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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.01.2019

Spooky, anspruchsvoll, keine Popcorn-Literatur

Der Vogelgott
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„Ich hörte ihn sprechen - und hörte hinter dem, was er sagte, etwas anderes. Es war, als redete er mit einer Stimme auf zwei Ebenen, und wie beim Lesen eines Palimpsests wurde mit jedem Wort, das ich entzifferte, ...

„Ich hörte ihn sprechen - und hörte hinter dem, was er sagte, etwas anderes. Es war, als redete er mit einer Stimme auf zwei Ebenen, und wie beim Lesen eines Palimpsests wurde mit jedem Wort, das ich entzifferte, ein anderes bruchstückhaft deutlich, das etwas ganz anderes bedeutete.“ (S. 159)

Dieses Zitat beschreibt ganz gut mein Leseerlebnis mit dem Vogelgott. Ich las die grausig gruselige Geschichte von Konrad Weyde und seinen drei Kindern Thedor, Dora und Lorenz und musste an verschiedene Themen aus Historie und Tagesgeschehen denken, die wie ich zum Ende hin erkennen musste, überhaupt nicht mit der Handlung in Verbindung stehen. Umweltsünden waren genauso dabei, wie falsche Entwicklungshilfe, Bücherverbrennungen und Vernichtung ganzer Volksgruppen. Wahrscheinlich war auch ich ein wenig besessen, das Rätsel dieses Romans unbedingt lösen zu wollen.

Mit brillanter Sprache, wunderbarem Detailreichtum in der Beschreibung von Umgebung und Gefühlswelten der Protagonisten erzählt Susanne Röckel zu jedem der drei entfremdeten Weyde-Kinder einen Ausschnitt aus deren Leben. Thedor, Dora und Lorenz wird dafür jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet. Da alle Kapitel in der Ich-Perspektive verfasst sind, nimmt man als Leser nacheinander die Position sämtlicher Beteiligter ein. Der vorangestellte Prolog enthält ein unveröffentlichtes Manuskript des Vaters über den Vogelgott. Der ganze Roman ist von düsterer Atmosphäre geprägt, unterschwellige Gefahr durch den Vogelgott ist stets präsent.

Beim Verständnis des Gelesenen obliegt es der Interpretation des Lesers, wie viel der Geschehnisse echt erscheinen, was Träumen oder Wahnvorstellungen der Protagonisten entstammt. Klar werden nur wenige Fakten, z. B. dass Thedor, Dora und Lorenz ganz ähnliche Versagensängste haben. Da sie in sich selbst gefangen zu sein scheinen, können sie sich nicht aufeinander einlassen und sich gegenseitig unterstützen. Dieses typische Problem unserer Zeit klingt auch schon im Prolog an: „Wieder einmal wurde mir schmerzlich die Zersplitterung unserer Welt bewusst, deren einzelne Teile nichts voneinander zu wissen und noch weniger voneinander zu lernen schienen, nichts jedenfalls, was über die oberflächlichen Bedürfnisse von Fremdenverkehr und Handel hinausgeht.“ ( S. 7)

Mir kamen viele Situationen und Gedankenspiele der Protagonisten seltsam und befremdlich vor. Die Ängste, Beklemmungen, in die sich die Geschwister regelrecht hineinsteigern, sind für mich kaum nachvollziehbar. Teilweise wirkten die Drei auf mich wie hypnotisiert. Ich frage mich, ob Glaube und wenn ja, wie Glaube so etwas schaffen kann. Dieses Rätsel bleibt für mich ungelöst.

Normalerweise mag ich es gar nicht, wenn der Inhalt nicht voll umfänglich verständlich ist. Der Vogelgott ist jedoch so faszinierend, dass ich die unbeantworteten Fragen verzeihen kann. Unter Umständen liege ich mit meinen Interpretationen gar nicht so falsch. Letztlich ist das auch nicht so wichtig. Die vielen Gedankenanstöße, die ich erfahren habe, machen mich zufrieden.

Fazit: Trotzdem ist es kein Buch für jedermann. Es macht einen fertig, fordert einen heraus und am Ende weiß man doch nicht so recht, ob man es verstanden hat.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Keine klare Meinung

Schnee in Amsterdam
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Selten war ich bei der Bewertung eines Buches so hin- und hergerissen wie hier bei „Schnee in Amsterdam“ von Bernhard MacLaverty. Mir gefällt die verwendete Sprache, der Wechsel zwischen aktueller Handlung ...

Selten war ich bei der Bewertung eines Buches so hin- und hergerissen wie hier bei „Schnee in Amsterdam“ von Bernhard MacLaverty. Mir gefällt die verwendete Sprache, der Wechsel zwischen aktueller Handlung und Erinnerungen. Ich mag auch die intensive Betrachtung des eher kurzen Handlungszeitraumes. Probleme habe ich mit der Thematik, die ich auf Basis des Klappentextes so nicht erwartet hatte.

Bernhard MacLaverty zeichnet ein liebevolles Bild eines schon lange Zeit verheirateten Ehepaars, das eine Reise nach Amsterdam unternimmt. Sein Blick fällt dabei auch auf die ganz kleinen Dinge, die Stellas und Gerrys Leben bestimmen. Beispielsweise haben beide kleine Ticks, die kurz vor Antritt der Reise zum Tragen kommen. Stella saugt nochmal eben letzte Staubkörnchen weg, obwohl niemand zu Hause bleibt, um davon Notiz zu nehmen. Gerry ruft schon nach fünf Minuten Verspätung den Taxidienst an, obwohl er dort wie viele Male zuvor die Auskunft bekommt, dass das Fahrzeug bereits unterwegs ist. Während der Reise kann der Leser an den Neckereien nach dem Motto „Was sich neckt, das liebt sich“ zwischen den Eheleuten teilhaben. Die Liebe, die Stella und Gerry für einander empfinden, wurde für mich ganz besonders transparent, wenn sie sich an gemeinsame, vergangene Zeiten erinnern. Diesen Teil der Geschichte fand ich sehr schön.

Etwas irritiert war ich bezüglich der Thematik, mit der ich mich plötzlich konfrontiert sah. Gerry ist alkoholabhängig. Obwohl der Teufelskreis der Alkoholsucht aus Beschaffung und Vertuschung wirklich gut ausgearbeitet war, konnte ich mich mit diesem Thema nicht anfreunden. Zeitweise fand ich beide Charaktere abstoßend, Gerry, weil er komplett die Kontrolle beim Trinken verliert, und Stella, weil sie in meiner Wahrnehmung zu lange überhaupt nicht versucht gegenzusteuern.

Weniger irritierend, für mich dennoch befremdlich empfand ich Stellas Glauben. Vermutlich ist das in meiner Nichtgläubigkeit begründet.

Die Einbettung der gemeinsamen Vergangenheit in den Nordirlandkonflikt wäre in meinen Augen entbehrlich gewesen. Ich konnte keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Sucht und den Geschehnissen während des Konflikts erkennen. Eine Verbindung zu Stellas stark ausgeprägten Glauben kann ich schon eher ausmachen. Dennoch wirkt die Einbettung in den Konflikt auf mich irgendwie aufgesetzt.

Insgesamt weiß ich gar nicht so recht, wie ich mein Urteil fällen soll. Auf der einen Seite würde ich dem Autor Unrecht tun, mit einer schlechten Bewertung. Die Sprachgewalt war ganz wunderbar und die Symptome der Alkoholsucht waren glaubwürdig beschrieben. Trotzdem hat mir das Buch nicht gefallen, weswegen auch eine Top-Bewertung nicht möglich ist. Es ist möglich, dass ich nur so empfinde, weil ich inhaltlich etwas ganz anderes erwartet hatte und damit nicht auf die Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema Sucht eingestellt war. Deshalb werde ich auch keine Empfehlung für oder gegen „Schnee in Amsterdam“ aussprechen.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Viel mehr als Erin Brockovich 2.0

Bonfire – Sie gehörte nie dazu
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Beim Lesen von Bonfire habe ich zunächst gedacht, Mmhh, kenne ich die Story nicht schon? Wird das hier Erin Brockovich 2.0? Doch wie so oft muss ich zugeben, dass sich das Weiterlesen und das auf das Buch ...

Beim Lesen von Bonfire habe ich zunächst gedacht, Mmhh, kenne ich die Story nicht schon? Wird das hier Erin Brockovich 2.0? Doch wie so oft muss ich zugeben, dass sich das Weiterlesen und das auf das Buch Einlassen durchaus gelohnt hat.

Im Rahmen ihrer Recherchen zu einem potentiellen Umweltskandal kehrt die junge Anwältin, Abby Williams, wieder nach Barrens, die Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist, zurück. Hier wurde sie ausgegrenzt, hier wurde Abby zum Mobbing-Opfer. Kaum angekommen, trifft Abby auf alte Bekannte. Sofort brechen alte Wunden wieder auf. Die Erinnerungen schmerzen. Abby merkt, dass sie nie mit den Geschehnissen ihrer Jugend abgeschlossen hat. Für meinen Geschmack ist Abby etwas zu wankelmütig, was Männer angeht. Zudem hat sie einen starken Hang zum Alkoholmissbrauch. Das kostet ihr einige Sympathiepunkte. Gut finde ich, dass sie sich nun endlich ihrer Vergangenheit stellt. Weil Abby dabei auf Ungeheuerliches stößt, ist dies auch der Annäherung an das Genre eines Thrillers sehr zuträglich.

Bis auf wenige Ausnahmen waren mir die meisten Bewohner Barrens‘ unsympathisch. Entweder haben sie Abby bei ihren Recherchen boykottiert oder sie hatten eine dermaßen arrogante Ausstrahlung, dass es mir unmöglich war sie zu mögen. Fast niemand hat sich ehrlich gefreut, Abby wieder zu sehen.

Der Schreibstil ist angenehm zu lesen. Man kann stundenlang ohne Ermüdungserscheinungen weiterlesen. Die recht kurzen Kapitel animieren ebenfalls dazu. Die Story thematisiert aktuelle Gefahren ohne „erhöhten Leichenanfall“, wodurch man sich gut in sie hineinversetzen kann.

Mit einem Augenzwinkern habe ich einen kleinen logischen Fehler wahrgenommen. Auf Seite 169 bestellt sich Brent, als er gemeinsam mit Abby in einer Kneipe ist, einen Tequila. Auf Seite 172 rührt er während des Gesprächs mit ihr in seinem Whiskey. Als Brent Abby dann schließlich küsst, schmecken seine Lippen nach billigem Tequila.

Wer beim Genre Thriller vor allem skandinavische Werke im Kopf hat, wird von Bonfire enttäuscht sein. Über weite Strecken habe ich Krysten Ritters Thriller eher als Kriminalroman empfunden. Erst im letzten Drittel kommt thrillerwürdige Spannung auf. Wen diese Einschränkung nicht stört, dem kann ich Bonfire als Lektüre zwischendurch empfehlen.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Früh durchschaut

Der Flüstermann (1 MP3-CD)
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Der Flüstermann war mein erstes Hörbuch überhaupt. Ich musste zwar erst einen Hörmodus finden, in dem ich über einen längeren Zeitraum konzentriert und ohne das Gefühl, die Hälfte zu verpassen, zuhören ...

Der Flüstermann war mein erstes Hörbuch überhaupt. Ich musste zwar erst einen Hörmodus finden, in dem ich über einen längeren Zeitraum konzentriert und ohne das Gefühl, die Hälfte zu verpassen, zuhören konnte. Danach lief es aber wie am Schnürchen. Dabei hat mir vor allem Beate Rysopp geholfen. Durch ihre Art der Intonation war der Wechsel zwischen den Charakteren eindeutig und fast immer ohne übertriebene Wirkung. Nur in besonders brenzligen Situationen erschien mir die Stimme von Laura Kern, der erfahrenen Ermittlerin, etwas zu panisch. Durch die Lesung wurde die Stimmung in den beiden Zeitebenen ebenfalls jeweils gut transportiert.

Ich liebe es, wenn in einem Thriller zwei Handlungsstränge aufeinander zusteuern und sich erst am Ende ein schlüssiges Gesamtbild ergibt. Oft bin ich dann lange auf dem Holzweg, tappe sozusagen im Dunklen. Für den Flüstermann hatte ich schon relativ früh einen Verdacht, der sich dann nach und nach bestätigt hat. Eine plötzliche Wendung kam leider nicht mehr. Dafür gab es kreative Mordmethoden, die akribisch erdacht und vorbereitet waren.

Die Figur der Laura Kern als leitende Ermittlerin hat mich nicht voll umfänglich überzeugt. Ich war nicht so ganz auf einer Wellenlänge mit ihr. Ihre Narben am Körper und auf ihrer Seele haben sie zu einem misstrauischen Menschen gemacht. Obwohl sie als Ermittlerin sich sehr stark gibt, ist sie mir bezüglich ihres eigenen Schicksals zu verschlossen. Ein paar mal fand ich sie während der Ermittlungen etwas zu impulsiv, z. B. als sie zu den Skorpionen rein ist.

Schade fand ich auch, dass Lauras Kollege Max schon so früh aus der Ermittlung ausgeschieden ist. Ich hätte mir etwas mehr Konkurrenzkampf zwischen ihm und seinem Ersatzmann Taylor um Lauras Gunst gewünscht.

Mein Favorit in diesem Thriller ist Simon Fischer. Ihn fand ich richtig cool. Aus meiner Sicht hat er mit einem unvergleichlichen Engagement eine Analyse nach der anderen gefahren. Er wusste immer sofort, welche Datenbanken er für welche Information anzapfen musste. Ein Stichwort genügte und er zog in meiner Wahrnehmung wenige Minuten später das nächste Ass aus dem Ärmel.

Insgesamt hat mir „Der Flüstermann“ noch ganz gut gefallen. Als ich ihn für mich enttarnt hatte, war es nur nicht mehr so spannend. Dennoch war es interessant, die Ermittlungen weiter zu beobachten.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Totgesagte leben länger

Bevor wir verschwinden
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David Fuchs erzählt mit „Bevor wir verschwinden“ eine anfangs distanziert wirkende, im weiteren Verlauf durchaus berührende Geschichte eines angehenden Arztes während dessen Praktikum in der Onkologie. ...

David Fuchs erzählt mit „Bevor wir verschwinden“ eine anfangs distanziert wirkende, im weiteren Verlauf durchaus berührende Geschichte eines angehenden Arztes während dessen Praktikum in der Onkologie. Sie lässt bewusst einige Fragestellungen offen, schafft damit Interpretationsspielräume für den Leser. So erzeugt das Buch beim Empfänger indirekt je nach Wahrnehmung ganz unterschiedliche Wahrheiten.

„Bevor wir verschwinden“ offenbart am Beispiel von verschiedenen Einzelschicksalen, wie Patienten auf schwere Krankheiten und den drohenden Tod und auch wie die ihnen nahestehenden Personen reagieren. Es wird zudem deutlich, wie unberechenbar eine Krebserkrankung sein kann.

Benjamin Marius Maier, Ben, ist angehender Arzt, dem nur noch das Praktikum und ein paar Prüfungen fehlen. Er verdient sich etwas Geld dazu, indem er in einem Labor Schweine für studentische Übungen am Leben erhält. Ich habe Ben als sehr empathischen Menschen empfunden. Er wirkte in all seinen Reaktionen noch „sehr menschlich“ und nicht medizinisch abgestumpft. Im Laufe des Buches ist er mir immer mehr ans Herz gewachsen.

Ambros Wegener, ist Patient in der Onkologie mit einer desaströsen Diagnose. Trotzdem wirkt er überwiegend normal. Erst am Ende des Buches erscheint Ambros zunehmend nervöser, so als ob er ahnen würde, was noch kommt. Ambros ist allerdings nicht nur Bens Patient, sondern auch sein Ex-Freund, was natürlich Konfliktpotential mit sich bringt. In die Beziehung der Beiden hätte ich mir mehr Einblicke gewünscht. Nur einige wenige Erinnerungen wurden ans Tageslicht gebracht. Die Intensität der Beziehung und auch die Gründe für die Trennung bleiben im Nebel.

Edna, die Stationsschwester, genannt Ed, und der Oberarzt der Onkologie Wendelin Pomp geben dem Buch eine charmante Komik. Schon ihre Namen haben für mich einen gewissen Witz. Ed, ist die heimliche Chefin der Station. Sogar Dr. Pomp trinkt seinen Kaffee lieber wo anders, damit sie nicht merkt, wie lange er Pause macht. Hin und wieder erlaubt sie sich einen Scherz auf Kosten der Kollegen. Wendelin Pomp muss ein sehr erfahrener Arzt sein. Er ist durchgehend tiefenentspannt. Den Patienten auf der Station geben sie liebevolle Spitznamen, die einem zunächst irgendwie gemein vorkommen, es aber nicht wirklich sind.

Der Schreibstil ist so, wie in meiner Wahrnehmung als Frau Männer reden. Sie brauchen einfach nicht so viele Worte, um eine Sache auf den Punkt zu bringen. Das erscheint oftmals nicht angemessen gefühlvoll. In den Momenten, wo es allerdings darauf ankam, wurde dennoch die gesamte Emotionslage transportiert, was mich tief berührt hat.

Weil es das lebensbedrohende Thema Krebserkrankung sehr sympathisch verarbeitet, hat mir „Bevor wir verschwinden“ sehr gut gefallen.