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Veröffentlicht am 11.05.2020

Aus der Welt der Schlapphüte - nicht nur Mata Hari und James Bond

Die Macht der Geheimdienste
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Wissen ist Macht, lautet bekanntlich ein Sprichwort. Wie geheim erworbenes Wissen Macht festigt, Einfluss verstärkt und womöglich sogar Kriege gewinnt, schildert das von Uwe Klußmann und Eva-Mariea Schnurr ...

Wissen ist Macht, lautet bekanntlich ein Sprichwort. Wie geheim erworbenes Wissen Macht festigt, Einfluss verstärkt und womöglich sogar Kriege gewinnt, schildert das von Uwe Klußmann und Eva-Mariea Schnurr herausgegebene Buch "Die Macht der Geheimdienste". Ein Buch, das auf knapp 240 Seiten einen Abriss der Geschichte der Spitzen, Agenten und Spione vom Mittelalter bis zum Cyberage gibt, kann nicht mehr als eine geraffte Darstellung sein - allerdings liegt in der Kürze der einzelnen Kapitel auch durchaus die erzählerische Würze. Geschrieben ist das Buch von Spiegel-Autoren, und auch Umfang und Tiefe der einzelnen Abschnitte entspricht in etwa einem längeren Magazinartikel. Wer es genauer wissen will, findet einen Literaturanhang, um vertiefter in die Lektüre einzusteigen.

Die Jahrhunderte lange Vorgeschichte von Spionagen und Geheimdiensten fällt eher knapp und überschaubar aus, dass es auch in der Antike durchaus geheim gesuchtes Wissen gab, wird gerade mal in ein paar Nebensätzen erwähnt - der Schwerpunkt liegt auf dem 20. Jahrhundert und der Gegenwart.

Wie ist sie also, die Welt der "Schlapphüte"? Dass der Glamour eines James Bond nicht so ganz dem wirklichen Agentenleben entsprechen kann, ist natürlich klar. John Le Carrés George Smiley, der oft genug mit den Fallstricken der Bürokratie und seinen Vorgesetzten hadert, wirkt da schon glaubwürdiger. Doch das die "Geheimen" tatsächlich Einblick in ihre Geheimnisse geben - das wäre, abgesehen von den Enthüllungen von Whistleblowern, eher Wunschdenken.

Bleibt also, sich auf das zu beschränken, was aus bereits zugänglichen Archiven, aus zeitgenössischen Memoiren und der Geschichtsschreibung bereits bekannt und offiziell ist (natürlich könnte man sich beim Thema Geheimdienste und Geheimdienstgeschichte immer auch die Frage stellen, wie viel von der offiziellen Wahrheit auch die ganze Wahrheit ist): Mata Hari, die berühmte, wenn auch glücklose Agentin aus dem Ersten Weltkrieg darf nicht fehlen - wobei noch viel spannender ihre Agentenführerin war, die als preußische Offizierstochter einen eigenen Kopf hatte und sehr selbstbewusst eigene Wege ging.

Oder natürlich das Kapitel Enigma, über das Katz- und Maus-Spiel britischer Entschlüsselungsexperten und deutscher Codierer im Zweiten Weltkrieg. Über die Dechiffriermaschine Engima und über die Arbeit in Bletchley Park gibt es mittlerweile mehrere Kinofilme, eine Fernsehserie und zahlreiche Bücher.

Ob die fast schon in Vergessenheit geratene Iran-Contra-Affäre, die im Rückblick kontraproduktive Finanzierung der Mudschahedin in Afghanistan durch die USA (einschließlich eines gewissen Osama bin Laden) oder den in einem PR-Desaster endenden Anschlag franzöischer Geheimdienstler auf das Greepeace-Schiff "Rainbow Warrior" - all das wird episodenhaft-überschaubar berichtet.

Schwerpunkt des Buches ist die internationale Auslandsspionage - wobei interssant gewesen wäre zu erfahren, wie etwa die diversen Geheim- und Sicherheitsdienste sowohl international und national etwa das Jahr 1989 mit seinen umwälzenden Entwicklungen oder etwa den Arabischen Frühling einschätzten. Gerade beim Kapitel über die Finanzierung der afghanischen Mudschahedin wäre es spannend gewesen, den jahrelang nicht ausreichend wahrgenommenen oder ernst genommenen Aufstieg islamistischer Terrororganisationen näher darzustellen - so wird eher angelegentlich auf die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Dar-es-Salaam von 1999 hingewiesen, die heute als die ersten Al Quaida-Anschläge gelten.

Der Lesbarkeit schadet das nichts. Und ein gutes Sachbuch ist ja durchaus auch ein Apettitanreger - mit dem Lesen wächst die Lust, mehr zu erfahren.

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Veröffentlicht am 09.05.2020

Am Scjhusspunkt der (Familien-)Geschichte

Alma
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"Dead as a dodo" heißt es in einer englischen Redewendung, und gemeint ist damit, dass etwas unwiderruflich dahin ist. Jeder Wiederbelebungsversuch zwecklos. Für alle, die sich in der Biologie nicht so ...

"Dead as a dodo" heißt es in einer englischen Redewendung, und gemeint ist damit, dass etwas unwiderruflich dahin ist. Jeder Wiederbelebungsversuch zwecklos. Für alle, die sich in der Biologie nicht so gut auskennen: Der Dodo war ein großer, flugunfähiger Vogel, verwandt mit den Tauben und heimisch auf Mauritius. Er gilt auch als das erste dokumentierte Beispiel für das vom Menschen verursachte Artensterben. Denn auf der menschenleeren Insel musste der Vogel mit den Stummelflügeln keine Jäger fürchten. Bis dann niederländische Seeleute auf der Insel landeten und erfreut über den so offensichtlich fleischreichen Vogel waren, der bei ihrem Anblick nicht etwa floh, sondern neugierig auf sie zuwatschelte. Der Rest ist gewissermaßen Geschichte. Innerhalb weniger Jahrzehnte gab es keinen Dodo mehr, nirgends. Dead as a Dodo eben.

In Jean-Marie Le Clézios Roman "Alma" kommt immer wieder die Sprache auf den Dodo. Der Nobelpreisträger mit Wurzeln auf Mauritius kehrt mit gleich zwei Erzählern auf die Insel zurück, von denen der eine nicht nur den Spitznamen Dodo hat, sie sind auch die letzten ihrer jeweiligen Familie. Wenn sie nicht mehr sind, sind auch die Felsens "dead as a dodo"...

Le Clézio hat ziemlich viel gepackt in seinen fast 360 Seiten umfassenden Roman - Zivilisationskritik, Rückblick auf Kolonialismus und Sklavenhandel, Umweltzerstörung und die Suche nach den eigenen Wurzeln. Mitunter wird all das ein wenig zusammenhanglos miteinander verwoben, bei manchen Figuren, die erst eingeführt werden, zwischendurch wieder auftauchen und dann plötzlich verschwunden sind, wird nicht immer klar, welche Rolle sie im Gesamtumfang der Erzählung eigentlich spielen sollen.

Der Franzose Jeremie, der nach dem Tod seines Vaters den Beschluss fast, die väterlichen Familienwurzeln zu suchen, kommt als ein Fremder nach Mauritius. Wie viele Touristen erkundet er die Insel, besonders fasziniert von der Geschichte des Dodo. Für Jeremie mag Mauritius eine unbekannte Größe sein, doch seine Vorfahren waren einst wohlhabende Plantagenbesitzer, eng verwoben mit der Besiedlung der Insel zur Kolonialisten. War es der Ekel über die mit der Sklaverei verwobene Geschichte der Familie, die Jeremies Vater dazu brachte, nie über seine Heimat zu reden?`

Dominique, genannt Dodo, teilt mit Jeremie den Nachnamen Felsen, doch das ist schon das Ende der Gemeinsamkeiten. Sein Vater und Großvater gehörten dem Zweig der Familie an, mit dem die anderen Felsens nichts zu tun haben wollten - dass dabei auch Rassismus eine Rolle spielte, wird lediglich angedeutet. Denn während die europäischstämmigen Kolonialfamilien untereinander heirateten oder ihre Ehepartner in der alten Heimat oder anderen Kolonie fanden, heiratete Dodos Großvater eine (einheimische) Frau aus Reunion, der Vater eine Kreolin.

Doch es ist nicht nur die Hautfarbe, Dodo in der Verwandtschaft isoliert - sein Gesicht ist von einer Krankheit zerfressen, das macht ihn zum Ausgestoßenen. Dodo ist ein Obdachloser, der auf dem Friedhof in der Nähe der Familiengräber schläft, der nicht bettelt, sondern zufrieden ist mit dem, was man ihm gibt und in den Tag hinein lebt, mit seinen Erinnerungen, etwa an die Erzählungen seiner Amme über die Geister der Vergangenheit, die Afrikaner, die als Sklaven auf die Inseln verschleppt wurden und von denen einige in den Dschungel flüchteten und zu den berüchtigten "Maroons" wurden.

Jeremie stößt bei seinen Familienforschungen immer wieder auf den Namen Dodos, doch die beiden treffen sich nie - es bleibt sogar offen, ob sie überhaupt in der gleichen Zeit leben. Denn Dodo wird im Rahmen einer Goodwill-Veranstaltung nach Frankreich geschickt, nach dem Motto: Alle Clochards werden Brüder.

Idylle und Grausamkeit liegen nahe beieinander in diesem Buch - im Naturparadies Mauritius stößt Jeremie auf minderjährige Prostituierte. Dodo wird von Jugendlichen brutal zusammengeschlagen. Die Planierung des alten Familienlandes für ein Einkaufszentrum ist da irgendwie eine Fortsetzung des Menschenhandels der Vergangenheit und der Auslöschung des Dodo. Und an den "fluchbeladenen Stränden", an denen einst die Sklaven an Land geschleppt wurden, entsteht eine exklusive Apartmentanlage.

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Veröffentlicht am 02.05.2020

Mord mit Spur in die Vergangenheit

Nordlicht - Die Spur des Mörders
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Ein alter Mann, brutal zu Tode getreten am Sockel des Idstedt-Denkmals, das deutsch-dänische Freundschaft beschwört, wird im zweiten Buch der "Nordlicht"-Reihe ein Fall für die Flensburger Kommissarin ...

Ein alter Mann, brutal zu Tode getreten am Sockel des Idstedt-Denkmals, das deutsch-dänische Freundschaft beschwört, wird im zweiten Buch der "Nordlicht"-Reihe ein Fall für die Flensburger Kommissarin Vibeke Boisen - und macht sehr schnell auch eine Wiederauflage des deutsch-dänischen Ermittlerteams nötig, das grenzüberschreitend gemeinsam Verbrechen aufklärt. Denn der Tote war Mitglied der dänischen Minderheit in Schleswig Holstein, ehemals Lehrer an einem dänischen Gymnasium. Gibt es einen politischen Hintergrund, etwa einen Anschlag auf die Minderheit? Oder gibt es einen Zusammenhang mit der harschen Kritik an der dänischen Flüchtlingspolitik, mit der der Tote auch bei seinen Landsleuten diesseits und jenseits der Grenze aneckte?

In "Die Spur des Mörders" verbindet Autorin Anette Hinrichs Erinnerungen und historische Lasten aus dem Zweiten Weltkrieg mit der Diskussion um Abschottung der Grenzen gegen Flüchtlinge. Die unterschiedliche Wahrnehmung der Vergangenheit wird dabei auch durchaus zur Belastungsprobe für das deutsch-dänische Ermittlungsteam, dass das Gemeinsame über das Trennende stellen muss.

Wohin Vibeke Boisen und ihr dänischer Kollege Rasmus Nyborg auch blicken, immer wieder führen Spuren zu einem Flüchtlingslager an der dänischen Küste, in dem Karl Bentien, der Tote, geboren wurde. Hier waren neben Kriegsgefangenen Soldaten ganz besonders häufig Frauen und Kinder, die in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs aus Pommern oder Ostpreußen über die Ostsee geflohen waren. Die Kindersterblichkeit in diesen Lagern war enorm, bei ihrer Suche stoßen die Ermittler auch auf die Gräber zweier Kleinkinder mit dem Namen Bentien. Der 1946 geborene Karl dagegen hatte als Kind in einem Heim und in Pflegefamilien gelebt, bis er mit zwölf Jahren von einer Familie aus der dänischen Minderheit adoptiert wurde.

Das Schicksal des Mannes berührt vor allem Vibeke, die als Kind in dem gleichen Kinderheim untergebracht war und sich mit dem Leid eines verlassenen Kindes gut identifizieren kann. Rasmus hingegen bahnt sich allmählich wieder einen Weg aus der schweren Lebenskrise nach dem Tod seines Sohnes. Daran ist eine junge deutsche Polizistin nicht ganz unschuldig - und seine Ex-Frau Camilla mit einer völlig überraschenden Nachricht.

Ein bißchen spielt Hinrichs mit nationalen Stereotypen bei ihrer deutsch-dänischen Ermittlergruppe - die Deutschen sind stets korrekt,diszipliniert und auf Ordnung bedacht, die Dänen spontan und locker. Der einzige im deutschen Team, der locker drauf ist, hat denn auch portugiesische Wurzeln. Und natürlich darf die dänische Passion für Zimtschnecken und anderes süßes Gebäck nicht fehlen. Andererseits wird die Polizeiarbeit durchaus realistisch geschildert, samt der damit verbundenen Bürokratie und Regelwerk, das die Ermittler auch mal nerven kann

Nebenhandlungen führen auf ein paar falsche Spuren, sind aber dennoch stimmig für die Handlung und erweisen sich als nötig für das Verständnis des Falls und die Frage, was Karl Bentien umtrieb. Ein spannender, eingängig geschriebener Krimi mit nachdenklichen Elementen.

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Veröffentlicht am 29.03.2020

Der YouTuber und die Killerin

Ostfriesenhölle
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ür den 14. Fall der ostfriesischen Kommissarin Ann Kathrin Klaasen, ihres Kollegen und Ehemanns Frank Weller und anderer aus den früheren Romanen bestens bekannten Polizisten zwischen Watt und Nordseeinseln ...

ür den 14. Fall der ostfriesischen Kommissarin Ann Kathrin Klaasen, ihres Kollegen und Ehemanns Frank Weller und anderer aus den früheren Romanen bestens bekannten Polizisten zwischen Watt und Nordseeinseln geht es diesmal um die Welt der Reichen und Berühmten. Gleich zu Beginn von "Ostfriesenhölle" stirbt ein jugendlicher YouTube-Star - und für seine Mutter steht gleich fest: Mörder kann nur dessen Freund und Band-Kumpel Marvin sein. Außer sich vor Wut und Verzweiflung versucht sie, den Jungen mit Gewalt zu einem Geständnis zu bringen. Die Lage eskaliert, es gibt eine weitere Leiche.

Das wäre ja schon mal an sich eine Ausgangslage mit spannenden Möglichkeiten, doch Autor Klaus-Peter-Wolf setzt noch was drauf: Marvin ist nämlich zufällig der Enkel des niedersächsischen Innenministers. Der früh verwaiste Junge hat mit seinen Großeltern Urlaub an der Nordsee gemacht, befindet sich nun aber im Mittelpunkt einer Intrige. Eine Unbekannte fordert vom Minister die Herausgabe von den Namen und Daten sämtlicher V-Leute und Informanten der Polizei. Andernfalls werde Marvin, der mittlerweile in ihrer Gewalt sei, sterben. Todessehnsucht hat auch eine junge Frau, als sie erfährt, dass ihr Vater sein Vermögen nicht einfach als Wirtschaftsanwalt gemacht hat, sondern ein Waffenhändler ist, der auch Drogengelder "wäscht" bei seinen Geschäften. Sie hat sich bereiterklärt, den eigenen Vater zu bespitzeln und ahnt nicht, dass sie nun in Lebensgefahr schwebt.

Politische Intrigen und finstere Business-Deals - ein wenig wirkt es so, als wollte Wolf auch einmal einen Kriminalroman in der Tradition mancher skandinavischer Autoren schreiben, die Spannung und Gesellschaftskritik verbinden. Bei der Umsetzung in "Ostfriesenhölle" hakt es dann aber doch an einigen Stellen. Zum einen dauert es ziemlich lange, bis die einzelnen Erzählstränge aufeinander zulaufen. Mit 500 Seiten ist das Buch denn auch ziemlich lang geraten, wobei einige Einzelepisoden um Nebenfiguren durchaus verzichtbar gewesen wären.

Zum anderen kann sich der Autor nicht so recht entscheiden, ob er nun mehr auf das eher düstere Thema Waffendeals, kriminelle Geschäftemacher und politischen Druck setzen soll, oder auf die eher unterhaltsame Tradition seiner bisherigen Romane mit den teils skurrilen ostfriesischen Ermittlern und ihren kleinen individuellen Macken. Da klafft dann innerhalb des Romans eine stilistische Schere, die das Lesevergnügen etwas trübt. Auch das Ende wirkt angesichts der mitunter etwas langatmigen Entwicklung der Geschichte ein wenig schnell gestrickt. Es bleibt die philosophische Einsicht: "Manchmal helfen ein Fischbrötchen und ein Blick aufs Meer."

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Veröffentlicht am 22.03.2020

Letzte Sause am Kilimanjaro

Das kann uns keiner nehmen
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Mit "Das kann uns keiner nehmen" hat Mattias Politycki eine Mischung aus Afrikaroman und Geschichte einer Männerfreundschaft angesichts von Krankheit und Tod geschrieben. Dabei sind offenbar zumindest ...

Mit "Das kann uns keiner nehmen" hat Mattias Politycki eine Mischung aus Afrikaroman und Geschichte einer Männerfreundschaft angesichts von Krankheit und Tod geschrieben. Dabei sind offenbar zumindest teilweise eigene Erfahrungen mit Reisen und Bergsteigen in Afrika eingeflossen. Herausgekommen ist eine Art "Knocking on Heaven´s Door" am Gipfel des Kilimanjaro. Wer Probleme mit bayrischem Dialekt hat, könnte hier ein getrübtes Lesevergnühen haben.

Hans will es noch einmal wissen, als er mit Anfang 60 den Kilimanjaro besteigt, den höchsten Berg Afrikas. Es ist nicht nur das Unternehmen eines Mannes, der sich mit der Bergbesteigung und einer Nacht im Krater des Vulkans dem Alter entgegenstemmen will. Es ist auch eine Konfrontation mit einer gescheiterten Liebe, einer ersten Reise nach Afrika, die nur schlechte Erinnerungen und diffuse Ängste hinterlassen hat.

Doch dann, als er der Höhenkrankheit getrotzt und den Gipfel bezwungen hat, muss er erkennen, dass es mit der einsamen Nacht da oben auf dem Dach Afrikas nichts wird: Im Krater hat bereits ein anderer Bergsteiger mit seinem Team Lager aufgeschlagen. Ausgerechnet ein derber, polternder Typ, den der zurückhaltende Hanseat Hans erst einmal ziemlich widerlich findet. Ein Macho mit grobem Humor, ohne jede politische Korrektheit, aber auch geradeheraus und herzlich.

Eine erschreckende Nacht in einem Schneesturm sorgt dennoch für eine erste Annäherung. Trotzdem überrascht es Hans, als er sich nach dem Abstieg nicht auf den Weg zur geplanten Serengeti-Safari macht, sondern zusammen mit Tscharli, der sich gerne selbst als "Big Simba" bezeichnet, an die tansanische Küste reist, nach Dar-es-Salaam und Sansibar. Denn Tscharli ist todkrank, und auf seiner letzten Reise will er es noch einmal krachen lassen - und das nicht allein.

Nur langsam kommt Hans zu einer Annäherung an den lauten Bajuwaren, der ihm so peinlich ist, dessen Auftreten er als undiskutabel beschreibt - und den er mittlerweile bestaunt, "als wäre er nicht mein Reisegefährte, sondern die schräge Hauptfigur eines ohnehin schrägen Stückes". Die Reise ist für ihn gleich doppelt eine Herausforderung - zum einen wegen des ungleichen Begleiters, zum anderen hat noch er noch eine Rechnung mit Afrika offen und will sie vor seinem Abflug begleichen.

Denn Hans hat eine tiefsitzende Angst vor dem Kontinent, vor Gewalt und Konflikten, eine Vergangenheit, die zunächst nur angedeutet ist. Er legt zwar Wert auf politisch korrekten Umgang mit den Afrikanern und hält den derben Tscharli für einen Rassisten - doch anders als Hans liebt dieser Afrika, hat in verschiedenen Ländern des Kontinents als Bauleiter gearbeitet und sah irgendwann keinen Grund mehr, nach Deutschland zurückzukehren.

Die entgegenkommenden jungen Frauen, etwa in seinem sich als Puff entpuppendem Lieblingshotel in Dar-Es-Salaam dürften daran nicht ganz unschuldig sein. Aber auch die Fahrer, der Tourguide, die Kellnerinnen, die Tscharlie unabhängig von dem erhofften Trinkgeld ins Herz geschlossen haben, sind Teil dieser Afrika-Liebe. Ja, er ist ein alter weißer Mann, der auf pidgin-Englisch radebrecht - aber irgendwie begegnet er trotz unkorrektem Vokabular den Afrikanern mit echter Wärme und mehr auf Augenhöhe als der politisch bewusste Hans, der sich stets kolonialer Vergangenheit und sonstiger Verfehlungen von Europäern in Afrika bewusst ist.

Ganz allmählich lernt Hans, Afrika durch Tscharlies Augen zu sehen, seine Farben und Gerüche, den Humor und die Herzlichkeit der Menschen, aber auch das sich Durchmauscheln, die große und kleine Korruption, die Straßenkriminalität, mit der man eben irgendwie leben muss.

"Die rote Erde, die Dornenbüsche, das karge Grasland, der Rauchfaden eines Feuers am Hang, ein kreisender Vogelschwarm am Himmel, ein Holzhüttendorf mit Mangobäumen an der Straße, von ferne Taubengurren, Hühnergackern, ein laut geführtes Gespräch, dessen Worte lediglich aus Vokalen bestanden, das offene Draufloslachen die große Verlorenheit danach. Ja, deshalb war ich gekommen, ich erinnerte mich. Und dazu der Geruch der roten Erde, des brennenden Holzes, irgendwelcher schwerer Blüten, vermischt mit den trockenen Anhauch der Savanne."

Bei Sätzen wie diesen beschreibt Politycki nicht das Safari-Afrika mit den "big five" und den exklusiven Lodges und Camps, die für viele Afrikatouristen Urlaubsträume verkörpern, sondern das Afrika, das jenseits der Nationalparks entlang der Straßen zu sehen ist, die kleinen Marktstädtchen, die Frauen mit Holzbündeln oder Wasserkanistern, die Hirten mit ihren Herden. Aber auch das Gassengewirr von Stone Town, das Vielvölkergemisch an der Küste des Indischen Ozeans lässt Politycki zwischen den Buchseiten aufleben, ganz jenseits der Kitschbilder von dramatischen Sonnenuntergängen über Dornakazien. Das Afrika dieses Buchs ist weniger spektakulär und entspricht mehr dem Alltag, Da kommt es dann auch schon mal zu Einschätzungen wie:
"Das ist Afrika - Alles voller Staub und immer eine Flasche Bier in Reichweite."

Reichlich Bier fließt jedenfalls auch zwischen den Buchseiten, wenn die beiden ungleichen Männer einander von der jeweiligen großen, unglücklichen Liebe ihres Lebens erzählen und sich irgendwann betrunken in den Armen liegen.

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