Unterschätze nie das schwarze Schaf
EisenblutDeutsches Reich 1888, das Dreikaiserjahr: Nach dem Tod von Kaiser Wilhelm I am 9. März folgte ihm sein ältester Sohn als Friedrich I für 99 Tage auf den Thron, bis er an Kehlkopfkrebs starb und von seinem ...
Deutsches Reich 1888, das Dreikaiserjahr: Nach dem Tod von Kaiser Wilhelm I am 9. März folgte ihm sein ältester Sohn als Friedrich I für 99 Tage auf den Thron, bis er an Kehlkopfkrebs starb und von seinem ältesten Sohn Wilhelm II beerbt wurde.
Kaiser Wilhelm I liegt im Sterben, Reichskanzler Bismarck ist schon über 70 Jahre alt und eine Umbruchsstimmung liegt in der Luft. Geheime Kurier des Reichs werden auf ihren streng vertraulichen Routen abgefangen, der Geheimdokumente entledigt und ermordet. Ein Vorgang der einer gründlichen Untersuchung bedarf, da es die Sicherheit des Reichs gefährdet. Daher ist es für Gabriel, kurz Gabi, Landow, den jüngeren Sohn eines ostpreußischen Landadeligen umso unerklärlicher, warum ausgerechnet er, der heruntergekommene, verstoßene Sohn und erfolglose Privatermittler mit dieser Aufgabe betraut wird. Noch erstaunlicher ist, dass seine Auftraggeber nicht nur fürstlich zahlen, sondern offensichtlich auch nicht wissen, dass das letzte Opfer ihm während der Observation vom Himmel vor die Füße fiel. Warum verschweigt man ihm den Inhalt der Taschen der Opfer und wer hat sein Büro in Brand gesteckt. Eigentlich ist diese Angelegenheit nicht seine Kragenweite, aber nun packt ausgerechnet ihn, den Trinker, der Ehrgeiz, vielleicht auch, weil er den Anschlag auf sein Leben persönlich nimmt. Wenn er bis auf einen alten Stammbaum nicht viel zu bieten kann, so ist er doch gut vernetzt, mit alten, loyalen Freunden, zu denen sich im Laufe der Ermittlungen nicht weniger verlässliche neue gesellen werden. Eine Gewissheit wird sich jedoch einstellen: alles ist ganz anders als man glaubt!
Mich hat die Zeit 1888 wirklich gereizt, eine Zeit, mit der ich mich bislang kaum beschäftigt habe, eine Zeit, nach dem deutsch-französischen von 1870/71 und der Gründung des deutschen Kaiserreichs. Auch der Antiheld als Ermittler konnte sich als reizvoll entpuppen. Ja, Gabriel Landow ist definitiv ein Loser, dessen Charme ich nicht so schnell erlag, da sein ständiger Zugriff auf den schier unerschöpflichen Cointreau-Vorrat seines Vermieters und Kriegskameraden Köster und seinen kontinuierlichen Nachgeben gegenüber stoffwechselbedingter Körperreaktionen bei mangelnder Pflege, ihn nicht so wirklich appetitlich mach. Doch passt es, weil dies kein gemütlicher Cosy Krimi ist, sondern schon eher was für robustere Nerven und Mägen. Außerdem verdeutlich dies ganz deutlich, wie tief unten in der Gesellschaft der nicht mehr ganz junge, enterbte Adelssproß angekommen ist und weshalb des so unerklärlich ist, dass das Reich ausgerechnet ihn als gut bezahlten Sonderermittler einstellt. Er umgibt sich mit nicht immer ganz gesetzestreuen Gestalten, die jedoch wohltuend ehrlich und loyal wirken, im Vergleich zu den halbseiden-mondänen Sphären in die er noch vordringen wird und in denen er, in ein nur allzu vertrautes Gesicht blicken wird. Er wird bewusst, was aus ihm hätte werden können, wenn alles anders gekommen wäre, aber man beginnt als Hörer daran zu zweifeln, das ihm dieses Schicksal mehr gelegen hätte. Es werden auf geheimnisvolle Art und Weise, mehrere Erzählstränge miteinander verwoben, stets eingeordnet durch die Zeitangabe des nahenden Todes des Kaisers. Stehen diese jeweiligen Verbrechen in einem Zusammenhang miteinander, oder sind es doch Zufälle? Gibt es einen Bezug zu ihm?
In Rückblicken erfährt man mehr über Landows aktuelle Situation, wie es zu dieser kam, welche Schicksalsschläge seine Familie und ihn trafen und wie es um das alte Adelsgeschlecht jetzt steht. Ebenso wird auch zwischen den einzelnen Verbrechenssträngen gesprungen, so daß man wirklich konzentriert zuhören muss, um nichts zu verpassen und nicht den roten Faden zu verlieren. Es ist keine leichte Kost für zwischendurch! Es geht um Intrigen, Verrat und Kriegsspekulationen die von langer Hand geplant werden. Nebenbei kommt man beim Zuhören gleich noch einen Spekulationstipp: man solle kaufen, wenn das Blut fließt! Also in Zeiten von Corona jetzt, hätte denn noch jemand die nötige fianzielle Sicherheit dazu.... Reizvoll zum Mitdenken, zum Überlegen, Knobeln und Raten...
Am Ende schließt sich der Kreis, wobei nicht alle losen Enden miteinander verknüpft werden. Wozu auch, die Geschichte des abgehalterten Ermittlers wird fortgesetzt. Dabei kommt es immer wieder zu überraschenden Erklärungen, Erkenntnissen und Entwirrungen.
David Nathan (diese Stimme kennt jeder! Er ist quasi eine Synchronlegende und als meine Tochter zufällig reinhörte, konnte sie mir gleich mindestens einen Schauspieler nennen, den er doubelt. Zu ihnen gehören: Johanny Depp und Christian Bale. Als Sprecher liest er nicht nur Stephen King, sondern auch die Gedeon Rath Krimis, die als Babylon Berlin erfolgreich verfilmt wurden und noch immer werden) liest diese autorisierte Lesefassung, kurz, knapp, bisweilen militärisch, mal melancholisch, nonchalant und dann wieder resigniert, doch stets bleibt der schwarze Humor unverkennbar. Eine hervorragende Wahl.
Ein historischer Krimi, der nicht für schwache Nerven taugt, aber Fans von Babylon Berlin in seinen angeschmuddelten Bann ziehen wird.