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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.09.2016

Interessantes, aber nicht überragendes Debüt - da geht noch mehr!

The Girls
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Erwachsenwerden ist nicht leicht. Schon gar nicht, wenn man wie Evie Boyd aus einem gleichgültigen Elternhaus stammt und sich nach Anerkennung sehnt. Wie empfänglich man gerade in so einer Situation für ...

Erwachsenwerden ist nicht leicht. Schon gar nicht, wenn man wie Evie Boyd aus einem gleichgültigen Elternhaus stammt und sich nach Anerkennung sehnt. Wie empfänglich man gerade in so einer Situation für fremdartige Ideologien ist und wie schmal der Grat zwischen Liebe und Wahn sein kann, erzählt Emma Cline in ihrem Debütroman „The Girls“.

Evie ist ein vierzehnjähriges Mädchen, das nach der Trennung der Eltern ein liebloses Dasein im Haushalt ihrer Mutter fristet. Während diese sich im mittleren Alter noch einmal neu zu entdecken versucht, erwacht in der jungen Evie gerade die Sexualität. Doch niemand scheint sie wahrzunehmen, sie auch nur ansatzweise zu verstehen, bis sie eines Tages auf Suzanne trifft, die so anders zu sein scheint als all die anderen Menschen. Sie nimmt Evie mit zur Ranch von Russell, einem charismatischen Sektenführer, dem nicht nur die Frauen zu Füßen liegen. Evie gerät in einen Sog aus Sex, Drogen und Macht – wird sie erkennen, welche Absichten Russell verfolgt, bevor es zu spät für sie ist?

Die Rahmenhandlung von „The Girls“ ist grob an die reale Sekte um Charles Manson angelehnt, dessen Charme in den 1960er Jahren viele Frauen verfielen (auch wenn das für viele LeserInnen heute kaum mehr vorstellbar ist). Allerdings ist das Buch keine detailgetreue Studie der Dynamik innerhalb einer Sekte. Vielmehr geht es um einen von vielen Wegen, auf denen man zu einer solchen Sekte gelangen kann. Themen wie Liebe und Sehnsucht nach Anerkennung, nach einem Zusammengehörigkeitsgefühl stehen im Zentrum des Romans.

Emma Cline wählt eine jugendliche, unreife Erzählerin, die nicht nur schonungslos von den Ereignissen des Jahres 1969 berichtet, sondern auch in der Gegenwart als inzwischen Mittfünfzigerin kritisch zurückblickt. Diese Szenen der Analyse sind die größte Stärke des Romans, wenn Evie mit beinahe chirurgischer Präzision ihr früheres Ich seziert. Leider sind diese auch sprachlich herausragenden Momente viel zu dünn gesät. Meist lässt die ältere Evie ihr Verhalten unkommentiert oder wirft kurze Andeutungen in den Raum, auf die im späteren Romanverlauf nicht immer eingegangen wird.

Mal positiv, mal negativ auffallend ist auch die Atmosphäre. Die drückende Hitze des schicksalhaften Sommers ist auf jeder Seite spürbar, hemmt jedoch manchmal auch den Lesefluss. Wenn sich Emma Cline dann auch noch in einer Anhäufung von Metaphern verliert, ist das Lesen leider nicht immer angenehm.

„The Girls“ richtet sich keinesfalls an zartbesaitete Leser. Immer wieder reizt Emma Cline die Grenzen des persönlichen Ekels aus und bricht mit vielen Tabus. Wie man diese Szenen aufnimmt, bleibt jedem selbst überlassen, mir jedenfalls waren gerade die Sexszenen manchmal echt „zu viel“ und ich war froh, dass sie meist nicht allzu lang andauerten.

Auch die Charaktere sind alles andere als sympathisch und häufig fiel es mir sehr schwer, ihnen etwas Gutes abzugewinnen. Viel zu undurchsichtig blieben ihre Absichten, viel zu distanziert und empathielos ihre Haltung gegenüber anderen Figuren.

Insgesamt lässt das Buch den Leser mit vielen Fragen zurück. Gerade am Ende verschenkt das Buch viel Potenzial, da wäre mit Sicherheit mehr drin gewesen. Emma Cline zeigt, dass sie literarisch begabt ist, aber gerade in puncto Spannungsaufbau und Stringenz der Handlung sehe ich persönlich noch Nachholbedarf.

Fazit: „The Girls“ ist ein interessantes, aber nicht rundum gelungenes Debüt. Während vor allem die sprachliche Präzision und die Selbstreflexion der Hauptfigur überzeugen, bremsen andererseits die drückende Atmosphäre und undurchsichtigen Charaktere den Lesefluss. Ein Buch, das dennoch sicherlich vielen Lesern gefallen, bei mir jedoch nur in durchschnittlicher Erinnerung bleiben wird.

Veröffentlicht am 24.09.2016

Spannende und emotionale Reise einer jungen Frau, schnörkellos erzählt und mit glaubwürdigen Charakteren.

Die Steinheilerin
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Flucht und Vertreibung – ein Thema, das im aktuellen Tagesgeschehen polarisiert wie kein anderes. Dass politische Verfolgung und öffentliche Zurschaustellung von Gewalt nicht erst seit heute Instrumente ...

Flucht und Vertreibung – ein Thema, das im aktuellen Tagesgeschehen polarisiert wie kein anderes. Dass politische Verfolgung und öffentliche Zurschaustellung von Gewalt nicht erst seit heute Instrumente einer Schreckensherrschaft sind, zeigt Elke Thomazo in ihrem Roman „Die Steinheilerin“. Sie nimmt uns mit ins Freising des Jahres 1590, mitten in die Zeit der Hexenverfolgung.

Der Erzähler heftet sich dabei an die Fersen der jungen Gret, die sich noch auf dem Weg vom Kind zur Frau befindet, als die Hexenprozesse ihren Lauf nehmen. Sie steckt voller Tatendrang und Wissbegierde, handelt bisweilen aber auch naiv und leichtsinnig. Ihre Freundin und Ausbilderin Brigitta hingegen vereint neben ihrem unschätzbar großem Wissen über die Heilkunde auch eine gehörige Portion Lebenserfahrung in sich. Die beiden Figuren harmonieren wunderbar und sorgen für einen leichten Einstieg in die Problematik.

Allerdings bleibt die Bedrohung der Hexenverfolgung immerzu bestehen und sorgt für eine angespannte Atmosphäre. Die historisch-politischen Aspekte, wie zum Beispiel die Stadtratssitzungen oder Verhöre, sind gut recherchiert und derart glaubwürdig dargestellt, dass man selbst beim Lesen ein beklemmendes Gefühl nicht leugnen kann. Als auch Gret in Gefahr gerät, ist sie zur Flucht aus Freising gezwungen und plötzlich völlig auf sich gestellt. Ohne zu viel über die Flucht verraten zu wollen, kann man nur loben, dass hier konstant Spannung erzeugt und gehalten wird. Gret muss einige Schicksalsschläge hinnehmen, durchläuft Höhen und Tiefen, gewinnt Freunde und Feinde. Ihre Charakterentwicklung ist wirklich bemerkenswert, da sie mit jeder Entscheidung wächst, ohne dabei ihre Grundprinzipien – Hilfsbereitschaft und Wissbegierde – aufzugeben. Für mich war diese Entwicklung eine der größten Stärken des Romans, die neben der Atmosphäre und Spannung zu überzeugen wusste.

Die Ausarbeitung der Nebenfiguren ist zum Teil auf demselben hohen Niveau gehalten, jedoch bleiben die Beweggründe einiger Charaktere bis zum Schluss des Buches ohne Erklärung. Das ist zwar schade, fällt jedoch nicht störend ins Gewicht, da die handlungstragenden Figuren deutlich feiner ausgearbeitet sind und sich ebenfalls weiterentwickeln. Gerade der Antagonist, über den hier ebenfalls noch nicht allzu viel verraten werden soll, ist ein starker, ebenbürtiger Widersacher. Mir hat an ihm besonders gut gefallen, dass viele seiner Handlungen nachvollziehbar sind und immer einem persönlichen, wenn auch nicht immer edlen Ziel dienten. Ich konnte mich manchmal in seine Lage ebenso gut hineinversetzen wie in die der Protagonisten.

An dieser Stelle offenbart sich eine weitere Stärke des Buches: keine der Figuren könnte klar einem „Gut“ oder „Böse“ zugeordnet werden, sie bewegen sich vielmehr in einer Grauzone, in der nicht per Erzähler über ihr Verhalten geurteilt wird. Dem Leser selbst wird es überlassen, inwiefern er die Eigendynamik der Charaktere nachvollziehen kann und wem er – trotz manch unmoralischer Entscheidung – seine Sympathien schenkt. Für mich persönlich haben gerade die Fehlentscheidungen mancher Figuren einen großen Beitrag zur Glaubhaftigkeit geleistet.

Der Schreibstil mag nicht jedem Leser auf Anhieb gefallen: die Sätze sind eher kurz und Freunde des verschachtelten Satzbaus kommen hier definitiv nicht auf ihre Kosten. Dafür erweisen sich die kurzen Sätze in den handlungsgetriebenen Abschnitten des Buches als Wohltat, weil sie die relevanten Informationen kurz und prägnant auf den Punkt bringen, ohne wichtige Details auszulassen. Manchmal hätte ich mir eine etwas genauere Einsicht in die Gedanken der Charaktere gewünscht, was aber gerade in spannenden Abschnitten zugunsten des besseren Leseflusses wirklich verzeihlich ist.

Der historisch anmutende Sprachgebrauch entwickelt sich erst nach und nach, gerade am Anfang hatte ich oftmals das Gefühl, dass manche Sätze etwas zu modern oder umgangssprachlich klingen und so nicht recht ins Jahr 1590 passen. Nach den ersten fünf bis zehn Kapiteln löst sich diese Dissonanz jedoch wie von selbst und der Sprachgebrauch wirkt wie aus einem Guss.

Das Ende ließ mich persönlich mit gemischten Gefühlen zurück, bietet andererseits aber einige interessante Ansatzpunkte für eine Fortsetzung. Vielleicht gibt es ja bald Neues von der Steinheilerin?

Fazit: „Die Steinheilerin“ nimmt euch mit auf eine Reise, die als Flucht beginnt und sich zum Erwachsenwerden einer ambitionierten Hauptfigur entwickelt. Mit historischer Genauigkeit und sprachlicher Präzision erzählt Elke Thomazo eine spannende, aber auch berührende Geschichte, wie sie sich wirklich zugetragen haben könnte. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung für jeden, der sich für die Zeit der Hexenverfolgung interessiert, aber auch „Historienmuffel“ sollten einen Blick riskieren!

Ein herzliches Dankeschön geht an die Autorin Elke Thomazo und den Drachenmond Verlag, die es mir ermöglichten, dieses Buch im Rahmen einer Leserunde zu erleben!

Veröffentlicht am 24.09.2016

Außergewöhnlicher Roman mit einer Protagonistin, die nicht jedem gefallen wird, und einer Handlung, die zu überraschen weiß.

Egal wohin
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„Egal wohin“ ist mit seinen 224 Seiten im Vergleich zu anderen Jugendromanen verhältnismäßig überschaubar und kann problemlos in einem Durchgang durchgelesen werden. Das würde ich jedoch selbst den Blitzlesern ...

„Egal wohin“ ist mit seinen 224 Seiten im Vergleich zu anderen Jugendromanen verhältnismäßig überschaubar und kann problemlos in einem Durchgang durchgelesen werden. Das würde ich jedoch selbst den Blitzlesern unter euch nicht raten, denn dieser Roman trumpft immer wieder mit kleinen Details auf, die man erst mal auf sich wirken lassen muss.

Johanna, die sich selbst Jo nennt, präsentiert sich als Erzählerin der Handlung, die um sie gesponnen wird. Wenn Jo gerade nicht wie ein ganz normaler Teenager rebelliert und von einem besseren Leben in der Ferne träumt, bestimmt ihre bewegte Vergangenheit ihren Alltag und ihr Handeln. Aufgrund dieser ist Jo nämlich alles andere als zugänglich. Andere Charaktere werden von ihr schnell in eine Schublade gesteckt, aus der sie so schnell nicht wieder herauskommen. Andererseits sagt sie ihrem Gegenüber jederzeit, was sie von ihm denkt. Diese Eigenschaft ist zwar ehrlich, kann ihr aber gerade bei kritischen Lesern zum Verhängnis werden, denn auch ihre Eltern sind nicht sicher vor ihren Anklagen und Vorwürfen. Zwischen ihnen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, in denen Jo durch nicht nachvollziehbare, manchmal sogar unfaire Handlungen viele Sympathiepunkte verliert. Zudem bleibt der Leser oft in Unklarheit über ihre Gefühle, was die Identifikation mit ihr an mehreren Stellen merklich erschwert. Grundsätzlich kann man jedoch über die meisten anderen Charaktere sagen, dass sie gut gelungen sind. Zwar greift die Autorin immer wieder auf bekannte Stereotypen zurück, jedoch ist das angesichts der Kürze der Handlung und der Wahl des Erzählers verzeihlich.

Die Handlung von „Egal wohin“ ließe sich eigentlich in wenigen Sätzen zusammenfassen, wären da nicht die kleinen Wendungen, die immer wieder geschickt für neuen Schwung sorgen. Die Autorin versteht es, die eigentlich überschaubare Anzahl der Charaktere im Verlauf der Geschichte immer wieder im anderen Licht erscheinen zu lassen. Erst nach und nach offenbaren sich Jo's Vergangenheit und der Grund für das plötzliche Verschwinden von Koch. Gerade das Ende, das für mich persönlich etwas zu früh kam, lässt den Leser mit gemischten Gefühlen zurück. Ich habe meine Zeit gebraucht, diese letzte Wendung zu verarbeiten, doch gerade dieses Nachwirken zeigt sich als große Stärke des Romans.

Der Aufbau der Handlung selbst ist solide und an den meisten Stellen ohne große Längen geraten. Auch der flüssige und schnörkellose Schreibstil der Autorin beschleunigt den Lesefluss, ohne dabei plump oder gar einfältig zu wirken – eine Kunst, die nicht jeder Autor beherrscht und an dieser Stelle besondere Anerkennung verdient. Ihr gelingt es sogar, durch kleine lyrische Einlagen ganz eigene Akzente zu setzen, die auch nach dem Zuklappen des Buches noch immer wirken.

Fazit: „Egal wohin“ hebt sich durch seine geschickte Handlung und den unkomplizierten Schreibstil, aber auch durch seine sperrige Protagonistin von der Konkurrenz der zeitgenössischen Jugendliteratur ab. Wenn ihr über einige nicht nachvollziehbare Handlungen der Protagonistin hinwegsehen könnt, werdet ihr mit einer Geschichte über Verlust und Neubeginn belohnt, die noch lange nachwirken wird.