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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.06.2020

Optisch ein Highlight, literarisch ausbaufähig

Der unsichtbare Garten
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Wer sich mit dem neuen Roman von Karine Lambert beschäftigt, wird die überaus gelungene Gestaltung des Buches nicht ignorieren können. Ich bin immer erfreut, wenn ein Verlag dem Leser ein hochwertiges ...

Wer sich mit dem neuen Roman von Karine Lambert beschäftigt, wird die überaus gelungene Gestaltung des Buches nicht ignorieren können. Ich bin immer erfreut, wenn ein Verlag dem Leser ein hochwertiges Hardcover mit Lesebändchen gönnt. Das ist beim unsichtbaren Garten nur der Anfang. Perfekt passend zu den Ereignissen im Roman wird das von bunten Blüten und Blättern wunderbar gezierte Hardcover durch einen milchigen Papierumschlag verschleiert. Schön sind auch die Listen und Gedanken des Protagonisten, die mit anwachsendem Schriftgrad den Fließtext unterbrechen und somit den Leser kurz innehalten lassen.

Die Hauptfigur, Vincent, wird durch eine seltene Krankheit innerhalb kürzester Zeit das Augenlicht verlieren. Wie ein Irrer stellt er nun Listen auf, was unbedingt noch sehend erledigt werden muss. Die Erkenntnis, dass er sich dabei längst verzettelt hat, kommt Vincent erst kurz bevor es zu spät ist.

So wie Vincent von Erlebnis zu Erlebnis hetzt, eilt auch der Leser durch den Roman, angetrieben durch die verkürzte Sprache. Gebremst wird man nur durch die bereits erwähnten handschriftlichen Listen, welche mir vom Stil her sehr gefallen haben, oder durch den Wechsel in die Sichtweise eines anderen Charakters. Da die Lesegeschwindigkeit durch den eher einfachen Satzbau extrem hoch war, bin ich bei den Perspektivwechseln regelmäßig ins Stolpern geraten.

Von den Hauptcharakteren Vincent, seinen Eltern, Émilie, Coline und Arnaud mochte ich letzteren am liebsten. Er hilft und unterstützt einfach nur, weil er es kann und Lust drauf hat. In seiner Gefühlslage Vincent gegenüber ist weder eine lästige Pflicht, noch irgendeine Scham zu erkennen. Arnaud ist auch einer der wenigen, die noch normal mit Vincent umgehen.

Vincent selbst mochte ich zunächst gar nicht. Natürlich konnte ich sein inneres Chaos nach der Diagnose nachvollziehen. Trotzdem handelt er mir zu sprunghaft und unüberlegt. Doch selbst das kann ich ihm noch zugestehen. Was ihn für mich in ein eher negatives Licht stellt, ist das unnötig lange Für-sich-Behalten seiner Krankheit, dann das impulsive Herausplatzen damit und die fehlende Akzeptanz, zumindest anfangs Hilfe zu brauchen.

Für mich war „Der unsichtbare Garten“ ein eingeschränktes Lesevergnügen. Vermutlich habe ich mit meiner Vorliebe für französischsprachige Autoren eine zu hohe Erwartungshaltung an diesen Roman gehabt. Neben der aus meiner Sicht zu einfachen Sprache haben mich die holprigen Perspektivwechsel und die zeitlichen Lücken in der Geschichte gestört. Etwas überrumpelt wurde ich von dem Ende. Wie es ausgeht, werde ich hier selbstverständlich nicht verraten, aber es kam mir so vor, als ob am Ende wirklich Jeder für sein Handeln die Rechnung bekommt. Das wirkte auf mich irgendwie aufgesetzt, nicht natürlich. Schade. Dennoch gab es einige angenehme Szenen, zumeist mit Randfiguren, die mir sehr gefallen haben.

Wer gern Bücher liest, die schnell zu Ende sind, und sich nicht so gern in detail- und facettenreicher Sprache verliert, dem wird Karine Lambert sicherlich Vergnügen bereiten. Ich konnte mit ihrem Einsatz von Sprache letztlich doch nicht warm werden.

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Veröffentlicht am 14.05.2020

Dystopischer Unterdrückungsstaat

Das Tor
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Der Roman mit dem orientalischen Cover, das aus 1001 Nacht zu stammen scheint, lässt sich nicht so einfach bewerten. Er ist nicht leicht in eine simple Kategorie Gut oder Schlecht, Spannend oder Langweilig ...

Der Roman mit dem orientalischen Cover, das aus 1001 Nacht zu stammen scheint, lässt sich nicht so einfach bewerten. Er ist nicht leicht in eine simple Kategorie Gut oder Schlecht, Spannend oder Langweilig einzuordnen, die Beurteilung muss vielschichtiger ausfallen. Wie schon das abgebildete, riesige, fast goldene Tor mit dem durchscheinenden Licht und den Menschenmassen davor beim Leser Erwartungen hinsichtlich Lokalität und Kultur im Roman erzeugt, so weckt das Warten vor dem Tor mitten in der Masse Hoffnung bei den Protagonisten.

Sehr intensiv widmet sich Basma Abdel Aziz der Warteschlange mit ihren Wartenden, die vor sogenannten Tor anstehen, um eine Genehmigung zu beantragen. Staatliche Genehmigungen benötigt man seit der Niederschlagung der Revolution für alles Mögliche: zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, zum Kaufen eines Brotes oder zur Planung einer lebensnotwendigen Operation. Die Entstehung eines Genehmigungsbedarfs erscheint willkürlich, ein falsches Wort, eine falsche Tat, ein falscher Blick. So stehen die Leute tagein tagaus in der Schlange und hoffen auf Stattgabe ihrer Anträge. Der Mikrokosmos Schlange bringt bald viele lebensnotwendige Dinge hervor, wie Nachrichtenservices oder eine Teestube, aber bewegen tut er sich nicht, sondern wird nur stetig länger.

Trotz der detailreichen Beschreibungen blieben mir die meisten Wartenden fremd. Die Schicksale der Hauptfiguren, Yahya und Amani, haben mich berührt, jedoch eher im Sinne von Mitleid. Gleichzeitig konnte man unter den Charakteren unterschiedliche Gruppierungen ausmachen, was wieder sehr interessant war. Neben Geheimdienstmitarbeitern gab es Rebellen, Überlebenskünstler, aber auch Anpassungsfähige. Daran gefallen hat mir das innere Ringen der Charaktere mit sich selbst.

Der dystopische Staat und die Revolution werden im Roman nur soweit charakterisiert wie es für die Einbettung der Geschichte unbedingt notwendig ist. Das ist für den Leser schade, der gern noch tiefer eingestiegen wäre, denn so bleibt das Setting recht blass. Wir haben lediglich einen vom Militär dominierten Staat, der nur noch staatsfreundliche Medien zulässt und alle Kritiker unterdrückt.

Das beste am Roman ist die vermittelte Stimmung, diese elende, trostlose Stimmung, wo alle hoffen, „Heute geht das Tor bestimmt auf“, und dann doch wieder nichts passiert. Die Menschen leben in der Warteschlange bzw. sie vegetieren dahin. Abgeschnitten sind sie von allen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Beim Lesen nimmt man wahr, wie die Charaktere nach und nach innerlich zerbrechen, wie sie aufgeben. Man fühlt sich wie mittendrin und ist doch froh, in Mitteleuropa dieser Welt geboren zu sein.

Mir hat „Das Tor“ ganz gut gefallen. Der Roman war anspruchsvoll, zeitweise emotional schwer auszuhalten.

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Veröffentlicht am 29.04.2020

Serie muss Lücken schließen

Mitten im August
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„Mitten im August“ ist der erste Band einer Krimi-Serie, der uns mit dem schönen Foto der Faraglioni-Felsen nach Capri einlädt. Die davon ausgehende Urlaubsstimmung wird auch im Roman umfangreich erzeugt. ...

„Mitten im August“ ist der erste Band einer Krimi-Serie, der uns mit dem schönen Foto der Faraglioni-Felsen nach Capri einlädt. Die davon ausgehende Urlaubsstimmung wird auch im Roman umfangreich erzeugt. Dabei bedient sich der Autor einer derart bildlichen Sprache, dass man den Eindruck gewinnt, selbst vor Ort zu sein. So ging ich am Stand von Capri spazieren, habe die Faraglioni-Felsen gesehen, konnte einen Blick in die typischen kleinen Läden werfen und unzählige Male im Café bei einem Espresso entspannen. Die Urlaubsstimmung wäre perfekt, hätte es nicht einen Mord gegeben.

Zum Absolvieren eines Praktikums im Rahmen ihres Studiums zur Meeresbiologe kommen Jack und Sofia, ein junges Liebespärchen, nach Capri. Doch die Freude währt nicht lange, das Praktikum wird holprig, bald kommt es zum Äußersten. Dabei wollten sie doch „nur“ den Anstieg des CO2-Gehaltes im Meer, dessen Auswirkungen und Maßnahmen zur Abhilfe erforschen. Die Rettung der Weltmeere, mit welcher der Roman thematisch angekündigt wurde, war für mich sehr interessant, hätte jedoch für meinen Geschmack noch intensiver mit der Krimihandlung verflochten sein können. Die beiden Charaktere, Jack und Sofia, kamen mir nicht wirklich nahe. Jack war mir zu verwöhnt und sprunghaft, Sofia erschien mir leichtgläubig und irgendwie naiv. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu weit weg von der studierenden Generation.

Am Ende gibt es einen Toten, der Familienmensch Enrico Rizzi und die strafversetzte, degradierte Kommissarin Antonia Cirillo müssen die Tat aufklären. Das zuständige Kommissariat in Neapel traut den beiden dabei nicht allzu viel zu. Dementsprechend gehemmt verlaufen die Ermittlungen.

Enrico Rizzi mochte ich sehr gern im Umfeld seiner Familie. Die Hilfe, die er seinem Vater in Hof und Garten zu Teil werden lässt, ist in dem Umfang heute nicht mehr selbstverständlich. Mit Einfühlungsvermögen erklärt Rizzi seinem Vater auch die Vorteile umweltschonenden Anbaus, probiert es für seinen Vater einfach aus. Gefallen hat mir auch sein Umgang mit der Tochter seiner Freundin Gina sowie seine Haltung gegenüber alten Erinnerungsstücken. Im Dienst war mir Rizzi nicht ganz so sympathisch. Er bevormundet seine Kollegin, ist insgesamt etwas zu sehr von sich selbst überzeugt.

Antonia Cirillo war mir letztlich lieber, weil sie mehr Feuer ins Geschehen bringt. Sie riskiert auch mal was, dehnt Regeln auch über Gebühr, hat halt Ecken und Kanten. Über ihre Vergangenheit haben wir zwar noch nicht so viel erfahren, in Anbetracht der Serie hoffe ich an dieser Stelle auf die Fortsetzung.

Insgesamt ist „Mitten im August“ ein solider Krimi, für dessen Fortsetzung ich mir eine optimale Ausschöpfung des generierten Potentials wünsche. Die guten Ideen für den Roman wurden oft nur angeschnitten und danach nicht konsequent zu Ende geführt. Teilweise habe ich auch ein bisschen den roten Faden verloren, für mich war nicht zu jeder Zeit nachvollziehbar, wie die beiden Ermittler zu ihren Ergebnissen gekommen sind. Deutlicher hätte zudem die weitere Verarbeitung von Beweismitteln und von Zeugenaussagen herausgearbeitet sein können. Dabei möchte bestimmt nicht, dass mir ein Roman jeden Gedanken vorgibt, trotzdem ist es mir hier zu wenig Information. In gewissem Maß wird diese Schwäche durch liebevolle kleine Details ausgeglichen, wie z. B. die Entdeckung des alten, längst verrosteten Autos der Eltern oder der Schädlingsbekämpfung mit Marienkäferlarven.

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Veröffentlicht am 04.04.2020

An meinen Erwartungen vorbei

Die Bagage
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Bei der Bagage handelt es sich um die Familie Moosbrugger, die in sehr ärmlichen Verhältnissen hinten am Berg am Ende eines Dorfes in Vorarlberg wohnt. Trotz der Armut läuft es gut zwischen der wunderschönen ...

Bei der Bagage handelt es sich um die Familie Moosbrugger, die in sehr ärmlichen Verhältnissen hinten am Berg am Ende eines Dorfes in Vorarlberg wohnt. Trotz der Armut läuft es gut zwischen der wunderschönen Maria und dem Josef, bis dieser in den Krieg ziehen muss. Während des Krieges kommt Grete, Monika Helfers Mutter, zur Welt. Über die Vaterschaft wird sich im Dorf das Maul zerrissen, die ganze Familie noch mehr als vorher schon ausgegrenzt.

Das Gezeter rund um die Zeugung der Grete ist der Hauptinhalt der Geschichte. Schlimm, was sich ein ganzes Dorf zurechtlegt, nur um Maria in ein schlechtes Licht zu rücken aus Neid auf ihre unvergleichliche Schönheit. Die Frauen im Dorf haben Angst ihre Männer an Maria zu verlieren, die Männer sind sauer, weil sie nicht bei Maria landen können. Grundsätzlich sympathischer war mir die Nebenhandlung, die sich mit den Verhältnissen im Ersten Weltkrieg auseinandersetzt. Auch wenn Maria ihren Kindern nichts Materielles bieten kann und die Familie zeitweise nicht einmal satt wird, hält sie mit ihrer Liebe und Zuneigung alles zusammen.

Die Sprache im Roman wirkt recht schnodderig, vermutlich durch den hohen Anteil an kurzen Sätzen. Das entspricht möglicherweise der Sprache im Ersten Weltkrieg, war mir persönlich aber zu holprig. Zusätzlich erschwert wurde das Lesen durch das Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Zeitebenen auf der einen und zwischen Erlebnissen der Großmutter und eigenen Erlebnissen auf der anderen Seite. Das Ganze ist zwar gut erkennbar durch den Wechsel der Erzählperspektive, dennoch hat es meinen Lesefluss ungünstig unterbrochen. Jedesmal, wenn ich gerade dabei war mich mit Maria anzufreunden, wurde ich wieder von ihr weggerissen.

Letztlich zog somit die Geschichte einfach an mir vorbei, wirklich fesseln konnte sie mich nicht. Das ist sehr schade, da ich mich auf einen sehr gefühlvollen Roman gefreut hatte.

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Veröffentlicht am 20.03.2020

Zu wenig Tiefe

Rosie
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Der Untertitel „Szenen aus einem verschwundenen Leben“ beschreibt sehr genau, was den Leser inhaltlich erwartet, wenn er sich mit dem autobiografischen Roman von Rose Tremain beschäftigt. In einzelnen ...

Der Untertitel „Szenen aus einem verschwundenen Leben“ beschreibt sehr genau, was den Leser inhaltlich erwartet, wenn er sich mit dem autobiografischen Roman von Rose Tremain beschäftigt. In einzelnen Episoden erzählt uns die berühmte Autorin von ihrer Kindheit und Jugend. Dabei geht sie auf die fehlende Liebe der eigenen Familie gegenüber weiblichen Nachkommen ein, wirkt ein wenig erstaunt über das aus sich selbst heraus Erreichte, vor Allem in Sachen Liebe und Familie, auf ihrem doch eher steinigen Lebensweg.

Wenn meine Wahrnehmung mich nicht täuscht, knüpft Rose Tremain ihre Erinnerungen an die verschiedenen herausragenden Bezugspersonen, die sie in Kindheit und Jugend begleitet haben, die sie viel mehr als die eigenen Eltern gefördert und mit Zuneigung bedacht haben.

Ihre eigene Geschichte fasst Rose Tremain in einer wunderschönen Sprache ab, sie bedient uns mit so hübschen Bildern wie beispielsweise ihre „Noten-Vögel“. Ergänzt wird die Geschichte mit Verweisen zu ihrem Lebenswerk. Darin beschreibt sie dem Leser sehr genau, in welchem Roman welche Erinnerung wiederzufinden ist. Die Verarbeitung der Geschehnisse um einen grünen Badeanzug haben es mir besonders angetan.

Trotz der liebenswerten Wegbegleiter und der sprachlichen Eleganz konnte mich der Roman nicht richtig packen. Als Entspannungslektüre war er zwar angenehm zu lesen, aber wirklich tief berührt hat er mich nicht. Er wirkt halt nicht nach.

Fazit: Ein Roman, den man durchaus gut lesen kann, aber nicht unbedingt gelesen haben muss.

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