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Veröffentlicht am 08.06.2020

Für mich der bislang beste Roman von Musso

Ein Wort, um dich zu retten
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Île Beaumont – ein weitgehend abgeschiedenes Paradies im Mittelmeer, dessen Bewohner viel Wert auf Diskretion legen. Hierher hat sich der einst gefeierte Bestsellerautor Nathan Fawles vor zwanzig Jahren ...

Île Beaumont – ein weitgehend abgeschiedenes Paradies im Mittelmeer, dessen Bewohner viel Wert auf Diskretion legen. Hierher hat sich der einst gefeierte Bestsellerautor Nathan Fawles vor zwanzig Jahren zurückgezogen, nachdem er von einem Tag auf den anderen beschlossen hatte, nie wieder zu schreiben. Hierher verschlägt es den jungen Nachwuchsautor Raphaël Bataille; vorgeblich, um in der einzigen Buchhandlung der Insel zu arbeiten, tatsächlich, um seinem Idol Nathan nahe zu sein. Tatsächlich gelingt es dem jungen Mann, Kontakt zu dem Schriftsteller aufzunehmen, sich ihm anzunähern. Raphaël möchte nicht nur Nathans Meinung zu seinem eigenen, bislang unveröffentlichten Manuskript einholen, er will auch ergründen, weshalb sein Vorbild so abrupt mit dem Schreiben aufgehört hat. Eine ähnliche Mission scheint die ebenso hübsche wie rätselhafte Journalistin Mathilde zu verfolgen. Auch ihr gelingt es, Nathan zu kontaktieren. Auch sie treibt die Frage um, was vor zwanzig Jahren geschah. Doch ihr Interesse ist nicht rein beruflicher Natur… Als ein brutaler Mord geschieht und die Insel abgeriegelt wird, wird Nathan von seiner Vergangenheit eingeholt. Und das erweist sich als lebensgefährlich – nicht nur für ihn.

Die Handlung beginnt ruhig und bedächtig, korrespondierend zu Landschaft und Klima der Insel geradezu mild. Ein Künstler-, ein Entwicklungsroman scheint es zu sein: Allen Kapiteln ist das Zitat eines berühmten Schriftstellers bzw. einer berühmten Schriftstellerin vorangestellt, Reflexionen über das Schriftstellerdasein durchziehen den gesamten Text. Da ist der junge, noch unerfahrene Künstler, der passenderweise in einer Buchhandlung arbeitet, mit seinem Chef auf dem pittoresken Platz im Zentrum seinen spätsommerlichen Aperitif einnimmt, der seinem verehrten Vorbild nahe sein will und dem es sogar gelingt, dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Da ist der knurrige Autor, der sich langsam aus seiner selbstgewählten Einsiedelei wagt. Und da ist die geheimnisvolle junge Frau, die ebenfalls die Nähe des Autors sucht und dabei durchaus charmant vorgeht. Doch so plötzlich, wie das warme Sommerwetter der herbstlichen Kälte des mistral noir weicht, schwindet auch die fragile Harmonie. An ihre Stelle treten Misstrauen und Gefahr, der charmante Künstlerroman mausert sich zum Krimi: Die verdrängten und verschwiegenen Ereignisse der Vergangenheit drängen an die Oberfläche und enthüllen unfassbare Ereignisse und Verwicklungen.

„Ein Wort, um dich zu retten“ ist der neueste Roman des französischen Erfolgsautors Guillaume Musso, und er ist aus meiner Sicht sein bislang bester. Wenngleich die Figurenzeichnung etwas zu wenig differenziert ausfällt und die Handlung an manchen Stellen etwas zu sehr an Joël Dickers „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ erinnert, machen der verblüffende Tod einer Figur, die überraschende Auflösung und insbesondere der originelle Epilog, in dem sich die Realitätsebenen auf gelungene Weise vermischen, aus meiner Sicht die Blässe und Ähnlichkeiten auf jeden Fall wieder wett.

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Veröffentlicht am 08.06.2020

Trotz vieler bekannter Elemente ein gelungener Thriller

Verschließ jede Tür
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Job weg. Freund weg. Wohnung weg. Und pleite ist sie auch. Die 25-jährige Jules ist am Boden zerstört. Zwar hat sie Unterschlupf bei ihrer besten Freundin Chloe gefunden, doch das ist keine Dauerlösung. ...

Job weg. Freund weg. Wohnung weg. Und pleite ist sie auch. Die 25-jährige Jules ist am Boden zerstört. Zwar hat sie Unterschlupf bei ihrer besten Freundin Chloe gefunden, doch das ist keine Dauerlösung. Ein neuer Job muss her, eine neue Bleibe. Als sich ihr beides auf einen Schlag bietet, kann Jules ihr Glück kaum fassen: Sie soll für großzügige 1000 Dollar pro Woche als Wohnungssitter ein Luxusappartement im sagenumwobenen „Bartholomew“ in Manhattan bewohnen, bis die Erben der verstorbenen Besitzerin sich einig geworden sind, was mit der Wohnung geschieht. Und das kann, so die Aussage der Verwalterin, drei Monate dauern, wenn nicht länger. Nun gut, es gibt einige Auflagen, die Jules erfüllen muss. Sie muss jede, wirklich jede Nacht in dem Appartement schlafen. Sie darf niemanden einladen, nicht einmal die engsten Freunde, nicht einmal für eine Stunde. Und sie darf unter gar keinen Umständen Kontakt zu ihren vornehmen, teils berühmten Nachbarinnen und Nachbarn aufnehmen. Ihre misstrauische Freundin Chloe rät Jules dringend davon ab, diesen ominösen „Job“ anzunehmen: kein Besuch? Keine Freiheit? Das Geld bar auf die Hand? Das stinkt zum Himmel, findet sie – und dann sind da ja auch noch die zahlreichen Gruselgeschichten, die sich um das „Bartholomew“ ranken! Doch Jules schlägt die freundschaftlichen Bedenken in den Wind – eine fatale Entscheidung …

„Verschließ jede Tür“ (Deutsch von Christine Blum) ist ein solider, handwerklich gut gemachter Thriller, der spannend unterhält. Nein, er erfindet das Rad nicht neu; die einzelnen Versatzstücke, aus denen er gefertigt ist, sind aus anderen Büchern und Filmen bekannt, zum Beispiel „Rosemaries Baby“ (der Roman ist charmanterweise Ira Levin gewidmet) oder „The Girl Before“ sowie einige anderen, die ich hier nicht nennen kann, ohne zu spoilern. Die Figur der jungen Frau, die sich mit unerklärlichen Vorkommnissen konfrontiert sieht – Vermisstenfälle inklusive –, die alle guten Ratschläge in den Wind schlägt und die wider besseres Wissen offenen Auges in ihr Verderben rennt, ist ebenfalls kein Novum. Und wer (auch) dahintersteckt, ist für geübte ThrillerleserInnen ebenfalls rasch ausgemacht. ABER: Das tut der Lektüre zumindest aus meiner Sicht überhaupt keinen Abbruch. Denn die bekannten Elemente werden neu miteinander kombiniert und durchaus geschickt arrangiert, sodass einige Wendungen und die letztendliche Auflösung dann doch zu überraschen vermögen. Deshalb gibt es, trotz aller Wiedererkennungswerte, eine Leseempfehlung von mir!

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Veröffentlicht am 25.05.2020

Nicht mehr so skandalös wie in den Achtzigern, dennoch (odergerade deswegen?) lesenswert

Bad Behavior. Schlechter Umgang
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Sexualität. Begehren. Obsession. Das ist es, was Mary Gaitskills Figuren umtreibt. Sei es die Kollegin, der One-Night- oder auch More-Nights-Stand, sei es die goldige, das Herz erwärmende Prostituierte: ...

Sexualität. Begehren. Obsession. Das ist es, was Mary Gaitskills Figuren umtreibt. Sei es die Kollegin, der One-Night- oder auch More-Nights-Stand, sei es die goldige, das Herz erwärmende Prostituierte: Sie wecken Wünsche und Begehrlichkeiten, ohne die eigentliche Sehnsucht nach Liebe und Nähe wirklich befriedigen zu können.

Zugegeben, nach Büchern wie „Cat Person“, ganz zu schweigen von „Fifty Shades of gähnende Langeweile“ (hieß doch so, oder?), nehmen sich Gaitskills 1988 erstmalig erschienene Kurzgeschichten (Deutsch von Nikolaus Hansen), geradezu brav aus. Der Blick auf das, was schockiert, hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten offenbar zu sehr gewandelt. Und doch muss man sich bei der Lektüre von „Bad Behavior“ vor Augen halten, dass dies vor mehr als zwanzig Jahren durchaus eine neue Stufe weiblichen Literaturschaffens darstellte: Ein unverstellter Blick auf unterdrückte bzw. nur mühsam ausgelebte Triebe, geschrieben von einer Frau; dabei wertet Gaitskill nie, sie beobachtet, beschreibt, erzählt. Gibt es Böse, gibt es Gute? Gibt es Täter, gibt es Opfer? Gibt es überhaupt diese Unterscheidung, und schließt das Eine das Andere aus?

Auch wenn „Bad Behavior“ heute vielleicht nicht mehr ganz so aufzurütteln vermag wie in den Achtzigern, stellt es doch eine lohnenswerte Lektüre dar; nicht nur, weil es einem die veränderten Lesegewohnheiten und vielleicht auch eine Verschiebung moralisch geprägter Anstandsvorstellungen vor Augen führt, sondern weil es schlicht und ergreifend richtig gut erzählt ist.

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Veröffentlicht am 25.05.2020

Klug und unaufgeregt, mit einer interessanten Hauptfigur

Unter Wölfen
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Der Sticker auf dem Buch preist die Autorin Alex Beer als „preisgekrönt und hochgelobt“. Man mag es einer nicht eingestandenen Misanthropie oder der Charakterschwäche eines grundlegenden Misstrauens gegenüber ...

Der Sticker auf dem Buch preist die Autorin Alex Beer als „preisgekrönt und hochgelobt“. Man mag es einer nicht eingestandenen Misanthropie oder der Charakterschwäche eines grundlegenden Misstrauens gegenüber Lobpreisungen zuschreiben, aber solche Ankündigungen machen mich immer ein wenig skeptisch. In diesem Fall ließ ich mich aber von Herzen gern eines Besseren belehren und kann dem Lob nur beipflichten! „Unter Wölfen“ ist ein kluger, im besten Sinne unaufgeregt erzählter, gleichwohl fesselnder Krimi mit einer ausgesprochen interessanten Hauptfigur, die auf angenehme Weise bekannte Settings und Figuren konterkariert. Und darum geht’s:

Nürnberg, 1942: Isaak Rubinstein, ehemaliger Antiquar und nun, nach der „Arisierung“ seines Antiquariats Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik, erhält einen „Evakuierungsbescheid“ für sich und seine Familie, bestehend aus seinen betagten Eltern, der alleinstehenden Schwester und ihren beiden Kindern. Noch sind es nur Gerüchte, die sich um diese „Evakuierungsmaßnahmen“ ranken, doch insgeheim ahnt jede*r, dass es keine Wiederkehr gibt. In seiner Verzweiflung wendet Isaak sich an seine ehemalige Geliebte, der Kontakte zum Widerstand nachgesagt werden. Clara erklärt sich bereit, Isaak zu helfen, allerdings unter einer Bedingung: Er soll sich als der stramm nationalsozialistische Kriminalbeamte Adolf Weissmann ausgeben, der aus Berlin angefordert wurde, um den Mord an einer bekannten und beliebten Schauspielerin aufzuklären. Sie war pikanterweise die Geliebte des Leiters des sog. Judenreferats, in dessen Räumlichkeiten auch ihre Leiche aufgefunden wurde. Isaak soll die Gestapo infiltrieren und jene brisanten Dokumente beschaffen, die „die“ Konferenz am Wannsee protokollieren. Was weder Isaak noch Clara wissen, ist, dass der echte Adolf Weissmann den Anschlag, der auf ihn verübt wurde, überlebt hat …

Krimis, die während der Nazidiktatur spielen, sind kein Novum. Doch das Besondere an Alex Beers Buch ist, dass es ihr gelingt, gängige Klischees zu umgehen und allen Figuren, auch den zweifellos unsympathischen, eine Tiefe zu verleihen, die sie weniger als Typen denn als Charaktere erscheinen lassen. Isaaks moralischer Zwiespalt, seine zunehmende Angst, enttarnt zu werden, seine Versuche, trotz fehlender kriminalistischer Ausbildung den Fall zu lösen und gleichzeitig Menschenleben zu retten, werden so eindringlich skizziert, dass ich förmlich mit ihm mitgefiebert habe. Dabei lässt die Autorin keinen Zweifel an der Unmenschlichkeit und Monstrosität des Nationalsozialismus, verfällt aber nichtsdestotrotz nie ins Reißerische oder in Effekthascherei.

Große Leseempfehlung an alle, die einen klugen historischen Kriminalroman zu schätzen wissen!

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Veröffentlicht am 13.05.2020

Unterhaltsam wie ein Roman - und doch viel mehr als das

Dichterkinder
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Es ist eine sehr spezielle Clique, die sich in den 1920er Jahren zusammenfindet: wild und doch bourgeois, künstlerisch begabt und doch überschattet von den übergroßen Vätern, sexuell freizügig und doch ...

Es ist eine sehr spezielle Clique, die sich in den 1920er Jahren zusammenfindet: wild und doch bourgeois, künstlerisch begabt und doch überschattet von den übergroßen Vätern, sexuell freizügig und doch gefesselt durch gesellschaftliche Zwänge. Sie heißen Erika und Klaus Mann, Pamela Wedekind, Dorothea „Mopsa“ Sternheim, sie sind eng miteinander befreundet (und in unterschiedlichen Konstellationen bisweilen auch mehr als das), sie experimentieren mit der Kunst, der Liebe und mit Drogen, und allesamt sind sie, wie der Titel sagt, „Dichterkinder“. Sie ziehen zeitweise andere in ihren Bann (oder umgekehrt): Gustaf Gründgens, Gottfried Benn, Annemarie Schwarzenbach. Sie erleben ungezügelte Jahre, sind mehr als einmal Gegenstand der Klatschpresse und Verursacher von Skandalen – bis das Jahr 1933 unwiderruflich das Ende einläutet.

Ich habe „Dichterkinder“ ausgesprochen gern gelesen. Zwar war mir vieles, was die Geschwister Mann betrifft, durchaus bekannt, doch durch die im Fokus stehende Freundschaft der beiden zu Mopsa Sternheim und Pamela Wedekind bekamen selbst vertraute Tatsachen für mich eine neue, intimere Qualität. Die Leidenschaft und Begabung, die Zerrissenheit und der Freiheitsdrang, die Suche nach künstlerischer und sexueller Selbstverwirklichung, der unselige, zerstörerische Hang zu Drogen und Schwermut, die alle vier „Dichterkinder“ in sich tragen, ziehen sich als roter Faden durch diese detailreiche und fesselnde Biografie. Einen besonderen Pluspunkt stellt für mich Armin Strohmeyrs ausgeprägtes erzählerisches Talent dar: „Dichterkinder“ liest sich so flüssig wie ein Roman, ohne dabei je ins Voyeuristische oder Sensationsheischende abzugleiten. Strohmeyr erzählt überaus unterhaltsam, bisweilen ein wenig anekdotenhaft, doch gleichzeitig eindringlich und sensibel.

Wer sich bereits ausführlich mit einem oder mehreren der vier Dichterkinder beschäftigt hat (bei den meisten dürften das die Mann-Geschwister sein), wird möglicherweise nicht allzu viele neue Erkenntnisse, aber vielleicht einen neuen Blickwinkel gewinnen. Wer indes einfach gerne Biografien liest und sich vor allem für die 1920er Jahre interessiert, findet in „Dichterkinder“ einen interessanten, informativen und fesselnden Lesestoff.

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