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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.12.2019

Der letzte Vorhang fällt

Nichts bleibt so, wie es wird
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Herwig Burchard ist ein gefeierter internationaler Regisseur. Eigentlich könnte alles super laufen mit seiner Inszenierung von Mozart's "Die Hochzeit des Figaro". Aber Herwig ist nicht nur ein äußerst ...


Herwig Burchard ist ein gefeierter internationaler Regisseur. Eigentlich könnte alles super laufen mit seiner Inszenierung von Mozart's "Die Hochzeit des Figaro". Aber Herwig ist nicht nur ein äußerst grantiger Zeitgenosse, sondern er provoziert auch munter die Theaterkritiker. Bis ihm eines Tages der Kragen platzt und er öffentlich seinen ärgsten Kritiker niederschlägt. Herwigs Karriere ist zu Ende. Er packt seine Koffer und wandert nach Kalabrien aus, wo er als 63-Jähriger nach einer zweiten Chance und einem Sinn im Leben sucht.

Ich muss ehrlich sagen, dass es mir der Roman nicht gerade leicht gemacht hat. Ich habe lange gebraucht, bis ich Zugang zur Geschichte und der Hauptfigur Herwig hatte. Für mich war er geradezu unsympathisch und arrogant. Sein Scheitern - natürlich selbst verursacht - hat bei mir als Leserin eher Genugtuung ausgelöst. Erschien er mir doch zunehmend als ein unangenehmer Zeitgenosse. Dennoch hat mir imponiert, wie sich Herwig im weiteren Verlauf der Geschichte zu einem sympathischen Menschen entwickelt, den nur das Leben und der Verlust geliebter Menschen hart und zynisch gemacht haben. Bechtholf gelingt es sehr gut eine plausible Charakterentwicklung aufzuzeigen. Dennoch wirkte auf mich die Handlung an manchen Stellen etwas konstruiert und schleppend - gerade zum Ende hin und auch als es um die Verwicklungen mit dem Restaurantbesitzer Alberto geht. Sein Erzähl- und Sprachstil ist nicht gerade einfach zu lesen, aber insgesamt sehr wortwitzig, sprachgewandt und auch richtig pointiert. Gerade der lange Dialog zwischen Herwig und Leonie über die Rolle des Theaters bei der Darstellung von Gewalt und Sexualität beweist ein tiefes Verständnis des Autors zum Theater und klingt auch irgendwie wie ein Plädoyer. Als Leser erhält man einen sehr guten Einblick hinter die Kulissen einer Welt, wo Intendanten-Positionen verschachert werden, Eitelkeiten die Hauptrolle spielen und mit Intrigen ganze Karrieren und- eben wie die von Herwig - zerstört werden. Ich mochte diesen zynischen und auch kritischen Blick des Autors, der der Geschichte insgesamt genau die richtige Stimmung verliehen hat.

Mein Fazit:
Ein pointierter Roman mit viel Sprachwitz und interessanten Einblicken hinter den Vorhang einer schillernden Theaterkulisse, wenn man sich darauf einlässt.

Veröffentlicht am 03.11.2019

Ostalgie pur

Wie Frau Krause die DDR erfand
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Isabella Krause kann sich als Schauspielerin nach der Wende mehr schlecht als recht über Wasser halten. Als sie eines Tages zu Werbeaufnahmen für Naturjoghurt eingeladen wird, erhält sie aufgrund ihrer ...

Isabella Krause kann sich als Schauspielerin nach der Wende mehr schlecht als recht über Wasser halten. Als sie eines Tages zu Werbeaufnahmen für Naturjoghurt eingeladen wird, erhält sie aufgrund ihrer Herkunft einen besonderen Auftrag. Sie soll 10 Ostdeutsche für eine Dokumentation zusammenbringen, die über ihr schweres, entbehrliches Leben hinter der Mauer berichten. Das Ziel der Macher ist klar: Man will vor allem die Klischees bedienen und über einen Staat berichten, in dem Menschen unterdrückt, ausspioniert und eingeschränkt wurden. Doch das Ergebnis der Recherchen von Isabella überrascht am Ende alle...

Dieses Buch erhält von mir eine klare Leseempfehlung. Nicht nur, weil ich selbst aus meiner frühesten Kinderheit die DDR noch kenne und die Erinnerungen im Buch mich selbst an die eine oder andere Episode erinnern ließen - ich sage nur "Milch in Tüten". Sondern auch, weil die Autorin es schafft, den Leser auf eine Reise mit zu nehmen. Ihre Schreibsstil ist sehr eingängig und leicht verständlich, unaufgeregt - aber auch humorvoll. Sie blickt bewusst hinter die Kulissen, indem sie verschiedene Protagonisten, denen Isabella begegnet, zu Wort kommen und deren Erlebnisse - humorvoll, aber auch mit der richtigen Portion Ernsthaftigkeit - schildern lässt. Natürlich sind alle Charaktere durchweg sympathisch und auch den energischen westdeutschen Produzenten, die hartnäckig versuchen, die schlechten Seiten der DDR hervorzukehren, kann man am Ende doch augenzwinkernd etwas Positives abgewinnen. Natürlich war nicht alles Gold und es gab auch genug Schattenseiten, aber das lässt die Autorin hier bewusst außen vor, bzw. lässt kritische Punkte nur am Rande anklingen. Das ist kein Buch, das den Zeigefinger erhebt, es lädt aber jeden zum Hinterfragen ein. Vielmehr schafft die Autorin ein kollektives, verklärtes Bild einer Gesellschaft, die trotz Diktatur, viele positive gemeinsame Erinnerungen hat und noch heute pflegt - ein Gemeinschaftsgefühl, das heutzutage nur allzu leicht verloren geht. Klar kommt auch diese Geschichte nicht komplett ohne Klischees aus, aber am Ende wirft es doch ein versöhnliches Bild auf die DDR und auf die Menschen, die darin lebten, und gibt gleichzeitig eine Antwort auf das allzu schnelle Vorurteil "früher sei alles schlecht gewesen".

Mein Fazit: Ein sehr kurzweiliges, humorvolles, Ostalgie-Lesevergnügen und ein wertvoller Beitrag zum gegenseitigen Ost-West-Verständnis.

Veröffentlicht am 03.11.2019

Tief bewegende Geschichte

Sal
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SAL erzählt die bewegende Geschichte der 13-Jährigen Sal, die mit ihrer jüngeren Schwester Peppa ins schottische Hochland flieht, nachdem sie ihren Stiefvater getötet hat. Gemeinsam versuchen die beiden ...

SAL erzählt die bewegende Geschichte der 13-Jährigen Sal, die mit ihrer jüngeren Schwester Peppa ins schottische Hochland flieht, nachdem sie ihren Stiefvater getötet hat. Gemeinsam versuchen die beiden in der Wildnis zu überleben.

Mich hat dieser Roman sehr berührt und gleichzeitig auch betroffen gemacht. Der Autor hat mit Sal eine außerordentlich bemerkenswerte Figur geschaffen, die mit ihren 13 Jahren nicht nur akribisch einen Mord plant, sondern auch durch unzählige Online-Tutorials ihre Flucht in die Wildnis bis ins kleinste Detail vorbereitet. Die Ursache dafür ist genauso erschütternd: Sal wurde von ihrem Stiefvater missbraucht und der einzige Ausweg ihre Schwester davor zu bewahren, ist Mord. Gleichzeitig wächst Sal in einer zerrütteten Familie auf: die Mutter Alkoholikerin, die Kinder von unterschiedlichen Vätern. Schon früh muss Sal lernen Verantwortung zu übernehmen, für ihre Mutter und ihre kleine Schwester. Man kann Sal nicht genug bewundern für ihren Mut, aber auch ihre Stärke. Mit 13 Jahren sollten sich Kindern mit schöneren Dingen befassen müssen.

Und genau dieser Spagat gelingt dem Autor, wie ich finde, sehr eindrucksvoll. Sal's Geschichte ist vor allem eine "leise". Der Autor wertet nicht, er erzählt die Ereignisse aus der Perspektive eines Kindes. Man spürt sowohl die Naivität und Unschuld aus dem Erzählten, als auch den Humor und die große Liebe und Fürsorge der Geschwister füreinander. Genau diese Mischung macht das Grauenhafte, was beiden passiert ist, so greifbar und man kann verstehen, warum sich Sal zu diesem Schritt entschlossen hat. Dennoch glaube ich nicht, dass es dem Autor in erster Linie darum ging, den Mord bei einem Missbrauch zu rechtfertigen. Vielmehr geht es ihm um die Stärke geschwisterlicher Liebe, die trotz allem, was passiert ist und was sie in der Wildnis gemeinsam erleben, so stark ist.

Einen Punkt Abzug muss ich allerdings doch geben: Die Figur Ingrid, als deutsche Einsiedlerin, passt für mich nicht recht ins Bild. Ihre Lebensgeschichte ist zwar beeindruckend, doch blieb für mich am Ende die Frage, welchen Zweck sie in der Entwicklung von Sal eingenommen hat. Auch das Ende der Geschichte kam für mich recht abrupt nachdem lang und breit das Leben in der Wildnis mit richtig tollen Landschaftsbeschreibungen ausgebreitet wird.

Mein Fazit: Trotz dem kleinen Makel ist das eine richtig tolle und beeindruckende Geschichte, die vor allem durch eine vielschichtige, mutige Hauptfigur und durch die starke Beziehung der beiden Geschwister zueinander glänzt.

Veröffentlicht am 01.10.2019

Starke Frauenfigur - zwischen Widerstand und Liebe

Die Malerin des Nordlichts
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Über Signe Munch - die Nichte des bekannten Malers Edvard Munch - weiß man nur sehr wenig. Ich musste erstmal selbst recherchieren, um ein paar Key-facts zu finden. Eine begabte Malerin soll sie gewesen ...

Über Signe Munch - die Nichte des bekannten Malers Edvard Munch - weiß man nur sehr wenig. Ich musste erstmal selbst recherchieren, um ein paar Key-facts zu finden. Eine begabte Malerin soll sie gewesen sein. Aber leider sind während der NS-Besetzung in Norwegen viele ihrer Werke verschollen, wenn nicht sogar zerstört worden. Umso schöner, dass sich die Autorin daran gemacht hat, das Leben dieser außergewöhnlichen Frau im Schatten anderer bedeutender Künstler etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Natürlich erhebt das Werk keinen Anspruch auf historische Genauigkeit, es geht der Autorin hier vielmehr um den Charakter Signes, ihr prägendes Verhältnis zu ihrem Onkel Edvard Munch, der sie inspiriert haben soll und natürlich nicht zuletzt ihre Liebe zur Kunst und ihrem jüngeren Mann Einar, der sie bald in den Widerstand gegen die NS-Besatzer verwickelt. Ein wirklich tragisches Verhängnis...

Ich habe schon einige Werke aus der Aufbau Verlagsreihe über Frauen zwischen Kunst und Liebe gelesen. Aber dieses Buch über Signe Munch hat mich sehr bewegt. Nicht nur, weil es eine sehr "stille" Geschichte ist, sondern auch eine tragische, wenn man sich den Lebensweg der Künstlerin genauer anschaut. Ich habe förmlich gespürt, wie sich die Autorin dem Menschen Signe vorsichtig und feinfühlig genähert hat. So steht über weite Strecken der Charakter und die Entwicklung zur eigenständigen Künstlerin, die stark an ihrem eigenen Können zweifelt, im Vordergrund. Das nimmt zwar der Geschichte etwas an Tempo, zumal sich die Autorin hier nur auf bestimmte Stationen in ihrem Leben konzentriert und gerade zum Ende hin regelrechte Zeitsprünge erfolgen. Aber dadurch wird auf der anderen Seite die Geschichte wieder der Figur von Signe gerecht. Schade fand ich etwas, dass das Verhältnis zu ihrem Onkel Edvard Munch für mein Gefühl etwas zu kurz kam, schließlich soll er einer der prägenden Menschen in ihrem Leben gewesen sein. So bleibt Edvards Figur in der Handlung etwas am Rande - jedoch besonders in der Phase, in der sich Signe zu einer eigenständigen expressionistischen Künstlerin entwickelt, auch wieder präsent. Das Verhältnis zwischen Signe und ihrem jüngeren Mann fand ich sehr schön interpretiert, es war nicht zu kitschig oder emotional zu überladen. Es hatte im Gesamtkontext der Geschichte genau die richtige Tonalität und führt auch zum tragischen Höhepunkt im Leben der Künstlerin. Der Sprachstil der Autorin ist sehr angenehm, und passend - und erleichtert den Lesefluss sehr. Insgesamt ist es eine gelungene Interpretation des Charakters einer "unbekannten" Künstlerin Norwegens, bei der es eher auf den Menschen und die Kunst ankommt, als auf eine temporeiche, spannend erzählte Geschichte.

Veröffentlicht am 14.08.2019

Emotional - aber durchschaubar

Das Haus der Sehnsucht
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Michelle ist eine sehr erfolgreiche Schriftstellerin, die ein unabhängiges Leben führt und von ihrer Lektorin Clare bei ihrem Erfolg unterstützt wird. Eines Tages lernt sie Clare's Ehemann Alexander kennen. ...

Michelle ist eine sehr erfolgreiche Schriftstellerin, die ein unabhängiges Leben führt und von ihrer Lektorin Clare bei ihrem Erfolg unterstützt wird. Eines Tages lernt sie Clare's Ehemann Alexander kennen. Es kommt, wie es kommen muss: beide fühlen sich von Anfang an zueinander hingezogen und beginnen bald darauf eine verbotene Affäre. Allerdings ist Alexanders Ehe nicht problemfrei. Clare leidet nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes unter Depressionen. Und so schwanken beide zwischen Freundschaft und Liebe zu Clare, sowie zu ihren eigenen Gefühlen füreinander hin und her. Michelle muss bald darauf eine schicksalhafte Entscheidung treffen und verlässt die Stadt, um an einem idyllischen Haus am See ihr neues Glück zu suchen...

Ich zähle sicherlich nicht zu den Leserinnen, die mit Begeisterung Liebesromane lesen. Ich bin immer etwas skeptisch, wenn ich dieses Genre rezensiere. Jedoch fand ich insgesamt das Setting der Geschichte und die Entwicklung der handelnden Charaktere gut gelungen. Auch wenn ich mich nicht so richtig mit der doch leicht vorhersehbaren Handlung und der meiner Meinung nach doch etwas oberflächlich-fluffigen Erzählweise der Autorin anfreunden konnte. Denn das immer wieder gleiche Muster, "zwei Menschen, die erst auf Umwegen zueinander finden", findet sich doch nur allzu oft in der einschlägigen Literatur wieder. Und so war ich am Ende auch irgendwie froh, dass die Geschichte doch zu einem guten Ende gefunden hat. Romina Gold schreibt gefühlvoll und glaubhaft - aber auch eine solide konstruierte Geschichte, die zum Glück mit wenig Kitsch und Klischees auskommt. Sie versucht dabei authentische Figuren zu schaffen, die mit inneren Konflikten zu kämpfen haben und mit denen sich jeder auf seine Art identifizieren kann. Auch greift sie das gesellschaftliches Tabu-Thema Depression in der Geschichte auf, ohne dabei mit dem berühmten Zeigefinger zu drohen oder den Leser mit einer Fragestellung zurückzulassen. Sehr gefallen hat mir die Kulisse des Haus am See, das ich mir beim Lesen sehr gut bildhaft vorstellen konnte. Letztlich war es doch eine solide, emotionale Liebesgeschichte nach bekanntem Strickmuster. Ideal für jeden Lesefan romantischer Frauenliteratur.