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Veröffentlicht am 23.08.2022

Erklärungsversuche

Lügen über meine Mutter
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Wie gern ich Lügen über meine Mutter gemocht hätte. Ich hatte mich lange auf die Geschichte gefreut und begeistert losgelesen, als ich es endlich in den Händen hatte. Der Anfang hat mir unheimlich gut ...

Wie gern ich Lügen über meine Mutter gemocht hätte. Ich hatte mich lange auf die Geschichte gefreut und begeistert losgelesen, als ich es endlich in den Händen hatte. Der Anfang hat mir unheimlich gut gefallen, leider gings dann immer weiter bergab. Das Buch bietet ordentlich Gesprächsstoff und kann diskutiert werden. Womit ich aber überhaupt nicht einverstanden bin, ist die Vermarktung.

Aber erstmal zum Inhalt. Daniela Dröscher erzählt in Lügen über meine Mutter über das Aufwachsen in einer Familie, die auf Lügen, Druck und Verpflichtungsgefühl aufbaut. Ihre Mutter ist dick, ihr Vater ein Arschloch. Das Problem ist deutlich geworden?
Wie ein Tyrann unterdrückt der Vater seine Frau, kontrolliert und isoliert sie. Das Thema Gewicht zieht sich wie ein roter Faden durchs Buch, eine Diät löst die andere ab und die Zahlen auf der Waage wandern auf und ab. Zufrieden sind Danielas Eltern nie.
Ela, wie sie hier genannt wird, versucht währenddessen, den Familienfrieden wiederherzustellen. Sie übernimmt Verantwortung, die sie überhaupt nicht tragen kann. Sie steht zwischen den Stühlen und wird in Sachen hineingezogen, die sie nicht versteht.
Ihre Mutter lädt sich immer mehr Verantwortung auf, ihr Vater wird immer gereizter. Sie geht weiter unter.
Jahre später versucht sie zu verstehen, wie sie Aufgewachsen ist. Betrachtet Situationen neu, stellt sich Fragen, auf die sie manchmal Antworten findet.

Ich finde Elas Perspektive unheimlich spannend. Ein Kind, das in solchen Verhältnissen aufwächst. Verliebt und auch verunsichert von der sehr eigenen Mutter. Gleichzeitig ist da der respekteinflössende Vater, der sehr deutlich macht, wie eine Frau auszusehen und eine Familie zu sein hat. Die junge Ela schlägt sich oft auf die Seite des Vaters. urteilt über die Mutter, verpetzt sie.

Zwischen den Kapiteln äußert die erwachsene Daniela sich. Sie beschreibt weitestgehend neutral die Erkenntnisse, die sie über die letzten Jahre hatte und vieles hier hatte einen bitteren Beigeschmack für mich. Ich verstehe das Bedürfnis, die eigene Familiengeschichte aufarbeiten zu wollen, die eigene Mutter verstehen zu wollen. In meinen Augen hat das aber weniger funktioniert.

Oft hatte ich das Gefühl, dass sie im Nachhinein eine schuldige Person sucht und durch die Nähe bot sich die Mutter und natürlich umso mehr ihr Gewicht an. Anscheinend gab es Gespräche mit der Mutter, rückblickend stelle ich mir die Frage, ob es nicht vielleicht sogar die Entscheidung der Mutter war, vieles Verborgen zu lassen. Die Mutter, die hier so zentral thematisiert wird, bleibt in meinen Augen eher blass. Sie versteckt sich auch in dem Buch oft hinter ihrem Stolz, nutzt ihn als Schutzschild vor einer Welt, die sie nicht respektiert. Ihr Innerstes bleibt dadurch verborgen, vielleicht auch vor sich selbst.

Der letzte Satz der Buchbeschreibung ist “Vor allem aber ist dies ein tragik-komisches Buch über eine starke Frau, die nicht aufhört, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen.” und das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Nichts an dieser Geschichte ist komisch. Ein Mann, der seine Familie gegeneinander ausspielt, eine Frau, die sich nicht zur Wehr setzen kann und ein Kind, dass in seiner Überforderung zur Marionette wird. Na herzlichen Glückwunsch. 
Ich bin wirklich kein Fan davon, anderen Menschen Stärke abzusprechen, aber Elas Mutter ist wirklich kein Musterbeispiel für eine starke, emanzipierte Frau. Ihre Kämpfe sind mir weitestgehend entgangen. Die wenigen Situationen empfand ich eher als impulsive Handlungen einer überforderten Frau, die nicht Nein sagen und sich nicht aus ihren Mustern lösen kann. Eine wertvolle Perspektive, keine Frage. Aber ich vermisse dieses Heldenhafte, das beworben wird und vor allem das Verständnis der Erzählerin an einigen Stellen.

Natürlich gibt es solche Familien immer wieder und das ist verdammt tragisch. Ich verstehe teilweise, wo die Begeisterung für die Geschichte herkommt, kann sie aber absolut nicht teilen. Ich finde, die Autorin hätte sich mehr auf ihre eigene Perspektive konzentrieren sollen. Ihre Mutter hat sie in meinen Augen einfach nicht gut eingefangen und in ihrem Versuch neutral zu erzählen, hat sie ihren Vater in meinen Augen oft gedeckt, während sie ihre Mutter auch immer wieder sehr kritisch betrachtet.

So begeistert ich am Anfang war, es war irgendwann nur noch frustrierend zu lesen, wie diese Frau, die doch so stark und selbstbewusst sein soll, in einem Konstrukt gefangen bleibt, das sie krank macht. Auch die Story tritt dann irgendwann nur noch auf der Stelle. Es kommen immer neue Probleme, die Mutter probiert immer neue Diäten und dann ist das Buch irgendwann vorbei und ich hab nicht das Gefühl, irgendwas für mich draus mitgenommen zu haben, oder gut unterhalten worden zu sein.

Das Gewicht ihrer Mutter hat Danielas Leben sehr eingenommen. Es ist konsequent, das jetzt so in einem Buch einzufangen, keine Frage. Es erreicht mich einfach nicht. Natürlich freue ich mich aber für die Autorin, wenn sie ihre Antworten bekommen hat. Mir wäre es lieber gewesen, sie wäre mehr bei sich geblieben, aber das war wohl nicht die Funktion des Buches.

Ich verstehe aber auch, wo die Begeisterung für das Buch herkommt und bin froh, dass wohl nicht alle so frustriert nach dem Lesen waren. Hier muss sich wohl jeder sein eigenes Bild machen.

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Veröffentlicht am 18.08.2022

Unheimlich interessant

Die kranke Frau
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Elinor Cleghorn ist promovierte Kulturhistorikerin. Außerdem ist sie Feministin und hat eine Autoimmunerkrankung. In Die kranke Frau vereint sie das alles einfach mal und Blick zurück auf Jahrhunderte, ...

Elinor Cleghorn ist promovierte Kulturhistorikerin. Außerdem ist sie Feministin und hat eine Autoimmunerkrankung. In Die kranke Frau vereint sie das alles einfach mal und Blick zurück auf Jahrhunderte, in denen Frauen weder ernst genommen, noch wirklich respektiert worden. Was sie zusammenträgt ist tragisch und tut weh. Aber es ist passiert und passiert immer noch.

Männer hatten schon immer die absurdesten Ideen, wenn es um den weiblichen Körper geht. Lange hielten sich Theorien über austrocknende Gebärmütter, wenn Frauen (und auch Mädchen) nicht genug Sex hatten. So wurden sich Periodenschmerzen zum Beispiel lange erklärt). Auch die Idee, dass die Eierstöcke sich entzünden, wenn Frauen ihren Kopf zu sehr anstrengen und zum Beispiel zu viel lesen, hielt sich hartnäckig.

„ Dabei gibt es nichts »Ungeklärtes« oder »Ungewisses« an dem Leid, das Millionen Frauen weltweit Tag für Tag erdulden. Und während die Medizin nach Antworten sucht, fluten weiterhin Krankheiten unsere Zellen, greifen auf unsere Organe zu und unsere Gelenke an und triggern unsere Schmerzen – und unsere Zahl steigt“

Aber all das ist kein Wunder, wenn Betroffenen nicht zugehört wird, sie nicht mit eingeschlossen werden. Im 14 Jahrhundert wurde in ganz Europa Ärztinnen das Praktizieren untersagt, sie hatten über Jahrhunderte kaum Chancen, sich einzubringen. Da es außerdem als Schande galt, über gynäkologische Erkrankungen zu sprechen, haben Frauen stillschweigend gelitten und brav weiter die Care-Arbeit übernommen.

Aber wir müssen gar nicht so weit zurück in die Vergangenheit. Bis in die 1990er Jahre wurden Frauen einfach ganz aus Beobachtungsstudien ausgeschlossen. (Auch in Deutschland zeigt sich in vielen Coronastudien, dass Frauen gern ignoriert werden, mal so nebenbei.)

Im 18 Jahrhundert wurde es sich dann besonders leicht gemacht. Es wird zwar langsam ein bisschen weiter geforscht, viele Dinge werden aber auch einfach direkt auf die Psyche geschoben. Frauen sind einfach zu schwach und neigen zur Hysterie.

Elinor Cleghorn gibt natürlich noch mal viel tiefere Einblicke. Die kranke Frau ist wie ein langer Zeitstrahl, in dem ausführlich erzählt wird, was alles schief gelaufen ist. Aber auch, wie viel sich verbessert hat, wie sehr Menschen (hauptsächlich Frauen) für eine Veränderung gekämpft haben.

„Ob man es nun zugeben mag oder nicht: Wenn Frauen im Sprechzimmer ihre Symptome schildern, so hat ihr Gegenüber nicht selten jahrhundertealte Ansichten verinnerlicht, nach denen Schmerzen bei Frauen eher emotional als körperlich bedingt sind, und reagiert entsprechend.“

Nach dem ersten Teil verliert sich der rote Faden für mich leicht, es ging plötzlich lange ums Wahlrecht. Natürlich spielen politische Themen immer irgendwo eine Rolle, ich fand es nur ziemlich verwirrend und hätte es schön gefunden, wenn andere Themen dafür aufgekommen wären.

Elinor Cleghorn gibt ihr bestes intersektionell zu arbeiten und bezieht auch ein wenig über den Rassismus, der mindestens genauso stark in der Medizin zu finden ist, wie der Sexismus. Das Thema kommt hier ziemlich kurz und hätte in meinen Augen noch ausgeweitet werden können, um ein wirklich realistisches Bild zu zeichnen.

Allgemein liegt der Fokus sehr auf gynäkologischen Erkrankungen. Natürlich trotzdem sehr interessant, aber ich hatte nicht ganz damit gerechnet, vor allem, weil im Klappentext ja auch von der Autoimmunerkrankung der Autorin gesprochen wird.

Elinor Cleghorn lebt mit Lupus. Für die Diagnose musste sie kämpfen, lange wollte sie niemand ernst nehmen. Dass Frauen immer noch als schwaches Geschlecht wahrgenommen werden nach allem, mit dem wir uns unbehandelt rumschlagen müssen, bringt mich fast zum lachen.

Trotz der Erwähnung im Klappentext geht es nur am Ende einmal kurz um Autoimmunerkrankungen. Auch chronische Kranken finden kurz Erwähnung. Sehr interessante Kapitel, die für mich leider fast schon schnell abgearbeitet wirken.

Die Gynäkologie war wohl einfach wichtiger und auch das war zum Glück sehr interessant. Es überrascht mich zum Beispiel gar nicht, dass die Einführung des Spekulums Kontroversen ausgelöst hat. Auch das Geburtsschmerzen als natürlich und wichtig für die Bindung zum Kind angesehen wurden, und Frauen Schmerzmittel verwehrt blieben lässt mich nur noch müde Lächeln.

„Die Medizin hat im Lauf ihrer Geschichte das Frausein und den Frauenkörper so massiv pathologisiert, dass die Unpässlichkeit der Frau in Gesellschaft und Kultur zum Normalzustand wurde und ihr Recht über den eigenen Körper bis heute umstritten ist.“

Besonders interessant fand ich außerdem die Seiten zum Thema Verhütung und Hormone. Auch ihre Worte über Abtreibung treffen bei dem, was in Amerika gerade abgeht, genau ins Schwarze.

Ihr merkt also, hier werden einige Themen behandelt und ich kann hier natürlich nur auf einen Teil eingehen. Vielleicht findet ihr das alles ja auch so interessant wie ich.

Das einzige, was mich immer wieder ziemlich irritiert hat ist die Bezeichnung Jungfernhäutchen. Ich weiß natürlich nicht, wieviel die Übersetzung damit zutun hat, aber ne. Bitte lasst den Quatsch.

Die Sprache ist ansonsten teilweise etwas fachlich und ausschweifend. Ich selbst habe zwei Wochen an dem Buch gelesen, was sehr ungewöhnlich für mich ist bei nur etwa 350 Seiten (Ohne Anhang). Für mich hat es sich aber absolut gelohnt, mir die Zeit zu nehmen.

Trotz kleiner Kritik und Abbiegungen, die ich nicht ganz nachvollziehen konnte, ist Die kranke Frau ein absolutes Highlight für mich. Informativ, fesselnd und bewegend. Eine absolute Empfehlung, wenn ihr euch wirklich Zeit nehmen wollt und euch das Thema interessiert.

„Bis heute wird die Geschichte der Medizin dank des Widerstands, der Kraft, der Intelligenz und des unglaublichen Mutes von Frauen umgeschrieben.“

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Veröffentlicht am 12.08.2022

Genial ausgearbeitet und fesselnd geschrieben

Psychopathinnen
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In Psychopathinnen beleuchtet die Kriminalpsychologin und Autorin Lydia Benecke ‚Die Psychologie des weiblichen Bösen‘. Ich habe das Hörbuch gehört, gesprochen von Nicole Engeln. Ich bin ein sehr großer ...

In Psychopathinnen beleuchtet die Kriminalpsychologin und Autorin Lydia Benecke ‚Die Psychologie des weiblichen Bösen‘. Ich habe das Hörbuch gehört, gesprochen von Nicole Engeln. Ich bin ein sehr großer Lydia Benecke Fan, habe nächtelang ihre Videos auf Youtube durchgesuchtet und hätte mich natürlich sehr gefreut, wenn sie ihr Buch selbst spricht. Das geht aber natürlich nicht immer und Nicole Engeln hat hier einen guten Job gemacht.

Zitat aus dem Klappentext:
“Frauen gelten immer noch als wehrlos, sie leiden, dulden, verzeihen. Doch wenn die Psychopathie in ihrer Seele sich Bahn bricht, töten sie ebenso grausam wie Männer - und häufig eiskalt geplant. “

Das Buch beginnt direkt mit einer Erzählung. Ich muss sagen, dass ich selten so gut recherchierte, ausführliche Fallballspiele gesehen habe. Man kam den Frauen wirklich unheimlich nah, und hat viele Einblicke bekommen. Ich würde nach dem Buch nicht sagen, dass ich wirklich nachvollziehen kann was in den Köpfen der Psychopathinnen abging, aber ich habe auf jeden Fall einiges dazugelernt und die Perspektive mehr verstehen können.

Ich bin sehr froh, dass Lydia Benecke so viel über Täterinnen spricht. Gerade was psychische Erkrankungen betrifft, gehen Frauen zu oft unter, worauf natürlich auch hier im Buch eingegangen wird. Psychopathinnen sind unheimlich manipulativ und viele wissen natürlich auch, wie sie die Vorurteile, die die Gesellschaft Frauen gegenüber hat, für sich nutzen können. Mit ihrem weit gefächerten Wissen, das aber eher oberflächlich bleibt, wickeln sie ihr Umfeld um den Finger. Und wenn jemand merkt, dass die charmante Frau, die doch so liebevoll mit den Kindern sein kann und sich immer richtig präsentiert, gar nicht so toll ist, ist es manchmal schon zu spät. Frauen können auf die unterschiedlichsten Arten total brutal sein, wie Lydia Benecke eindrücklich schildert.

In ihren Beispielen geht sie immer wieder auf sehr interessante Aspekte ein. Was ist, wenn Psychopathinnen Kinder bekommen, wie stehts um die Erblichkeit? Wie kann eine Therapie aussehen und worauf muss vor allem in der Traumatherapie geachtet werden? Am Ende erzählt sie noch von einigen weiteren Fällen. Dies tut sie sehr sachlich und nicht wertend. Bitte überlegt euch vorher, ob ihr das aushaltet.

Aber sie erzählt nicht nur von Fallbeispielen, sie macht auch spannende Themen auf. Vor allem die Kapitel über die Cluster b Persönlichkeitsstörungen haben mir noch mal spannende Einblicke gegeben und eine benötigte Abwechslung zwischen den Geschichten gebracht. Auch über das Münchhausen (by proxy) Syndrom hat sie einiges zu erzählen und mich auch hier wieder total gepackt.

Ihr merkt, ich bin begeistert (und das passiert leider echt nicht oft). Natürlich ist diese Empfehlung nicht für alle, aber wenn euch Psychologie interessiert und ihr keine Probleme damit habt, brutalen Erzählungen der Realität zu folgen, dann ist das genau euer Buch!

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Veröffentlicht am 10.08.2022

Wertvolles Jugendbuch

Der Geruch von Wut
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TW: Rassistische Gewalt

Der Geruch von Wut ist ein spannender Jugendroman, mit wenigen Schwächen. Er macht dabei ein wichtiges Thema auf und lässt sich gut lesen.

Alex ist ein eher durchschnittlicher ...

TW: Rassistische Gewalt

Der Geruch von Wut ist ein spannender Jugendroman, mit wenigen Schwächen. Er macht dabei ein wichtiges Thema auf und lässt sich gut lesen.

Alex ist ein eher durchschnittlicher Jugendlicher in Italien. Zumindest bis zu dem Tag, an dem sein Vater stirbt. Der Tag, an dem Alex mit seinen Eltern im Auto sitzt, sie lachen und genießen die Zeit zusammen. Der LKW kommt schnell um die Ecke und löscht ein Leben aus.
Alex wacht nach knapp zwei Monaten im Krankenhaus auf. Körperlich gehts ihm schnell wieder besser, innerlich brodelt es. Seine Mutter tut alles, um ihn zu unterstützen, hat aber auch mit der eigenen Trauer zu kämpfen. Die Narbe, die sie seit dem Unfall im Gesicht trägt und all die Veränderungen befeuern seine Verzweiflung.
Diese Verzweiflung verwandelt sich immer mehr in Wut. Aggressive, gefährliche Wut, die rationales Denken verhindert. Diese Wut gilt jetzt ausschließlich Moussa Mbaye. Alex gibt dem LKW Fahrer die Schuld am Tod seines Vaters und will Rache.

“Es war das erste Mal, dass ich einen Menschen wirklich hasste. Und es wunderte mich, dass hassen so einfach war. Man brauchte dafür nichts zu wissen”

Alex wandelt jedes Gefühl in Hass um und versucht, den anderen Fahrer zu finden. Erfolglos. Aufgeben ist aber keine Option und so gerät er an die ‚Black boys‘. Eine Gruppe, die gern bereit ist, ihm zu helfen, wenn er ihnen dafür ein wenig unter die Arme greift. Gefangen in seinen Emotionen lässt er sich darauf ein und merkt schnell, was hinter der rechtsradikalen Gruppe steckt.

“Niemand sagt dir das. Was du tun sollst, wie du etwas akzeptieren kannst, von dem du weißt, dass es nicht hätte passieren müssen. Ich hatte einen Weg gefunden, aber ich war mir nicht sicher, ob es der richtige war.”

Ihr merkt schon, die Story gibt einiges her und ist nicht keine leichte Kost. Gewaltdarstellungen und innere Kämpfe auf fast jeder Seite und trotzdem kommt immer wieder eine gewisse Tiefe durch. Klar, wir haben hier ein Jugendbuch, da darf es auch mal ein wenig seichter sein. Ich finde nur, dass an einigen Stellen zu sehr an der Oberfläche kratzt und sich zu vieler Klischees bedient.
Trotzdem hat es mir ganz gut gefallen, was bei der Thematik immer komisch klingt. Obwohl der Schreibstil etwas emotionslos ist, hat mich die Geschichte tief berührt. Alex Gefühle waren durchgängig spürbar und es war tatsächlich fast nachvollziehbar, warum er diesen Weg einschlägt. Der Autor hat es hier echt geschafft, die Realität des Jugendlichen einzufangen und lebensnah zu erzählen.
Der Geruch von Wut bietet eine Geschichte voller Leid und Verlust, die überall genauso stattfinden könnte und dadurch verdammt wertvoll ist. Es lohnt sich auf jeden Fall, die paar Seiten zu lesen, es wird bei mir noch etwas nachwirken.

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Veröffentlicht am 08.08.2022

Nein danke

Die karierten Mädchen
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Die karierten Mädchen ist der Auftakt zu einer Trilogie, die es in meinen Augen einfach nicht gebraucht hätte. Ich verstehe das Bedürfnis der Autorin, die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten und zu ...

Die karierten Mädchen ist der Auftakt zu einer Trilogie, die es in meinen Augen einfach nicht gebraucht hätte. Ich verstehe das Bedürfnis der Autorin, die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten und zu erzählen - aber nicht so.

Klara, die auf der Oma von Alexa Hennig von Lange basiert, ist eine alte, blinde Frau. Gezeichnet vom Leben lebt sie in ihrer Wohnung und bekommt regelmäßig Besuch von ihren Töchtern (vom Sohn nicht, der muss ja arbeiten. Gleich ein richtig toller Start.)
Die Erinnerungen in ihr werden immer schwerer und so beschließt sie, ihre eigene Geschichte auf Kassetten aufzunehmen. Hiermit hatte ich schon das nächste Problem. Der Aufbau war einfach komisch, man wird dauernd aus der Geschichte gerissen, weil wir die verbitterte Klara der Gegenwart erleben. Emotionen kamen für mich nicht wirklich auf.

Ihre Geschichte ist eigentlich recht einfach. 1929 ist Klara eine selbstständige, junge Frau, die keine Kinder möchte. Sie findet Arbeit in einer Heilstätte für tuberkulosekranke Kinder. Den Mädchen bringt sie bei, wie der Haushalt geführt wird und schnell fühlt sie sich wohl.
Die Heimleitung ist aber schwer krank und so müssen Klara und ihre Freundin Susanna immer mehr Verantwortung übernehmen. Sie treffen dann auch die Entscheidung, ein jüdisches Waisenmädchen ohne finanzielle Unterstützung aufzunehmen.

Natürlich ist es um das Heim nicht gut bestellt, ein Glück, dass die Nazis helfen wollen. Sie wollen aus dem Heim Ausbildungsstätte für junge Frauen machen und obwohl Klara von allen Seiten gewarnt wird, lässt sie sich darauf ein. Sie beschwert sich sogar noch, wenn ihr jemand helfen möchte und reagiert genervt mit der Frage “Willst du mir Angst machen?”, wenn Susanna ein offenes Gespräch über ihre Ängste führen möchte. Und hier bin ich einfach raus.

Wir könnten jetzt das Fass aufmachen, dass Menschen damals keine Wahl hatten, sich selbst schützen müssten, blah blah. Es gab damals ja nur Mitläufer, Täter waren immer die anderen, klar
Aber so weit müssen wir gar nicht gehen. Klara hat absolut gar nichts versucht. Sie hat sich bewusst dafür entschieden, die Augen zu verschließen und später noch über andere zu urteilen. Der Gedanke “Fräulein Martin hatte recht gehabt, als sie damals gesagt hatte: Die Menschen sind furchtbar dumm. Sie erkennen nicht das Üble, weil sie das Gute nicht kennen.” hat mich von einer Klara doch sehr amüsiert.
Ich habe ihr ihre Naivität einfach nicht glauben können und ihr Egoismus war an vielen Stellen auch der Situation nicht angemessen. Reflexion gab es an keiner Stelle, zum Ende hin hatte sie ein paar Gedanken, aber gehandelt hat sie nie danach.

Ich befürchte, dass die Absicht der Autorin dem Buch hier einfach zum Verhängnis geworden ist. Also, die Geschichte ist nur an die Erlebnisse ihrer Großmutter angelehnt, es ist keine komplette Nacherzählung, aber einiges wurde eben übernommen. Im Nachwort spricht sie selbst darüber, dass ihre Oma auf den Kassetten öfter ins Stocken kam und einiges nicht Ausformulieren konnte. Ob Schuldgefühle und Scham da eine Rolle gespielt haben, wissen wir aber nicht, denn auch Klara hat damit nicht viel am Hut. Natürlich möchte niemand seine Familie in ein schlechtes Licht rücken. Aber dann lass es doch bitte einfach und fang nicht an, diese Zeit zu beschönigen?

Auch dass jüdische Mädchen, dass die Situation noch mal emotionaler machen und Klaras tolles, reines Herz darstellen soll, hat hier nicht geholfen. Dazu gabs dann natürlich eine dringend notwendige Lovestory, die für mich alles noch weiter ins Lächerliche gezogen hat.

Die Frage, ob wir Bücher brauchen, die eine so schlimme Zeit so verharmlosen und die Täter-Opfer Frage so verwässern, kann ich für mich nur mit einem klaren Nein beantworten. Von mir gibts hier auf jeden Fall eine Empfehlung: Lasst das Buch stehen und verschwendet eure Zeit schöner.

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