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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.01.2023

Sehr interessante Einblicke

Gesundheitsrisiko: weiblich
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“Medizin ist nicht neutral. Sie wird von Menschen gemacht, und Menschen haben Vorurteile, Vorannahmen und sind geprägt durch Vorbilder und Traditionen - im Guten wie im Schlechten. “
So beginnt Dr. med. ...

“Medizin ist nicht neutral. Sie wird von Menschen gemacht, und Menschen haben Vorurteile, Vorannahmen und sind geprägt durch Vorbilder und Traditionen - im Guten wie im Schlechten. “
So beginnt Dr. med. Werner Bartens sein neustes Buch Gesundheitsrisiko weiblich und wenn er mich nicht schon direkt beim Titel gehabt hätte, wäre ich wohl spätestens nach dem ersten Satz ganz Ohr gewesen.

Der Autor hat in seinem Leben viele Erfahrungen gesammelt. So arbeitete er in verschiedenen Krankenhäusern auf der ganzen Welt und ein Problem wird überall sehr deutlich: Die obersten Positionen werden in der Regel mit Männern besetzt. Der Aufstieg für Frauen ist unheimlich schwierig.

Aber natürlich ist das Unsichtbar machen von Frauen nicht nur für Ärzt*innen ein großes Problem. Auch sonst wird zu selten auf Frauen geachtet. In Studien finden wir immer noch zu wenig Platz und eine getrennte Auswertung der Ergebnisse gibt es zu selten. Was für Auswirkungen das hat, wird in Gesundheitsrisiko weiblich aufgearbeitet und damn, it’s scary!

Tatsächlich haben Männer eine niedrigere Lebenserwartung, als Frauen. Während das bei Männern aber eher durch das eigene Verhalten geprägt ist, passieren bei Frauen ganz andere Fehler, auf die wir keinen Einfluss haben. Besonders männliche Ärzte neigen dazu, Frauen nicht ernst zunehmen. Wir gelten als wehleidiger und zu emotional, würden uns zu sehr in Dinge hineinsteigern und so bleiben Krankheiten unentdeckt. Besonders im Alter wird das noch auffälliger. Alte Frauen gehen noch mehr unter, obwohl Frauen zum Beispiel häufiger und früher von Alzheimer betroffen sind.

Dr. med. Werner Bartens bietet in seinem Werk einige Beispiele von Frauen, die trotz deutlicher Worte nicht ernst genommen wurden. Noch immer denken Ärzte und auch Ärztinnen, dass sie unsere Körper besser kennen als wir und verweigern teilweise dringend notwendige Behandlungen, weil sie uns einfach nicht glauben. Ich wusste viele dieser Dinge schon, aber war trotzdem oft erschüttert und ohne meine Frustschokolade wäre das Buch wohl einige Male gegen die Wand geflogen, auch wenn das Buch natürlich gar nichts für die Umstände kann.

Obwohl das Buch gar nicht so lang ist, wird hier einiges behandelt. Viele Erkrankungen werden erwähnt, auch psychische. Hier wird auch immer wieder auf die unterschiedlichen Symptome eingegangen, wodurch Krankheiten bei Frauen häufig zu spät erkannt werden. Stellenweise hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht, aber für den Einstieg in das Thema, ist das Buch wirklich perfekt. 

Außerdem wird darauf eingegangen, wie unterschiedlich Männer und Frauen über die eigenen Beschwerden sprechen und wie unterschiedlich Ärzte und Ärztinnen darauf reagieren. Ich glaube, hiervon können einige Menschen profitieren, denn leider braucht es manchmal das richtige Auftreten, um ernst genommen zu werden. (Machmal können wir uns aber auch auf den Kopf stellen, zugehört wird trotzdem nicht immer.)

Zu Beginn geht der Autor noch mal auf das Thema Geschlecht ein. Hier differenziert er zwischen Gender und Sex und erkennt an, dass einige Dinge biologische und andere soziale Ursachen haben. Leider bewegt er sich hier komplett im binären Geschlechtersystem und erwähnt andere Geschlechter mit keinem Wort.

Natürlich kann ich hier nicht auf alles eingehen, auch wenn ich wahrscheinlich noch Stunden über das Thema quatschen könnte. Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen und ich habe einiges gelernt, was mir wirklich weiterhilft. Gerade, wenn ihr euch mit dem Thema noch nicht auseinandergesetzt habt, kann ich es euch nur empfehlen.

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Veröffentlicht am 13.01.2023

Besonderes Leseerlebnis

Ein simpler Eingriff
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Ein simpler Eingriff. Ein Buch, das hier schon oft ausführlich besprochen wurde. Nein, ich habe nichts Neues beizutragen. Und trotzdem möchte ich es euch unbedingt empfehlen.

Meret ist Krankenschwester ...

Ein simpler Eingriff. Ein Buch, das hier schon oft ausführlich besprochen wurde. Nein, ich habe nichts Neues beizutragen. Und trotzdem möchte ich es euch unbedingt empfehlen.

Meret ist Krankenschwester und dann ganz lange nichts. Ihr Leben spielt sich im Krankenhaus ab, sie existiert nur in ihrer kleinen Blase. Die Ordnung beruhigt sie, ihre Uniform schützt sie. Besonders im Umgang mit Patienten ist sie gut. Versteht sie, weiß, was sie brauchen.
Als dann ein neuer Eingriff entwickelt, der in erster Linie Frauen mit psychischen Problemen helfen soll, ist ihre Expertise gefragt. Sie begleitet die Frauen, geht auf sie ein Sie glaubt, an diesen Eingriff und dass ihre Arbeit den Menschen hilft.

Aber solche Eingriffe können schnell schief gehen und noch stärkeres Leid hervorrufen. Sie verändern einen Menschen, der vielleicht doch gar nichts falsch gemacht hat, und nicht alle Frauen wachen wieder auf.

Während sie immer unsicherer wird, den Glauben an die Behandlungsmethode immer mehr verliert, werden auch ihre eigenen Gefühle für sie immer komplizierter. In einer schwierigen Zeit verliebt sie sich in eine andere Krankenschwester.

Ein Auszug aus der Beschreibung, der mir besonders gut gefällt:
“„Ein simpler Eingriff“ ist nicht nur die Geschichte einer jungen Frau, die in einer Welt starrer Hierarchien und entmenschlichter Patientinnen ihren Glauben an die Macht der Medizin verliert. Es ist auch die intensive Heraufbeschwörung einer Liebe mit ganz eigenen Gesetzen.”
Es gibt Bücher, die nehmen die Lesenden fest an die Hand. Sie haben eine klare Mission und legen diese ziemlich offen. Gefühle werden vorgeben und schnell ist klar, worauf alles hinausläuft. Dazu würde ich Ein simpler Eingriff nicht zählen. Viel steht zwischen den Zeilen, vieles bleibt ungesagt. Viel Raum, für eigene Gedanken.

Meret ist eine dunkle Protagonistin, die schwer zu greifen ist. Wie ein Schatten wandert sie durch die Geschichte und ich wanderte mit. Nein, mittendrin war ich nicht, eher eine stille Beobachterin, die gern zwischendurch genauer hingeschaut hätte.

Die Vergangenheit von Meret wurde beleuchtet und gibt wichtige Einblicke, die große Aufklärung blieb aber aus. Es bleibt bei uns, Dinge einzuordnen und zu verstehen. Die Geschichte, die so unheimlich groß und bewegend ist, wird ziemlich nüchtern erzählt und das muss man halt mögen.

Für mich war Ein simpler Eingriff eine besondere Erfahrung. Thematisch ja eh super wertvoll und interessant, aber vor allem durch die ruhige, unaufgeregte Art zu erzählen, ein Highlight. Das Buch bietet unheimlich viel zum Nachdenken und Diskutieren, wenn man es so annehmen kann, wie es ist.

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Veröffentlicht am 11.01.2023

Tiefgründiger und düsterer als erwartet

Unsere Freundschaft ist wie ein Traum
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Unsere Freundschaft ist wie ein Traum war wirklich eine besondere Begegnung für mich. Ich las es als Jahresabschluss 2022 und habe bekommen, was ich wollte: Eine schöne, eher ruhige Geschichte. Gleichzeitig ...

Unsere Freundschaft ist wie ein Traum war wirklich eine besondere Begegnung für mich. Ich las es als Jahresabschluss 2022 und habe bekommen, was ich wollte: Eine schöne, eher ruhige Geschichte. Gleichzeitig ging sie aber auch viel mehr in die Tiefe, als ich gedacht hatte und bot noch mal einiges zum Nachdenken. Ein wundervolles Leseerlebnis, das mich so schnell nicht loslassen wird.

Nunu wächst in Istanbul auf. Ihr Vater scheint nie ganz da zu sein, irgendwann ist er es auch physisch nicht mehr. Ihre Mutter ist emotional abwesend und frustriert. Früh beginnt Nuna Spiele in ihrem Kopf zu spielen und Punkte zu sammeln, für sich allein.

Später zieht sie nach Paris. Sie erfindet einen neuen Menschen und verschmilzt immer mehr mit diesem. So auch in ihrer Freundschaft mit M. Die Romane des bekannten Schriftstellers spielen in Istanbul, schnell sind die ersten Themen da. Auf ihren gemeinsamen Spaziergängen und in den vielen Emails finden sich schnell weitere und ihre besondere Freundschaft nimmt ihren Lauf.

So eigen wie die beiden sind, sind auch die Regeln ihrer Freundschaft. M., der immer an ihrer linken Seite geht, bleibt irgendwie distanziert. Die beiden haben einander nie bewusst in die Augen geschaut, aber teilen einige Erinnerungen und Gedanken.

Nunu ist als Protagonistin sehr gelungen. Sie hat sehr sympathische Züge, aber wirft auch immer wider Fragezeichen auf. Sie stellt Bedingungen und Erwartungen an andere Menschen, ohne diese zu kommunizieren und sucht nach Geschichten, die sie extra weiter ausschmückt, so dringend will sie etwas besonderes sein.

M. bleibt im Geschehen etwas blass und dadurch war die Geschichte ganz anders, als ich erwartet hatte. Viel düsterer, aber dafür auch umso packender und realistischer.

Unsere Freundschaft ist wie ein Traum ist ein kleines Buch voller kluger Gedanken und Beobachtungen. Ein Buch, das sich toll lesen lässt und bewegt.

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Veröffentlicht am 08.01.2023

Interessante Einblicke

Miss Kim weiß Bescheid
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Ich hatte leider bisher noch nichts von Cho Nam-Joo gelesen, Kim Jiyoung, geboren 1982 ging irgendwie voll an mir vorbei, umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich Miss Kim weiß Bescheid lesen konnte.

In ...

Ich hatte leider bisher noch nichts von Cho Nam-Joo gelesen, Kim Jiyoung, geboren 1982 ging irgendwie voll an mir vorbei, umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich Miss Kim weiß Bescheid lesen konnte.

In 8 Kurzgeschichten bringt die Autorin uns die koreanische Kultur näher und arbeitet gesellschaftliche Konflikte unterschiedlich auf. Die Frauen, um die es in diesen Geschichten geht, könnten unterschiedlicher kaum sein. Einige stehen am Beginn ihres Lebens, einige am Ende. Ihre Umstände sind unterschiedlich und so erleben wir einige unterschiedliche Perspektiven.

Mir haben tatsächlich alle Kurzgeschichten gut gefallen, sie haben mir etwas Neues beigebracht und mir etwas zum Nachdenken mitgegeben. Hier lasse ich einfach mal den Klappentext sprechen, die Themen sind vielfältig. “das heimliche Filmen von Frauen in der Öffentlichkeit, Hatespeech und Cybermobbing auf Social-Media-Plattformen, häusliche Gewalt, Gaslighting, weibliche Identität im Alter und die Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz. Auch sich selbst, die plötzlich weltbekannte Autorin, nimmt sie ins Visier.”

Mir haben die ausführlichen Beobachtungen und die klare Benennung großer Themen sehr gut gefallen, Cho Nam-Joo hat einfach was zu erzählen. Obwohl wir hier Kurzgeschichten haben, geht sie dabei ziemlich in die Tiefe. Schnell wurde ich mit den einzelnen Charakteren warm und ihre Gefühle und Gedanken waren immer nachvollziehbar, ohne das große Erklärungen benötigt werden.

Durch den unaufgeregten Schreibstil wird sich hier aufs Wesentliche konzentriert, die Geschichten lassen sich flüssig lesen und lassen durch offenen Enden oft viel Raum zum Nachdenken. Die Geschichten sind also nicht super fesselnd, wirken aber noch lange nach.

Wenn ihr da bock drauf habt und euch vielleicht eh für die koreanische Kultur interessiert, werden euch die Kurzgeschichten wahrscheinlich auch viel Freude bereiten.

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Veröffentlicht am 27.12.2022

Intensive, ehrliche Trauer

Das Leben in Nuancen
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Eve hängt ein bisschen fest. Nach dem Tod ihrer besten Freundin ist nichts mehr wie es war, obwohl auch vorher schon vieles nicht gut war. Sie hat den Halt verloren und tut alles dafür, noch weiter nach ...

Eve hängt ein bisschen fest. Nach dem Tod ihrer besten Freundin ist nichts mehr wie es war, obwohl auch vorher schon vieles nicht gut war. Sie hat den Halt verloren und tut alles dafür, noch weiter nach unten zu kommen. Sie verliert Jobs, die sie eh nicht machen möchte und dann fliegt sie auch noch aus ihrer Wohnung.

Ihre Eltern sind ihr keine große Hilfe, ihre Mutter verließ sie, als sie noch ein Kind war, ihr Vater ist Alkoholiker. Ihre Coping Strategien hat sie übernommen. Sie geht passiv durch ihr Leben, vermeidet Entscheidungen solange, bis andere für sie entscheiden und findet einfach keinen Weg für sich.

In ihrer Unzufriedenheit zieht sie sich immer weiter zurück. Sie belügt die Menschen, die ihr am nächsten stehen und stößt sie immer weiter weg, bis sie unter der Macht ihrer Trauer komplett zu verschwinden droht. Um die Kontrolle über ihr Leben zurück zu bekommen muss sie neues Vertrauen fassen und sich ihrer Vergangenheit stellen.

“Ein Gefühl der Schwere, aber auch das einer schrecklichen Leere. Bei Grace war es dasselbe. Mit einem Mal war ich nur noch halb ausgeformt, unvollständig, ausgehöhlt. Eine Hälfte geteilter Erinnerungen, nur noch Fragmente und gespaltene Knochen.”

Das Leben in Nuancen spielt etwa fünf Jahre nach dem Tod von Grace. Eve befindet sich in einer Abwärtsspirale und wir erleben hautnah mit, wie sie sich immer mehr in ihren selbstzerstörerischen Taten verliert. Ich muss hier mal wieder eine Warnung aussprechen. Ich fand das Buch wahnsinnig intensiv und schmerzhaft. Die Themen sind unter anderem Trauma, Vergewaltigung, Suizid und Drogenmissbrauch.

Mitten im Text gibt es kursive Einschübe, Erinnerungen an die Zeit mit Grace, die Eve neu durchlebt. Hier wird besonders deutlich, wie traumatisiert Eve ist und gleichzeitig, wie eng ihre Freundschaft war.

Chloë  Ashby zieht die Lesenden mit bildlichen Beschreibungen in den Bann. Die ungeschönte Darstellung von Eves Gefühlen kam bei mir komplett an und lies mich nicht mehr los. Obwohl das Buch nicht mit krasser Spannung punktet, konnte ich es nach etwa der Hälfte einfach nicht mehr weglegen.

Eve ist als Protagonistin nicht leicht, sie scheint keine Privatsphäre zu kennen, sobald es um andere geht, sie selbst bleibt verschlossen. In ihr brodelt eine bunte Mischung aus Gefühlen, die immer wieder über zu kochen droht. Auch Max, ein Mann, der sie wirklich gut behandelt und einfach ein Schatz ist, bekommt das zu spüren.

“Ich beame mich raus, worin ich langsam zum Profi zu werden scheine; ich bin wie die eine Person in einer Silent Disco, die den falschen Kopfhörer hat und sich zu einem anderen Beat bewegt.”

Max ist irgendwie ein schwieriger Charakter für mich gewesen. Seine Persönlichkeit bleibt sehr blass und er selbst sehr ruhig, gleichzeitig ist er immer da, wenn Eve mal Hilfe annehmen kann Er scheint nur zu existieren, um ihr immer wieder die Hand zu reichen und das hat mich ziemlich schnell angeödet.

Ich bin froh, dass hier keine überzogene Liebesgeschichte im Vordergrund steht, aber seine Rolle finde ich einfach schwierig. Auch das Ende ist mir wirklich zu überzogen und irgendwie.. nah. Was soll dieser Trend, ein großartiges Buch zu schreiben, um dann am Ende den leichtesten Weg zu wählen, der einfach nicht zum Rest passt?

Ich mochte Das Leben in Nuancen ziemlich gern, mit einem anderen Ende hätte es Highlight Potential gehabt. Aber es hätte auch viel schlimmer kommen können.. Für mich ist das Buch trotzdem empfehlenswert. Es gibt sehr tiefe Einblicke in den Trauerprozess eines Menschen mit selbstzerstörerischen Tendenzen und ist einfach großartig geschrieben.

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