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Veröffentlicht am 21.07.2024

Realität

SpurenElemente
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Auf den Spuren der Realität wandeln die Krimiautorin Franziska Franz und der Rechtsmediziner Marcel Verhoff. Historische Kriminalfälle werden in deren Podcast aufgearbeitet und hier für ein Buchformat ...

Auf den Spuren der Realität wandeln die Krimiautorin Franziska Franz und der Rechtsmediziner Marcel Verhoff. Historische Kriminalfälle werden in deren Podcast aufgearbeitet und hier für ein Buchformat angepasst.

Neun historische Tathergänge werden detailliert vorgestellt und in einzelnen Abschnitten rekonstruiert und beleuchtet. In einem ersten Schritt geht es um eine sachliche Darstellung der Fakten: wer ist das Opfer, was ist passiert? Darauf folgen Einblicke in die Rechtsmedizin: was erzählt die Leiche, in welchem Zustand ist sie aufgefunden worden, was kann man aus den Gegebenheiten schließen? Und zuletzt kommen Menschen zu Wort, die als Tatzeugen Interessantes beisteuern können oder Sachverständige, welche einen Blick auf das große Ganze werfen. Mitunter wird aber auch den Blickwinkel des Täters eingenommen und aus dessen Sicht berichtet. In ruhiger Art und Weise werden durchaus brutale Verbrechen erörtert, die Wahl des Zusammenschnitts ist gut gelungen, sodass der Blick in die Abgründe der Menschheit vielfältig und abwechslungsreich ist. Zudem erfährt der Leser genau, welche Vorgehensweise am Tatort die jeweils richtige ist und warum, welche Unterschiede man trifft zwischen Würgen, Drosseln und Hängen, was passiert, wenn ein Mensch aus nächster Nähe angeschossen bzw. erschossen wird und vieles mehr. Franz und Verhoff sind Meister ihres Metiers und schaffen es daher spielend, nackte Tatsachen informativ und auch für Laien gut verständlich zusammenzustellen.

Von getöteten Prostituierten über brutale Hammermörder geht es zu spannenden Tatortuntersuchungen und mumifizierten Leichen, Motivsuche und Analyse von Blutspuren kommen nicht zu kurz. Alles in allem ein interessanter Überblick über die Vorgehensweise von Ermittlern und Rechtsmedizinern und die kriminellen Energien von zuvorkommenden und hilfsbereiten Nachbarn. Leider die harte Realität, aber gerade deswegen sehr empfehlenswert.

Veröffentlicht am 14.07.2024

Steinige Wege

Das Mädchen im Nordwind
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Ein Work & Travel-Arrangement führt die gelernte Tischlerin Sofie nach Island, da ihr Arbeitsplatz in Hamburg nicht mehr existiert und auch privat nicht mehr alles „rund“ läuft. Wie es der Zufall so will, ...

Ein Work & Travel-Arrangement führt die gelernte Tischlerin Sofie nach Island, da ihr Arbeitsplatz in Hamburg nicht mehr existiert und auch privat nicht mehr alles „rund“ läuft. Wie es der Zufall so will, fällt ihr ein Päckchen mit Notizen in die Hände, in dem sie sogleich neugierig zu lesen beginnt: die Zeilen scheinen sehr privat zu sein und ins Deutschland im Jahre 1936 zurückzuschweifen.

Aha, typisches Konzept, denke ich mir zu Beginn, aber was auf den ersten Blick eine ganz durchschnittliche Geschichte werden dürfte, entpuppt sich immer mehr zu einer sehr berührenden Zeit- und Länderreise. Eng ineinander verflochten präsentieren sich Sofies Arbeits- und Urlaubsleben auf der nordländischen Insel und die immer bedrohlicheren Bedingungen für die jüdische Kaufmannsfamilie Rosenberg Ende der 1930er-Jahre im deutschen Lüneburg.

Der Spannungsbogen beginnt eher flach, nimmt jedoch von Kapitel zu Kapitel stetig zu und lässt den Leser schließlich mit Tränen in den Augen zurück. Voller Gefühl schildert Autorin Karin Lindberg die einzelnen Ereignisse und man spürt förmlich, wie viel Herzblut in jede Szene geflossen ist. Detailgetreue Schilderungen lassen jede Zeit, heute wie damals, so plastisch und greifbar werden, so lebendig, als wäre man selbst mitten drin in einer Achterbahn aus höchstem Glücksgefühl und tiefgreifendsten Problemen. Beide Hauptfiguren – Luise und Sofie – sind als starke Frauen konzipiert, die ihren Weg gehen, auch wenn er steinig ist und von Schmerzen erfüllt.

Wunderbar fügen sich die karge isländische Landschaft und die ganz im Gegensatz dazu stehende Herzlichkeit in die Handlung der Jetzt-Geschichte ein und auch im „Damals“ kann man diesen Familienzusammenhalt erahnen, selbst wenn Luise das anders erlebt hat. Die Vertrautheit der Autorin mit Kultur und Lebensweise Islands spricht aus jedem einzelnen Satz und vermittelt dadurch größtmögliche Authentizität, die keine theoretische Recherche wettmachen könnte. Und genau das lässt dieses Buch zu einer Geschichte werden, die so viel sehr Persönliches von Sofie preisgibt, ins Innerste blicken lässt und schließlich auch durch Luise eine Erinnerung wach werden lässt, ein Denkmal setzt für unzählige grausame Schicksale im Deutschen Reich.

Nur auf den ersten Seiten harmlos daherkommende Lektüre, steckt unglaublich viel Emotion in diesem traurigen und zugleich Mut machenden Roman, der noch lange in meinen Gedanken nachhallen wird.

Veröffentlicht am 11.07.2024

Die Dirn

Johanna
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Die dreizehnjährige Johanna, unehelich geboren, bei einer Ziehfamilie aufgewachsen, verlässt um 1930 das kleine Dorf nahe Güssing im Burgenland, um über den Semmering nach Niederösterreich zu fahren und ...

Die dreizehnjährige Johanna, unehelich geboren, bei einer Ziehfamilie aufgewachsen, verlässt um 1930 das kleine Dorf nahe Güssing im Burgenland, um über den Semmering nach Niederösterreich zu fahren und dort Schneiderin oder einen anderen Beruf zu erlernen. Tatsächlich jedoch landet sie als Dirn (Magd) auf einem Bauernhof und wird gegen ein Bett in der Kammer der Bauerstochter und ein karges Mahl zu allerhand anstrengenden Arbeiten in Haus und Stall herangezogen.

Nüchtern im Schreibstil handelt Renate Welsh diesen Roman ab und vermag es dennoch, mit jedem Satz, mit jeder Szene, das Herz des Lesers zu berühren. Aber genau so war es damals, vor hundert Jahren, als uneheliche Kinder nichts zu wollen hatten. „Das wäre ja noch schöner, wenn ledige Kinder schon was wollen dürften!“ (kindle, Pos. 259). Ungern fügt sich Johanna in ihr Schicksal, hadert damit, dass sie von der Mutter „hergeschenkt“ worden ist, irgendwann nur noch ein „so was“ ist für die Nachbarn, nicht einmal mehr „so eine“ (Uneheliche). Trostlos, aber doch voller Lebendigkeit, schildert Welsh, wie es Johanna und Ihresgleichen ergangen ist, zeigt Bilder von blutigen Händen durch schwere Arbeit, Bilder von schweren Herzen durch die Einsamkeit. Ausgezeichnet gelingt eine sehr realitätsnahe Darstellung des Lebens in den 1930er-Jahren, welche überschattet ist von Standesdenken, hartem Schaffen und Entbehrungen. Trotz allem Ungemach kann Johanna durchhalten, kann sich ihre Träume und Ziele stets vor Augen bewahren, auch wenn es nicht immer einfach ist.

Ein willensstarkes Mädchen in schwierigen Zeiten, eine einfache Dirn am Rande der Gesellschaft, eine, der nichts zusteht, die aber allen Widerständen zum Trotz ihren Platz sucht. Ein lesenswertes Buch, nicht nur für Jugendliche! Ich empfehle „Johanna“ nach bewegenden Lesestunden sehr gerne weiter und bin natürlich neugierig auf den Folgeband „Die alte Johanna“. Fünf von fünf Sternen!

Veröffentlicht am 09.07.2024

U-Bahn

Nachtwasser
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In den Tunneln der Stockholmer U-Bahn werden Knochen gefunden, menschliche Knochen, fein gesäubert. Ein Finanzier wird genannt im Zusammenhang mit dem Skelett und der Justizminister bekommt einen Drohbrief. ...

In den Tunneln der Stockholmer U-Bahn werden Knochen gefunden, menschliche Knochen, fein gesäubert. Ein Finanzier wird genannt im Zusammenhang mit dem Skelett und der Justizminister bekommt einen Drohbrief. Aber auch Vincent Walder, der Meistermentalist, wird mittels Rätselaufgaben immer weiter in die Enge getrieben. Wie soll sich Kommissarin Mina Dabiri verhalten?

Teil Drei beginnt – zumindest für mich – mit einer grandiosen Überraschung. Und auch später gibt es immer wieder völlig unerwartete Zusammenhänge und Verknüpfungen. Läckberg und Fexeus sorgen zum wiederholten Mal für einen spannenden Handlungsverlauf, der den Leser in Atem hält. Die Personen sollten schon bekannt sein (ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Quereinstieg in die Trilogie das volle Lesevergnügen bietet) und entwickeln sich realistisch weiter, die Stockholmer Tunnelwelt im U-Bahnsystem ist ein außergewöhnlicher Schauplatz für das aktuelle Geschehen. Mina und Vincent sind mir trotz ihrer ganz speziellen Eigenheiten – oder gerade deswegen? – mittlerweile ans Herz gewachsen, ihre privaten Verstrickungen im Gesamtgeschehen sind kaum absehbar und berühren mich schlussendlich sehr. Wie wunderbar das Autorenteam den Kreis schließt über alle drei Teile – ich bin beeindruckt.

Ein empfehlenswerter Abschluss der überaus spannenden Dabiri und Walder – Trilogie, welche interessante Kriminalfälle mit viel Persönlichem verknüpft. Gerade diese ausgewogene Mischung mit Figuren, welche nicht auswechselbar sind, hat mich sehr stark angesprochen. Ich empfehle die komplette Serie sehr gerne weiter.

Veröffentlicht am 08.07.2024

Kindergarten

Finsternebel
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Aus dem Kindergarten entführt wird der fünfjährige Ossian aus Södermalm. Mina Dabiri und ihr Team begeben sich auf eine fieberhafte Suche, fieberhaft im wahrsten Sinne des Wortes, denn Stockholm wird von ...

Aus dem Kindergarten entführt wird der fünfjährige Ossian aus Södermalm. Mina Dabiri und ihr Team begeben sich auf eine fieberhafte Suche, fieberhaft im wahrsten Sinne des Wortes, denn Stockholm wird von einer unerträglichen Hitzewelle heimgesucht.

Fall Zwei der Trilogie hält die Ermittler ebenso wie den Leser in Atem, schließlich geht es um ein Kinderleben. Aufgrund eines ähnlichen Falles wird die Ermittlergruppe aufgestockt, um rasch zu einem Ergebnis zu kommen, aber so einfach ist es natürlich nicht. Verärgerte und verängstigte Eltern begegnen Mina, eine politische Partei versucht, Kapital aus dem Thema zu schlagen, die flirrende Hitze lähmt jede einzelne Bewegung – lebhaft und bildreich stellen Läckberg und Fexeus das Geschehen dar, der entstehende Sog nimmt jeden mit. Auch wenn dieser Band für sich allein stehen kann, empfiehlt es sich, die Trilogie in richtiger Reihenfolge zu lesen, zu interessant sind die Figuren und deren Entwicklung. Anders als bei „klassischen“ Krimis geht es hier ja nicht nur um die Lösung eines Falles, sondern um ganz persönliche Verstrickungen unter den Ermittlern.

Diesmal gibt es zwar einige konstruierte und nicht ganz glaubhafte Szenen, dennoch beeindruckt die Handlung durch viele raffiniert untergebrachte Details. Sämtliche Charaktere werden überaus lebendig durch die Zeilen des Autorenteams, Stockholm als Stadt ruft sich mir schnell wieder ins Gedächtnis, obwohl ich schon länger nicht mehr da war. Das Zusammenspiel von aufregender, ermüdender Ermittlungsarbeit und persönlichen Abrechnungen ist sehr gut gelungen. Ich werde alsbald Band Drei aus dem Regal holen …