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Veröffentlicht am 07.03.2021

Beängstigend realistisch

Sterbewohl
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Nadja, 65, erhält eine Einladung vom deutschen Staat, ein Sterbeseminar im Luxushotel auf Fehrmann zu besuchen, völlig unverbindlich und kostenfrei. Aber ist das nicht nur für die wirklich Alten? Und was, ...

Nadja, 65, erhält eine Einladung vom deutschen Staat, ein Sterbeseminar im Luxushotel auf Fehrmann zu besuchen, völlig unverbindlich und kostenfrei. Aber ist das nicht nur für die wirklich Alten? Und was, wenn man noch nicht bereit ist zum Sterben?

Deutschland hat sich zu einer Scheindemokratie entwickelt. Pensionisten, Kranke, aber auch Arbeitslose und Behinderte tragen nichts bei zum Allgemeinwohl, sondern belasten zunehmend das System. Deshalb soll ihnen in luxuriösem Ambiente das Schlucken von Sterbewohl schmackhaft gemacht werden. Schließlich will doch niemand zum Pflegefall werden oder schwere Krankheiten durchleiden, bevor er erlöst wird. Hier hat man sein Schicksal selbst in der Hand und kann rechtzeitig beenden, was noch an Qual kommen könnte.

So einfach mag Nadja, gerade erst in Rente gegangen, gemeinsam mit ihren Freunden Anna, Max und Fred aber nun doch noch nicht verzichten auf Freizeit, Hobbys und Vergnügungen. Schließlich ist sie noch agil und fit und hat einiges vor. Hin- und hergerissen zwischen Neugier und dem Wissen, dass bisher niemand von so einem Seminar zurückgekehrt ist, schmieden die vier einen verwegenen Plan und checken ein im Hotel Paradies.

Beängstigend realistisch beschreibt Olivia Monti die Zustände in einem künftigen Deutschland, das so ferne möglicherweise gar nicht ist. Vermischt mit einigen interessanten Querverweisen zum dritten Reich entwirft die Autorin eine schockierende Geschichte, die gar nicht einmal so abwegig scheint. Mangel an Ressourcen, Gier nach Geld und Macht lassen die Alten und Schwachen schnell an den Rand der Gesellschaft abrutschen und neue Möglichkeiten zur Optimierung suchen – und finden. Wer nichts beiträgt, ist nichts wert und hat keine Daseinsberechtigung.

So wird der Leser rasch in den Bann gezogen über ein Abenteuer von vier junggebliebenen Rentnern, die diesen Ideen ein Schnippchen schlagen und herausfinden möchten, was nun wirklich hinter diesen Luxusreisen steckt. Humorvoll und mit flotten, kurzen Sätzen flugs zu lesen, bringt uns dieses Buch ernste Themen nahe. Die Figuren bleiben teils ein wenig oberflächlich, dies tut dem Ganzen aber keinen Abbruch, zeigt es doch auch in passender Weise, wie austauschbar die Menschen sind. Die Sicht aus Nadjas Perspektive wiederum bringt beängstigende Nähe ins Spiel und je näher man dem Tod kommt, umso rasanter schreitet der Urlaub voran. Das Ende kommt dann doch ein wenig abrupt, aber das Buch hallt noch eine Weile nach, sodass man es nicht unbeeindruckt aus der Hand legen kann.

Ein kurzer Krimi der anderen Art, den ich auf jeden Fall gerne weiter empfehle. Gänsehaut inbegriffen.

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Veröffentlicht am 04.03.2021

Cold Case

Das Grab in den Schären
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Auf Telegrafholmen, einer Insel im Stockholmer Schärengarten, werden bei Bauarbeiten Skelettteile gefunden. Der erfahrene Ermittler Thomas Andreasson und sein Kollege Aram werden eingeschaltet. Kann eine ...

Auf Telegrafholmen, einer Insel im Stockholmer Schärengarten, werden bei Bauarbeiten Skelettteile gefunden. Der erfahrene Ermittler Thomas Andreasson und sein Kollege Aram werden eingeschaltet. Kann eine der seit zehn Jahren vermissten Frauen dem Fund zugeordnet werden oder liegen die Knochen etwa noch länger auf der bislang unbewohnten Insel? Welches Schicksal hat die damals 17jährige Astrid und die 35jährige Siri ereilt? Viele Fragen werden aufgeworfen und die Polizei steht massiv unter Zeitdruck.

Dies ist bereits der zehnte Fall für den sympathischen Thomas Andreasson, der immer wieder von seiner Jugendfreundin, der Juristin Nora Linde, unterstützt wird. Wie immer entführt uns Autorin Viveca Sten in die wunderschöne Welt der Schären, wo vorwiegend Sandhamn im Mittelpunkt der Handlung steht. Mittlerweile kennen wir den geschäftigen Hafen, die duftende Bäckerei und das elegante Seglerhotel, das gemütliche Värdshus und den gut sortierten Lebensmittelladen, die kleinen, dicht stehenden falunroten Häuschen und die ausgedehnten Kiefernwälder neben einladenden Sandstränden und dennoch gibt es stets etwas Neues auf der Insel zu entdecken und zu erforschen. Sten versteht es, die idyllische Landschaft in eine Mordskulisse zu verwandeln, den Leser zu fesseln mit traumhaften Bildern aus der Natur und genau damit einen perfekten Hintergrund für das Verbrechen zu schaffen.

Zur Abwechslung erwarten den Leser diesmal alte Knochen und wenige Anhaltspunkte, sodass längst zurückliegenden Vermisstenmeldungen nachgegangen werden muss. Interessant sind dabei die Rückblenden zu Astrid und Siri, die ins aktuelle Geschehen eingebettet sind und einige Einblicke ermöglichen, aber auch geschickte Ablenkung darstellen. Raffiniert fügt die Autorin einzelne Puzzlestückchen aneinander, verflicht Polizeiarbeit mit privaten Details von Noras und Thomas‘ Leben, sodass eine stimmige Geschichte entsteht, deren Fäden sich am Ende alle zusammenfügen. Wer die beiden Hauptfiguren von Anfang an kennt, erlebt ihre Entwicklung mit und kann sich gut in sie hineinversetzen, selbst wenn man vor einigen Jahren den aktuellen Zustand für unmöglich gehalten hätte. Aber so spielt eben das Leben, auch im schönen Schärenland.

Mit gewohnt flottem, flüssigem Schreibstil und übersichtlichen, knappen Kapiteln, die immer wieder zum Weiterlesen einladen, zieht Viveca Sten auch mit diesem Band ihre Leser in den Bann und lässt hoffen, dass die Reihe „Ein Fall für Thomas Andreasson“ noch lange nicht zu Ende ist.

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Veröffentlicht am 27.02.2021

Bienen wie Brüder

Das Flüstern der Bienen
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Nana Reja ist alt und sitzt Tag für Tag in ihrem hölzernen Schaukelstuhl, aber sie hat wache Sinne und hört ein Kind wimmern - und tatsächlich liegt unter einer Brücke ein Säugling, den die mexikanischen ...

Nana Reja ist alt und sitzt Tag für Tag in ihrem hölzernen Schaukelstuhl, aber sie hat wache Sinne und hört ein Kind wimmern - und tatsächlich liegt unter einer Brücke ein Säugling, den die mexikanischen Gutsbesitzer Francisco und Beatriz Morales aufnehmen und wie ihr eigenes Kind behandeln. Anfangs sind nicht alle angetan von dem sonderbaren Jungen und schreiben ihm in ihrem Aberglauben böse Eigenschaften zu, nach und nach gewöhnt man sich aber an den stillen und scheinbar eigenbrötlerischen Buben. Alle? Nein, nicht alle …

In einer sehr feinfühligen und empathischen Art schreibt Sofia Segovia diese wunderbare Familiengeschichte nieder, lässt den Leser Stille hören und Vertrauen unter den Menschen spüren, sie berichtet von schwierigen Zeiten und guten Herzen und berührt damit das Innerste des Lesers. Simonopio hat Glück und findet auf der Hazienda La Amistad ein Zuhause, umgeben von freundlichen Menschen, die ihm wohlgesonnen sind. Er aber spürt, dass der Schein trügt und Gefahren lauern. Mit Hilfe seiner Freunde, den Bienen, kann er die Familie vor so manchem Unheil bewahren und so begleiten wir Simonopio durch die Zeit der Spanischen Grippe und der mexikanischen Revolution, erleben Höhen und Tiefen im Leben der Moralez, freudige Feste und finanzielle Sorgen.

Segovias Erzählung gleitet lange ruhig dahin wie ein breiter, gemächlicher Fluss. In der Ruhe aber finden sich so viele Details, die der achtsame Leser entdecken kann. Die Schönheit der Natur, die Geräusche des Windes und der Tiere, das Knacken und Knarren von Ästen, das feine Summen der Bienenflügel, die träge Sommerhitze und die Trockenheit des aufgerissenen Bodens, das Stimmengewirr der Bediensteten und das unaufhörliche Wippen des Schaukelstuhls, das Sterben und das Geborenwerden. Durch gekonnte Verknüpfung von realer Historie und dichterischen Elementen webt die Autorin eine mitreißende und spannende Familiengeschichte, die in einem explosiven Ende mündet. Sprachlich gewandt und mit faszinierenden Bildern entführt uns Segovia in das Mexiko des anfänglichen 20. Jahrhunderts, wo wir das Schicksal der Familie Moralez mitverfolgen können und bemerken, wie wichtig das Miteinander von Mensch und Natur ist, wie wesentlich es ist, achtsam zu sein und nicht das Wesentliche aus dem Blick zu verlieren.

Aus verschiedenen Blickwinkeln, einerseits dem des neutralen Erzählers, andererseits aus der Sicht des jüngsten Geschwisterkindes geschildert, entsteht ein zusätzlicher Sog, der einen das Buch kaum aus den Händen legen lässt und ein Mitfiebern mit den Protagonisten immer weiter anfacht.

Das Flüstern der Bienen ist ein ganz besonderes Buch, ruhig, aber stimmungsvoll, informativ und verzaubernd gleichermaßen.

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Veröffentlicht am 21.02.2021

Genetische Impfstoffe - verständlich erklärt

Corona-Impfstoffe: Rettung oder Risiko?
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Aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie werden Impfstoffe in einem verkürzten – teleskopierten – Verfahren entwickelt und mittels „rolling review“ zugelassen. Welche Vor- und Nachteile dieses vom Standardverfahren ...

Aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie werden Impfstoffe in einem verkürzten – teleskopierten – Verfahren entwickelt und mittels „rolling review“ zugelassen. Welche Vor- und Nachteile dieses vom Standardverfahren abweichende Prozedere mit sich bringt, stellt Biologe und Autor Clemens G. Arvay in diesem kompakten Büchlein auch für Laien gut leserlich und verständlich dar.

Sachlich zusammengestellt und wissenschaftlich fundiert (siehe Literaturliste im Anhang) findet der Leser einen guten Überblick über biologische Grundlagen der Zelle, Wirkungen und mögliche unerwünschte Wirkungen von genetischen Impfstoffen, Daten zu bislang bzw. wahrscheinlich demnächst zugelassenen Präparaten und den in der Öffentlichkeit leider versäumten Diskurs.

Niemand entkommt zurzeit dem Thema Corona und Bewältigung der Krise. Welche Rolle nun die bereits vorhandenen Impfstoffe spielen, wie sie wirken und welche Fragen trotz erfolgter (in Österreich bedingter) Zulassung noch offen sind, das beleuchtet dieses Buch. Klar wendet sich Arvay an Menschen ohne oder mit nur geringen Vorkenntnissen, sodass auch diese Zielgruppe die Möglichkeit hat, sich abseits von gängigen Medien zu informieren, Dinge kritisch zu hinterfragen und selber zu einer Entscheidung zu kommen, ob für das individuelle Risiko eine Impfung passt oder nicht. Dass etliche Impfentscheidungen allein dadurch zustande kommen, weil man dann wieder frei durch die Welt reisen darf (Quelle: https://m.focus.de/gesundheit/40-prozent-wollen-sich-impfen-lassen-subjektives-risiko-voellig-ueberschaetzt-was-oesterreicher-wirklich-von-corona-und-lockdown-haltenid12950173.html?fbclid=IwAR0K6xBQED1pBjiV7yzPxD6fPvJx-jTeTcoQT0iegvLXm8-Cy-zbM1an5L8, abgerufen am 21.2.2021) und nicht aus medizinischen Gründen, finde ich persönlich jedenfalls sehr bedenklich.

Da ich selbst gerne unterschiedliche Meinungen einhole, bevor ich zu einem Urteil komme und weder bei „Impfpäpsten“ noch bei „Aluhüten“ ausreichende und vor allem neutrale Antworten gefunden habe, ist mir dieses kurze, aber doch recht informative Buch gerade recht gekommen, weil hier kompakte, sachliche Ausführungen im Mittelpunkt stehen und keinerlei Bewertung pro oder kontra Impfung abgegeben wird. Sachlich und präzise geht der Autor auf die unterschiedlichen Themen ein und bietet somit ein interessantes Werk zum Lesen und Nachschlagen; für die einen bestimmt eine Menge an Neuinformation, für andere vielleicht eher eine sinnvolle Zusammenfassung und Erweiterung von bereits vorhandenem Wissen, in jeden Fall aber eine Bereicherung zum Thema genetische Impfstoffe.

Aus meiner Sicht empfehle ich dieses Buch jedem Interessierten, um sich eine eigene Meinung zu bilden und freue mich auf Clemens G. Arvay: „Wir können es besser“.

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Veröffentlicht am 15.02.2021

Auf der Suche

Der Klang der Wälder
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In einem abgelegenen Bergdorf wächst Tomura-kun auf, das Rauschen der Wälder begleitet ihn und prägt seine Leidenschaft für Klang und Musik. Als er eines Tages dem Klavierstimmer Itadori-san bei der Arbeit ...

In einem abgelegenen Bergdorf wächst Tomura-kun auf, das Rauschen der Wälder begleitet ihn und prägt seine Leidenschaft für Klang und Musik. Als er eines Tages dem Klavierstimmer Itadori-san bei der Arbeit zusieht und -hört, ist er von dieser Aufgabe so fasziniert, dass er selber dieses Handwerk erlernt. Umgeben von erfahrenen Kollegen, setzt er sich allerdings sehr unter Druck und fühlt sich stets minderbegabt. Erst durch die Schwestern Yuni und Kazune und deren Schicksal findet er zu sich selbst und seiner Bestimmung.

Mit klaren Worten, einfach und prägnant, dennoch aber mit einer gewissen Melodie setzt Autorin Natsu Miyashita diesen Roman in Szene. Tomura-kun trifft fern von seiner Heimat auf viele Gewohnheiten, die ihm fremd sind. Nur langsam fügt er sich mit viel Fleiß ins Erwerbsleben ein und versucht, seine vermeintlichen Schwächen durch Ausdauer und Lernbereitschaft auszugleichen.

Während das Titelbild und der Klappentext sehr einladend wirken, so plätschert die Geschichte Tomura-kuns nur langsam und gemächlich dahin. Zu Beginn ist die Technik des Klavierstimmens noch sehr interessant, mit zunehmenden Wiederholungen wird die Sache jedoch ein wenig langatmig, auch wenn hinter jedem Klavier ein ganz individueller Pianist steht und jeder Spieler sich eine andere Klangnote wünscht. Ist Klavierstimmen also nur ein Handwerk, das man erlernen kann und eine reproduzierbare Technik? Oder steckt schlussendlich doch mehr dahinter? Der Protagonist muss sich viele Monate quälen, bis er wiederum auf die beiden Schwestern trifft, bei denen er das erste Mal nach seiner Grundausbildung beim Klavierstimmen dabei sein durfte. Erst jetzt erkennt er, was seine Arbeit bewirken kann und worauf er sein Augenmerk richten möchte.

Leider erscheint vieles in diesem Roman etwas schwermütig und eintönig, die Figuren bleiben nebelhaft fern, die Entwicklung Tomura-kuns nicht so lebendig, wie es hätte sein können. Vielleicht liegt es an der ganz anderen Kultur Japans, dass hier dieser Eindruck entsteht, an den sehr höflichen und oft recht förmlichen Umgangsformen, die kaum Privates und Ungezwungenes zulassen? In Summe handelt es sich um eine interessante Geschichte, die aber kaum Emotionen bei mir auslösen kann. Schade. Aufgrund der angenehmen Sprachmelodie und der grundsätzlich schönen Idee für dieses Buch vergebe ich drei Sterne.

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