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Veröffentlicht am 11.07.2022

Wie viel Osten steckt im Westen?

Lenin auf Schalke
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Die Betrachtung geht immer nur von Westen nach Osten. Zeit dies zu ändern, findet Schlüppi und schickt seinen Kumpel in den Westen. Aber nicht irgendwohin, sondern dorthin, wo es weh tut, nach Gelsenkirchen. ...

Die Betrachtung geht immer nur von Westen nach Osten. Zeit dies zu ändern, findet Schlüppi und schickt seinen Kumpel in den Westen. Aber nicht irgendwohin, sondern dorthin, wo es weh tut, nach Gelsenkirchen. Aus der „Stadt der tausend Feuer“ ist mittlerweile eine arme Stadt geworden. Arbeitslosigkeit prägt das Stadtbild. Wie viel Osten gibt es so tief im Westen zu entdecken? Auf diese Spurensuche begibt sich Gregor Sander mit „Lenin auf Schalke“.

Was sich so lustig anhört, ist auch humorvoll geschrieben. Allerdings ist der ernste Hintergrund durchaus zu lesen und Sander nähert sich dem „Pott“ bzw. Gelsenkirchen so, dass bei allem Spaß am Wort der Respekt vor den Menschen und der Lage vor Ort bleibt. Er beschreibt in „Lenin auf Schalke“ viele Klischees, aber sowohl im Osten als auch im Westen und trifft in meinen Augen genau den richtigen Ton, um sich dem Thema anzunähern. Denn die Menschen im Ruhrgebiet sind hart im Nehmen und immer für einen guten Spruch zu haben.

Den Spieß einmal umzudrehen und zu schauen, wie der Westen mit Strukturwandel umgeht, ist eine gute Idee, denn in der Tat werden solche Reportagen nur über Oststädte, die schon deutlich bessere Tage gesehen haben, geschrieben. Aber es gibt diese Städte auch im Westen der Republik und vergleichbare Entwicklungen.

Es werden Zeiten verherrlicht, die zwar im wirklichen und im übertragenen Sinne viel Kohle gebracht haben, aber gar nicht immer so herrlich waren. Denn, wenn man sein Leben in einer Zeche verbracht hat, war man mit Eintritt ins Rentenalter nicht mehr topfit.

Als Schlüppi dann nach Gelsenkirchen kommt, nimmt die ganze Geschichte noch einmal Fahrt auf und nach den vorher eher sachlichen Recherchearbeiten geht ans Eingemachte und in die Kneipen bzw. nicht. Wenn der eine Teil des Gelsenkirchner Herzens aus Kohle besteht, ist der andere Teil der dort ansässige Fußballverein, Schalke 04. Auch hier nähert sich Gregor Sander mit Respekt und Ironie und passenderweise geht es auf „Das Schalke-Fan-Feld“ (dies sind 1904 Grabstätten).

Gregor Sander findet die Stellen, an denen es weh tut, die traurig sind und gleichzeitig nicht ohne eine gewisse Ironie betrachtet werden können. So ist der Schalker Markt, auf dem alles begann mit dem großen S04, heute eine Parkplatz. Ömer ist natürlich stolzer Büdchenbesitzer, denn das Ruhrgebiet ohne Büdchen geht nicht. Auch die Ostseite in ihm kommt nicht zu kurz und so ist es bei allem Witz und aller Ironie ein Buch über Identität.

„Lenin auf Schalke“ ist ein kurzweiliges Buch, sehr gut und unterhaltsam geschrieben und es bringt den Osten und den Westen ein wenig näher zusammen, denn so weit sind wir gar nicht voneinander entfernt.

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Veröffentlicht am 07.07.2022

Nach 30 Jahre noch frisch verliebt

Gebrauchsanweisung für die Niederlande
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Seit über 30 Jahren lebt Kerstin Schweighöfer in den Niederlanden und vermittelt in ihrer Gebrauchsanweisung für die Niederlande ganz viel Wissen mit kleinen Stadt- und Landschaftsbeschreibungen und erzählt ...

Seit über 30 Jahren lebt Kerstin Schweighöfer in den Niederlanden und vermittelt in ihrer Gebrauchsanweisung für die Niederlande ganz viel Wissen mit kleinen Stadt- und Landschaftsbeschreibungen und erzählt gleichzeitig von ihren persönlichen Erfahrungen, ohne dass es wie eine sachliche Gebrauchsanweisung wirkt. Während ich das Buch gelesen habe und jetzt, während ich diese Rezension geschrieben habe, sitze ich in der Ferienwohnung in Castricum, trinke ein Amstel und muss an verschiedenen Stellen, die ich mir markiert habe im Buch, lächeln. Denn es ist genau so, wie es dort steht.

Es ist ein Buch, das einen liebevollen Blick auf die Niederländer*innen und ihr Land wirft, kleine Details erklärt (wie zum Beispiel die Spuren des Niederländischen in der Welt) und einen guten Überblick liefert. Auch schwerere Themen wie die Zeit des Sklavenhandels, der Kolonialzeit und ihrer Folgen und der Umgang damit und die Zeit des zweiten Weltkriegs werden angesprochen. Es geht ums Ganze, nicht nur um die Sahnehaube.

So macht es das Buch für mich zum einen zu einer Gebrauchsanweisung für die Niederlande, aber gleichzeitig auch zu einer Liebeserklärung an ein Land, in dem ich bei jedem Besuche etwas Neues entdecke und jedes Mal einen weiteren Ort finde, zu dem ich reisen möchte. Wer also tiefer in die Materie einsteigen möchte, wird hier gut bedient und hat Lust, mehr von Land und Leuten kennenzulernen.

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Veröffentlicht am 04.07.2022

Mehr Sachlichkeit bei der Klimadiskussion

Der Weg aus der Klimakrise
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Svend Andersen beschäftigt sich in seinem Buch „Der Weg aus der Klimakrise“ mit den Ursachen bzw. der Ursache der Klimakrise und nicht mit den Auswirkungen.

Statt sich auf Nebenkriegsschauplätze zu konzentrieren, ...

Svend Andersen beschäftigt sich in seinem Buch „Der Weg aus der Klimakrise“ mit den Ursachen bzw. der Ursache der Klimakrise und nicht mit den Auswirkungen.

Statt sich auf Nebenkriegsschauplätze zu konzentrieren, sollten wir uns auf diese eine Sache konzentrieren und alles tun, um die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre zu senken, dies ist sein Handlungsvorschlag.

Die auf die Ursache der Klimakrise reduzierte Sichtweise ist mit Sicherheit eine große Hilfe, das Problem Klimakrise auf den Kern zurückzuführen. Hierbei hilft die Mischung aus Erklärungen von Fachtermini und wissenschaftlichen Zusammenhängen und die persönlichen Erfahrungen des Autors.

Gut gefällt mir auch, dass Svend Andersen hier noch einmal sehr dringlich darauf hinweist, wie wichtig es ist, dass die Politik endlich aufhören muss zu reden, sondern etwas tun muss, nämlich die richtigen Regeln aufstellen, um die Unternehmen, Kommunen und Regierungen in die Pflicht zu nehmen. Auch dass es eine unserer wichtigsten Aufgaben ist, hier Einfluss zu nehmen (zusätzlich dazu, z. B. häufiger Rad zu fahren oder den Bus zu nehmen und weniger Fleisch zu essen). Je häufiger wir Fragen an die Politker*innen stellen, in der Kommune nachhaken, wie es denn um eine Strategie zur Bewältigung der Klimakrise bestellt ist, desto eher wird etwas passieren.

Insgesamt fand ich das Buch und die Fokussierung auf die Senkung der Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre sehr einleuchtend und vor allem auch sehr sachlich, was eine Zutat ist, von der wir im Kampf gegen die Klimakrise noch zu wenig haben. Auch die Erklärung, warum wir vom Zertifikatehandel abkehren müssen, ist sehr einleuchtend und gut erklärt und man fragt sich am Ende des Buches, warum denn, verdammte Hacke, nicht endlich gehandelt wird.

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Veröffentlicht am 22.06.2022

Was Besessenheit anrichten kann

Ambivalenz
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Nachdem Claude sich eifrig um Dominique bemüht hat und sie nach Paris ziehen und ihre Tochter auf die Welt kommt, wird er kalt und unnahbar und lehnt sein Kind geradezu ab.
Das Leben der merkwürdig stillen ...

Nachdem Claude sich eifrig um Dominique bemüht hat und sie nach Paris ziehen und ihre Tochter auf die Welt kommt, wird er kalt und unnahbar und lehnt sein Kind geradezu ab.
Das Leben der merkwürdig stillen Familie plätschert so vor sich hin, bis sich plötzlich etwas ändert und die Tochter auf eine andere Schule geht - gegen ihren Willen. So langsam fügt sich ein Puzzleteil zum anderen und als man denkt, es ist vorbei, fängt es erst richtig an. Eine typische Wendung à la Nothomb, irgendwie berechenbar, weil man weiß, dass es noch nicht vorbei ist, wenn man denkt, dass es vorbei ist und gleichzeitig überraschend und auch böse.
Amélie Nothomb gelingt es mal wieder eine besondere Geschichte zu erzählen und schafft es, ihre Figuren noch so sehr auszuschmücken, dass man ihnen zwar nahe kommt, aber nicht an ihren tiefsten Kern gelangt. Es gibt immer noch eine Distanz, auch wenn man ihre Gedanken liest. Ein Mangel an Grautönen sorgt dafür, dass man ihnen nicht zu nahe kommt oder gar ganz tiefe Gefühle für die Personen entwickelt. Die Autorin erzählt das, was für den Fortgang wichtig ist, aber nicht mehr. Es gibt keine unnötigen Ausschmückungen.
Und gleichzeitig fesselt die Geschichte und lässt eine*n nicht aufhören zu lesen. Es sind meist recht kurze Sätze, Handlungen, die selbst ausgemalt werden müssen, um ein wenig Farbe zu bekommen. Ambivalenz liest sich schnell weg und ist ein gelungenes und unterhaltsames Buch, empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 26.05.2022

Vision für eine gerechte Mobilitätswende

Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt
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Verkehrswende, alternative Mobilität, Antriebswende und und und – all dies wird rauf und runter diskutiert und jede Seite listet ihre Argumente auf, warum nur die eine Lösung möglich ist. Katja Diehl hat ...

Verkehrswende, alternative Mobilität, Antriebswende und und und – all dies wird rauf und runter diskutiert und jede Seite listet ihre Argumente auf, warum nur die eine Lösung möglich ist. Katja Diehl hat für ihr Buch „Autokorrektur Mobilität für eine lebenswerte Welt“ einen anderen Ansatz gewählt. Sie hat über 40 Menschen in verschiedenen Lebenssituationen interviewt unter der Leitfrage „Willst du oder musst du Auto fahren?“.

Denn ihr Anliegen ist nicht, die Techniken zur Verkehrswende zu beleuchten. Sie möchte den Menschen ins Zentrum der Verkehrswende stellen und so das System dahingehend ändern, dass es weniger behindertenfeindlich, weniger sexistisch, weniger rassistisch und weniger patriarchal und somit auch weniger abhängig vom Auto ist.

Das Buch „Autokorrektur Mobilität für eine lebenswerte Welt“ kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt. Denn es geht bei der zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels nötigen Verkehrswende nicht nur darum, eine Antriebswende durchzuführen, sondern um eine wirklich Mobilitätswende. Wenn wir dies nicht tun, stehen wir statt mit Verbrennerautos mit E-Autos im Stau und wollen wir das wirklich? Oder wollen wir etwas ändern, wo wir sowieso etwas ändern müssen, um etwas zu erreichen?

Hier setzt das Buch der Mobilitätsexpertin an. Sie stellt Fragen, die bislang noch gar nicht in der hauptsächlich auf Technik fokussierten Diskussion gestellt wurden. Und die Kernfrage, die sie im Buch stellt, ist: „Willst du oder musst du Auto fahren?“ Wir (mich eingeschlossen) sind so aufs Autofahren konditioniert, dass diese Frage erst einmal merkwürdig anmutet. Aber sie macht Sinn, denn nicht jeder Mensch, der ein Auto hat, hat es, weil er es möchte, sondern, weil es für ihn keine andere Möglichkeit gibt (kein ÖPNV, es ist ein sicherer Ort, Behinderung u.v.m.).

Diese Frage ist wichtig, denn es möchte nicht jede Person Auto fahren. Auto fahren bedeutet auch, dass es immer wieder überraschende Kosten geben kann, ein ÖPNV Ticket ist planbar. Menschen mit wenig frei verfügbaren Mitteln kann das ein ordentliches Loch in die Haushaltskasse reißen. Ältere Menschen, die mittlerweile unsichere Fahrer*innen sind, fahren weiter Auto, weil es keine Alternative, keine andere Wahl gibt. Die Interviews, die Katja Diehl geführt hat, machen klar, was nicht offensichtlich ist.

Katja Diehl schafft es mit „Autokorrektur Mobilität für eine lebenswerte Mobilität“ zum Nachdenken anzuregen, den Status quo in Frage zu stellen und macht Lust darauf, an einer Mobilität für alle mitzuarbeiten. Sie liefert Beispiele, unterlegt ihre Thesen mit Zahlen und liefert jede Menge Argumente dafür, warum dieser Weg gut ist und nicht nur etwas für die großen Städte, sondern auch und gerade für Städte wie meine Heimatstadt Hagen und die dazugehörigen Randgebiete. Eine Autokorrektur bedeutet auch für solche Städte einen Gewinn an Lebensqualität.

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