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Veröffentlicht am 14.08.2023

Henni und die Babyklappe

Wie ein Stern in mondloser Nacht
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Hennis Geschichte beginnt im Berlin der 1940er-Jahre. Das Schicksal will, dass sie sich für eine Ausbildung zur Hebamme entschließt, einen Beruf, den sie voller Hingabe und Fürsorge für Mütter und Kinder ...

Hennis Geschichte beginnt im Berlin der 1940er-Jahre. Das Schicksal will, dass sie sich für eine Ausbildung zur Hebamme entschließt, einen Beruf, den sie voller Hingabe und Fürsorge für Mütter und Kinder ausübt. Allein, es gibt Mütter, welche sich nicht um ihr Neugeborenes kümmern können oder wollen und es in der nächsten Mülltonne entsorgen, ja sogar töten. Um diesen Geschöpfen eine Zukunft zu bieten, stellt Henni kurzerhand im Hinterhof eine Obstkiste auf – und findet alsbald tatsächlich ein lebendes Kind darin. Die Idee der Babyklappe funktioniert, jedoch an der Grenze zur Legalität.

Berührend und zu Herzen gehend lesen sich Marie Sands Zeilen. Henni wird als starke und tatkräftige Frau beschrieben, obwohl sie es selbst schwer hat im Leben und Rückschläge verkraften muss. Aber was sie sich in den Kopf setzt, nämlich umschuldigen Kindern eine Zukunft zu bieten, das führt sie auch durch. Eine zweite Zeitebene im Jahr 2000 ergänzt Hennis Anstrengungen und zeigt anhand der Journalistin Liv, dass die Babyklappe allein noch nicht alle Probleme löst, denn Liv sehnt sich als Adoptivkind 45 Jahre nach ihrer Geburt nach ihren Wurzeln, nach ihrer leiblichen Mutter.

Marie Sand findet immer die richtigen Worte, baut ein nötiges Maß an Spannung ein, um die beeindruckende Geschichte von Henni Bartholdy zu erzählen. Sie schildert die Gegensätze zwischen Arm und Reich, Standesunterschiede, welche kaum überwindbar sind und den aufopferungsvollen Alltag einer Hebamme mit Leib und Seele. Auch die juristischen Probleme einer Babykiste werden eindrücklich erklärt, denn Henni ist mit einer Anwältin befreundet, wodurch auch dieser Blickwinkel im Roman beleuchtet werden kann. Bildreich und berührend fließen die Kapitel dahin, ein unregelmäßiger Wechsel zwischen den 1950er-Jahren und 2000 sorgt für Abwechslung und steigende Neugierde. Absolut glaubwürdig und lebensnah präsentiert die Autorin ihre Szenen, sodass die Gefühle durcheinandergewirbelt werden, man sich bald völlig verlieren kann zwischen den Zeilen, und den Roman kaum aus der Hand legen mag.

Ein wunderbares Buch über die Liebe zwischen Eltern und Kind und einer Hebamme, die handelt, statt zu schweigen, obwohl sie selbst schwer trägt an ihrer Vergangenheit. Ein Buch für ruhige, recht nachdenkliche Stunden, das ich uneingeschränkt empfehle!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.08.2023

Schokolade vor dem Ersten Weltkrieg

Salz und Schokolade (Die Halloren-Saga 2)
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Halle an der Saale, 1905: In der Küche eines kleinen Cafes hält sich Chocolatier Julius am liebsten auf, denn da kann er seiner Phantasie freien Lauf lassen und feinste Pralinen kreieren. Sein Stiefvater ...

Halle an der Saale, 1905: In der Küche eines kleinen Cafes hält sich Chocolatier Julius am liebsten auf, denn da kann er seiner Phantasie freien Lauf lassen und feinste Pralinen kreieren. Sein Stiefvater Leopold Mendel würde ihn jedoch gerne öfter in der Fabrik sehen, wo man sich um den Import von Kakao und anderen erlesenen Zutaten kümmert. Um den Fortbestand der Firma David zu sichern, einer traditionellen Schokoladenmanufaktur, soll sich Julius mit Cäcilie David vermählen. Beide jungen Leute haben mit ihren Herzen aber schon andere Partner gewählt. Allerdings entsprechen die nicht den herrschenden Konventionen.

Die Fortsetzung der Halloren-Saga ist zeitlich gesehen dem ersten Band vorgelagert, nämlich von 1905 bis 1923, beschreibt die Zeit der aufkommenden Arbeiterbewegung und des Rufes nach einem Frauenwahlrecht, schildert den Trend zum Auswandern nach Amerika und den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Vor einer bestens recherchierten historischen Kulisse erlebt der Leser bewegende Schicksale rund um die Schokoladenfabrik und gesellschaftliche Normen. Geheiratet wird, um Vermögen und Macht zu sichern, die Liebe wird sich gelegentlich schon einstellen.

Anfangs ist es ein wenig schwierig, den verschiedenen Handlungssträngen und der großen Zahl an Personen zu folgen, insbesondere, wenn man den ersten Band schon kennt und sich doch hier – etliche Jahrzehnte zuvor – wieder völlig neu orientieren muss, anstatt bereits bekannten Figuren neuerlich zu begegnen, wie man es sonst von solchen Familiengeschichten eher gewohnt ist. Nichtsdestotrotz sind auch diesmal sämtliche Akteure klar charakterisiert, durch die recht unterschiedlichen Positionen wird alles lebendig und gut vorstellbar. Amelia Martin verpackt eine Menge interessanter Themen ins Geschehen, sodass ein sehr umfassendes Bild der genannten Jahre entsteht.

Auch dieser Teil der Halloren-Saga ist unterhaltsam und informativ, sodass ich ihn gerne weiterempfehle.

Titel Salz und Schokolade, Süße Wunder
Autor Amelia Martin
ASIN B0BG4XT3F6
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (496 Seiten)
Erscheinungsdatum 27. Juli 2023
Verlag Ullstein
Reihe Die Halloren-Saga

Veröffentlicht am 10.08.2023

Schokolade während der Gründung der SED

Salz und Schokolade (Die Halloren-Saga 1)
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Nach dem Krieg kommt es überall zum Aufschwung, im Westen verschwinden die Lebensmittelmarken, während im Osten die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) gegründet wird. Auch Familie Mendel, ...

Nach dem Krieg kommt es überall zum Aufschwung, im Westen verschwinden die Lebensmittelmarken, während im Osten die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) gegründet wird. Auch Familie Mendel, Besitzer der Mignon-Werke, hat keine einfache Zeit hinter sich, und nun droht eine Enteignung, wie es anderen Eigentümern schon passiert ist. Kann Friedrich Mendel, der für die Fabrik lebt, das Unheil abwenden, unter Umständen mit einer strategischen Vermählung seiner Tochter Irene, die allerdings in einen Arbeiter, den Salzwirker Paul verliebt ist?

Spannend hat Amelia Martin die Zeit und die politischen Hintergründe im Osten Deutschlands in den 1950er-Jahren dargestellt, süß mit einigen Tupfern Schokolade und zartbitterer Liebe garniert. Denn über den Standesunterschied einer Fabrikantentochter und einem einfachen Halloren kann doch nichts hinweghelfen, oder doch? Gut recherchiert und glaubhaft spürt man als Leser die beklemmenden Szenen mit den Männern aus dem Ministerium für Staatssicherheit, sehr realistisch auch die Veränderungen und Kontrollen in der Schokoladenfabrik und die Machenschaften bei Theater und Film, weniger echt hingegen fühlt sich die Liebesgeschichte zwischen Irene und Paul an. Sie haben einander erst wenige Male gesehen, und plötzlich sprudeln die Gefühle über. Das geht zu sprunghaft, ähnlich wie manche zeitliche Abfolge, wo größere Lücken nicht beispielsweise als Kapitelüberschrift angegeben sind.

Trotz kleiner Makel liest sich Salz und Schokolade aber informativ und kurzweilig, sodass Band 2 der Reihe schon bereitliegt.


Titel Salz und Schokolade, Der Geschmack von Freiheit
Autor Amelia Martin
ASIN B09XFH28BB
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (513 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 29. September 2022
Verlag Ullstein
Reihe Die Halloren-Saga

Veröffentlicht am 09.08.2023

Fräulein Girardi

Die Bibliothekarin und der Tote im Park
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Wien in den 1920er-Jahren: Rita Girardi ist alleinstehend, blüht auf bei ihrer Arbeit in der Bibliothek der Geologischen Bundesanstalt, schreibt als Essayistin Rezensionen und kleine literarische Texte ...

Wien in den 1920er-Jahren: Rita Girardi ist alleinstehend, blüht auf bei ihrer Arbeit in der Bibliothek der Geologischen Bundesanstalt, schreibt als Essayistin Rezensionen und kleine literarische Texte für die Reichspost und singt auch noch engagiert in einem Chor. Kurz nachdem ihr Nachbar im nahen Arenbergpark tot aufgefunden wird, liegt eine weitere Leiche in der Nähe ihres Arbeitsplatzes. Rita ist fest entschlossen, dem leitenden Ermittler Julius Hechter mit ihren Beobachtungen zu helfen.

Ruhig und elegant in seinem Schreibstil lässt Autor Michael Ritter den dritten Wiener Gemeindebezirk aufleben, die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts wieder auferstehen. Heute noch existierende Gassen schlendert der Leser mit Rita entlang, in bekannten Kaffeehäusern wird ein kleiner Brauner bestellt, wer sich hier ein wenig auskennt, hat schnell das Grätzel, wie man in Wien zu einzelnen Bezirksteilen sagt, vor Augen. Sämtliche Figuren, die historisch belegten ebenso wie die fiktiven (siehe Anhang), sind bestens ausgearbeitet und charakterisiert. Rita steht für eine selbstbestimmte Frau, wie sie zur damaligen Zeit immer öfter anzutreffen war, modern und unabhängig. Ihrer Aufmerksamkeit entgehen nicht die Kritzeleien in einem Werk in der Bibliothek, mit ihrer weiblichen Intuition und ein wenig Fantasie glaubt die Bibliothekarin gar, einen Bezug zu den Mordfällen zu erkennen. Dass sie selbst in Gefahr geraten könnte aufgrund der Nähe der bisher verübten Gewalttaten, daran denkt sie nicht.

Die Handlung ist schlüssig aufgebaut, nach und nach lernt man die Personen kennen, deren Zahl gut überschaubar ist, die Kulisse rund um den Arenbergpark ist auch für Fremde gut vorstellbar geschildert. Allmählich, aber doch stetig, baut sich Spannung auf, am Ende gibt es Unerwartetes und Überraschendes, denn das Motiv ist wahrlich ungewöhnlich.

Hinter dem wunderschönen Titelbild verbirgt sich ein Wien-Krimi aus den 1920ern, der Michael Ritter ausgesprochen gut gelungen ist, ich kann ihn nur wärmstens weiterempfehlen!


Titel Die Bibliothekarin und der Tote im Park
Autor Michael Ritter
ASIN B0C3R6LXB7
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (256 Seiten)
Erscheinungsdatum 9. August 2023
Verlag Gmeiner

  • Einzelne Kategorien
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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.08.2023

Oskar Stern in Perg

Mühlviertler Todesspur
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Chefinspektor Oskar Stern wird nach Perg gerufen: in der Ratgöbluckn liegt eine tote junge Frau, umgeben von zahllosen Teelichtern. Ein Unfall, ein Mord? Motiv und Täter könnten im privaten Umfeld der ...

Chefinspektor Oskar Stern wird nach Perg gerufen: in der Ratgöbluckn liegt eine tote junge Frau, umgeben von zahllosen Teelichtern. Ein Unfall, ein Mord? Motiv und Täter könnten im privaten Umfeld der Leiche zu finden sein, allerdings nur, bis ein weiteres Opfer auftaucht ohne ähnliche Verbindungen. Stern und seine Kollegin Mara Grünbrecht geraten gehörig unter Druck, fühlt sich doch nun in der kleinen oberösterreichischen Gemeinde kaum noch wer sicher, wenn die Polizei den Täter nicht schleunigst zu fassen bekommt.

Unter sehr amüsanten Umständen bekommt der Leser, der die Krimiserie rund um Oskar Stern noch nicht kennt, die Hauptfiguren des Kommissariats präsentiert. Schnell geht es weiter an den Fundort einer Leiche, wo auch schon über mögliche Schuldige spekuliert wird. Ernsthaft und strukturiert geht man vor, um die Ermittlungen voranzutreiben, aber so manches Hindernis stellt sich den Polizisten in den Weg. So gibt es im Laufe der Zeit einige Verdächtige und etliche Spuren, aber noch lange keinen Mörder.

Eva Reichl schreibt flüssig und mit Humor, besonders der Umgang der Kollegen untereinander, neckend, aber keineswegs boshaft gemeint, lockert die Stimmung passend auf. Die Aufklärung der Mordserie verläuft logisch, wenn auch stockend. Ein wenig Privates zwischendurch rundet das Bild lebendiger Figuren entsprechend ab, sodass sie stets authentisch und glaubhaft in Szene gesetzt werden.

Da dieser Fall in sich abgeschlossen ist, hat der Leser keine Probleme, erst hier, beim sechsten Fall für Chefermittler Oskar Stern, einzusteigen. Die Neugierde, wie alles begonnen hat und wie sich die Figuren entwickelt haben, ist jedoch geweckt. Ich werde mir die vorherigen Bände bestimmt ansehen.


Titel Mühlviertler Todesspur
Autor Eva Reichl
ASIN B0C3R4VYV8
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (312 Seiten)
Erscheinungsdatum 9. August 2023
Verlag Gmeiner
Reihe Chefinspektor Oskar Stern