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Veröffentlicht am 02.11.2020

Auf der Spur der Mädchenfänger

Amissa. Die Verlorenen
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ls die 17-jährige Leila nach einem Streit mit ihrem Vater nicht nach Hause kommt, reagiert die Polizei gelassen auf die zunehmend panischen Eltern: Teenager und die Konflikte mit den Eltern könnten schon ...

ls die 17-jährige Leila nach einem Streit mit ihrem Vater nicht nach Hause kommt, reagiert die Polizei gelassen auf die zunehmend panischen Eltern: Teenager und die Konflikte mit den Eltern könnten schon mal eskalieren. Bestimmt sei Leila bei einer Freundin und werde bald wieder auftauchen. Zumal sich herausstellt, dass Leila unglücklich über den Umzug der Eltern von Frankfurt auf ein Provinzkaff ist. Sie wurde aus ihrem Freundeskreis gerissen, findet die neue Umgebung blöd und spießig. Die Polizei sieht keinen Vermisstenfall - bis ein junges Mädchen in der Nacht auf die Autobahn läuft und überfahren wird. Auf der nahen Raststätte wird Leilas Ausweis gefunden...

Die Privatdetektive Jan und Rica Kantzius werden Zeugen des tödlichen Unfalls. Jan hält die Hand des sterbenden Mädchens, dessen letzte Worte "Die Grube" sind. In ihrer Hand hat sie einen Zettel, der wie eine Bauskizze aussieht. Jan, ein Ex-Polizist und seine Frau, die als Studentin in die Hände von Menschenhändlern geriet und Zwangsprostituierte war, arbeiten für eine NGO, die Vermisstenfälle aufklärt. Das tote Mädchen weckt sowohl professionelle Neugier als auch Mitgefühl, Jan will den Eltern die letzten Worte ihrer Tochter mitteilen. Doch dann erwartet den Vater, der die Leiche identifizieren muss, die nächste Überraschung: Das tote Mädchen ist nicht Leila, auch wenn sie ihr vom Alter und Erscheinungstyp ähnelt.

Die beiden Privatdetektive beschließen, zur weiterhin verschwundenen Leila zu ermitteln - zum Missfallen des leitenden Ermittlers, der Jan von früher kennt. Der Fall wird immer merkwürdiger, denn auf der Raststätte wird in einem ausgebrannten Wohnwagen die Leiche eines erschossenen Mannes zu tun. Halter des Fahrzeugs, der vor Leilas Verschwinden im Ort gesehen wurde, ist ein Mann, dessen Schwester vor einiger Zeit spurlos verschwunden ist. Währenddessen chattet, in einer anderen Stadt, die 17-jährige Maja mit ihrem Online-Freund, dem einzigen, der sie zu verstehen scheint, seit ihre Mutter mit ihr in eine neue Stadt gezogen ist....

Zahlreiche Zeit- und Ortssprünge verdeutlichen, was der Leser schon längst ahnt: Die Umzüge und das Verschwinden der Mädchen hängen zusammen. Immer ist es ein bestimmter Typ, der verschwindet - hübsch, zierlich, langhaarig. Und auch, wenn Autor Frank Kodiak in "Amissa" explizit Gewalt schildert, wird der Missbrauch nur angedeutet - die Situation lässt ohnehin nur eine Schlussfolgerung zu.

Mit Rica und Jan hat Autor Kodiak ein Ermittlerduo geschaffen, bei dem vor allem Jan wie ein "hard boiled detective" alter Schule auftritt. Mit seinen alles andere als zimperlichen Methoden liefert er zwar Resultate, fragwürdig bleibt so ein Held für mich aber dennoch. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Rica wiederum ist studierte Informatikerin und talentierte Hackerin, stammt aus Haiti und zieht gerne mal die Rassismus-Karte, um sich gegen Leute durchzusetzen, die nicht gleich so spuren, wie sie will.

Da der Thriller Start einer dreiteiligen Serie sein soll, bleibt am Ende noch einiges offen, dazwischen liegt durchaus eine Menge Spannung, was das Schicksal der verschwundenen Mädchen angeht. Allerdings bleibt das Ermittlerduo angesichts so viel Superpower irgendwie unrealistisch. Die Selbstjustiz-Attitüden von Jan sind schon ziemlich dick aufgetragen, und wie es Rica schafft, trotz Zwischenetappe Zwangsprostitution ihr Informatikstudium abgeschlossen zu haben, ist ebenfalls unglaubwürdig, wenn man bedenkt, wie lange die Traumata bei Opfern von Menschenhandel in der Regel anhalten. Na ja, ist eben Fiktion und keine Wirklichkeit. Herausgekommen ist ein solider Thriller, dessen (bisheriges) Ende mich allerdings nicht überrascht hat.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Fiesheit führt zum Erfolg

Kill 'em all
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Wer sagt, dass das Gute am Ende immer sieht, hat die Rechnung ohne Steven Stelfox gemacht. Der ehemalige Musikproduzent mit dem Riesenego, gleichermaßen geld- und schwanzfixierter Chauvi der Extraklasse ...

Wer sagt, dass das Gute am Ende immer sieht, hat die Rechnung ohne Steven Stelfox gemacht. Der ehemalige Musikproduzent mit dem Riesenego, gleichermaßen geld- und schwanzfixierter Chauvi der Extraklasse war schon der Protagonist von John Nivens „Kill your friends“. Nun hat Niven seinen Bad Boy wieder ins Zentrum eines Romans mit bitterbösem Witz und einem sehr britischen Humor gestellt. In „Kill ´em all“ ist Stelfox älter und reicher, kokst und säuft nicht mehr und hat sich mit seinen 47 Jahren eigentlich bereits in den Ruhestand zurückgezogen und könnte sich eigentlich auf seinen Millionen ausruhen. Aber wann ist genug denn schon genügend?


Der Mann, der keine Freunde oder Beziehungen braucht und dessen politisches Idol Donald Trump ist, kehrt für eine heikle Mission zurück ins Musikgeschäft. Der befreundete Boss einer Plattenfirma – jedenfalls so weit Egomane Stelfox überhaupt in der Lage ist, so etwas wie freundschaftliche Gefühle zu entwickeln – hat ein Problem: Sein wichtigster Künstler, der Kaiser des Pop, hat bedauerlicherweise eine Schwäche für kleine Jungen. Bisher wurde höchstens in der Branche gemunkelt, jetzt aber wollen die Eltern eines der Jungen 50 Millionen Dollar sehen- oder sie gehen zur Polizei.

Stelfox wäre nicht Stelfox, wenn seine Lösung als Problemlöser nicht äußerst lukrativ wäre. Mit einer Doppelstrategie arbeitet er zudem an einem Plan B, um auf jeden Fall seine Schäfchen aufs trockene zu bringen. Die Erpresser – ein windiger Anwalt, ein mittelmäßiger Koksdealer und seine Ehefrau – müssen ruhiggestellt werden, der pädophile Sänger zwecks Schadensbregrenzung erst mal in der Versenkung verschwinden. Der posthume Erfolg von Rock ´n´Roll King Elvis bringt Stelfox auf eine Idee, die auch ihn bei Erfolg in ganz neue finanzielle Höhe heben könnte.

Doch der Sänger, der abgesehen von seinen bedauerlichen sexuellen Vorlieben ein ziemlich durchgeknallter Typ auf dem Reifeniveau eines Neunjährigen ist, erweist sich als noch unberechenbarer als gedacht. Und auch die anderen Player und Mitwisser lassen bei Stelfox die Erkenntnis reifen, dass eventuell drastische Schritte nötig sind, um es doch noch zum Milliardär zu schaffen.

Ein bitterböser Protagonist, mit einem ähnlich penetranten Ego ausgestattet wie sein großes Vorbild Trump, ist Stelfox ein Typ, den man zu hassen liebt. Nur die junge Texanerin Chrissy bringt so etwas wie seine weiche Seite hervor. Mit einem völligen Mangel an Moral, selbstbewusst zelebrierter Geldgier und absoluter Skrupellosigkeit lässt Niven seinen fiesen Macher zu neuer Hochform auflaufen. Ob Fake News, Brexit oder Musik-Business – diese bitterböse Satire lässt wenig Zeit zum Durchatmen bis zum explosiven Höhepunkt.

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Veröffentlicht am 25.10.2020

Scharf geht immer

Kochen wie in Thailand
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Eine Liebhaberin der südostasiatischen Küche, vor allem aus Thailand und Vietnam, bin ich schon seit dem ersten Backpacking-Trip in die Region, verbunden mit viel Schlemmerei in örtlichen Garküchen. Frische ...

Eine Liebhaberin der südostasiatischen Küche, vor allem aus Thailand und Vietnam, bin ich schon seit dem ersten Backpacking-Trip in die Region, verbunden mit viel Schlemmerei in örtlichen Garküchen. Frische Zutaten, scharfe und zitronige Geschmacksnoten, Koriander und Chilischoten - da ist der Genuss manchmal vielleicht schweißtreibend, aber eigentlich immer garantiert. Klar, dass mich da ein Titel wie "Kochen wie in Thailand" aus der G+U-Länderküchen-Reihe gleich interessiert.

Wie aus der Serie gewohnt, überzeugt auch diesmal wieder die Optik der vorgestellten Gerichte, ergänzt um Land- und Leute-Hinweise und Tipss für die "Must see"-Plätze in Thailand (na ja, wenn das erst mal wieder möglich ist). Autorin Meo Kross, die auch gelernte Ernährungsberaterin ist und seit mehr als 20 Jahren in Deutschland ist, weiß aus ihrer Erfahrung nicht nur, welches authentische Gericht an die Gegebenheiten in Deutschland womöglich wie abgewandelt werden kann, sondern auch, wann ein Warnhinweis zur Schärfe angebracht sein könnte.

Die etwa 70 Gerichte, die in dem Buch vorgestellt werden, sind aufgeteilt in die Kapitel Snacks und Salate, Suppen und Curries, Hauptspeisen sowie Süßes. Klar, dass da Rezepte für Currypasten nicht fehlen dürfen. Vielleicht wage ich ja doch noch mal den authentischen Anlauf, statt auf Vorproduziertes aus dem Asia-Laden zurück zu greifen, denn machbar klingen die Rezepte eigentlich schon. Unter den Rezepten sind Garküchen-Klassiker wie Som Tom, Frühlingsrollen und Satay. Richtig lecker und buchstäblich scharf klingt der Calamari-Salat auf thailändische Art. Mit Tintenfisch in Pfeffer-Knoblauch Sauce gibt es im Hauptspeisen-Kapitel ein passendes Follow-Up.

Klebreis und Co ist eigentlich nicht so mein Ding, und überhaupt sind mir viele Desserts aus der asiatischen oder auch aus der arabischen Küche deutlich zu süß - aber Obstsalat mit Mango-Kokos-Dressing klingt ausgesprochen lecker.

Die Arbeitsschritte sind gut erklärt, die Hintergrundinformationen zu Nährwert/Kalorien sind ein nettes Extra und auch die Zutaten sind nicht so extravagant, dass es fast unmöglich ist, die Rezepte nachzukochen. Schon beim Durchblättern wird der Apettit angeregt - und jetzt, in der kalten, dunklen Jahreszeit, ist es doch tröstlich, wenigstens ein bißchen exotische Fernwehstimmung auf den Tisch zaubern zu können.

Veröffentlicht am 25.10.2020

Berührender Abschied vom sterbenden Vater

Sterben im Sommer
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Persönlicher geht es wohl nicht: Mit "Sterben im Sommer" setzt sich Zsuzsa Bánk mit der unheilbaren Krebserkrankung ihres Vaters auseinander, mit seinem Tod, dem ersten Jahr ohne ihn. Es ist buchstäblich ...

Persönlicher geht es wohl nicht: Mit "Sterben im Sommer" setzt sich Zsuzsa Bánk mit der unheilbaren Krebserkrankung ihres Vaters auseinander, mit seinem Tod, dem ersten Jahr ohne ihn. Es ist buchstäblich Trauerarbeit, die sie als Ich-Erzählerin leistet. In der Hörbuchversion ist Lisa Wagner eine Idealbesetzung für die Umsetzung des Buches. Ihre ruhige, manchmal spröde Stimme lenkt nicht ab von den Worten, ist nicht betont gefühlig, sondern nimmt sich angenehm zurück und erlaubt die Konzentration auf die of poetische und reflektierende Sprache der Autorin. Immer wieder macht Bánk mit vielen Wiederholungen den Einsruck, als Ringe sie noch beim Schreiben um das exakt passende Wort, als wolle sie damit dem Leser (oder Hörer) eine ganz bestimmte Nuance näher bringen.

"Sterben im Sommer" startet mit einem letzten Familiensommer in der ungarischen Heimat der Eltern, die das Land nachdem niedergeschlagenen Aufstand 1956 verlassen haben. Noch einmal, ein letztes Mal, will der Vater im Balaton schwimmen, will im Obstgarten sitzen, will mit der Familie einen ungarischen Sommer an einem Ort voller Erinnerungen verbringen. Die Diagnose "unheilbar" ist da schon gestellt, alle wissen: Dies ist das letzte Mal.

Es kommt anders, noch während der Ferien verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Vaters, er muss ins Krankenhaus, mit Blick auf das ungarische Gesundheitssystem entscheidet sich die Familie für eine Klinik in Österreich. Der Urlaub wird zum Pendeln zwischen Balaton und Krankenhaus. Die Stoßgebete "Bitte noch nicht jetzt" kommen häufiger. Der letzte Sommer findet in Krankenzimmern, im Gespräch mit Ärzten statt, es ist der Anfang eines unausweichlichen Endes, bis zu dem gefürchteten Moment, in dem die Ärzte die Familie vor eine Entscheidung stellen: Es kann nichts mehr getan werden, - soll das Ende durch weitere Chemotherapie herausgezögert werden, oder soll der Vater in ein Hospiz kommen?

Der Tod ist allgegenwärtig in "Sterben im Sommer" - erst als gefürchteter Abschluss, dann als Realität. Bánk beschreibt die Momente, auf die Freunde und Angehörige selbst dann nicht vorbereitet sind, wenn sie wissen: Es gibt keine Hoffnung, alle Therapien und Behandlungen sind letztlich aussichtslos, sichern nur ein bißchen Extra-Zeit. Bánk schildert Verzweiflung und Frustration im Umgang mit Ärzten, für die das Sterben der Patienten so zur Alltagsroutine gehört, dass die Empathie auf der Strecke geblieben ist, die Hilflosigkeit angesichts der vielen Behördengänge und Entscheidungen, die nach dem Tod eines Angehörigen zu treffen sind, aber auch Solidarität und Zusammenhalt, den die Familie durch Nachbarn und Freunde erlebt.

"Sterben im Sommer" ist konsequent aus der Sicht der Erzählerin beschrieben, es geht um ihre Gefühle, ihren Weg, das Erlebte zu verarbeiten, um ihre Erinnerungen an den Vater. Die übrigen Angehörigen sind da eher Randfiguren. Das mag einige stören, ist aber letztlich schlüssig: Wie Tod und Trauer erlebt werden, ist schließlich eine ganz persönliche und individuelle Erfahrung. Die Phasen des Sterbens, zwischen Leugnung, Zorn bis hin zur Akzeptanz - sie scheinen auch für die Hinterbliebenen zu gelten.

So reflektiert die Sprache in "Sterben im Sommer" ist, so ungefiltert ist der Schmerz der Erzählerin zu spüren. Das tut weh, auch beim Lesen oder Zuhören, insbesondere dann, wenn eigene Erfahrungen und Erinnerungen an das Sterben und den Tod geliebter Menschen wieder aufgerissen werden wie eine mehr oder weniger vernarbte Wunde. "Sterben im Sommer" ist definitiv keine "nebenher"-Lektüre, man muss sich darauf einlassen auf diese so gar nicht leichte Lese-Kost. Ein eindringliches, einprägsames und nachdenklich machendes (Hör-)Buch.

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Veröffentlicht am 23.10.2020

Zwischen Gehorsam und Aufbegehren

Die Stille der Toten
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Vordergründig muss der Frankfurter Kriminalkommissar Preusser einen Mord aufklären: Ein Toter wurde mit einer Stichwunde aus dem Main gezogen. Es ist das Jahr 1967 und es gärt nicht nur an den Universitäten, ...

Vordergründig muss der Frankfurter Kriminalkommissar Preusser einen Mord aufklären: Ein Toter wurde mit einer Stichwunde aus dem Main gezogen. Es ist das Jahr 1967 und es gärt nicht nur an den Universitäten, der zweite Frankfurter Auschwitz-Prozesss, der gerade in Frankfurt verhandelt wird, bringt Fragen nach Schuld und Verantwortung in eine Gesellschaft, die am liebsten alles aus den Jahren 1933 bis 1945 vergessen würde. Dann stellt sich heraus: Das Mordopfer hat über den Prozess berichtet, war amerikanischer Jude, seinen Eltern ist gerade noch rechtzeitig die Flucht aus Deutschland gelungen. Hängt der Mord mit der Arbeit des Toten zusammen?

Preusser, der selbst ein unbewältigtes Kriegstrauma mit sich herumschleppt und nicht einmal mit seiner Frau über seine Erlebnisse in Russland sprechen kann und will, merkt schnell, dass seine Vorgesetzten am liebsten eine einfache Lösung wollen. Kann es nicht ein Raubmord gewesen sein? Immerhin wurden alle Habseligkeiten des Ermordeten aus dem Pensionszimmer gestohlen, in dem er gewohnt hatte. Es ist mehr als eine Bitte, es ist eine Anweisung, nicht weiter zu ermitteln - und Preusser ist ein Beamter, der noch auf Gehorsam, Disziplin und Pflichterfüllung geeicht wurde. Befehle von Vorgesetzten sind nicht in Frage zu stellen - auch jetzt, wo ihm sein Instinkt sagt, dass noch mehr hinter der Sache steckt? Nachdem er der verzweifelten und verbitterten Mutter des Toten versprochen hat, den Mörder ihres Sohnes zu finden, der ausgerechnet in Deutschland den Tod gefunden hat und wohl in den vergangenen Monaten versucht hatte, das Schicksal seiner in Auschwitz ermordeten Tante zu recherchieren?

Mit seinem Roman "Die Stille der Toten" legt Maximilian Rosar die Handlung in eine Zeit kurz vor der Zäsur 1968 - doch das Aufbegehren ist schon überall spürbar. Bei seinen Recherchen in Berlin gerät Preusser in eine der Demonstrationen gegen den Besuch des Schah, erlebt den Tod des Studenten Benno Ohnesorg. Das Aufbegehren erlebt er auch im privaten und beruflichen Umfeld: Seine Frau möchte den Führerschein machen, seine Tochter ist ein aufmüpfiger Teenager, sympatisiert mit den demonstrierenden Studenten und will wissen, was ihr Vater im Zweiten Weltkrieg eigentlich getan hat. Der junge Polizist Wiedemann trägt nicht nur lieber Jeans statt Anzug und schwärmt für Jimi Hendrix, er stellt auch blinden Gehorsam in Frage und kann nicht verstehen, dass Preusser nicht deutlich gegen Anweisungen protestiert, die er für falsch hält.

Auf der anderen Seite stehen Vorgesetzte in der Polizei und Justiz, Beamte aus dem Bundesinnenministerium, die die Raubmord-Theorie für die bequemste Lösung halten und in Diskussionen zeigen, wie viel vom Gedankengut der Vergangenheit noch fest in den Köpfen des Sicherheitsapparates verankert ist. In einem jungen Staatsanwalt, der zu den Juristen Fritz Bauers gehört, findet Preusser immerhin einen Verbündeten. Seine Suche nach dem Mörder ist auch ein Kampf gegen braune Seilschaften.

"Die Stille der Toten" ist offensichtlich sorgfältig recherchiert. Die Fragen, die sich Preusser stellen muss, haben weiterhin Bestand - auch wenn heute Methoden des Drucks subtiler geworden sein mögen. Beim Lesen ahnt man zwar relativ schnell, wo die Reise hingeht, aber das tut der Spannung keinen Abbruch. Die Protagonisten sind teilweise ein wenig klischeeförmig geraten, als sei mit pädagogischer Absicht geschrieben worden . Der Generationskonflikt und die ausstehende Vergangenheitsbewältigung, die Rolle der Frau, Kuppel-Paragraf und die Illegalität von Homosexualität - Rosars Roman porträtiert auch eine Zeit, die aus heutiger Sicht sehr weit von einer offenen Gesellschaft entfernt ist.

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