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Veröffentlicht am 05.04.2022

Die Rückkehr der Wölfe

Wo die Wölfe sind
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Kaum eine der Neuerscheiungen des vergangenen Jahres hat mich so fasziniert wie "Zugvögel" von Charlotte McConnaghy - da war es ein klarer Fall, unbedingt auch ihren neuen Roman "Wo die Wölfe sind" lesen ...

Kaum eine der Neuerscheiungen des vergangenen Jahres hat mich so fasziniert wie "Zugvögel" von Charlotte McConnaghy - da war es ein klarer Fall, unbedingt auch ihren neuen Roman "Wo die Wölfe sind" lesen zu wollen. Eindringliche Naturbeschreibungen, das Überleben bedrohter Tierarten und der leidenschafttliche, auch mal verbissene Einsatz von charismatischen Einzelgängerinnen und starken Frauengestalten prägen auch dieses Buch. Gleichzeitig gibt es deutliche Unterschiede.

Die Ich-Erzählerin Inty ist die Tochter einer australischen Polizistin und eines kanadischen Aussteigers und "Pferdeflüsterers". Und sie leidet an einem seltenen Phänomen, er Mirror-touch-Synästhesie: Was einem anderen Wesen geschieht, kann sie spüren, wenn sie ihm in die Augen blickt. Durchaus traumatisch, wenn sie etwa als Achtjährige den Tod eines Kanninchens erlebt. Wichtigste Bezugsperson ist Intys Zwillingsschwester Aggie, mit der sie ein symbiotisches Verhältnis hat. Doch während früher Inty die Introvertierte war und die erlebnishungrige Aggie im Vordergrund stand, ist Aggie nun buchstäblich verstummt und so unsichtbar geworden, dass ich mich über lange Strecken des Buches gefragt habe, ob sie tatsächlich existiert, oder nur ein Produkt von Intys Einbildung ist. Schließlich war bereits der Vater psychisch krank.

In der Erzählgegenwart ist Inty Biologin und Leiterin eines Ansiedlungsprojekts für Wölfe im schottischen Hochland. Wer die Diskussionen um die Rückkehr der Wölfe hierzulande verfolgt, weiß: Kaum ein Tier polemisiert so sehr wie der Wolf. Es gibt Menschen, die sind fasziniert von den scheuen Vettern domestizierter Hunde - und es gibt Menschen, die Wölfe buchstäblich verteufeln. Eine Erfahrung, die auch Inty meint. Während sie und ihre Teamkollegen davon überzeugt sind, dass die Ansiedlung der Wölfe gleich mehrere ökologische Probleme und Herausforderungen wieder ins rechte Lot rücken kann, sind die örtlichen Bauern, allen voran die Schafhalter, wenig begeistert von den neuen Mitbewohnern in den Wäldern.

Als ein Farmer tot aufgefunden wird, eskaliert die Situation. Werden die Wölfe jetzt buchstäblich Freiwild? Und wer ist die Bestie - Mensch oder Tier? Dabei muss sich Inty auch eigenen Abgründen aus der Vergangenheit stellen. In ihrer Parteilichkeit für die Wölfe steht sie der aufgeladenen Empörung der Dorfbewohner nicht nach, droht alle professionelle Distanz zu verlieren. Voller Gewalt ist aber nicht nur die Wildnis - das Buch enthält einige harte Szenen, in denen die "Bestie Mensch" ungeschönt gezeigt wird.

Vielleicht liegt es an den unterschiedlichen Spezies - da Seeschwalbe, hier Wolf, dass "Zugvögel" deutlich poetischer wirkt als "Wo die Wölfe sind mit seiner teils sehr düsteren und rauen Stimmung. Überzeugend und beeindruckend sind auch hier wieder die Naturszenen. Auch über die Wölfe und ihre Sozialordnung hat die Autorin ausführlich recherchiert. Spannend, faszinierend, emotional aufgeladen und mit teils gebrochenen, vielschichtigen Figuren.

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Veröffentlicht am 05.04.2022

Gute-Laune-Urlaubskrimi

Willkommen in St. Peter-(M)Ording (St. Peter-Mording-Reihe 1)
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Mord im Norden, zwischen Watt und Nordseedeich - das passt für viele Krimi-Leser immer. Mit "Willkommen in St. Peter-(M)Ording" hat nun Tanja Janz den Auftakt einer neuen Reihe vorgelegt, der vor allem ...

Mord im Norden, zwischen Watt und Nordseedeich - das passt für viele Krimi-Leser immer. Mit "Willkommen in St. Peter-(M)Ording" hat nun Tanja Janz den Auftakt einer neuen Reihe vorgelegt, der vor allem die Fans von Cozy-Krimis begeistern dürfte. Wer Nervenflattern, Psychosen und reichlich Blut und Gewalt braucht, ist hier fehl am Platz. Als Urlaubslektüre im Strandkorb - oder in der heimischen Leseecke vom Nordseeurlaub träumend - sind die Ermittlungen des gemütlichen Polizisten Ernie Feddersen und seines aus dem Ruhrpott stammenden Kollegen Fred Galotke, der sich ein bißchen als Schimanski des Nordens gibt, genau das Richtige. Mit Umweltschutz, den Auswirkungen von Massentourismus und Geldgier ist sogar noch ein bißchen sanft verpackte Gesellschaftskritik drin.

Der Tod eines Architekten, der mitten in den Dünen ein großes Hotel bauen wollte, beschäftigt nicht nur die beiden Küstenpolizisten. Auch Ernies Schwester Ilva und ihre Freundin Ute mischen sich als Hobbydetektivinnen in die Ermittlungen ein, ist doch der Hauptverdächtige Ilvas Jugendliebe Eike, der als Umweltaktivist in der ersten Reihe der Hotelgegner steht. Dabei ist Ilva gerade erst wieder nach St Peter-Ording gezogen und hat einen Job an ihrer alten Schule angenommen, um sich mehr um ihre Mutter kümmern zu können. Sogar in die Einliegerwohnung, in der Ernie und sie schon als Jugendliche lebten, ist sie zurückgezogen.

So viel familiäre Harmonie samt Zusammenglucken - das klingt nach den Idealvorstellungen der 1950-er Jahre und wirkt ein bißchen aus der Zeit gefallen, aber wenn Muddis Kartoffelsalat und Backfisch so eine Sogwirkung haben, sei´s drum. Überhaupt werden Klischees und Stereotypen genüsslich ausgespielt, man sollte das Buch mit einem gewissen Augenzwinkern lesen. Richtig gut gefallen haben mir die Ort-/Zeit/Atmosphäre-Teaser zu Beginn eines jeden Kapitels. Da lassen Möwengeschrei über Salzwiesen, der Geruch von Fischbrötchen am Hafen, oder Bienegesumm im Garten schon einmal Kopfkino-Bilder entstehen.

Bei der St Peter Mording-Reihe kommt es weniger auf einen dichten Plot oder einen kniffeligen Fall an, sondern auf die liebenswerten Charaktere und die heitere Gesamtnote. Dabei kommt auf jeden Fall Nordseestimmung auf.

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Veröffentlicht am 02.04.2022

Zerrissene Familien

TEAM HELSINKI
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Man muss schon ein bißchen dabei bleiben bei der Lektüre von "Team Helsinki" von A. M. Ollikainen, einem schreiben Ehepaar. Denn in dem finnischen Krimi um den Fund einer Leiche in einem Container wechseln ...

Man muss schon ein bißchen dabei bleiben bei der Lektüre von "Team Helsinki" von A. M. Ollikainen, einem schreiben Ehepaar. Denn in dem finnischen Krimi um den Fund einer Leiche in einem Container wechseln die Zeit- und Erzählperspektiven - dabei führen die Autoren ihre Leser durchaus auch auf manche falsche Fährte. In der Schlussphase des Buches gibt es dafür auch klärende Aha-Momente.

Zerrissene, disfunktionale Familien, in denen Geheimnisse ausgeschwiegen werden, Alkohol- und Drogenmissbrauch - es ist durchaus skandinavisch-düster in diesem Auftakt einer Reihe um die Kriminalbeamtin Paula, die gerne mal zu Alleingängen neigt und manche Schnellentscheidung später bedauert - was sie allerding auch menschlich macht.

In "Die Tote im Container" ermitteln Paula und ihre Kollegen im Umkreis einer Unternehmer- und Mäzenatenfamilie, nachdem in einem deren Firma gehörenden Container die Leiche einer toten Frau aus Namibia gefrunden wurde. Der Container, in den Wasser eingeleitet wurde, sollte Teil eines Kunstprojekts sein, das von der Familienstiftung finanziert wurde. Dass die Familie nicht nur über Jahre Ländereien in Namibia besass, sondern auch einen aus dem südafrikanischen Land stammenden Adoptivsohn hat, wirft Fragen nach Verbindungen zu der Toten auf.

Es dauert eine ziemliche Weile, bis die Spannung in Gang kommt und der eine oder andere private Nebenstrang, der vermutlich Grundlagen für künftige Bände legen soll, ist dabei nicht besonders hilfreich. Wenn sich am Ende der Plot erschließt, ist das allerdings durchaus spannend gelöst.Dabei werden gleich ein paar weitere Geheimnisse gelüftet, die die Autoren auch in Zukunft weiter beschäftigen dürften.

"Team Helsinki" hat mich vielleicht nicht vor Begeisterung vom Hocker gerissen (wobei die Messlatte nach meinen letzten Skandinavien-Krimis ausgesprochen hoch war), ist aber durchaus solide Krimikost.

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Veröffentlicht am 01.04.2022

Familiengeheimnisse und Kulturclash

Liebesheirat
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Yasmin und Joe haben einiges gemeinsam: Beide sind junge Ärzte kurz vor dem Ende ihrer Facharztausbildung, beide leben noch zu Hause - London ist schließlich teuer. Doch während Joes Mutter eine Angehörige ...

Yasmin und Joe haben einiges gemeinsam: Beide sind junge Ärzte kurz vor dem Ende ihrer Facharztausbildung, beide leben noch zu Hause - London ist schließlich teuer. Doch während Joes Mutter eine Angehörige der britischen Oberschicht ist, bestens vernetzt und feministische Autorin von Büchern, in denen auch schon mal entblößte Penisse zu sehen sind, sind Yasmins aus südasien stammende muslimische Eltern deutlich weniger freizügig. Insbesondere die stark religiöse Mutter ist eher prüde. Bei Küssen im TV wird der Kanal gewechselt. Während Yasmin und Joe den nächsten Schritt zu einem gemeinsamen Leben machen wollen, sollen sich die Yasmins Eltern und Joes Mutter erstmal kennenlernen - kann das gutegehen?

Doch das Familiendinner am Beginn von Monica Alis "Liebesheirat" ist nicht die letzte Herausforderung, nicht nur für die beiden Liebenden. In gewisser Weise ist die Begegnung allerdings ein Katalysator, der eine ungeahnte Kettenreaktion auslöst. Familiengeheimnisse auf beiden Seiten, unerwartete Freundschaften, der Umgang mit kulturellen Unterschieden, Traditionen und Bildern von Familie - Yasmin und Joe sind zu einem ganz neuen Blick auf die jeweils eigene Familie und auf ihre Zukunft als Paar gezwungen.

Daneben zeichnet "Liebesheirat" auch ein Porträt der modernen Migrationsgesellschaft mit ihren unterschiedlichen Facetten. Yasmin sieht sich vor allem als britisch an, ihre beste Freundin hingegen ist bei allen feministischen Einstellungen und einer Karriere als Anwältin für Arbeits und Einwanderungsrecht eine Verfechterin von modest fashion und halal dating. Yasmins jüngerer Bruder liebäugelt mit islamischer Identität und Aktivismus, ohne wirklich mit der Religion vertraut zu sein. Als seine englische Freundin von ihm schwanger wird, empört dies ausgerechnet Yasmins Vater, der eigentlich der "moderne" Elternteil ist und ebenfalls Arzt. Doch dass sein Sohn ein Mädchen aus einer Sozialwohnung geschwängert hat, löst hier wohl einen sozialen Snobismus aus.

Das ist aber nicht die einzige Krise, während sich Joes und Yasmins Mütter überraschend gut verstehen, gleichzeitig Familien und Paare auseinanderdriften und sich auch Joe und Yasmin Fragen über ihr Verhältnis zu Liebe, Sexualität und Partnerschaft stellen müssen. So manche Gewissheit, die zu Beginn des Buches ganz klar schien, wird im Verlauf der Erzählug ins Wanken geraten. Ali schaut genau hin, hinterfragt ihre Figuren, lässt sie gewissermaßen immer menschlicher wirken. Scheitern kann auch befreiend sein, das ist eine der Lehren dieses Gegenwartromans, der sowohl Liebes- als auch generationsübergreifende Familiengeschichte ist und mit scheinbar vertrauten Vorstellungen gründlich aufräumt. Dabei bleibt der Roman trotz schwieriger Themen unterhaltsam und heiter. Auch bei knapp 600 Seiten kommt nicht das Gefühl auf, hier sei die Handlung aufgeblasen worden. Klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 28.03.2022

Klischeebeladen

Die Küstenkommissarin – Tod in der Bucht (Frida Beck ermittelt 2)
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Ein toter Taucher in voller Montur, der ertrunken aufgefunden wird - wie konnte das passieren? Kommissarin Frida Beck stutzt, zumal ihr der Tote bekannt vorkommt. Er war erst am Vorabend in einen Streit ...

Ein toter Taucher in voller Montur, der ertrunken aufgefunden wird - wie konnte das passieren? Kommissarin Frida Beck stutzt, zumal ihr der Tote bekannt vorkommt. Er war erst am Vorabend in einen Streit verwickelt, in dem auch der neue Freund ihrer Schwester zumindest eine Rolle am Rand spielte. Mit "Tod in der Buch" hat Jonas Brandt einen neuen Band der Serie um die Küstenkimmissarin veröffentlicht.

Lag es daran, dass die Lektüre des ersten Bandes schon eine Weile zurückliegt oder daran, dass ich zuletzt eine Kriminalsatire gelesen habe - ich musste beim Lesen über weite Strecken überlegen: Ist das jetzt ernst gemeint oder absichtlich überdreht? Ist die vom Schicksal arg heimgesuchte Kommissarin, deren Mann und Sohn ermordet wurden und die nun von einer Boulevardjournalistin angegangen ist, die ein fleisch- oder vielmehr Druckerschwärzegewordenes Klischee ist. Der Autor hat anscheinend ein sehr merkwürdiges Bild von der Arbeit und Rolle von Medien in einem Land, in dem die Presse nicht gleichgeschaltet ist.

Illegale Tauchaktionen, Streit um die Restitution einer Werft und die Nazi-Vergangenheit einer Milliardärsfamilie - da kommen einige spannende Themen im Plot zusammen, zudem eine Intrige gegen die angeblich zu liberale Polizeidirektorin und Vorgesetzte der Küstenkommissarin.

Angesichts der realen Enthüllungen um rechte Netzwerke bei der Polizei wäre das durchaus aktualitätsbezogener Stoff, allein die Umsetzung konnte mich nicht überzeugen. Hier hat ein Autor seiner Phantasie freien Lauf gelassen, ohne einen Reality Check zu versuchen. Die Charaktere sind irgendwie hölzern, ohne Tiefe, überzogen dramatisiert und einfach nicht lebensnah,

Schade - ich mag Regional- und Küstenkrimis und war neugierig auf "Tod in der Bucht" Die Beschreibung klag viel versprechend. Aber leider konnte mich die Umsetzung nicht überzeugen. Hier wurden Klischees nicht lustvoll aufgetragen, wie in erwähnter Kriminalsatire, hier waren sie anscheinend ernst gemeint. Mein Lesegeschmack wurde hier leider nicht getroffen.

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