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Veröffentlicht am 17.09.2024

Augenkiller

Tränengrab
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Evelyns Ehemann Hans ist verstorben, Tochter Manuela sieht es als ihre Pflicht, die Mutter für einige Zeit bei sich aufzunehmen, um deren Trauer ein wenig zu zerstreuen. Seit Hans‘ Krebserkrankung ist ...

Evelyns Ehemann Hans ist verstorben, Tochter Manuela sieht es als ihre Pflicht, die Mutter für einige Zeit bei sich aufzunehmen, um deren Trauer ein wenig zu zerstreuen. Seit Hans‘ Krebserkrankung ist Evelyn nicht mehr in dem malerischen Städtchen gewesen, vieles hat sich hier verändert, bis hin zur mittlerweile 17jährigen Enkelin Anja. Und das Schlimmste: ein Mörder geht in der Gegend um und verstümmelt seine Opfer, insbesondere auf die Augen hat er es abgesehen.

Vom Prolog weg erzeugt Roman Klementovic eine derart fesselnde Spannung, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Gekonnt schildert er auf ruhige, aber eben doch packende Weise die Geschehnisse, welche großteils chronologisch ablaufen, da und dort aber auch mit klugen Vorgriffen und Rückblenden die Neugierde des Lesers anfachen. Zur Verfügung stehen Evelyns Blickwinkel und Anjas Tagebucheinträge, ob die daraus gezogenen Schlüsse wahr sind, ist allerdings immer wieder fraglich. Augenscheinliches und falsche Fährten verschwimmen derart miteinander, dass man bald nicht mehr weiß, was man für bare Münze nehmen darf. Insbesondere die Empfindungen und Gedanken Evelyns sind ausgesprochen gut spürbar, die anderen Figuren bleiben eher im Schatten, was sehr gut zur Handlung passt. Die Atmosphäre spiegelt sich durch das Waldstück hinter dem Haus und die lähmende Hitze bildlich wider. Und – was nicht zuletzt zum gelungenen Lesevergnügen beiträgt – das Ende, das ist ganz genau nach meinem Geschmack!

Kurzum: ein mitnehmender Schreibstil, der die unheilvolle Stimmung perfekt transportiert, eine kürzlich verwitwete Frau, der möglicherweise die Phantasie durchgeht, ein Mörder, der immer wieder brutal zuschlägt – ein hervorragender Thriller in gewohnter Klementovic-Manier. Lesenswert!

Veröffentlicht am 17.09.2024

McGrath

Die Frauen jenseits des Flusses
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Eine 20jährige Krankenschwester aus Coronado, Kalifornien, fasst den Entschluss, sich als Feldschwester für den Vietnamkrieg zu bewerben, nachdem schon ihr älterer Bruder Finley als Pilot in den Kampf ...

Eine 20jährige Krankenschwester aus Coronado, Kalifornien, fasst den Entschluss, sich als Feldschwester für den Vietnamkrieg zu bewerben, nachdem schon ihr älterer Bruder Finley als Pilot in den Kampf gezogen ist. Erschütternd, was sie in den dortigen Evac-Hospitals erleben muss, aber ebenso erschütternd, was sie bei ihrer Rückkehr erwartet.

Frances McGrath, genannt Frankie, wird von Kristin Hannah dermaßen gut beschrieben, sodass man als Leser sofort an ihrer Seite ist und das Grauen im Kriegslazarett sowie ihre Rückkehr ins „zivilisierte“ Leben mit Gänsehaut mitverfolgen darf. Von 1966 an bis zum Jahre 1982 begleiten wir diese überaus mutige und unerschrockene Frau, welche sich stets verantwortlich fühlt für andere. In zwei große Abschnitte gegliedert, erzählt Teil Eins direkt aus dem vietnamesischen Kriegsgebiet, während sich Teil Zwei dem Leben „danach“ in Nordamerika widmet. Es ist nicht einfach, dieses herausragende Zeitzeugnis mit eigenen Worten zu bewerten, so realistisch, erschütternd und überaus gelungen sind die Darstellungen der Angriffe der Bomber, die auch Krankenhäuser nicht verschonen, der Verwundeten, welche schrecklich entstellt ins Evac-Hospital eingeliefert werden, der beschwingten Tanzabende im O-Club mit toller Musik, ohne die man vermutlich völlig verrückt geworden wäre in dieser ausweglos scheinenden Hölle. [Danke für die Nennung der Musiktitel, nicht nur an dieser Stelle!] Es ist bewegend, zu lesen, wie Frankie lernt, mit Situationen zurechtzukommen, auf die sie in keiner Weise vorbereitet worden ist, wie sie wächst an den Herausforderungen, welche über sie hereinbrechen. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, kann sie zwei Jahre später, zurück auf Coronado Island, kaum an ihr altes Leben anknüpfen, kämpft mit Vorurteilen, wird bespuckt und als „Babykiller“ beschimpft. Frauen können auch Helden sein? Frankie spürt nichts davon und Kristin Hannah erzählt schonungslos und realistisch, wie man mit einem Kriegstrauma weiterlebt.

Voller Emotionen, voller Leid und Schmerz, aber auch voller Freundschaft und Liebe steckt dieses herausragende Buch, das man kaum ohne Tränen in den Augen beenden kann. Ich habe einige Pausen gebraucht und bin immer noch mitgenommen von dieser Achterbahn der Gefühle. Unerwartete Wendungen haben diese nur noch weiter angefacht, die Spannung hält vom Anfang bis zum Ende, welches zum Glück noch Raum für eigene Spekulationen offen lässt. Ich bin überwältigt und kann diesen traurigen, aber dennoch hoffnungsvollen Roman nur weiterempfehlen.



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Veröffentlicht am 16.09.2024

In Turin

Die Frau in Rot
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Der Po in Turin bringt mit seinem hohen Wasserstand eine Leiche mit, eine Frau im roten Kleid, die Frau eines stadtbekannten FIAT-Funktionärs. Als Alba, die Tochter der Toten, die Psychoanalytikerin Camilla ...

Der Po in Turin bringt mit seinem hohen Wasserstand eine Leiche mit, eine Frau im roten Kleid, die Frau eines stadtbekannten FIAT-Funktionärs. Als Alba, die Tochter der Toten, die Psychoanalytikerin Camilla di Salvo aufsucht, beginnt diese, Nachforschungen anzustellen, welche die Kriminalpolizei schon wieder beendet und den Fall als Selbstmord abgeschlossen hat.

In einer sehr angenehmen, fast sachlichen Schreibweise beleuchtet Giulia Conti diesen ungewöhnlichen Kriminalfall und versetzt den Leser zur Abwechslung in die interessante Stadt Turin, deren Einwohner als in sich gekehrt und wortkarg gelten. Mit Camilla schafft die Autorin eine unkonventionelle Figur, die einem ungeklärten Mord nachgeht und auf Okkultes ebenso stößt wie auf Spuren zu den bekannten Autoherstellern FIAT und BMW. Nicht zuletzt verschlägt es die zielstrebige junge Frau ins Aostatal, wo sie talentiert auf ihre Ski steigt. Sehr gut vorstellbare Charaktere, verzwickte Zusammenhänge und ein sympathischer Hund aus dem Tierheim lassen die Handlung kurzweilig dahingleiten, Schmankerl aus Italien und Bayern sorgen zwischendurch für den leiblichen Genuss. Die Spannung während des Lesens ergibt sich mitunter daraus, dass Camilla selbst an ihre Kindheit erinnert wird, sonst hätte sie wohl Alba an ihre Kollegin verwiesen und keine abenteuerlichen Fragen gestellt.

Ein erfrischender Kriminalfall, der wohltuend aus der Masse hervorsticht und Neugierde weckt auf weitere Episoden mit Psychoanalytikerin di Salvo.

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Veröffentlicht am 14.09.2024

Jössas na

Café Hawelka
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Wien, 1945: Der Krieg ist aus, Else wagt sich aus dem Luftschutzkeller und wird, da sie völlig allein ist, kurzerhand von Frau Hawelka und deren zwei Kindern mit nach Hause genommen. Aber wo steckt Fritzi ...

Wien, 1945: Der Krieg ist aus, Else wagt sich aus dem Luftschutzkeller und wird, da sie völlig allein ist, kurzerhand von Frau Hawelka und deren zwei Kindern mit nach Hause genommen. Aber wo steckt Fritzi nur, Elses kleine Schwester?

1968: Jusstudentin Jutta verbringt gerne ihre Nachmittage mit Lernunterlagen im Café Hawelka, das vielen zum „zweiten Wohnzimmer“ geworden ist. Warum ihre Mutter Else allerdings so gut mit Frau Hawelka befreundet ist, weiß sie nicht. Gibt es da irgendwelche Geheimnisse?

Ein herzzerreißender Prolog, dann ein Schwenk ins Jahre 1968 zu Jutta und dem legendären Café Leopold Hawelka, das ein kleines, feines Stück Wiener Kultur darstellt. Unter anderem hat man dort Georg Danzer, Friedensreich Hundertwasser, Friedrich Torberg oder Oskar Werner angetroffen. Frisch gebackener Apfelstrudel und flaumige Buchteln zum Kaffee duften verführerisch zwischen den Zeilen hervor, während das Wiener Flair in beiden Zeitebenen von Maria Wachter gekonnt eingefangen ist. Da geht es einerseits um die Jahre nach dem Krieg, ums Überleben und einen Neubeginn, den die Familie Hawelka mit ihrem gemütlichen, verrauchten Kaffeehaus gekonnt meistert und andererseits um eine energische junge Frau Ende der 1960er-Jahre, welche ihr starres Weltbild bezüglich der Judenverfolgung neu überdenkt.

Die entsprechende Atmosphäre in jeder einzelnen Szene ist spürbar dargestellt, schnell versinkt man ganz ins Wien längst vergangener Tage, erlebt mit Else die Phase der Besatzung und des Schwarzmarktes, spaziert mit Jutta in eine Zeit der Gleichberechtigung. Viele Details lassen die fiktive Geschichte lebendig werden. Authentische Ausdrücke wie das Zuckertazzerl zum Kaffee oder ein „Krewegerl“ (schwächliches Geschöpf), sowie das in Wien gebräuchliche „Jössas na“ (siehe auch Georg Danzer) runden die bildhafte Sprache von Maria Wachter gut ab und spiegeln das reale Leben ausgezeichnet wider.

Ausdrucksstarke Figuren, ein realer Hintergrund mit bestens recherchierten Einzelheiten und eine bewegende Romanhandlung ergeben dieses unterhaltsame und informative Portrait einer Familiengeschichte, welche eng verwoben ist mit dem legendären Wiener Kaffeehaus Hawelka. Ein beeindruckendes Buch, welches ich sehr gerne gelesen habe und daher ebenso gerne weiterempfehle! Fünf Sterne!

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Veröffentlicht am 09.09.2024

Amokfahrt

Deine größte Angst
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Gleich am 1. Dezember wird die besinnliche und zauberhafte Stimmung des festlich beleuchteten Weihnachtsmarktes in Konstanz jäh beendet und durch einen irren Amokfahrer in ein schreiendes und unfassbares ...

Gleich am 1. Dezember wird die besinnliche und zauberhafte Stimmung des festlich beleuchteten Weihnachtsmarktes in Konstanz jäh beendet und durch einen irren Amokfahrer in ein schreiendes und unfassbares Blutbad verwandelt. Etliche Todesopfer und Verletzte fordert dieses schreckliche Attentat, acht Traumatisierte werden in den folgenden Tagen durch den Fallanalytiker und Therapeuten Falk Hagedorn in einer Selbsthilfegruppe begleitet. Dabei gerät dieser selbst an seine Grenzen, hat er doch in seiner Vergangenheit schon mehr als genug verkraften müssen. Obwohl er seinen Freund, den Ersten Kriminalhauptkommissar Marius Bannert, in diesem Fall nicht unterstützen möchte, wird er doch sehr schnell in die Sache hineingezogen.

Mit schockierenden, aber dennoch überaus berührenden Szenen beginnt dieser vierte Band der Serie rund um Hagedorn. Mit vielen lebendigen Eindrücken zieht Matthias Bürgel seine Leser sofort in den Bann der Geschehnisse und lässt diese bis zur letzten Seite nicht mehr los. Bildhafte Vergleiche und detailliert beschriebene Momente beherrschen – wie auch schon in den spannenden ersten drei Teilen – die Handlung, welche nicht nur einen authentischen Kriminalfall beleuchtet, sondern auch tief hinter die Kulissen einzelner Persönlichkeiten blickt. Wer Hagedorn, Bannert und Adler bereits kennt, wird sich rasch wieder in deren Umfeld zurechtfinden, für Neueinsteiger gibt es aber genügend Informationen, um die sehr realistisch gezeichneten Charaktere einschätzen zu können. Besonders die Nähe zu den handelnden Figuren, welche Bürgel aufzubauen vermag, finde ich überaus gelungen, als Leser fühlt man sich somit stets mitten drinnen im Geschehen. Zwischen den aktuellen Verlauf der Handlung von Anfang Dezember bis Ende Februar fügt der Autor immer wieder Kapitel aus der Vergangenheit ein, welche das Tatmotiv erklären und verständlich werden lassen. Ohnehin ist die Suche nach dem Amokfahrer sehr aufregend, aber am Ende spitzt sich das Ganze nochmals so zu, dass man mit dem Buch in Händen den Atem anhält und mit gespannten Nerven der Auflösung harrt.

Da der Schriftsteller selbst in verschiedenen Bereichen der Kriminalpolizei tätig ist, fließt viel von seiner Erfahrung in diesen fiktiven Fall mit ein und führt zu größtmöglicher Authentizität. Die Themenvielfalt von Mobbing, Traumaverarbeitung über politische und polizeiliche Strukturen und Arbeitsweisen bis hin zum Datenschutz ist groß und führt dazu, dass auch dieser Fall überaus kurzweilig, interessant und fesselnd zu lesen ist. Während mir Hagedorn am Grabe seiner Tochter das Gefühl vermittelt, dass die Reihe noch nicht zu Ende ist, weist das Nachwort mit der Auszeit für den Fallanalytiker eher auf das Gegenteil hin. Dies fände ich sehr schade, sind mir die lebensnah charakterisierten Figuren doch über die Jahre sehr ans Herz gewachsen.

Ein lebendiger, mitnehmender Schreibstil, eine logisch durchdachte und nachvollziehbare Handlung – auch dieser neue Fall ist – ebenso wie die bisherigen – eine Leseempfehlung wert! Ich gebe gerne und voller Überzeugung fünf Sterne und hoffe auf weitere Kriminalromane oder Thriller aus der Feder Matthias Bürgels.

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