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Veröffentlicht am 09.06.2020

Von Mördern, Logik und Mathematik

Die Oxford-Morde
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Um Leichen, Rätsel und Mathematik geht es in Guillermo Martinez´Kriminalroman "Die Oxford-Morde", der in der Welt der englischen Universitätsstadt spielt. Der Erzähler, wie der Autor aus Argentinien stammend, ...

Um Leichen, Rätsel und Mathematik geht es in Guillermo Martinez´Kriminalroman "Die Oxford-Morde", der in der Welt der englischen Universitätsstadt spielt. Der Erzähler, wie der Autor aus Argentinien stammend, ist als Mathematik-Doktorand nach Oxford gekommen. Eigentlich will er sich ganz den mathematischen Rätseln verschreiben, doch dann findet er eines Abends die Leiche seiner Vermieterin, gemeinsam mit einem berühmten Professor für Logik. Der hatte eine geheimnisvolle Nachricht erhalten. Will ein Serienmörder den Professor mit einem Rätsel nach Art der Pythagoras-Anhänger herausfordern?

"Die Oxford-Morde" sind vor allem für Freunde klassischer Whodunits und der Klassiker britischer Kriminalliteratur zu empfehlen. Ein wenig scheint das Buch auch von seiner Erzählweise aus der Zeit gefallen und könnte ebenso gut in den 30-er Jahren angesiedelt sein zwischen Teestunden und Tennis-Matchs der akademischen Gesellschaft. Nur der Hinweis auf Handy, Kreditkarten oder Internetrecherche lässt dann merken, dass die Handlung in der Gegenwart spielt. Zudem gehörte die Vermieterin des Erzählers während des Krieges zu den jungen Frauen, die in Bletchley den legendären Codebrechern zuarbeiteten - und mittlerweile ist sie eine alte Dame.

Die England-Klischees jedenfalls werden mit den Augen eines Südamerikaners gründlich ausgeleuchtet - wohltemperiertes Miteinander, Gespräche, die niemandem wehtun sollen, Themen wie das Wetter. Und zwischendurch eben Mathematik und Rätsel. So mancher Charakter mit eigenen Motiven und Beweggründen wird ins Spiel gebracht, etwa der russische Gastwissenschaftler, der noch eine Rechnung mit ein paar gefeierten Oxford-Mathematikern offen hat und mit seinem stechenden Blick gleich als potenzieller Verdächtiger präsentabel ist. Oder ist es überhaupt ein Zufall, dass der Logik Professor - so sagt er es immerhin - Nachrichten des Mörders erhält.

Die Dissertation des Argentiniern muss jedenfalls vorübergehend warten, die Konzentration des jungen Wissenschaftlers ist auf Symbole, Reihen und die Frage nach dem nächsten Mord gerichtet. Schade nur, dass die handelnden Personen alle ein bißchen holzschnittartig sind. Vielleicht liegt es ja an der Universitätsatmosphäre, aber stellenweise ist es schon altmodisch-angestaubt. Was für Fans von Agatha Cristie und den Klassikern eben der liebenswert-exzentrischen Hobbydetektive ja nicht die schlechteste Empfehlung ist. Für Rätselfreunde und Codeknacker ist dies auf jeden Fall das richtige Buch.

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Veröffentlicht am 08.06.2020

Rechtsmediziner als Detektiv

Dunkles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 6)
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Bei aller Schönheit des südfranzösischen Sommers – von dem er an seinem Arbeitsplatz in den gekühlten Kellerräumen der Rechtsmedizin ohnehin nicht viel mitbekommt – scheint Leon Ritter erstaunlich häufig ...

Bei aller Schönheit des südfranzösischen Sommers – von dem er an seinem Arbeitsplatz in den gekühlten Kellerräumen der Rechtsmedizin ohnehin nicht viel mitbekommt – scheint Leon Ritter erstaunlich häufig mit serienmordenden Psychopathen zu tun zu haben. So auch in „Dunkles Lavandou“, dem 9. Band von Remy Eyssen über den deutschen Arzt, der nach dem Tod seiner Frau nicht nur ein neues Leben in Frankreich gefunden hat, sondern mit der Polizeikapitänin Isabelle auch eine neue Liebe. Der Beruf der Lebensgefährtin bringt es mit sich, dass Leon auch diesmal deutlich näher dran ist an den Ermittlungen, als nur mit der Obduktion der Leichen auf seinem Tisch genaue Angaben zur Todesursache machen zu können.

So auch nach einem Unfall, der – so wirkt es auf den ersten Blick – durch eine Selbstmörderin ausgelöst wurde. Doch der Arzt wird skeptisch: Die Frau war bereits vor ihrem angeblich tödlichen Sturz tot. Und sie muss vor ihrem Tod schrecklich misshandelt worden sein, wie auch eine weitere Frau, die ausgerechnet während der Schiffsprozession des Schutzheiligen von Lanvadou aus dem Hafenbecken gezogen wird. Dann verschwinden gleich zwei junge Frauen spurlos, eine von ihnen ausgerechnet die Tochter des Kulturministers. Ein deswegen aus Paris in den Süden geschickter Sonderermittler ist allerdings nur wenig hilfreich, wie Isabelle und ihre Kollegen feststellen müssen.

Als sei sie nicht schon mit den Ermittlungen reichlich beschäftigt, muss sich Isabelle mit gesundheitlichen Sorgen und ihrer zunehmend flügge werdenden pubertierenden Tochter beschäftigten. Leon wiederum hofft nicht nur, bei seinen „Patienten“, sondern auch bei einem Kirchenhistoriker Informationen zu finden, die zur Lösung des Falles beitragen. Denn manches an den Verletzungen der Frauen erinnert an die längst vergangenen Hexenprozesse der Inquisition – ist hier ein religiöser Fanatiker zu Gange? Und haben, wie die alte Veronique versichert, die Sterne etwas mit dem Fall zutun?

Eyssen legt in „Dunkles Lavandou“ dem Leser einige Spuren und Hinweise zurecht, die so früh kommen, dass sie eigentlich nur falsch sein können. Das Offensichtliche trifft denn auch nicht ein, doch bis die Welt in der Provence wieder halbwegs in Ordnung sein kann, sorgt der Autor für viel Action, manchen ermittlerischen Alleingang von Leon und Isabelle und einen dramatischen Showdown. Routiniert, aber spannend und Sehnsucht nach der Sonne und den Düften Südfrankreichs weckend.

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Veröffentlicht am 29.05.2020

Mami in der (Ehe-)Krise

Mami kann auch anders (Die Mami-Reihe 3)
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Auch Vorstadtmamis werden älter und müssen neuen Herausforderungen ihrer Mittelstandsexistenz begegnen. Ellen, die Autorin Gill Simms vor ein paar Jahren als trinkfreudige Mutter zweier noch kleiner Kinder ...

Auch Vorstadtmamis werden älter und müssen neuen Herausforderungen ihrer Mittelstandsexistenz begegnen. Ellen, die Autorin Gill Simms vor ein paar Jahren als trinkfreudige Mutter zweier noch kleiner Kinder ("Mami braucht nen Drink") eingeführt hat, fühlt sich auch mit Mitte 40 noch flippig und jung - jedenfalls, so lange sie nicht das entsetzte "Mutter!!!"ihrer pubertierenden Tochter hört. Tja, 15-jährige finden ihre Mutter nun mal peinlich, das Problem kennen Ellens Freundinnen ebenso. Es könnte schlimmer sein: Ellens beste Freundin ist schwanger. Noch einmal Morgenübelkeit, schlaflose Nächte und die Fürsorge für ein Baby, während die Teenager-Kinder peinlichst berührt sind angesichts dieses offenkundigen Beweises dafür, dass ihre Eltern noch Sex haben.

So richtig prickelnd ist Ellens private Situation aber auch nicht: Ehemann Simon, der doch mal die Liebe ihres Lebens war, ist fremdgegangen. Ein paar Matratzenübungen während einer Dienstreise, die ihm wenig bedeuteten - doch Ellen tobt. So viel Weißwein gibt es gar nicht, um ihre Mordgelüste zu betäuben. Zur Mörderin wird sie als beherrschte Mittelstandsbritin denn auch nicht, aber die vin Simon angestrebte vorübergehende Trennung ist für Ellen der Anlass, einen Schlussstrich zu setzen.

Also alles wieder auf Position Eins, mit Tindern für Menschen mitlleren Alters, Speed Dates, den Turbulenzen des Alltags mit zwei Pubertierenden, die mal furchtbar anstrengend und dann auch so lieb und schon so reif sein können, mit Verlusten und der Erkenntnis, dass die eigenen Eltern nicht unsterblich sind. Auch wenn Ellen wie schon in den früheren Büchern ein wenig überdreht ist - hier wird sie angesichts diverser Krisen ein ganzes Stück erwachsener.

Gill Simms schildert die Abenteuer der nun aufs Land ziehenden Ellen humorvoll und spart nicht mit Herausforderungen durch kotzende Hunde, gehässige Hühner und Festival-Glimmer. Bei allen Übertreibungen - viele Situationen dürften Leserinnen im gleichen Alter bekannt vorkommen. "Mami kann auch anders" will keine tiefschürfende Literatur sein, sondern einfach Unterhaltung in einem Alltag, mit dem auch Vorstadtmami Ellen nur zu gut vertraut ist.

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Veröffentlicht am 25.05.2020

Ein Buch wie ein Nollywood-Film von Tarrantino

Meine Schwester, die Serienmörderin
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Oops, she did it again! Kann Krankenschwester Korede nach dem Anruf ihrer kleinen Schwester Ayoola nur denken. Sie hat es schon wieder getan. Denn während manche die Modedesignerin aufgrund ihres Äußeren ...

Oops, she did it again! Kann Krankenschwester Korede nach dem Anruf ihrer kleinen Schwester Ayoola nur denken. Sie hat es schon wieder getan. Denn während manche die Modedesignerin aufgrund ihres Äußeren als männermordendes Traumgeschöpf bezeichnen können, rammt Ayoola Männern in der Tat gerne mal eine 20 Zentimeter lange Klinge zwischen die Rippen. Nun auch ihrem gegenwärtigen beziehungsweise ehemaligen Freund.

Das ist nun bereits der dritte – und damit erfüllt Ayoola ganz offiziell die FBI-Standards für Serienmörder. Doch auch wenn die Schwester eine Serienmörderin ist – Blut ist nun einmal dicker als Wasser. Und so macht sich Korede mit Bleiche und anderem Material als Reinmachen, um Tatspuren zu beseitigen und die Leiche zu entsorgen. Ayoola mag schnell mit der Klinge sein, mit dem gründlichen Aufräumen nach der Tat hat sie es nicht so, da verlässt sie sich lieber auf die große Schwester.

Es ist schon eine ganz besondere Schwesternbeziehung und Familiengeschichte, die die nigerianische Autorin Oyinkan Braithwaite in ihrem Debütroman „Meine Schwester, die Serienmörderin“ beschreibt. Ältere Geschwister kennen das seit ihrer Kindheit: Wenn die Kleinen Mist bauen, bekommen die Älteren Vorwürfe: Warum hast du nicht besser aufgepasst? Wobei die Konsequenzen bei Mord und Beihilfe ein bißchen ernster sind. Schon aus Eigeninteresse muss Korede also aufpassen, dass Ayoola nicht auffliegt. Dabei ist die Familiendynamik schon ohne Serienmorde nicht ohne Probleme.

Denn Korede mag die Ältere sein, diejenige, die nach einem neuen Mord nicht den Kopf verliert und als Oberschwester im Krankenhaus auch beruflich respektabel dasteht. Doch im Leben und in der Liebe wird alles überschattet durch Ayoola, die durch ihre Schönheit allen Männern den Kopf verdreht und dank ihres Äußeren auch sonst im Leben offene Türen findet. Selbst die eigene Mutter zieht die schöne jüngere Tochter eindeutig der unauffälligen Korede vor. Als dann auch noch der Klinikarzt, in den Korede heimlich verliebt ist, sich in Ayoola verliebt, reagiert sie nicht nur eifersüchtig, sondern auch besorgt. Schließlich haben die Männer in Ayoolas Leben eine kurze Verweildauer.

Der einzige Mensch, dem sich Korede in ihren Nöten anvertraut, ist ein Komapatient. Der wacht dann entgegen aller Prognosen nicht nur auf, er kann sich auch an die Monologe der Krankenschwester erinnern. Ein vergleichbare kleines Problem angesichts der sprunghaften Ayoola, die die Aufmerksamkeit der Polizei und der Angehörigen ihrer Opfer auf sich zu ziehen droht. Da ist es fast schon wieder von Vorteil, dass in der Mega-Metropole Lagos Korruption zum Alltag gehört.

Erst nach und nach wird in diesem mit hohem Erzähltempo und bissigem Humor geschriebenen Roman klar, dass Gewalt in der Familie Wurzeln hat: Das Messer, mit dem Ayoola ihre Männer umbringt, gehörte einst dem Vater, einem brutalen und gewalttätigen Patriarchen. Gerade Ayoola musste unter seinen Launen leiden – und wurde als die Schönheit der Familie zugleich Geschäftspartnern regelrecht „angeboten“. Welche Rolle die Schwestern beim Unfalltod des Vaters spielen, bleibt offen – doch ich könnte mir gut vorstellen, dass es sich buchstäblich um einen Befreiungsschlag gehandelt haben könnte.

In manchen Szenen ist „Meine Schwester die Serienmörderin“ so grell und dramatisch wie ein Nollywood-Film, in anderen zeigt dieses Buch das widersprüchliche und doch unzerreißbare Band, das so vielleicht nur zwischen Schwestern besteht – komme, was wolle. Und so manche aberwitzige Situation strapaziert die Lachmuskeln. Dieser Debütroman macht neugierig auf mehr von Oyinkan Braithwaite.

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Veröffentlicht am 23.05.2020

Gegen Schweigen und Gleichgültigkeit

Deutschland schafft mich
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Man könnte Michel Abdollahi direkt als Vorzeige-Migranten bezeichnen - wenn er nicht schon längst Deutscher wäre. Wenn auch nicht von Geburt an, da war er Iraner, kam als fünfjähriger mit der Oma nach ...

Man könnte Michel Abdollahi direkt als Vorzeige-Migranten bezeichnen - wenn er nicht schon längst Deutscher wäre. Wenn auch nicht von Geburt an, da war er Iraner, kam als fünfjähriger mit der Oma nach Deutschland. Seine Eltern waren angesichts des Iran-Irak-Krieges in Sorge, dass bei einem männlichen Kind und damit einem künftigen möglichen Soldaten zu einem späteren Zeitpunkt keine Ausreiseerlaubnis möglich gewesen wäre. Inzwischen ist der studierte Jurist Abdollahi preisgekrönter Journalist, deutscher Staatsbürger und mittlerweile sehr besorgt. Denn egal wie erfolgreich, wie heimisch - für die Menschen der neuen Rechten, für diejenigen, die in Flüchtlingen eine Bedrohung sehen und in Muslimen Terroristen sieht einer wie Abdollahi nicht deutsch genug aus, um dazu zu gehören.

Mit seinem Buch "Deutschland schafft mich" hat der Journalist nun eine sehr persönliche Abrechnung mit gesellschaftlichen Entwicklungen unter dem Eindruck eines Abdriftens nach Rechts geschrieben. Ein Rechtsruck, der nicht nur an extremen Rändern stattfindet, sondern längst in den bürgerlichen Parteien angekommen ist - zum Beispiel mit dem Seehofer-Wort über den Islam als "Mutter aller Probleme".

Dass er nicht übersensibel alles persönlich nimmt und auch keine Berührungsängste beim Dialog mit Menschen hat, die völlig anders ticken, hat Abdollahi mit seiner Reportage über das Leben in einem Nazi-Dorf gemacht. Vier Wochen lang lebte er dafür in einem jener Orte, die von den Rechtsextremen als "national befreite Zonen" bezeichnet werden. Doch nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle war das wachsende Unbehagen über die Verhältnisse in Deutschland zu einem Grad der Alarmiertheit , der ein Ventil brauchte. Dabei waren zu diesem Zeitpunkt der Anschlag von Hanau und die Wahl eine Ministerpräsidenten mit und vor allem dank der Stimmen der AfD noch Zukunft. Mit diesen Ereignissen ist dann eingetreten, was Abdollahi in seinem Text nur befürchtete.

Abdollahis Buch ist auch eine Schilderung von Lebenserfahrungen in Deutschland - von den 90-er Jahren und dem rechten Mob in Hoyerswerda und Rostock, den Toten von Mölln und Solingen: Der Hass, den wir heute sehen, hat eine Vorgeschichte. Ausführlich geht Abdollahi auf die Entwicklung seit 2015 ein, auf Pegida und "besorgte Bürger", aber auch auf das Schweigen der Mehrheit, von der er viel früher einen Aufschrei, ein klares Wort erhofft hätte. Er will aufrütteln, aber auch Reaktionen einfordern, wenn er oder andere Menschen, die durch ihr Äußeres als "Anders" erkennbar sind, Hass und Anfeindungen ausgesetzt sind - ob im Internet oder auf der Straße. Denn eines sollte doch schon lange bekannt sein: Wer schweigt, wird mit schuldig.

Kritisch geht Abdollahi nicht nur mit der Politik um, sondern auch mit den Medien, mit den Talkshows, die Extremen und Extremisten immer wieder eine Plattform bieten, sich dabei nur allzu leicht zum Werkzeug für diejenigen machen, die ihre Parolen in die Öffentlichkeit tragen, die viel zu oft nur über Migranten oder Muslime sprechen, aber viel zu selten mit ihnen. "Deutschland schafft mich" ist engagiert und eindringlich - und leider nur zu aktuell.

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