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Veröffentlicht am 17.04.2022

Liebe mit Hindernissen

Liebesheirat
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Yasmin und Joe sind ein frisch verliebtes Paar, beide Ärzte, die von ihrer jungen Liebe so überzeugt sind, dass sie bald heiraten wollen. Doch zunächst müssen sich die sehr unterschiedlichen Familien kennenlernen. ...

Yasmin und Joe sind ein frisch verliebtes Paar, beide Ärzte, die von ihrer jungen Liebe so überzeugt sind, dass sie bald heiraten wollen. Doch zunächst müssen sich die sehr unterschiedlichen Familien kennenlernen. Joes Mutter ist eine sehr offenherzige Feministin, Yasmins bengalische Eltern sind extrem konservativ. Ob das gut geht?

Yasmin macht sich große Sorgen deswegen und natürlich gibt es Probleme, sie gehen nur in eine ganz andere Richtung als die Leser:innen zunächst vermuten. So lernen wir nach und nach die beiden Familien kennen. Dabei führt uns Monica Ali vor Augen, wie die britische bzw. westliche Gesellschaft so tickt. Wir mögen spontan die erfolgreichen Charaktere, die hart gearbeitet haben, um ihren Platz im Leben zu finden. Dabei haben auch die Underdogs ihre liebenswerten Züge und hoch gebildete Menschen benehmen sich manchmal kindisch, was sie dann ziemlich nervig erscheinen lässt.

Ich habe diese Gesellschaftskritik gern gelesen, weil sie als solches überhaupt nicht penetrant war, geschweige denn vorwurfsvoll. Viele Themen unserer Zeit wie Alltagsrassismus, Frauenfeindlichkeit und Diversität, aber auch verdienstabhängige Wertschätzung und Arbeitsverdichtung werden angesprochen, jeweils als kleiner Anschubser für weitere eigene Gedanken dazu. Dabei schwingt immer mal wieder Situationskomik mit, die den Geschehnissen ein Stückweit die Schwere nimmt. Darüber hinaus bedient sich Monica Ali einer attraktiven Sprache, die leichtgängig zu lesen ist.

Etwas kritisch sehe ich den anteilig großen Umfang zum Aufbau des Problemfeldes und die meinem Empfinden nach zu schnelle und zu harmonische Auflösung kurz vor Schluss. Beim Aufbau verliert sich die Autorin zeitweise in Nebenhandlungen, die für die eigentliche Geschichte gar nicht notwendig wären. Vielleicht übernimmt sie sich auch ein wenig, was die Gesamtanzahl an Problemen innerhalb der beiden Familien angeht. Jedenfalls wird bis kurz vor Schluss ein Berg scheinbar unlösbarer Probleme angehäuft, die sich dann in der Folge eines cleveren Schachzuges in der Handlung mehr oder weniger auflösen. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit. Wenn man diesen Fakt nicht all zu ernst nimmt, kann man hier gut unterhalten werden.

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Veröffentlicht am 17.04.2022

Mystisch und Düster

Unser Teil der Nacht
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Ich habe mich selten so schwer getan, einen Roman zu bewerten wie diesen. „Unser Teil der Nacht“ löst bei mir ambivalente Gefühle aus, weshalb ich nicht so recht weiß wie ich den Roman einordnen soll. ...

Ich habe mich selten so schwer getan, einen Roman zu bewerten wie diesen. „Unser Teil der Nacht“ löst bei mir ambivalente Gefühle aus, weshalb ich nicht so recht weiß wie ich den Roman einordnen soll. Über weite Strecken mochte ich den Roman sehr, die literarische Aufbereitung der Umgebung, die Natur, die Mystik und die eindrucksvollen Gebäude. Doch von dem Schönen wechselt der Roman mehrfach in die Abgründe des Menschseins, schockiert die Leserschaft.

Zunächst begleiten wir Juan und seinen Sohn Gaspar auf der Flucht. Wovor die beiden fliehen erschließt sich erst nach uns nach, die Notwendigkeit zur Flucht ist schon direkt ersichtlich. Juan scheint verletzt, mindestens unheimlich erschöpft zu sein. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn wirkt unbeholfen, man merkt sofort, dass die Mutter fehlt. Sie ist unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen.

Eingebettet ist die Geschichte in die Zeit der Militärjunta in Argentinien, andauernd verschwinden Menschen spurlos, überall lauert Gefahr. Es gibt okkulte Glaubensgemeinschaften und allerlei befremdliche Formen der Huldigung gottähnlicher Gestalten, insbesondere auch der Dunkelheit. Genau hier liegt die Ursache für meine gegensätzlichen Gefühle. Das Mystische rund um den Orden, dem Juan und Gaspar angehören gefällt mir gut, auch die Beschreibungen zu den sogenannten dunklen Orten. Die Rituale zur Stärkung von Juan sind für mich zwar noch akzeptabel, lassen mich allerdings schon ein wenig die Nase rümpfen. Manche Szene der Gewalt, ganz besonders wenn auch Kinder davon betroffen sind, löst Abscheu und Ekel aus. Das war einfach nur abstoßend. Es hat mich nach so einer Passage Überwindung gekostet, weiter zu lesen.

Letztlich zeigt uns Mariana Enriquez, dass Macht auf wenige Schultern verteilt, keine ausgewogene und gerechte Gesellschaft garantiert, auch wenn die Wenigen hochgebildet und mit besten Absichten gestartet sind. Den höheren Zielen fallen die Schwachen zum Opfer. Dabei ist es ganz egal, wer die Elite darstellt, ob Militärjunta oder Ordensgemeinschaft. Die Demonstration dieses Sachverhalts gelingt der Autorin so eindrucksvoll, dass es den Leser:innen eigentlich schon körperlich weh tut.

Ich kann jetzt nicht behaupten, die Lektüre durchgehend genossen zu haben, aber ich bin zufrieden, dass ich mir diese Geschichte zugemutet habe. Der Mensch an sich kann eben auch böse und zu perfiden Handlungen fähig sein. Das Wissen darüber blenden wir nur all zu gern aus. Insgesamt sollte man für diesen Roman nicht zart besaitet sein. Für mich war „Unser Teil der Nacht“ eine intensive, gleichzeitig interessante Leseerfahrung.

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Veröffentlicht am 23.03.2022

Die Problematik des Schweigens

Dschinns
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Als Gastarbeiter kam Hüseyin vor 30 Jahren nach Deutschland. Er hat jeden Job gemacht im Stahlwerk, später in der Papierfabrik, jede Überstunde durchgezogen, um seine Familie nachzuholen und sich jetzt ...

Als Gastarbeiter kam Hüseyin vor 30 Jahren nach Deutschland. Er hat jeden Job gemacht im Stahlwerk, später in der Papierfabrik, jede Überstunde durchgezogen, um seine Familie nachzuholen und sich jetzt zum Ruhestand den Traum einer eigenen Wohnung in Istanbul zu erfüllen. Doch leider hat er bis auf ein paar erste Eindrücke zur wuseligen Atmosphäre nichts mehr davon. Er stirbt an einem Herzinfarkt.

Hüseyins Ehefrau und Kinder begeben sich nun kurzfristiger als ursprünglich geplant ebenfalls nach Istanbul, um ihn zu beerdigen. Hüseyins Traum, die Wohnung rückt völlig in den Hintergrund, schien mir zwischendurch wie ein Fluch. Während der Anreise und des Aufenthaltes in der Wohnung lernen wir die Kinder schrittweise kennen, zum Ende hin auch Emine, Hüseyins Ehefrau. Jeder Person ist dafür ein eigenes Kapitel gewidmet. Durch das Lesen in den Gedanken der Protagonist:innen kennen wir die Familie am Ende besser als sie sich selbst. Denn Schweigen ist ihr Hauptproblem. Schicksalsschläge werden nicht thematisiert, Wünsche nicht adressiert. Alle sind gewissermaßen gefangen in dem Zwang, die Erwartungen der Vorgängergeneration zu erfüllen. So macht jedes Familienmitglied seine Probleme mit sich selbst aus.

Fatma Aydemir zeichnet sehr eindrücklich das Umfeld, mit dem sich die Familie früher in der Türkei und später in Deutschland auseinandersetzen musste. Die beengte Mietskaserne mit Blick auf die und Abgaswolken von der Fabrik ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, aber auch die Unterstützungsleistung, die Sevda, eine der Töchter, eine Zeit lang für ihre Großeltern in der Türkei erbringen musste. Trotz der Last, die auf jedem Charakter liegt, hatte der Roman für mich keinen deprimierenden Touch. Er ist mehr ein Augenöffner für viele Probleme, die in weiten Teilen nichts mit Migration zu tun haben. Besonders gefallen hat mir die an den jeweiligen Charakter angepasste Sprache. Die Studentin hat einen anderen Sprachgebrauch als der Autoliebhaber, die Eltern sind sprachlich klar von den Kindern abgegrenzt. Irgendwie erfrischend, weil damit der Lesefluss angetrieben wird, aber auch stark überzeichnet, finde ich die schiere Anzahl der Probleme. Das kratzt ein bisschen an der Glaubwürdigkeit des Romans, hat mich hier allerdings gar nicht gestört.

Insgesamt war Dschinns für mich ein Lesevergnügen, das ich sehr gern weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 23.03.2022

Romanhafte Dokumentation

Der große Fehler
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Jonathan Lee erzählt uns die Geschichte eines fast vollständig vergessenen New Yorkers, Andrew Haswell Green. Ich hatte vor der Lektüre noch nie von ihm gehört, obwohl er der Gestalter des Central Parks ...

Jonathan Lee erzählt uns die Geschichte eines fast vollständig vergessenen New Yorkers, Andrew Haswell Green. Ich hatte vor der Lektüre noch nie von ihm gehört, obwohl er der Gestalter des Central Parks und vieler öffentlicher Gebäude war. Andrew wurde als Lehrling in einen Kaufmannsladen geschickt, wo er für einen Hungerlohn und eine unzumutbare Unterkunft schufften musste.

Schnell erkannte Andrew, dass Bildung der Schlüssel zum Erfolg ist, Bücher der Ursprung allen Wissens. Doch mittellos bleibt er lang ausgeschlossen. Erst sein Freund Tilden verschafft ihm Zugang zur Bibliothek.

Ich mochte Andrew, vor Allem den noch sehr jungen Buben vom Lande und den Lehrling. Erstaunlich, wie schnell er eine erste Vision seiner späteren Vorhaben im Kopf hatte. Insgesamt war mir die Lebensführung des Andrew Haswell Green zu pessimistisch, irgendwie deprimierend. Er ist unendlich einsam geblieben. Vielleicht auch dadurch bin ich irgendwie auf Distanz zu ihm geblieben.

Jonathan Lees Schreibstil machte mir zusätzlich etwas zu schaffen. Normalerweise mag ich mehrere Handlungsstränge sehr gern, aber hier hat mich der Erzählstrang um den Ermittler McClusky gestört. Mein Lesefluss war dadurch gehemmt, leider. Darüber hinaus war ein starker dokumentarischer Touch zu spüren. So wurde die Geschichte letztlich ganz schön zäh.

Insgesamt war das Kennenlernen einer früheren Berühmtheit interessant. Besonders spannend oder einfühlsam war es nicht. Deshalb kann ich nur eine eingeschränkte Empfehlung geben.

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Veröffentlicht am 25.02.2022

Aktueller denn je

Farm der Tiere
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Die Tiere der Manor Farm haben ein beschwerliches und entbehrungsreiches Leben unter dem Regiment des Säufers Mr Jones. Deshalb motiviert ein kluges Schwein namens Old Major die Tiere zu einer Revolution. ...

Die Tiere der Manor Farm haben ein beschwerliches und entbehrungsreiches Leben unter dem Regiment des Säufers Mr Jones. Deshalb motiviert ein kluges Schwein namens Old Major die Tiere zu einer Revolution. An die Umsetzung der Revolution macht sich Jahre später das Schwein Napoleon. Jones wird vertrieben, sieben Gebote werden aufgestellt, hohe Ziele werden der Farm, die jetzt Animal Farm heißt, gesetzt.

George Orwell thematisiert in seinem „Märchen“ die Entstehung von Eliten, Macht und Machtmissbrauch, die Erosion von Verhaltenskodexen. Er zeigt auf, welche Wirkung Propaganda haben kann. Interessant war für mich auch, wie schnell auch Mächtige unter die Räder der noch Mächtigeren geraten können und wie die Legenden um sie schleichend verändert werden.

Abgesehen von Orwells Trick reales Geschehen auf eine von Tieren geführte Farm zu verfrachten, hat mir in literarischer Hinsicht Animal Farm nicht so gut gefallen. Satzbau und Wortwahl sind mir zu einfach. Natürlich ist dieses Werk dadurch Schülern zugänglicher, mich konnte der Autor sprachlich nicht überzeugen. Die Übertragung des stalinistischen Regimes in die Tierwelt empfinde ich dennoch als genial, da sofort jedem die Ungerechtigkeit offensichtlich wird. Man empfindet sofort Mitleid mit den schwer schuftenden Tieren, die im Winter trotzdem hungern und frieren müssen. Gleichzeitig hofft man, selbst nie in eine solche Situation zu geraten.

Das Lehrstück ist also gut gelungen. Ich habe es ganz bewusst jetzt gelesen und empfehle es mir gleich zu tun.

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