder weniger kleineren Schwächen der Handlung ab, dann ist der Autorin ein durchaus spannender Roman gelungen, der sich, dank des Schreibstils, flüssig weglesen lässt.

Veröffentlicht am 28.03.2018

Stück für Stück

Krokodilwächter
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Was ist ein Krokodilwächter? Ein kleiner Vogel, der zwischen den Zähnen von Krokodilen nach Nahrung sucht und damit das Krokodilmaul reinigt. Was hat so ein Vogel mit einem in Kopenhagen begangenen Gewaltverbrechen ...

Was ist ein Krokodilwächter? Ein kleiner Vogel, der zwischen den Zähnen von Krokodilen nach Nahrung sucht und damit das Krokodilmaul reinigt. Was hat so ein Vogel mit einem in Kopenhagen begangenen Gewaltverbrechen zu tun?

Eine junge Frau wird tot aufgefunden. Ermordet und mit Schnitten im Gesicht. Für die Ermittler Jeppe Kørner und Anette Werner ergibt sich zunächst keine heiße Spur, bis die Vermieterin der getöteten jungen Frau zugibt, den Mord so in einem Romanmanuskript beschrieben zu haben. Verständlich, dass man sie verdächtigt, den Mord nicht nur beschrieben, sondern auch begangen zu haben. Allerdings wird nach und nach deutlich, dass mehrere Personen Zugang zum Manuskript hatten und es mehr Verdächtige gibt, als man angenommen hat.

Katrine Engberg führt ihr Ermittlerteam und damit auch den Leser immer wieder in die Irre. Das liegt nicht zuletzt an dem beiläufigen Detailreichtum mit dem die Geschichte gespickt ist. Diese Details sind nicht sofort offensichtlich und lassen sich an manchen Stellen leicht übersehen, für die Entwicklung der Geschichte sind sie aber nicht ganz unwichtig. Auch das Romanmanuskript ist für die Handlung von Bedeutung. Immer wieder streut die Autorin ein bis zwei Seiten lange Passagen daraus ein. Zusammen mit den Informationen aus der Haupthandlung findet man bereits nach kurzer Zeit Parallelen zwischen der Protagonistin aus dem Manuskript und der ermordeten jungen Frau. Deuten lassen sich diese jedoch erst nach und nach. Interessant ist hier vor allem die Erzählerperspektive. Der Erzähler im Romanmanuskript ist ein allwissender. Vor dem Hintergrund des Mordes wirkt das Manuskript dadurch nahezu wie der Bericht eines Stalkers, was der Geschichte ein Element des Schauers verleiht.

Der Titel „Krokodilwächter“ passt ausgezeichnet zu der Art und Weise wie die Autorin ihr Ermittlerteam den Fall lösen lässt. Stück für Stück, so wie auch der Vogel Stück für Stück zwischen den Krokodilszähnen herauspickt, offenbaren sich die Hinweise zur Lösung des Falls. Andererseits lebt der Krokodilwächter auch gefährlich, ein zugeklapptes Maul könnte sein Ende bedeuten. Eine unbedachte Handlung der Polizei könnte aber auch den Ermittlungserfolg kosten. Anspielungen auf die Lösung des Falls gibt es von Anfang an, allerdings lässt sich erst fast ganz zum Schluss das Puzzle auch zusammensetzen. Auch die genaue Bedeutung des Krokodilwächters wird am Ende aufgeklärt, doch die Symbiose zwischen Krokodil und Vogel lässt sich als Metapher auf mehr als ein Element des Thrillers anwenden. Katrine Engberg ist somit ein spannender Roman gelungen, der seine Geheimnisse nicht vorzeitig preisgibt.

Veröffentlicht am 19.03.2018

Verflochten

Der Zopf
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Ein Zopf braucht drei Stränge. Laetitia Colombanis Roman erzählt von drei Frauen, die allerdings unterschiedlicher nicht sein könnten. Zufall? Da ist Smita, die in Indien lebt und nicht einmal einer Kaste ...

Ein Zopf braucht drei Stränge. Laetitia Colombanis Roman erzählt von drei Frauen, die allerdings unterschiedlicher nicht sein könnten. Zufall? Da ist Smita, die in Indien lebt und nicht einmal einer Kaste angehört, aber dafür kämpft ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. Giulia in Italien, die in der familieneigenen Perückenfabrik arbeitet und bis spät in die Nacht liest. Und schließlich Sarah in Kanada, die versucht Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Drei Frauen, die auf den ersten Blick so gar nichts gemeinsam haben und die dennoch Teil ein und derselben Geschichte sind. Mehr noch, sie alle stehen vor einer Wende in ihrem Leben.

Laetitia Colombanis „Der Zopf“ reißt die drei Frauen aus ihrem gewohnten Alltag und stellt sie vor unbekannte Aufgaben. Die Art und Weise mit der diese drei Frauen ihre jeweiligen Aufgaben angehen, ist bewundernswert und sorgt dafür, dass man sich eigentlich nicht für einen Lieblingscharakter entscheiden kann, sondern mit ihnen allen Dreien mitfiebert und ihnen wünscht, ihre Aufgaben zu meistern. Beinahe beiläufig werden Themen wie Gleichberechtigung, Rassismus und Emanzipation angesprochen und im Rahmen der Erzählung sehr deutlich auf den Punkt gebracht ohne dabei den eigentlichen Geschichten um Smita, Giulia und Sarah Raum zu nehmen. Diese subtile Eindringlichkeit ist es auch, die den Leser zwischendrin aufhorchen lässt. Gepaart mit dem sehr zugänglichen Erzählstil der Autorin entwickelt „Der Zopf“ eine eigene Dynamik, der man sich nicht so leicht entziehen kann.

Der Zopf wird im Laufe des Romans zur Allegorie, die über die verflochtenen Haare, sowie die drei Handlungsstränge hinausgeht. Drei Frauen, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zwischendurch verflechtet Laetitia Colombani immer wieder Prosa mit Poesie, indem sie die Handlung durch Gedichte unterbricht. Diese Gedichte fügen sich allerdings nahtlos in die Handlung ein und verleihen Sorgen und Hoffnungen der Protagonistinnen Ausdruck.
Trotz der Gattungs- und Perspektivenwechsel verliert der Leser nie den Überblick. Im Gegenteil ist es eher so, dass die Geschichte dadurch an Breite und Tiefe gewinnt und ihr narratives Potenzial erst daraus entwickelt. In Kombination mit Erzählstil und der Handlung an sich ist der Autorin mit „Der Zopf“ ein mehr als überzeugender Roman gelungen.

Veröffentlicht am 24.02.2018

Die Muse und der Löwe

Das Geheimnis der Muse
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Arazuelo in Andalusien, 1936 und London, 1967. Zwei Städte und zwei Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten leben. Olive Schloss und Odelle Bastien sind beide Kunstschaffende, die eine malt, die andere ...

Arazuelo in Andalusien, 1936 und London, 1967. Zwei Städte und zwei Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten leben. Olive Schloss und Odelle Bastien sind beide Kunstschaffende, die eine malt, die andere schreibt. Zusammengehalten werden beide Erzählstränge durch das Gemälde Rufina und der Löwe, das wiederum eine ganz eigene Geschichte hat. Als das Bild in der Kunstgalerie Skelton, für die Odelle arbeitet, ausgestellt werden soll, beginnt für die junge Frau eine Suche nach dem Hintergrund des Gemäldes.

Dabei ist „Das Geheimnis der Muse“ mehr als nur ein Titel und nimmt 1936 in Andalusien seinen Anfang. Und doch liegt es erst Jahre später an einer jungen Frau, die 1967 in London lebt, es zu entschlüsseln. Der Titel verweist dabei nicht nur auf die Geschichte selbst, sondern repräsentiert sie durch seine Mehrdeutigkeit auch, denn Jessie Burton versteht es meisterhaft, ihrem Text einen doppelten Boden zu zimmern.
Neben der geschickt und spannend konstruierten Handlung, die ihre endgültige Auflösung wirklich erst auf der letzten Seite erfährt, werden die Ereignisse zudem in ihrem historischen Kontext erzählt. So wird der beginnende Spanische Bürgerkrieg 1936 nicht nur erwähnt, sondern nimmt direkten Einfluss auf die Handlung, ebenso wie die Probleme karibischer Einwanderer in Großbritannien 1967. Themen wie Gleichberechtigung, Rassismus und Emanzipation finden in diesem Zusammenhang ihren Weg in die Geschichte ohne im Vordergrund zu stehen. Die Handlungen der beiden Zeitebenen werden abwechselnd erzählt, wobei man sich jedoch dem Eindruck nicht entziehen kann, dass die Zeitebene 1936 der Zeitebene 1967 untergeordnet ist, da Erstere von einem personalen Erzähler, Letztere aber von einer Ich-Erzählerin, nämlich Odelle, erzählt wird.

Was ist eine Muse? Was macht eine Muse zu einer Muse? Der Roman veranlasst nicht nur durch verschiedene, thematisierte Sichtweisen auf die erwähnten Gemälde einen zweiten Blick auf bestimmte Dinge zu werfen, sondern auch durch seine Struktur. Bei genauerer Betrachtung offenbart der Text Tiefe und es wird deutlich, dass er voller Allegorien steckt, vielleicht sogar selbst eine ist. Jessie Burton erzählt in „Das Geheimnis der Muse“ nicht nur eine Geschichte, sie erschafft mit ihren Worten auch vier Bilder. Und auch, wenn diese Bilder 'nur' aus Worten bestehen, gelingt es ihr, sie für den Leser zu echten Kunstwerken werden zu lassen und das macht auch den Roman selbst zu einem Kunstwerk.

Veröffentlicht am 29.01.2018

Zehnter Januar Zweitausendsechzehn

Der Tag an dem David Bowie starb
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Ein namenloser Hauptcharakter, der durch sein Leben irrt. Namen sind nicht wichtig, weder sein eigener noch die anderer Charakter. Vielmehr geht es um die Darstellung und Entwicklung des Protagonisten, ...

Ein namenloser Hauptcharakter, der durch sein Leben irrt. Namen sind nicht wichtig, weder sein eigener noch die anderer Charakter. Vielmehr geht es um die Darstellung und Entwicklung des Protagonisten, der die Geschichte konsequent aus der Ich-Perspektive erzählt. Keine Liebesgeschichte und kein Sittenbild junger Menschen, ist „Der Tag an dem David Bowie starb“ eher eine (Eigen-)Charakterstudie oder auch eine Biografie des Scheiterns.

Die oftmals nüchterne Sicht des Ich-Erzählers äußert sich in parataktischen Sätzen, wodurch zusätzlich eine gewisse Distanz zwischen Ereignissen und Lesern entsteht. Der Erzähler lässt niemanden an sich heran, mit ein Grund warum Annäherungen von anderen scheitern. Manche Ereignisse werden durch Montagetechnik parallel erzählt, was für den Eindruck von Gedankensprüngen erweckt, aber auch für den Protagonisten zusammenhängende Ereignisse deutlich macht. Zusammen mit der Ich-Perspektive wird der innere Monolog besonders deutlich.
Der Erzählstil des Romans erinnert damit an Romane wie „Ulysses“ von James Joyce oder Arthur Schnitzlers „Leutnant Gustl“.

Zwischendurch finden sich Zitate aus Songs von David Bowie, die sich nicht nur inhaltlich nahtlos in die Geschichte einfügen, sondern deren Titel ebenso gut als Überschrift für die jeweilige Szene gelten können. Leider lässt sich letzteres erst nach einer Eigenrecherche herausfinden, auf die Zitate finden sich hinten im Buch leider keine Verweise. Hinzu kommen verschiedene textliche Fehler, die den Lesefluss ein wenig dämpfen. Inhaltlich ist der Text allerdings sehr stimmig.
Der Roman braucht etwas Anlaufzeit um sich zu entwickeln. Das äußert sich vor allem darin, dass beim Lesen das Gefühl entsteht, der Protagonist müsste dem Leser gegenüber erst „auftauen“, bevor tiefere Einblicke in das Selbst offenbart werden können. Nach dem der Ich-Erzähler dem Leser allerdings erst einmal geöffnet hat, entwickelt sich die Geschichte fast von selbst.