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Veröffentlicht am 27.08.2022

Entscheidungen

Sonnenblumentage
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Zum Vater hat Marie keine besondere Verbindung, ihre Mutter hat sie vor etwa einem Jahr durch einen Schicksalsschlag verloren. Nun lebt die junge Floristin in einem kleinen Dorf bei ihrem Freund, der ihr ...

Zum Vater hat Marie keine besondere Verbindung, ihre Mutter hat sie vor etwa einem Jahr durch einen Schicksalsschlag verloren. Nun lebt die junge Floristin in einem kleinen Dorf bei ihrem Freund, der ihr über die schweren Tage hinweggeholfen hat und arbeitet in der Gärtnerei seiner Eltern. Allerdings kann sie hier ihre Talente nicht wirklich optimal entfalten. An einem Wochenende will sie dem immer wieder einengenden Alltag entfliehen und sich mit ihren beiden liebenswerten Tanten in einem Wellnesshotel treffen. Ein Telefonanruf verändert alles.

Frieda Bergmann entwickelt nun zwei Szenarien, die sich abspielen könnten: Marie nimmt den Anruf nicht an und fährt ihrem Schicksal entgegen, oder Marie nimmt den Anruf an und ihr Leben hält eine andere Zukunft für sie bereit.

Ein angenehm flüssiger Schreibstil begleitet den Leser auf Maries Wegen und zeigt auf, wie entscheidend manchmal eine Kleinigkeit sein kann. Wie entwickelt sich ein Mensch, wenn er gerade diese Abzweigung nimmt, wie würde sein Leben verlaufen, wenn er die andere Richtung wählt? Abwechselnd beleuchtet die Autorin Maries Zeit ab dem Anruf … was wäre, wenn …

Blumig und bunt, wie es zur Floristin passt, beginnt das Buch nicht nur auf dem Titelbild. Auch Maries Tätigkeit wird sehr ausführlich und detailliert beschreiben, sodass man als Leser die sympathische Frau recht schnell kennenlernt. Nach diesem Einstieg kommt der Wendepunkt, und die Geschichte verläuft in zwei ganz unterschiedlichen Handlungssträngen, die aber da und dort aufeinandertreffen und Gemeinsamkeiten hervorstreichen. Während anfangs die rauschende Vielfalt zum Thema Pflanzen und Feste gut passt, verliert sich das Geschehen aber immer weiter in Details, welche für mich dann irgendwann doch zu ausschweifend und teilweise nicht überzeugend gewesen sind. Auch die Ausgewogenheit zwischen den unterschiedlichen Verläufen von Maries Leben ist nicht so recht gegeben, selbst wenn der ausführlichere Teil oftmals interessanter und lebendiger wirkt. So gibt es manch spannende und aufregende Szene, während dazwischen viele Blumen verwelken, bis sich neuerlich etwas Interessantes ereignet.

Die Idee dieser „was wäre, wenn…“-Erzählung ist außergewöhnlich und führt dem Leser vor Augen, dass man auf unterschiedlichste Weise ein glückliches und erfülltes Leben führen kann, manche Entscheidungen passieren, manche trifft man ganz bewusst. Welche Früchte man jedoch aus den gesäten Samen erntet, das kann man immer wieder beeinflussen. Kaum eine Entscheidung ist eine Einbahnstraße, irgendwo gibt es fast immer eine Möglichkeit zum Wenden.

Wer sich gerne fallen lässt in eine recht umfassende, aber durchwegs herzliche Erzählung aus Maries Leben, der liegt mit Bergmanns „Sonnenblumentage“ bestimmt richtig.



Titel Sonnenblumentage

Autor Frieda Bergmann

ISBN 978-3-7341-1032-0

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 640 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 17. August 2022

Verlag Blanvalet

Veröffentlicht am 22.08.2022

Umkehr des Schweigens?

Die Toten von Cork
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Mit Kindern und einer befreundeten Kollegin sucht Kriminalkommissar Markus Felchlin Erholung in der grünen Idylle Irlands. Ein abgeschiedenes Ferienhaus am Rande eines Sees dürfte dafür perfekt geeignet ...

Mit Kindern und einer befreundeten Kollegin sucht Kriminalkommissar Markus Felchlin Erholung in der grünen Idylle Irlands. Ein abgeschiedenes Ferienhaus am Rande eines Sees dürfte dafür perfekt geeignet sein. Allerdings scheint man Gäste hier nicht zu begrüßen: Schmierereien am Zufahrtstor und andere Unannehmlichkeiten trüben die gemütliche Ferienstimmung und Felchlin geht – einmal Polizist, immer Polizist – der Sache nach.

Mit einem etwas verstörenden Prolog und einem seltsamen Naturschauspiel beginnt dieser Kriminalroman, in dem so viel mehr steckt als ein unterhaltsamer Krimi. Unmittelbare Nähe vermittelt Gerlinde Michel, indem sie das Präsens als Zeitform wählt und ihre Botschaft in knappe, schnörkellose Sätze verpackt. So schafft die Autorin eine ganz spezielle Atmosphäre, welche immer wieder Gänsehaut und Sprachlosigkeit erzeugt. Gleichzeitig wahrt sie Distanz, indem die Hauptfigur fast durchgehend mit Nachnamen genannt wird. So wird ein tolles Spannungsfeld erzeugt, auf das sich der Leser vollkommen einlassen sollte. Denn was sich als überaus detaillierte Geschichte mit vielen Nebensächlichkeiten anlässt, entwickelt sich zu dramatischen Szenen, welche auf wahren Begebenheiten beruhen.

Rasch befindet man sich als Leser im Sog von Michels virtuoser Kunst, Reales mit Fiktivem zu verknüpfen, insbesondere die persönlichen Berichte, welche die Urlaubsidylle im County Cork immer wieder unterbrechen, verursachen zunehmend Gänsehaut. Auch wenn das Wissen um die zugrundeliegenden Verbrechen schrecklich ist, so darf dies niemals totgeschwiegen und vergessen werden.

In diesem Sinne finde ich die Metapher des Flusses mit zwei Fließrichtungen sehr gelungen: eine Umkehr des Schweigens, eine Umkehr zu Recht und Gerechtigkeit muss möglich sein. Danke an Gerlinde Michel, die mit diesem Kriminalroman ein Mahnmal verfasst und (nicht nur) die Toten von Cork in Erinnerung behalten lässt. Klare Leseempfehlung!



Titel Die Toten von Cork

Autor Gerlinde Michel

ISBN 978-3-89425-790-3

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 208 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch

Erscheinungsdatum 25. August 2022

Verlag Grafit

  • Einzelne Kategorien
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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.08.2022

Morbides Wien

Fluch der Venus – Wiener Abgründe
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Nach dem Tod der Nobelprostituierten Fanni Matzner soll eine Obduktion stattfinden. Einer ihrer Freier will Gewissheit, woran sie gestorben ist. Aufgrund des Ergebnisses setzt Polizeipräsident Marx den ...

Nach dem Tod der Nobelprostituierten Fanni Matzner soll eine Obduktion stattfinden. Einer ihrer Freier will Gewissheit, woran sie gestorben ist. Aufgrund des Ergebnisses setzt Polizeipräsident Marx den Sonderermittler Leopold Kern ein, auch als Hurenpoidel bekannt. Schnell landet Leo bei alten Bekannten aus dem Milieu und gerät zwischen Freund und Feind.

Von Beginn an findet sich der Leser in einem perfekt zum Leben erweckten alten Wien im Jahre 1880 wieder. Ringstraße und Vorstadt, Prachtbauten, ärmliche Behausungen und Ecken des Elends entstehen mittels bildhafter Sprache und etlichen typischen Ausdrücken vor dem geistigen Auge des Lesers. Rasch ist man im Sog gefangen von hochrangigen Beamten, Grafen, Edelhuren und Geheimnissen. Ein jeder ist auf seinen Vorteil bedacht, niemand will irgendwo anstreifen. So ist es Marx unmöglich, offizielle Mordermittlungen einzuleiten; also muss Kern mit seinen Kontakten zum Milieu herhalten.

Düster und undurchsichtig ist die Atmosphäre im Buch, verstärkt wird das Ganze noch durch Kerns persönliches Schicksal, an dem er schwer zu tragen hat. Die Schreibweise Loraths, geprägt durch alte Wiener Ausdrücke, untermalt das besondere Flair zur damaligen Zeit, lässt gar Gerüche des Verderbens vernehmen und das schwere Parfum, welches alles überdecken soll. Ähnlich wie die Syphilis frisst sich das Unheil langsam aber stetig bis an die Oberfläche. Die Handlung ist geschickt komponiert und führt ohne Eile, dennoch stets interessant, durch verschiedenste Stationen. Es wird immer schwieriger, Freund von Feind zu unterscheiden, nicht nur für Leopold Kern, sondern auch für den Leser, der ja da und dort auch zusätzliche Einblicke bekommt.

Spannende Figuren, welche lebendig charakterisiert werden und Bilder der Zeit des Umbruchs in Wien lassen diesen Krimi zu einem besonderen Erlebnis werden, die Handlung im Rotlichtmilieu ist glaubwürdig und authentisch entwickelt. So darf der Leser auf weitere Fälle für Leopold Kern hoffen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen.



Titel Fluch der Venus - Wiener Abgründe, Peter Lorath

Autor Peter Lorath

ISBN 978-3-492-50626-7

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 360 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 1. September 2022

Verlag Piper

  • Einzelne Kategorien
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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.08.2022

Anonym

Der Gastgeber. Fühl dich wie zu Hause
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Programmiererin Nika hat einen falschen Pass und lebt in verschiedenen Airbnb-Wohnungen, ohne weiter aufzufallen oder gar Spuren zu hinterlassen. In einer neuen Wohnung angekommen, entdeckt sie verstörende ...

Programmiererin Nika hat einen falschen Pass und lebt in verschiedenen Airbnb-Wohnungen, ohne weiter aufzufallen oder gar Spuren zu hinterlassen. In einer neuen Wohnung angekommen, entdeckt sie verstörende Bilder mit Portraits von jungen Frauen, von denen ihr eine verblüffend ähnlich sieht.

Arne Garrit legt diesen Thriller raffiniert an. Über etliche Seiten lernt der Leser die gehetzt wirkende Nika und die strebsame, aber kaum durch Anerkennung verwöhnte Polizistin Rita Benesch kennen, weiß aber ziemlich lange nicht, worum es im Buch überhaupt geht. Die Szenen aus den Blickwinkeln der beiden Frauen sind in knappen Sätzen im Präsens abgebildet. Der Sog, der dadurch entsteht, fesselt den Leser an die Geschichte, welche erst allmählich Konturen annimmt. Insbesondere die Hauptfigur Nika bleibt bis zum Schluss ein wenig distanziert, was aber hier perfekt zur Geschichte passt, während Benesch eine bemerkenswerte Entwicklung durchlebt. Erst spät ergeben sich konkrete Zusammenhänge, wodurch die Neugierde immer wieder aufs Neue geweckt wird, noch schnell ein Kapitel, oder zumindest einen weiteren Unterabschnitt zu lesen. Etwas verwirrend, aber durchaus gewitzt, sind jene Details, welche aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden und wodurch klarerweise der zeitliche Ablauf da und dort ein wenig zurückgeschraubt wird. Die Aufmerksamkeit des Lesers ist jedenfalls gefordert. Welches Ende der Gastgeber bereithält, ist eine gelungene Überraschung, die überzeugend ins Puzzle passt.

Fazit: kurze Sätze, welche Tempo ins Spiel bringen und eine außergewöhnliche Geschichte mit zwei realistischen Frauen bilden ein solides Fundament für packende Lesestunden. Das Duo Peter Gallert und Jörg Reiter hinter dem Pseudonym Garrit hat hier eine ganz besondere Atmosphäre erschaffen. Gerne mehr davon!



Titel Der Gastgeber. Fühl dich wie zu Hause.

Autor Arne Garrit

ISBN 978-3-548-06593-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 384 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 30. Juni 2022

Verlag Ullstein

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.08.2022

Frauenschicksale

Die Köchinnen von Fenley
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„Manchmal braucht man eine Freundin, die einem vor Augen führt, wer man wirklich ist.“ (Audrey, kindle Pos. 4794)
Während des Zweiten Weltkriegs werden wichtige Lebensmittel knapp. Die BBC-Radiosendung ...

„Manchmal braucht man eine Freundin, die einem vor Augen führt, wer man wirklich ist.“ (Audrey, kindle Pos. 4794)
Während des Zweiten Weltkriegs werden wichtige Lebensmittel knapp. Die BBC-Radiosendung „The Kitchen Front“ soll den Frauen Ideen liefern, wie sie mit den kargen Angeboten durch Rationierungen dennoch schmackhaftes und nährstoffreiches Essen auf den Tisch zaubern können. Ein Wettbewerb wird ausgerufen, die Gewinnerin wird Co-Moderatorin der Sendung. Sogleich meldet sich die Kriegswitwe Audrey, die kaum weiß, wie sie mit ihren drei Burschen und der hohen Miete über die Runden kommen soll. Das Küchenmädchen Nell erhofft sich Freiheit aus der Knechtschaft am Gutshof. Ihre Herrin Gwendoline sucht nach Anerkennung, die sie in ihrer Ehe nicht bekommt und schließlich nimmt noch die bisherige Küchenchefin Zelda teil, die zeigen will, dass auch Frauen erfolgreich in der von Männern dominierten Gastronomie mithalten können.
Jennifer Ryan beleuchtet den Kochwettbewerb aus der jeweiligen Sicht der vier engagierten Frauen. Die Geschichte wird dadurch sehr lebendig und authentisch und legt unterschiedliche Lebensweisen dar. Mit ihrer ruhigen Schreibweise nimmt sie den Leser mit in eine duftende, aber auch teils abstoßende oder zumindest heute unvorstellbare Welt der Nahrungsmittel. Was man nicht kaufen kann, wird angebaut oder im Wald und auf dem Feld gesammelt. Insbesondere Audrey hat einen hervorragenden Wissensschatz angesammelt über wild wachsende Beeren, Pilze und Heilkräuter. Nell hingegen zeichnet sich aus durch ein außerordentliches Gespür für Aromen, Gewürze und ihre optimale Kombination, sodass auch weniger Schmackhaftes für Gaumenfreuden sorgt. Gwendoline versucht sich in ihrer Eigenschaft als Vortragende fürs Ministerium an Dosensardinen und Walfleisch, während Zelda sogar mit dem Schwarzmarkt liebäugelt, um köstliche Gerichte beim Wettbewerb zu präsentieren.
Viel Raum wird den Rezepten gewidmet, sodass man heute nur staunen kann, welch kreative Ideen in Zeiten der Not aufgekommen sind. Aber auch etliche andere Themengebiete wirft Ryan auf: Knechtschaft der Hausangestellten, die kaum auf Heirat und Freiheit hoffen durften, Kriegsgefangene, alleinerziehende Witwen, Flüchtlinge ohne Dach über dem Kopf, die Stellung der Frau und vieles mehr. So ist es kaum verwunderlich, dass die Autorin den Bogen schafft, aus vier Konkurrentinnen schlussendlich vier Freundinnen werden zu lassen, die gemeinsame Ziele verfolgen.
Alles in allem ist „Die Köchinnen von Fenley“ ein recht ruhiges, aber ausgesprochen interessantes Buch, das die Schicksale von so unterschiedlichen Frauen während des Zweiten Weltkriegs thematisiert und liebevoll, sowie empathisch in Worte fasst.

Titel Die Köchinnen von Fenley
Autor Jennifer Ryan
ISBN 978-3-462-00392-5
Sprache Deutsch
Ausgabe Taschenbuch, 512 Seiten
Ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch
Erscheinungsdatum 6. Oktober 2022
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Originaltitel The Kitchen Front
Übersetzer Pauline Kurbasik