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Veröffentlicht am 05.07.2020

Wichtiges Thema, leider enttäuschendes Buch

Tödliche Hetze
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Ich gebe zu, die Lektüre von "Tödliche Hetze" von Matthias Gibert hat mich mit sehr, sehr gemischten Gefühlen zurückgelassen. Ich kannte den Autor bisher nicht, aber der Klappentext des Buches weckte ...

Ich gebe zu, die Lektüre von "Tödliche Hetze" von Matthias Gibert hat mich mit sehr, sehr gemischten Gefühlen zurückgelassen. Ich kannte den Autor bisher nicht, aber der Klappentext des Buches weckte sofort mein Interesse:

"In Kassel kommt es nach dem Tod von Walter Lübcke wiederholt zu rechtsradikal motivierten Angriffen auf Politiker und Journalisten. Es herrscht ein Klima der Gewalt. Im Hochsommer 2020 spitzt sich die Lage zu. Erst sterben zwei Menschen bei einem Brandanschlag auf eine linke Szenezeitung, dann gibt es mehrere brutale Anschläge auf Mitglieder der Neonaziszene. Die Kommissare Thilo Hain und Pia Ritter finden kaum Ermittlungsansätze. Die Menschen schweigen. Aus Angst?"

Nun finde ich es ja immer gut, wenn ein Krimi oder Thriller aktuelle gesellschaftliche Vorgänge behandelt. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist wichtig, und wenn über die Krimilektüre Menschen, die sich damit bisher nicht auseinandergesetzt haben, vielleicht doch für das Thema sensibilisiert werden - um so besser. Und derzeit läuft am Frankfurter OLG der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke. Nachdem das Thema rechte Verflechtungen in Nordhessen nach dem Mord wieder mehr Aufmerksamkeit bekam, war ich natürlich neugierig auf das Buch.

Beim Lesen herrschte dann allerdings arge Enttäuschung. Die handelnden Figuren waren allesamt holzschnittartig. Bei so tumben, leicht erkennbaren, vorhersehbaren Nazis haben die Ermittler eigentlich leichtes Spiel und irgendwie ist die Darstellung der Rechtsextremisten eine gewaltige Verharmlosung. Die kahlköpfigen, einschlägig tätowierten Typen sind zwar äußerst brutal, aber so dumm, dass man ihnen eigentlich sofort auf die Schliche kommt. Und der ganze Haufen versammelt sich gut sichtbar in einer Kasseler Kneipe namens "Vaterland", mit Stahlhelmen auf dem Tresen. Da hätte der Autor bei der Recherche eigentlich darauf stoßen können, dass sich die rechte Szene äußerlich seit den 80-er und 90-er Jahren in Auftreten und Aussehen durchaus verändert hat. Gerade weil der moderne Rechtsextremismus gefährlicher ist als die Skinheads und Schlägertrupps der früheren Generation, hätte dem Buch eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema gut getan. So wirkt es, als solle mit dem plakativen Schlagwort Lübcke Auflage gemacht werden.

Dann die Dialoge, so hölzern und lebensfern. Die Gespräche zwischen Hain und Ritter wirken gestanzt. Sicher, Polizisten haben manchmal eine arg mit Behördendeutsch und Formalien gespickte Redeweise, jedenfalls wenn sie in offizieller Mission daher kommen, eine Aussage vor Gericht machen usw. Im "wirklichen Leben" und als Privatmenschen ist das allerdings ganz anders und wenn ein befreundetes Kollegenpaar solche Dialoge führt wie in "Tödliche Hetze", verzweifelt der Leser angesichts dieses Umgangs mit Sprache. So hält Pia Ritter ihrem Kollegen vor: "Du bist im Grunde deines Wesens nun mal immer noch der kleine Junge, der zum alles ausblendenden, sämtliche Grenzen überschreitenden Jähzorn neigt." und Thilo Hain antwortet in ähnlichem Stil, der mehr an einen psychologisierenden Lebenshilfe-Ratgeber erinnert als an ein echtes Gespräch.

Schließlich wirkt auch noch der Plot ziemlich konstruiert, hinzu kommt, dass ein Opfer eines rechtsextremistischen Anschlags mal als Somalierin, mal als Senegalesin bezeichnet wird. Africa is not a country! möchte man da erinnern.

Ich habe einiges erwartet von "Tödliche Hetze", aber leider hat das Buch mich nicht überzeugen können

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Veröffentlicht am 03.07.2020

Gefährliche Geheimnisse

Boomerang
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John Dyer, die Hauptperson in Nicholas Shakespeare´s Thriller „Boomerang“ ist ein Antiheld – ein alleinerziehender Vater in der Universitätsstadt Oxford, ehemaliger Südamerika-Korrespondent, dessen Job ...

John Dyer, die Hauptperson in Nicholas Shakespeare´s Thriller „Boomerang“ ist ein Antiheld – ein alleinerziehender Vater in der Universitätsstadt Oxford, ehemaliger Südamerika-Korrespondent, dessen Job den Sparmaßnahmen der Medienbranche zum Opfer fiel. Mittlerweile forscht er an einem eher exotischen Thema der frühen brasilianischen Kolonialgeschichte – seine journalistischen Instinkte allerdings sind nach wie vor lebendig.

Allerdings ist es nicht die Neugier des alten Reporters, die Dyer mit dem iranischen Physiker Rustum Marvar zusammenbringt. Marvars Sohn spielt wie Dyers Sohn Leandro in der Fußballmannschaft der mittlerweile sehr exclusiven Privatschule Phoenix, die auch Dyer einst besuchte. Viel zu spät haben die beiden Männer erfahren, dass ihre Kinder von einem älteren Jungen gemobbt wurden – es ist diese Erfahrung, die sie zusammenbringt, ebenso wie die Tatsache, dass sie beide alleine mit ihren Söhnen sind.

Ein Abend, an dem Marvar Dyer sein Herz ausschüttet, ändert dann alles. Denn Marvar, der unauffällige, dickliche Wissenschaftler, hat eine Entdeckung gemacht, hinter der Geheimdienste, Regierungen und Finanzkreise gleichermaßen her sind: eine neue Methode der Kernfusion, so einfach, dass die Formel auf einem Pos-It-Zettel Platz hat. Doch Marvar steckt unter schwerstem Druck – den britischen Geheimdiensten ist er angesichts des iranischen Atomprogramms von Anfang an suspekt gewesen. Die iranischen Behörden hingegen können ihn jederzeit erpressen, da seine Frau und die neugeborene Tochter nicht ausreisen durften. Er befürchtet, seine Frau sei festgenommen, gefoltert und vergewaltigt worden. Er will weder ihr Leben riskieren, noch die Formel den Mullahs aushändigen.

Am Morgen danach sind Marvar und sein Sohn verschwunden – ob sie sich abgesetzt haben, ob sie entführt worden sind – nicht nur Dyer rätselt. Doch mit dem Verschwinden Marvars richtet sich die Aufmerksamkeit auf Dyer, den letzten, den Marvar aufgesucht hat. Die Jagd auf die Formel, von der wenige wissen und viele ahnen, könnte auch das Leben seines Sohnes in Gefahr bringen. Eine kryptische Nachricht Marvars bringt Dyer an den Post it-Zettel mit der Formel – und damit in eine moralisches Dilemma: Soll er die Formel zerstören, damit damit sie nicht in falsche Hände fällt und damit ungeahnte Konsequenzen für sein und Leandros Leben heraufbeschwören – oder soll er dem Druck nachgeben und die Formel herausrücken? Und wenn ja, wem soll er sie geben, wessen Rache könnte eine Entscheidung zur Folge haben?

Zugegeben, nach der Offenbarung Marvars hatte ich an einen Spionagethriller ein wenig im Stil eines John le Carré gedacht. Schließlich spielt die Handlung in der Universitätsstadt, an deren Colleges britische und rivalisierende Geheimdienste schon vor Jahrzehnten ihren Nachwuchs rekrutierten. Doch über einen großen Teil des Buches herrscht eine geradezu philosophische Nachdenklichkeit, das Zögern und Ringen Dyers um die richtige Entscheidung, um seine Verantwortung, aber auch um den Wunsch nach einem leichten Ausweg, der ihm und seinem Sohn ein normales Leben verspricht. Die Lösung seines Dilemmas, so viel sei verraten, ist überraschend und lange unerwartet, dann aber recht schlüssig.

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Veröffentlicht am 01.07.2020

Die Rache der Frauen

No Mercy. Rache ist weiblich
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Mit „Golden Cage“ hat die schwedische Thriller-Autorin Camilla Läckberg sich bereits ausführlich mit der Rache einer (Ehe-)Frau als Akt der Selbstbefreiung und Neuerfindung befasst. Mit „No Mercy. Rache ...

Mit „Golden Cage“ hat die schwedische Thriller-Autorin Camilla Läckberg sich bereits ausführlich mit der Rache einer (Ehe-)Frau als Akt der Selbstbefreiung und Neuerfindung befasst. Mit „No Mercy. Rache ist weiblich“ ist sie dem Thema treu geblieben. Doch auch wenn es diesmal gleich um drei Protagonistinnen geht – vom Umfang her ist dieses Buch mit gerade mal 160 Seiten sehr schmal ausgefallen, mehr Novella als Roman.
Dabei wäre doch eigentlich viel Erzählstoff vorhanden, von der ehemaligen Gangsterbraut Viktoria aus Jekaterinburg, die sich von der Heirat mit einem Schweden Sicherheit erhoffte, für ihren Proll-Ehemann aber nur eine Art lebende Sexpuppe darstellt. Grundschullehrerin Birgitta ist in einer lieblosen Ehe mit gewalttätigem Ehemann gefangen und traut sich nach ihrer Krebsdiagnose nicht einmal mit den verräterischen blauen Flecken zu der dringend notwendigen medizinischen Behandlung. Ingrid hat schweren Herzens ihre Karriere als Journalistin aufgegeben, um für ihre kleine Tochter da zu sein und ihrem Mann nach dessen Ernennung zum Chefredakteur den Rücken frei zu halten – als Dankeschön betrügt er sie mit einer Jüngeren. Bei einer Scheidung würde sie danke Ehevertrag keinen Cent sehen. Drei Frauen, die gute Gründe haben, ein Leben ohne ihren Ehemann als ein besseres anzusehen. Also: no mercy.
Der Plot der rächenden Ehefrauen zeichnet sich früh ab und ist ja schon nach dem Klappentext keine Überraschung mehr. Zu Logik und Logistik bleiben allerdings Fragen, die auf den Buchseiten nicht beantwortet werden: Wie haben die Frauen zueinander gefunden? Wie wurden die Absprachen getroffen? Auch bleiben die Rächerinnen merkwürdig konturenlos und schablonenhaft. In anderen Büchern hat die Autorin ja schon gezeigt, dass sie Charaktere durchaus vielschichtiger gestalten kann. So aber wirkt „No mercy“ leider mit heißer Nadel gestrickt, wie um einen noch fälligen Text rechtzeitig zum Abgabedatum fertig zu bekommen. Schade, denn ich hätte gerne mehr erfahren über die Frauen, die nicht länger brave Ehefrauen sein wollen.

Veröffentlicht am 01.07.2020

Süße Selbstverwirklichung als leichter Sommerroman

Kann Gelato Sünde sein?
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Das wöchentliche Tortentreff mit Freundinnen und Nachbarinnen ist schon seit einer ganzen Weile der einzige positive Fixpunkt im Leben der Schwäbin Emilia. Doch auch wenn Backen ihre Leidenschaft ist – ...

Das wöchentliche Tortentreff mit Freundinnen und Nachbarinnen ist schon seit einer ganzen Weile der einzige positive Fixpunkt im Leben der Schwäbin Emilia. Doch auch wenn Backen ihre Leidenschaft ist – sehr viel mehr tut sich nicht im Leben der verwitweten Frau. Zum 60. Geburtstag will sie daher ihre im süditalienischen Kalabrien studierende Tochter Julia mit einem Spontanbesuch überraschen.
Die Überraschung gelingt, und zwar wechselseitig: Denn Julia hat ihr Lehramtsstudium weitgehend geschmissen, um mit ihrem italienischen Freund Francesco ein „Agroturismo“aufzumachen. Dass aller Anfang schwer ist, gilt auch für die beiden Jungunternehmer. Vor allem, da Francesco jeder Anflug von Luxus in der Öko-Unterkunft zuwider ist. Emilia, als ehemalige Versicherungskauffrau doch sehr auf Sicherheit bedacht, muss da erst mal schwer schlucken. Dann allerdings erliegt sie dem Charme des kalabrischen Dorfes und beschließt, eine Konditorei zu eröffnen. Ein Gedanke, der wiederum Julia suspekt ist, denn das Mutter-Tochter-Verhältnis war in der Vergangenheit nicht immer spannungsfrei…
Eigentlich versteht es sich von selbst, dass Tessa Hennigs „Kann Gelato Sünde sein?“ letztlich nur auf ein unvermeidliches, generationsübergreifendes happy end zusteuern kann – mit viel Amore, ein bißchen Eifersucht, einigen Komplikationen und skurrilen Dorfbewohnern, die mitunter ein wenig klischeebeladen daher kommen. Mit Totengräber Arturo findet Emilia einen Menschen, der sie wieder mit dem Leben aussöhnt und die Erkenntnis bringt, dass es nie zu spät für einen neuen Anfang ist.
Die Handlung plätschert überschaubar-unterhaltsam dahin und dürfte auch bei hohen Temperaturen und Sonneneinstrahlung die Konzentration der Leser nicht überfordern. Die klassische Pool- und Urlaubslektüre eben, sahnig-süß wie Emilias Schwarzwälder Kirsch-Torten.

Veröffentlicht am 01.07.2020

Tödliche Loverboys

Ich bin dein Tod (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi 9)
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Im neunten Band um den Münchner Kommissar Tino Dühnfort geht es durch die bayrische Provinz. Denn nach der Rückkehr aus der Elternzeit arbeitet der Ermittler bei der „Operativen Fallanalyse“ und fremdelt ...

Im neunten Band um den Münchner Kommissar Tino Dühnfort geht es durch die bayrische Provinz. Denn nach der Rückkehr aus der Elternzeit arbeitet der Ermittler bei der „Operativen Fallanalyse“ und fremdelt noch mit der neuen Arbeitsstruktur als Profiler. War es ein Fehler, das aktive Ermitteln hinter sich zu lassen und nun zwar mit interesssanten Fällen, aber eben nur in beratender Funktion. Und das kann frustrierend sein, wenn Dühnforts Bauchgefühl bei einem angeblich eskalierten Einbruch mit zwei Toten sagt, dass hier mehr dahinter steckt.
Ein Lehrer und seine Frau wurden mit Schüssen aus einer Armbrust getötet – lautlos und präzise, die totale Abwesenheit von Spuren irritiert Dühnfort. Auch andere Tatorte ungeklärter Todesfälle sind auffallend sauber. Doch da zwischen den Opfern und des Todesarten kein Zusammenhang zu bestehen scheint, ist Dühnfort zunächst weitgehend alleine mit seiner Überzeugung, es handele sich hier um eine Serie. Hinzu kommen Spannungen im neuen Team – vor allem sein Kollege Manfred, der sich Hoffnungen macht, nach der Pensionierung des derzeitigen Chefs aufzurücken, reagiert misstrauisch auf den vermeintlichen Konkurrenten um den Chefsessel.
Anders als die Polizisten weiß der Leser von Anfang an, dass es sich in der Tat um eine Mordserie handelt, denn auf einer zweiten Erzählebene schildert Inge Löhnig das Geschehen aus der Perspektive des Täters, der seine nächsten Taten plant. Die düsteren Botschaften, die er vorher verschickt, überzeugen schließlich auch Dühnforts Kollegen, dass es einen Zusammenhang gibt.
Zufällig ist dabei keines der Opfer – die dritte Erzählperspektive ist die Geschichte einer jungen Frau, die als einsame und unglückliche 16-jährige von ihrem Freund erst als „Prinzessin“ behandelt und dann in die Prostitution gedrängt wurde. In der Kriminalistik ist dieses Vorgehen mittlerweile als die „Loverboy“-Masche bekannt. In einem Kreislauf von Drogen, Gewalt und Prostitution gefangen, sah sie irgendwann keinen Ausweg mehr. Nun ist ein tödlicher Rachefeldzug im Gang und der Täter fragt sich, ob seine Opfer oder die Polizei als erste erkennen, mit wem sie es zu tun haben.
Auch wenn der Leser durch diese Erzählweise näher dran ist an den Morden und den Motiven als Dühnfort und seine Kollegen, bleibt die Frage nach dem „Wer“ lange Zeit offen, denn Löhnig präsentiert in ihrem flüssig und eingängig geschriebenen Kriminalroman mehrere plausible Kandidaten. Ein wenig holprig ist dabei nur die Seitenepisode zu den Insiderinformationen des Täters. Nachvollziehbar auch das Konkurrenzgerangel innerhalb der Polizei mit Alphaspielchen und Eifersüchteleien, die den Ermittlungen letztlich im Weg stehen. Stoff und Personal für den nächsten Band ist da schon einmal angedeutet.

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