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Veröffentlicht am 15.05.2023

Auslöser drücken!

Das Licht im Rücken
1

1914: Der Leiter der Konstruktionsabteilung der Firma Leitz, Oskar Barnack, experimentiert schon länger an einem kleinen Fotoapparat, welchen man einfach in die Jackentasche stecken kann. Die „Liliput“ ...

1914: Der Leiter der Konstruktionsabteilung der Firma Leitz, Oskar Barnack, experimentiert schon länger an einem kleinen Fotoapparat, welchen man einfach in die Jackentasche stecken kann. Die „Liliput“ erblickt das Licht der Welt und wird, gefördert von seinem Chef Ernst Leitz, weiterentwickelt zur „Leica“. In den 1930er-Jahren wird das Leben in Wetzlar allerdings nicht nur für die Familie Leitz immer schwieriger – die Enteignung der Fabrik durch die Nazis droht – sondern auch für Leitz‘ Freund Anton Gabriel, dem jüdischer Besitzer des Geschäftsladens „Haus der Präsente“. Überfälle und Zerstörungen des Lokals sind nur die Vorboten für persönliche Angriffe auf ihn und seine Familie. Ob die Zusammenarbeit mit den Leitz-Werken und die Entwicklung von Fotofilmen hier noch neue Möglichkeiten bieten können?

Akribisch recherchiert, verquickt Sandra Lüpkes Realität mit romanhaften Elementen, im ausführlichen Anhang gibt es interessante Informationen zu historisch belegten Persönlichkeiten und solchen, die zumindest aufgrund einer historischen Vorlage entstanden sind. Viel Wissenswertes über die Fotografie fließt ein, jedoch wohldosiert, sodass auch Laien nicht abgeschreckt oder in ihrem Lesefluss unterbrochen werden. So fügen sich schicksalhafte Jahre aneinander, zeigen, wie unterschiedlich die einzelnen Personen mit den Schrecken vor und während des Zweiten Weltkrieges umgehen, wie die Perspektive – nicht nur beim Fotografieren – die Sicht der Dinge verändern kann.

Locker im Schreibstil, liest sich dieser zeitgeschichtliche Roman recht angenehm, rückt vor allem auch Frauen vor die Linse, um deren Einfluss und Mut unter Beweis zu stellen. Manchmal stehen die Emotionen im Vergleich zur Dokumentation ein wenig hintenan, dennoch kann man sich als Leser sehr gut in die Zeit von 1914 bis 1945 hineinversetzen und die Entwicklung der Leica mitverfolgen.

Fazit: ein schöner und vor allem genau recherchierter Roman, welcher auf Tatsachen beruht und somit ein Stück Geschichte bewahrt.


Titel Das Licht im Rücken
Autor Sandra Lüpkes
ASIN B0BJTJPHBS
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (496 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 16. Mai 2023
Verlag Rowohlt

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.05.2023

Unter Verschluss

Die Geheimnisse der anderen
1

Psychotherapeutin Lily Bradley führt ein Leben wie im Bilderbuch mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern, einer gut gehenden Praxis und einer herrschaftlichen Villa im idyllischen Story Cove direkt an ...

Psychotherapeutin Lily Bradley führt ein Leben wie im Bilderbuch mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern, einer gut gehenden Praxis und einer herrschaftlichen Villa im idyllischen Story Cove direkt an der Pazifikküste. Nur sie allein weiß, was sie aus ihrer Vergangenheit unter Verschluss hält. Bis eines Tages eine übel aussehende Leiche unten am Strand gefunden wird und Detective Rulandi Duval vom Morddezernat viele Fragen stellt.

Mit dem Ende - einer verwirrenden Verfolgungsjagd - beginnt dieses phantastische Buch, das einen schon bald nach den ersten Szenen in seinen Bann zieht. Jede Figur, auch auf anscheinend unwesentlichen Nebenschauplätzen, scheint so ihr Geheimnis zu haben, etwas vor den anderen zu verbergen. Falls es sich am Strand um Mord handelt, geraten durch Duvals energische Nachforschungen gleich mehrere Personen unter Verdacht, da es verschiedenste Motive gibt. Auch Rue selbst könnte in die Angelegenheit hineingezogen werden, was ihren Eifer um eine rasche Aufklärung nur noch weiter anfacht.

Exzellent gelingt es White, über die gesamten etwa 450 Seiten eine stete Spannung aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Durch regelmäßige Perspektivwechsel und Rückblenden zu einer früheren Gräueltat wirkt die Handlung sehr lebendig und durchaus nachvollziehbar. Das Verbrechen in der Vergangenheit beruht sogar auf einem realen Fall und wird von der Autorin gekonnt in die Geschichte eingeflochten. Markant gezeichnete Personen in einem perfekten noblen Vorort liefern den optimalen Rahmen für das undurchsichtige Versteckspiel, das hier nicht nur von einer Figur veranstaltet wird. Niemand weiß, wem er vertrauen kann, wer welche Geheimnisse hütet, bald verdächtigen einander sogar engste Familienmitglieder. Wie lange kann der Schein noch gewahrt werden? Nervenaufreibende Tage vergehen, kurzweilige Kapitel bringen immer neue Informationen ans Licht, die komplette Auflösung tritt aber wirklich erst am Schluss zutage.

Überraschungen, beängstigende psychologische Einzelheiten, interessante Figuren – all das wird verknüpft zu einem schlüssigen und atemberaubenden Lesevergnügen. Loreth Anne White zeigt zum wiederholten Mal, dass sie fesselnde Geschichten schreiben kann, die den Leser dazu verführen, ein Kapitel nach dem anderen zu verschlingen, um den Geheimnissen endlich auf die Spur zu kommen. Ich kann auch dieses Buch all jenen empfehlen, die gerne Psychothriller und Spannungsromane lesen. Fünf Sterne!



Titel Die Geheimnisse der anderen
Autor Loreth Anne White
ASIN B0BN2K8VPC
Sprache Deutsch
Erscheinungsdatum 9. Mai 2023
Verlag Edition M
Originaltitel The Patient´s Secret
Übersetzer Diana Bürgel

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.05.2023

Gute Laune - Insel

Das Glück ist nur eine Insel entfernt
1

Aufgrund besonderer Umstände übernimmt Rosalie Burg den Studenten-Minijob, für den ursprünglich ihre Tochter vorgesehen war und reist aus Köln auf die schöne Nordseeinsel Amrum. Kurz nach ihrer Scheidung ...

Aufgrund besonderer Umstände übernimmt Rosalie Burg den Studenten-Minijob, für den ursprünglich ihre Tochter vorgesehen war und reist aus Köln auf die schöne Nordseeinsel Amrum. Kurz nach ihrer Scheidung scheint sich ihr Leben dort wieder in normale Bahnen lenken zu lassen, aber sowohl der Inselbewohner Justus als auch ihr Exmann Egbert kämpfen um Rosalies Aufmerksamkeit.

Mit vielen wunderschönen Eindrücken von Amrum, vom Strand, der Meerluft, dem Wind und den Wellen, nicht zuletzt von überaus liebenswerten Menschen erzählt Jette Jacobsen eine stimmungsvolle Geschichte. Treffend charakterisierte Figuren bestimmen eine ungestüme und zugleich romantische Handlung, ganz nebenbei erfährt der Leser sehr viel Wissenswertes über Amrum, ohne dass die Autorin hier als Oberlehrer ankommt. Mit diesem wundervollen Mix wird der Leser zu vier aufregenden Wochen mitgenommen, geprägt von einem Minijob, Urlaubsgefühlen und allerhand anderen Empfindungen, die auch mit Fünfzig noch nicht in Pension gegangen sein müssen. Einige Missverständnisse und viele gute Ideen später findet die Autorin ein passendes Ende, das wohl alle – auch den Leser – zufrieden zurücklässt.

Das Glück ist nur eine Insel entfernt – man muss nur zugreifen, auch bei diesem schönen Wohlfühlroman, der einen den Alltag vergessen und abschweifen lässt. Jetzt hätte ich nur noch gerne diese himmlische Friesentorte und eine Tote Tante. ;)


Titel Das Glück ist nur eine Insel entfernt
Autor Jette Jacobsen
ASIN B0BJW4J6RF
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (417 Seiten)
Erscheinungsdatum 27. April 2023
Verlag Ullstein

Veröffentlicht am 10.05.2023

Der Wolf ist wieder da

Rot. Blut. Tot.
1

Die kleine Insel Mon, die Heimat, in die der Mörder wieder zurückkehrt – heimlich, da er nach über dreißig Jahren Haft in einer Gettosiedlung Kopenhagens resozialisiert werden soll –, wird erschüttert ...

Die kleine Insel Mon, die Heimat, in die der Mörder wieder zurückkehrt – heimlich, da er nach über dreißig Jahren Haft in einer Gettosiedlung Kopenhagens resozialisiert werden soll –, wird erschüttert von einem grausamen Mord an einem Familienvater. „Der Wolf ist wieder da“, wird der Haftentlassene sofort als Täter gebrandmarkt und als sich herausstellt, dass es einen ähnlichen Fall kurz davor in der Hauptstadt gegeben hat, ermitteln Kirsten, Jesper und Marit abermals gemeinsam.

Fantastisch geht es nach Eis. Kalt. Tot. weiter. Anne Nørdby schickt neuerlich ihr bewährtes, wenn auch nicht immer einstimmig agierendes Team in Kopenhagen und auf der Insel Møn aus, um nach dem Mörder der scheußlich zugerichteten Leiche zu suchen. Eigentlich sind es bald zwei Leichen, ein Zusammenhang könnte aufgrund der offensichtlichen und auch der pathologischen Untersuchungsergebnisse durchaus bestehen. Während jedoch die Bewohner Møns den Schuldigen sofort zu kennen glauben, bestehen bei Marit, der exzellenten „Gesichtserkennerin“, schnell Zweifel.

Ein hoher, durchgängiger Spannungsbogen, mehrere Motive und mögliche Täter werden im Laufe der kurzweiligen Kapitel präsentiert, sodass der Leser bis zum Schluss im Dunklen tappt. Hervorragend verknüpft die Autorin auch diesmal wieder eine packende Handlung mit interessanten Details aus der nordischen Mythologie und Zitaten aus der Edda. Dazu kommen ein paar wenige private Informationen, genau richtig dosiert, um die Handlung aufzulockern und nicht abzulenken. Die Figuren, ebenso wie die angesprochenen Hintergrundthemen, sind absolut glaubwürdig und lebensnah dargestellt, sodass man wahrlich eintauchen kann in dieses Lesevergnügen.

Wer gerne fesselnde, gut durchdachte Thriller liest und ein wenig Blut verträgt, ist hier goldrichtig. Hoffentlich gibt es bald eine Fortsetzung?

Titel Rot.Blut.Tot.
Autor Anne Nørdby
ASIN B0BN66R627
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (512 Seiten)
Erscheinungsdatum 10. Mai 2023
Verlag Gmeiner

  • Einzelne Kategorien
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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.05.2023

Apokalypse 1921

Sturz in die Sonne
1

Wissenschaftler haben erkannt, dass ein Unfall im Gravitationssystem die Erde zurück in die Sonne stürzen lässt. Hochaktuelle Zeitungsausgaben weisen die Bevölkerung auf das bevorstehende Unheil hin, allerdings ...

Wissenschaftler haben erkannt, dass ein Unfall im Gravitationssystem die Erde zurück in die Sonne stürzen lässt. Hochaktuelle Zeitungsausgaben weisen die Bevölkerung auf das bevorstehende Unheil hin, allerdings schenkt der Ankündigung kaum jemand Glauben. Alles geht seinen gewohnten Lauf, unter Nachbarn winkt man ab oder tippt sich gar mit verdrehten Augen an die Stirn. Schön ist es, gehen wir zum See, erfreuen wir uns am ordentlich getrockneten Getreide und am mundenden Wein. Reaktionen gibt es erst, als die Trockenheit anhält, Bäume verdorren, Gletscher immer mehr im Schmelzwasser versinken.

Mit seiner höchst eigenwilligen, ganz individuellen Schreibweise zeichnet C. F. Ramuz ein Bild der Apokalypse, einer bedrohlichen Klimaerwärmung durch die immer größere Nähe der Erde zur Sonne. Keine Handlung im klassischen Sinn liest man in diesem düsteren Büchlein, eher gleicht dieser Roman einer Galerie von Bildern, Kapitel, welche einzeln und in beliebiger Reihenfolge betrachtet werden können. Einmal ist es jemand, der die Katastrophe aus der Ich-Perspektive beschreibt, dann Personen mit Namen, wie die Brüder Panchaud, die regelmäßig zum Fischen auf den See hinausfahren, und zwischendurch wiederum anonyme Leute ohne nähere Bezeichnung. Wie vor einem großen Gemälde steht der Leser vor Ramuz‘ Text und kann dem großen Ganzen Einzelheiten entnehmen: Menschen, die nicht individuell sterben werden, sondern gemeinsam aufgrund der unerträglichen Hitze, da eine Bäckerin, die noch völlig unbeeindruckt Semmeln verkauft, daneben überfüllte Züge, die Flüchtende transportieren – in den Norden, in den Süden, in die Höhe.

Eindrucksvoll und in einem völlig ungewohnten Stil streut der Autor seine Beobachtungen aus, betrachtet die Art und Weise, wie Menschen ganz unterschiedlich mit der Herausforderung umgehen, wiederholt mehrfach, verneint schon im nächsten Halbsatz und lässt das Chaos auch in die Wahl der Erzählzeit fließen, indem er Gegenwart und Vergangenheit willkürlich durcheinandermischt und damit auch immer wieder den Leser verwirrt und innehalten lässt. Szenen wechseln einander oft ohne Zusammenhang ab, der einzige rote Faden ist die Hitze, welche von Tag zu Tag steigt, heute 38 Grad Celsius, morgen 39, und immer so weiter.

Der Hitzesommer 1921 in Savoyen (Westschweiz) ist Vorbild für Ramuz‘ Roman und möglicherweise nicht nur für den literarischen Text, sondern auch für die einstmals drohende Realität? Die Originalausgabe von Présence de la mort ist bereits im Jahre 1922 erschienen, die Neuauflage 2023 steht dieser in seiner Aktualität um nichts nach.

Gewöhnungsbedürftig, speziell und ganz und gar individuell – in jedem Falle lesenswert: Ramuz‘ Roman Sturz in die Sonne.

Titel Sturz in die Sonne
Autor C. F. Ramuz
ISBN 978-3-03926-055-3
Sprache Deutsch
Ausgabe Gebundene Ausgabe (200 Seiten)
Erscheinungsdatum 10. Mai 2023
Verlag Limmat
Originaltitel Présence de la mort
Übersetzer Steven Wyss