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Veröffentlicht am 18.10.2023

Trauerbewältigung

How to Make Friends with the Dark
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𝕙𝕠𝕨 𝕥𝕠 𝕞𝕒𝕜𝕖 𝕗𝕣𝕚𝕖𝕟𝕕𝕤 𝕨𝕚𝕥𝕙 𝕥𝕙𝕖 𝕕𝕒𝕣𝕜

𝑫𝒖 𝒎𝒖𝒔𝒔𝒕 𝒘𝒆𝒊𝒕𝒆𝒓𝒎𝒂𝒄𝒉𝒆𝒏.
𝑰𝒄𝒉 𝒌𝒂𝒏𝒏 𝒏𝒊𝒄𝒉𝒕 𝒘𝒆𝒊𝒕𝒆𝒓𝒎𝒂𝒄𝒉𝒆𝒏.
𝑫𝒖 𝒎𝒖𝒔𝒔𝒕 𝒘𝒆𝒊𝒕𝒆𝒓𝒎𝒂𝒄𝒉𝒆𝒏.
𝑫𝒆𝒏𝒏 𝒘𝒂𝒔 𝒃𝒍𝒆𝒊𝒃𝒕 𝒆𝒊𝒏𝒆𝒎 𝒂𝒏𝒅𝒆𝒓𝒆𝒔 𝒖𝒆𝒃𝒓𝒊𝒈?

Für Tiger gab es immer nur sie und ihre Mom - sie ...

𝕙𝕠𝕨 𝕥𝕠 𝕞𝕒𝕜𝕖 𝕗𝕣𝕚𝕖𝕟𝕕𝕤 𝕨𝕚𝕥𝕙 𝕥𝕙𝕖 𝕕𝕒𝕣𝕜

𝑫𝒖 𝒎𝒖𝒔𝒔𝒕 𝒘𝒆𝒊𝒕𝒆𝒓𝒎𝒂𝒄𝒉𝒆𝒏.
𝑰𝒄𝒉 𝒌𝒂𝒏𝒏 𝒏𝒊𝒄𝒉𝒕 𝒘𝒆𝒊𝒕𝒆𝒓𝒎𝒂𝒄𝒉𝒆𝒏.
𝑫𝒖 𝒎𝒖𝒔𝒔𝒕 𝒘𝒆𝒊𝒕𝒆𝒓𝒎𝒂𝒄𝒉𝒆𝒏.
𝑫𝒆𝒏𝒏 𝒘𝒂𝒔 𝒃𝒍𝒆𝒊𝒃𝒕 𝒆𝒊𝒏𝒆𝒎 𝒂𝒏𝒅𝒆𝒓𝒆𝒔 𝒖𝒆𝒃𝒓𝒊𝒈?

Für Tiger gab es immer nur sie und ihre Mom - sie beide gegen den Rest der Welt. Doch plötzlich stirbt ihre Mutter an einem Aneurysma und Tiger bleibt buchstäblich mutterseelenallein zurück. Wie gelingt es ihr, zurück ins Leben zu finden? Wie kann sie gegen die Dunkelheit und Leere bestehen?

Wir begleiten Tiger auf dem Weg ihrer Trauerbewältigung, sehen dabei zu, wie sie in ein bodenloses Loch stürzt, ihre tote Mutter identifizieren muss, plötzlich eine Beerdigung zu organisieren hat, Rechnung zu zahlen. Sie ist ganz allein auf der Welt, die Eltern ihrer besten Freundin stehen zu ihr, doch sehen sie sie gleichzeitig als emotionale Belastung für ihre eigene Tochter an. Während Sozialarbeiter nach unbekannter Verwandtschaft suchen, wird Tiger von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht. Dort geht es teilweise ziemlich heftig und menschenverachtend zu, zudem wechseln die Pflegenden die Kinder wie Unterwäsche. Keiner von ihnen hat ein festes Zuhause und auch, wenn man sich wie durch ein Wunder bei herzensguten Menschen findet, weiß man nie, wann man wieder von dort weggerissen wird. Die Geschichten dieser Kinder und Jugendliche sind nicht ohne, es sind verstörte, meist tief traumatisierte Kinder. Genau wie Tiger, die wochenlang das Abschlussballkleid trägt, das ihre Mutter vor ihrem Tod für sie ausgesucht hat und das sie so sehr hasste. Die tagelang schläft, nicht mehr isst, wie ein Geist von A nach B wandert, auf der Suche nach Sicherheit und Heimat. Diese findet sie kurzzeitig in jenen, die dasselbe Schicksal teilen wie sie. Dabei lernt sie, dass Fassaden oft trügen, als sie Menschen, von denen sie es niemals erwartet hat, in Trauergruppen trifft. Dann stößt sie auf Teile ihrer Vergangenheit, die sie bis dato nicht kannte und wird mit Familienmitgliedern konfrontiert, die sie nicht so recht einzuschätzen weiß. Gleichzeitig lernt sie, dass Familie nicht immer mit Blutsverwandtschaft zu assoziieren ist und man Geborgenheit und Zuspruch an Orten finden kann, mit denen man zuletzt gerechnet hat.

Tigers Geschichte hat es wirklich in sich, ich empfehle stark, die Triggerwarnung zu lesen, vor allem im Hinblick auf Tod, Verlust etc. Wie schon bei "Girl in Pieces" geht die Autorin einem auch mit diesem Roman im Mental Health Bereich mehr als unter die Haut. Der Schreibstil ist wie immer grandios, aber eben auch hochemotional, bildgewaltig, auf den Punkt treffend. Ihr gelingt es voll und ganz, die Geschichten ihrer ProtagonistInnen authentisch, einfühlsam, aber auch schonungslos ehrlich wiederzugeben.
Dabei steht der Trauerprozess Tigers im absoluten Vordergrund, Emotion steht vor actionreicher Handlung etc., aber darum geht es auch gar nicht. Trotzdem bleibt der Roman von der ersten bis zur letzten Seite fesselnd, man legt es nur aus der Hand, um einen weiteren Schwung Plot/Seiten wirken zu lassen und zu verarbeiten. Denn das Buch wirkt noch lange nach, so viel kann ich versprechen. Er ist kraftvoll, herzzerreißendend, schonungslos ehrlich, deep, erschütternd, tragisch. Tiger erlebt für mehrere Wochen ihr ganz eigenes Ende der Welt und dass sich das Loch in ihrer Brust je wieder füllt, bleibt zu hoffen.
Kathleen Glasgow zählt für mich zu den stärksten, aber auch heftigsten AutorInnen im Mental Health Bereich. Ich würde auch in Zukunft weiterhin ihre Werke lesen, wenngleich sie nie leicht zu verdauen sind, deshalb literarisch aber umso stärker.
4.5 ⭐



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Veröffentlicht am 11.10.2023

Feminismus über die Jahrhunderte hinweg

Die Unbändigen
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ALTHA 1619
"Wir haben uns nie als Hexen betrachtet, meine Mutter und ich. Denn dieses Wort hatten Männer erfunden. Ein Wort, das denen, die es aussprechen, Macht gibt, nicht denen, die es beschreibt. Ein ...

ALTHA 1619
"Wir haben uns nie als Hexen betrachtet, meine Mutter und ich. Denn dieses Wort hatten Männer erfunden. Ein Wort, das denen, die es aussprechen, Macht gibt, nicht denen, die es beschreibt. Ein Wort, das Galgen baut und Scheiterhaufen, das lebendige Frauen in Leichen verwandelt."

Altha und ihre Mutter gelten aufgrund ihrer Kräuterkentnisse und der Tatsache, dass sie ohne Mann leben, als Hexen. Nach dem Tod der Mutter wird die junge Altha als Mörderin angeklagt. Sie wird mehrere Tage in eine dunkle Zelle gesperrt, öffentlich gedemütigt, im Gerichtssaal entkleidet und vorgeführt, da ihre Naturverbundenheit als Gefahr für die "natürliche", eigentlich aber künstliche patriachale Ordnung gilt. Altha ist eine wahnsinnig starke junge Frau, die viel Leid ertragen muss, jedoch stets zu sich und ihrer Entscheidung steht, allein in einem abseits gelegenen Cottage zu leben und ihrer Berufung nachzugehen. Es wurde sehr deutlich, wie schwer es Frauen zur damaligen Zeit hatten, auch am Beispiel ihrer Freundin Grace, die von ihrem Mann stark misshandelt wurde und viel mehr als objektivierte Gebährmaschine denn als eigenständige Person betrachtet wird. Ich hatte großen Respekt vor den Frauen in diesen Kapiteln.

VIOLET 1942
"Es war schwer zu sagen, ob Vater sie liebte. Oft hatte es den Eindruck, dass ihn nur interessierte, ob er sie in etwas Hübsches, Braves verwandeln konnte oder nicht. In ein Geschenk, das er irgendeinem anderen Mann überreichen würde."


Violet wächst in einem goldenen Käfig, einem abseits gelegenen Herrenhaus, ohne soziale Kontakte auf. Offiziell als untypisch für eine "Dame" liebt die Teenagerin die Natur, erforscht Insekten und klettert auf Bäume. Sie war Jungfrau, als ihr Cousin sie vergewaltigte mit dem Zusatz "Ich gehe davon aus, es hat dir Spaß gemacht?", wodurch sie ein schwerwiegendes Trauma erlitt. Natürlich glaubte ihr niemand, sodass sie auf Althas Cottage geschickt wird, mutterseelenallein und mit einem Kind im Bauch, das abzutreiben einer "Sünde" gleichkommt. Violet denkt jedoch gar nicht daran, ihren verhassten Cousin zu heiraten und dessen Grausamkeit länger im Bauch zu tragen, weshalb sie sich Althas Kräuterbücher zunutze macht und das Kind verliert. Unterstützt wird sie von ihrem Bruder, dem einzigen Mann in ihrem Leben, der sie als Mensch wahrnimmt. Auch erfährt sie, dass ihre Mutter demselben Arzt zum Opfer fiel, der sie ungefragt auf ihre "Intaktheit" untersuchte und der Mutter die Gebärmutter entfernte, um diese von ihrer "Hysterie" zu befreien. Hysterie = Frau = Gebärmutter...logisch - nicht. Violet wird jedenfalls enterbt, weil sie nicht spult, dem Cousin fällt alles zu. Violet aber lebt ein erfülltes Leben als Insektenforscherin und bereist zahlreiche Länder, alles Dinge, die ihr durch die Heirat verwehrt geblieben wären. Violet ist ein paar Jahre jünger als Altha, hat aber zumindest ab und zu Unterstützung durch ihren Bruder. Sie ist eine wahnsinnig starke Protagonistin, ich habe mit ihr gelitten, gehofft, gebangt. Wahnsinn, dass diese routinemäßige Misshandlung der Frau vor gerade einmal 80 Jahren spielt.

KATE 2019
Kate ist mit 29 die älteste der drei Frauen. Nach 6 Jahren Misshandlung und Isolation durch ihren stark gewalttätigen Freund Simon, wird sie schwanger und verlässt London fluchtartig. Sie findet Zuflucht in Althas und Violets Cottage, das Letztere ihr vermacht hat, im Norden Englands. Dort findet sie endlich zu sich selbst und beschließt, das Kind zu bekommen und dies mit aller ihr zur Verfügung stehenden Macht zu verteidigen. Zuspruch findet sie in den Aufzeichnungen ihrer Ahninnen und Nachfahrinnen deren Freundinnen. Dieser Teil hatte etwas Thrillerhaftes an sich, weil er in der Gegenwart spielt und man stets Angst hatte, Simon würde Kate finden - was letztlich auch der Fall war. Es war schön zu sehen, wie sie sich von ihm befreit  - von der Kleidung, die er für sie ausgesucht hat, von der Haarfarbe, die er ihr aufdrückte bis über die Angst und dadurch von seiner Macht über ihn.
Besonders im Kontext der Gegenwart sollte man sich hier nochmal die Zahlen häuslicher Gewalt zum Opfer gefallener Frauen vor Augen halten, in DE trifft das nämlich auf jede 3. (!) Frau zu! Da viele Frauen aus Scham oder Angst schweigen, werden solche Fälle oft gar nicht angezeigt oder als Affekttat (bei Mord) aus "Liebe" angegeben, obgleich es oftmals jahrelange Misshandlung mit sich führte und viel mehr als Frauenhass bezeichnet werden muss- denn, mal ehrlich, Liebe ist etwas anderes... Deshalb finde ich es ungemein wichtig, offen über solche Themen zu sprechen und das Gefühl von Gemeinschaft, Verständnis und Solidarität zu vermitteln.

Für mich zählt der Roman zu meinen Jahreshighlights. Die Verknüpfung der Schicksale der Frauen, wie sie sich über Jahre, teils Jahrhunderte hinweg helfend zur Seite standen, wie sie den Forderungen der Gesellschaft trotzten und sich für ein Leben in Selbstachtung und Selbstbestimmung entschieden, war einfach unglaublich stark. Aus den Opfern werden Überlebende, aus den Überlebende unabhängige, starke junge Frauen.
Zudem war das Buch wahnsinnig fesselnd geschrieben, ich konnte die Verbindung der Frauen zur Natur, ihrer Ursprünglichkeit, richtig fühlen, wie auch ihren Leidensweg, ihre Hoffnungen, Ängste und Sehnsüchte. Es war richtig inspirierend, muss man sagen. Auch der Blick auf die Natur wird sich für einige Leser und Leserinnen durch die Lektüre mit Sicherheit ändern.
Die drei Perspektiven wechselten sich ab, die Kapitel hatten eine angenehme Länge. Anfangs hätte mir es geholfen, wäre bei jedem Kapitel nochmal die Jahreszahl dabei gestanden, aber die fand man ohnehin nochmal hinten auf dem Buchumschlag.
Die Schicksale der Frauen wurden nach und nach miteinander verwoben, sodass es bis zur letzten Seite spannend war, als dann alle Fäden zusammenliefen.
Das Cover und die Insektenzeichnungen bei den Kapitelanfängen haben mir richtig gut gefallen, das Cover finde ich sogar schöner als bei den Auslandsausgaben, weil es einfach so frisch und passend aussieht, gleichzeitig nostalgisch wie modern, ein bisschen wie Scrapbooking. Es lässt den Leser oder die Leserin ebenso in die Magie der Natur versinken wie die außergewöhnliche, wundervolle Geschichte selbst.
Die Gewalt gegen Frauen sollte man vor dem Kauf als Triggerwarnung natürlich berücksichtigen, doch geht es um weitaus mehr als das, nämlich, sich von dieser patriachalen Unterdrückung zu befreien und nicht nur der Welt, sondern vor allem sich selbst zu beweisen, dass man keinen Mann braucht, um ein erfülltes Leben zu führen.
Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung mit 5+⭐

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Veröffentlicht am 11.10.2023

Schaurige Winternächte

Schaurige Nächte
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Enthält Spoiler

EINE STUDIE IN SCHWARZWEIß klingt dem Titel nach nach Sherlock Holmes, hat inhaltlich aber etwas von E.E.Poe. Wir haben ein verlassenes Herrenhaus mit historisch-authentischem Setting, ...

Enthält Spoiler

EINE STUDIE IN SCHWARZWEIß klingt dem Titel nach nach Sherlock Holmes, hat inhaltlich aber etwas von E.E.Poe. Wir haben ein verlassenes Herrenhaus mit historisch-authentischem Setting, in dem es nicht mit rechten Dingen zu gut, ein Ende, dass man wie bei Poe nicht 100% einordnen kann und einen Protagonisten zwischen Wahnsinn und der tatsächlichen Existenz von Geistern. Die Geschichte ist unheimlich gut geschrieben und weil ich ein kleiner Angsthase bin, habe ich bereits bei der Hälfte beschlossen, den restlichen Text doch lieber bei Tageslicht zu lesen 😂

Bei THAIWETES MIETER spukt es ebenso in einem alten britischen Herrenhaus. Hier waren die Figuren für mich greifbarer, der Hintergrund eher traurig. Man konnte sehr mit der jungen Frau mitfühlen, die mit ihrem kleinen Sohn auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Mann war - dass der eigene Vater sie mit dem Argument zurückbringen will, sie sei der Besitz ihres Mannes und er könne mit ihr umgehen, wie es ihm beliebt, ist grausam und zu dieser Zeit leider sehr üblich. Die junge Frau selbst entwickelte sich von einer anfänglich eher nervigen, überheblichen, arroganten und verwöhnten Opferrolle zu einem Subjekt, das sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Dazu trugen die Geister des Anwesens bei. Die Unterstützung durch die weiblichen Ahnenlinie hat mir hier besonders gut gefallen. Der Text war ebenso wie der erste atmosphärisch-gut geschrieben und las sich flüssig.

DIE AAL-SÄNGER
Der Brite Thaniel, die achtjährige Waise/Adoptivtochter Six und der Japaner Mori verbringen Weihnachten in den Marschlands. Das ist der einzige Ort, an dem Mori Ruhe von seinen Zukunftsvisionen hat. Doch bald stellt sich heraus, dass die Fischerleute nicht menschlicher Natur sind, sodass die drei gerade noch so mit dem Leben davonkommen. Die Mischung aus japanischer und britischer Kultur hat mir richtig gut gefallen, jeder der 3 Figuren war ganz besonders, vor allem Six habe ich ins Herz geschlossen mit ihrer verdrehten andersdenkenden Art. Die Geschehnisse in den Fens waren wirklich unheimlich, jedoch diesmal auf psychologischer Ebene. Das Wasser und die Aal-Fischer haben mich an diese japanische Legende erinnert, in der die Menschen sich in Aale verwandeln, stattdessen ging es um den Wert von Erinnerungen, Zusammenhalt und Freundschaft. Die Geschichte war richtig gut geschrieben, sodass ich auch gern einen ganzen Roman der Autorin lesen würde. Ich glaube allerdings, ein worst case scenario am Ende ohne Happy End für alle 3 hätte den Spannungsbogen nochmal eine Stufe höher gesetzt, wobei man ihnen die Sicherheit Londons mehr als gönnt und wünscht!

LILY WILT
Das ist eine der Geschichten, auf die ich mich am meisten gefreut habe, weil JESS KIDD zu meinen absoluten Lieblingsautorinnen zählt 🧡
Die Faszination um die unübertreffliche Perfektion der schönen Toten wird von Autorinnen wie Elisabeth Bronfen mit der Bezeichnung der schönen Leiche messerscharf durchleuchtet und kritisiert. Und auch hier wird die aufgrund ihrer Schönheit als Heilige bezeichnete femme fragile Lily zu einer geisterhaften femme fatale, die einen Fotografen in ihren Bann zieht, der wiederum quasi schockverliebt einen Weg zu finden versucht, sie zurück ins Leben zu bringen. Dies gelingt ihm auf eine makabre "Friedhof der Kuscheltiere"-Weise in einer widernatürlichen Stufe zwischen Leben und Tod. Irgendwie konnte es nicht anders enden als es hier geschah, das "grausame, überirdische Verführerin stürzt Mann erst in den Wahnsinn und anschließend in den Tod"-Konzept Bronfens schlug zu. Hier habe ich auch wieder einen gewissen Poe-Touch wahrgenommen wie bei LIGEIA oder MORELLA. Ich finde, einer Geisterbraut zählt neben dem Spukhaus der ersten Geschichte schon fast zu einem Muss eines Geistergeschichten-Buchs, sodass sie hier wirklich gut passt.

CHILLINGHAMS ROLLSTUHL
Ich glaube, über diese Geschichte hätte man einen ganzen Goth-Roman schreiben können in Richtung "Der mexikanische Fluch". Es geht in gewisser Weise um die Überführung eines Mörders und die familiären Verstrickungen der Protagonistin. Gegen Ende hat man den Täter zwar erahnt, doch durch das offene Ende ist unsicher, ob er überführt wird. Ich verstehe, weshalb die Autorin hier gestoppt hat, doch wäre eine Auflösung hier schon ganz gut gewesen 🤔 Insgesamt fand ich die Geschichte wirklich spannend, den Spuk greifbar und atmosphärisch. Hier möchte der Geist keine Vergeltung, sondern seinen eigenen Mord aufklären. Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen! Ich fand es auch nicht vorhersehbar, da ich die Person überhaupt nicht verdächtigt hatte. Auch der Schreibstil hat mir sehr gefallen und die Figuren hatten Substanz und Charakter. Ich hätte gern weiter gelesen :)

DAS HÄNGEN DES GRÜNS
In dieser Geistergeschichte geht es um die Aufklärung eines Mordes, von dem der Protagonist gar nicht weiß, dass er es mit den Geister Verstorbener zu tun hat. Sie hat einen gewissen sektenhaften, satanistischen Touch, ist spannend und interessant zu lesen und mit völlig unerwartetem Ende. Auch diese Geschichte (mit Moral-Faktor) hat mir wieder sehr gut gefallen.

GEFANGEN
England, 1898.
Diese Geschichte hat mich tatsächlich am meisten gefesselt, was ich mir, als ich den Autorennamen Kiran Millwood Hargrave las, bereits dachte. Nicht nur ist sie wahnsinnig gut und spannend geschrieben, sondern hinterließ auch den größten Gänsehautfaktor. Das liegt einerseits an der Tatsache, dass es auf einem wahren Fall beruht, das Unheimliche also plötzlich seeeehr real wird. Zum anderen liegt es an der Ohnmacht der Mutter nach der Geburt, die für 9 Tage in ein völlig abgedunkeltes, rot gestrichenes Zimmer mit vernagelten Fenstern gesperrt wird, geschwächt von Geburt und massenhaft Laudanum und einer Horrorstory um ihre Nachbarn, eine gehängte Kindsmörderin, was nach und nach zu schrecklichen Psychosen führte. Ich glaube ehrlich gesagt kaum, dass ich an ihrer Stelle besser reagiert hätte, und finde die damalige Praxis dieses lokalen Wegesperrens, dass sie ihren Mann nicht sehen durfte, dem Arzt und seinen Drogen ausgeliefert war, mehr als übel. Eine Geburt würde die mentale Verfassung der Frau irreparabel schädigen, sagt Letzterer. Letztlich wurde sie als psychisch unzurechnungsfähig weggesperrt. Hätte man während und nach der Geburt auf ihre Bedürfnisse gehört anstatt sie von vorne bis hinten zu bevormunden, wäre dies sicher nicht passiert.
Ihren Ehemann fand ich super, er hat sich immer wieder über den Arzt hinweggesetzt und sich für sie eingesetzt, letztlich aber doch auf ihn gehört, weil er auf die weitreichende Erfahrung des Arztes hoffte. Auch in dieser Geschichte erlebt man wieder, wie übel es Frauen zu dieser Zeit erging...
Der Schreibstil war unglaublich gut, hier konnte ich das Buch kein einziges Mal weglegen. Hargrave beeindruckt mich wirklich immer wieder! Die Geschichte wäre mir an einem dunklen Winterabend allein vor dem Kamin zu gruselig haha, weshalb ich sie bei Tageslicht gelesen habe 😂

UNGEHEUER
Lyme Regis, 1838. In der letzten Geschichte geht es um das Fieber-Delirium eines Archäologen, der mit seinem Fund Weltruhm zu erlangen hofft. Dass dieser den Tod eines kleinen Jungen zur Folge hatte, treibt ihn unbewusst in den Wahnsinn, sodass er Fund und Kind immer wieder verwechselt, bis die angehende Psychose ihn schließlich in den Tod treibt. Es ist sehr gut und spannend geschrieben und eine ganz andere Form von Spuk. Mitgefühl hatte ich mit dem jungen Mann allerdings nicht, weil ihm der Tod des Jungen absolut gleichgültig war, er nur an seinen eigenen Ruhm dachte und seine Frau regelmäßig vergewaltigte mit der Begründung, sie müsse Respekt vor ihm lernen. Letzteres hat für mich wieder einmal den größten Gruselfaktor und ehrlich gesagt verstehe ich nicht so ganz, weshalb eine Frau solche Szenen schreibt 🙈 Inhaltlich hat sich die Geschichte von den anderen abgehoben, indem Delir, Archäologie, Wahnsinn und Legenden miteinander verwoben wurden. Fesselnd!

Alle Autoren und Autorinnen des Buches sind preisgekrönt und/oder schrieben Bestseller. Die Auswahl ist also ziemlich beeindruckend, am Ende wurde zu jeder Person eine Kurzvita angefügt.
Insgesamt hat mir der Band wirklich gut gefallen. Die Spukgeschichten waren sehr unterschiedlich von Geistererscheinung und Spukhäusern über Psychosen zu zum Leben erwachten Legenden, also wirklich gut durchmischt und von allem etwas dabei. Allesamt spielten in England des 19. Jahrhunderts, meist eher abgelegen. Die Kulisse und die Zeit boten großen Spielraum, zumal die Menschen damals viel viel abergläubischet oder anfälliger für Spukgeschichten waren als wir heute.
Ich fand es gut, dass es sich nicht um richtig brutal-gruslige Horrorstories handelte, sondern es wirklich um den Titel "Schaurige Nächte" ging und daher für eine größere Bandbreite an Lesern und Leserinnen geeignet ist - auch für Angsthasen wie mich 🤭
Am besten gefallen haben mir GEFANGEN von Kiran Hargrave, LILY WILT von Jess Kidd und CHILLINGHAMS ROLLSTUHL von Laura Purcell.
Sehr sehr erschreckend fand ich wieder einmal die Behandlung von Frauen zur damaligen Zeit als passive, untergeordnete Püppchen, mit denen nach Lust und Laune umgesprungen wurde, was ja leider in einigen Teilen der Welt nach wie vor der Fall ist und mich einfach nur unglücklich macht 😔🙁 Deshalb finde ich es ungemein wichtig, Texte dieser Art kritisch zu lesen und sich die Message stets bewusst vor Augen zu halten und eben auch, was wir heute tagtäglich gegen die Benachteiligung der Frau bewirken können und sollten, unter anderem für einen selbst, allein schon, indem wir nicht darüber schweigen und Ungerechtigkeiten ansprechen.
Ich werde das Buch im Spätherbst und Winter sicher noch das eine oder andere Mal in einem Sessel vor dem Kamin hervorholen und durch die Schauergeschichten blättern, es hat einfach genau die richtige Portion Grusel sowie eine angenehme Länge der einzelnen Texte von etwa 30 Seiten.
Ich hatte schon lange keine solche Sammlung in Richtung E.E Poe mehr, sie hat mir wirklich sehr sehr gut gefallen, vor allem eben auch mit dem englischen Hintergrund jener Zeit.
Von mir gibt es eine Leseempfehlung 🤗

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Veröffentlicht am 11.10.2023

Achterbahnbahrt der Gefühle

Was, wenn wir genug sind?
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𝕎𝕒𝕤 𝕨𝕖𝕟𝕟 𝕨𝕚𝕣 𝕘𝕖𝕟𝕦𝕘 𝕤𝕚𝕟𝕕

Was für eine Achterbahnbahrt der Emotionen 🙈 Ich empfehle bei diesem Roman UNBEDINGT die Triggerwarnung zu lesen, weil es sehr sehr authentisch und echt geschrieben ist, aufwühlend, ...

𝕎𝕒𝕤 𝕨𝕖𝕟𝕟 𝕨𝕚𝕣 𝕘𝕖𝕟𝕦𝕘 𝕤𝕚𝕟𝕕

Was für eine Achterbahnbahrt der Emotionen 🙈 Ich empfehle bei diesem Roman UNBEDINGT die Triggerwarnung zu lesen, weil es sehr sehr authentisch und echt geschrieben ist, aufwühlend, tiefgreifend und hart. Ein Buch, das nicht nur nach Beenden der Lektüre, sondern mit jeder einzelnen Seite seine tief hängen bleibt und mitnimmt. Wow! Das liegt daran, dass es  sich u.a. um einen Own Voice Text handelt, da die Autorin wie die Protagonistin an einer Angststörung leidet.

Die einzelnen Figuren haben mir wahnsinnig gut gefallen, sie waren schlüssig ausgearbeitet, authentisch und man konnte bis zum Schluss mit ihnen fühlen.
Lily leidet unter dem Leistungsdruck von Schule, College und Familie. Ihr Vater meint es liebevoll, wenn er ihr sagt, wie stolz er auf sie ist, seine perfekte Tochter. Bei Lily erzielt dies jedoch das Gegenteil, denn nun setzt sie alles daran, dieses perfekte Mädchen zu sein.
Der Sportlehrer drillt sie, sich um Zehntelsekunden zu verbessern, anderenfalls würde sie vom Team ausgeschlossen und hätte keine Chance auf den Sieg zur Meisterschaft. Doch je größer der Druck, desto mehr verschlechtern sich ihre Leistungen. Während uns in Deutschland die Sportnoten in der Regel nicht wirklich interessieren (mich jedenfalls nicht) bzw. schlicht als Nebenfach gilt, benötigt man in den USA zahllose solcher Aktivitäten, um die Chance für das College zu erhöhen. Das dort wiederum unfassbar teuer ist und Lily möchte ihren Vater nicht finanziell belasten, da dieser bereits alle Hände damit zu tun hat, die Kosten für die psychiatrische Behandlung von Lily Schwester Alice zu bezahlen.
Dass Lily eine einzige Chance, ein Kunstprojekt, bleibt, um ein wichtiges Stipendium zu bekommen und sie zudem unter der Bipolarität ihrer Schwester leidet, die nach ihrem Klinikaufenthalt zurückkommt, mündet schließlich in selbstverletzendes Verhalten.
Neulich habe ich in einer Doku über Leistungsdruck in Schulen (den es laut unserem Bildungsminister nicht gibt xD) gehört, dass sich aktuell jede/r 5. Schüler/in selbst verletzt. Ich würde mal sagen, dass sagt alles über unser Schulsystem...
Bei dem Kunstprojekt jedenfalls lernt Lily Micah kennen, der mit Alice wegen Depressionen in der Klinik war. Zunächst geht sie ihm aus dem Weg, weil sie Angst hat, dass jmd von ihrer Schwester erfährt, plötzlich aber scheint er der Einzige, der sie versteht. Sie verliebt sich in ihn.
Für mich war die subtile Liebesgeschichte gar nicht 100% eine solche, sondern eher eine gegenseitige Rettungsmission als forever&always. Irgendwie habe ich beiden jemand "Stabiles" gewünscht, damit sie sich nicht gegenseitig tiefer und tiefer in die Dunkelheit ziehen. Rausgeholt haben sie sich teilweise, vor allem ging es jedoch darum, sich zu der anderen Person ins Dunkle zu setzen und deren Hand zu nehmen. Es war total berührend und ergreifend und ich hatte die eine oder andere Träne im Auge.
Micah ist ein sehr sehr starker Protagonist, der durch den frühen Suizid des Vaters litt und dessen Depressionen teilt. Die Mitschüler hänseln ihn massiv wegen seines Klinkaufenthalts und schicken ihm sogar Tabletten, um die Schule von dem "Psycho" zu befreien. Das Mobbing war so schrecklich, dass es mir in jeder Zelle weh getan hat. Micah war quasi gezwungen, dem Ganzen stillschweigend standzuhalten, weil er wegen einer Schlägerei auf seiner alten Schule die Suspendierung fürchten musste. Auch die Lehrer und Eltern hatten Vorurteile, er war von vorne herein der Sündenbock und hatte eigentlich gar keine Chance. Er war die Krankheit, der Klinikaufenthalt, die Schlägerei, ein Stempel, nicht Micah. Außer eben bei Lily, die ihn, seine Kunst und seine besondere Sicht auf die Welt lieben lernte.
Auch in der Kunst harmonierten sie wundervoll, er mit seinen atemberaubenden Zeichnungen, sie mit ihren hochemotionalen, ehrlichen Gedichten, die mitten ins Herz gingen und die sie sich laut auszusprechen nicht traute, um nicht ebenfalls einen Stempel aufgedrückt zu bekommen. Generell traute sich niemand, seine Gefühle, Denken und auch seinen Schmerz und seine Ängste offen zu teilen - bis die beiden ihr ganz besonderes, anonymes Kunstprojekt in die Welt riefen, indem sie auf dem ganzen Schulgelände den MitschülerInnen die Möglichkeit gaben, sich schriftlich auszudrücken, wodurch ein ungemeiner Support entstand und endlich jeder loswerden konnte, was er auf dem Herzen trug. Das machte das Buch zu etwas ganz Besonderem und war einfach nur wunderwunderschön, wenn auch erschreckend, worunter die Einzelnen stillschweigend leiden (müssen). Am liebsten hätte ich jeden fest in den Arm genommen und gesagt, nach der Schulzeit wird alles besser, du wirst schon sehen 💗
Es waren Worte, die in dieser oder ähnlicher Form sicher jeder von uns im Laufe seines Lebens schon einmal gehört hat, Worte die oftmals ein Leben lang festsitzen und von Klein auf prägen, Worte die wahnsinnig viel mit einem machen, bis man realisiert, dass man sich selbst seinen eigenen Wert geben darf und die der Gesellschaft absolut keine Bedeutung haben - Worte wie
𝒈𝒆𝒉 𝒂𝒖𝒇𝒔 𝒄𝒐𝒍𝒍𝒆𝒈𝒆
𝒃𝒆𝒔𝒕𝒆𝒉 𝒅𝒆𝒏 𝒕𝒆𝒔𝒕
𝒌𝒐𝒎𝒎 𝒎𝒂𝒍 𝒌𝒍𝒂𝒓
𝒗𝒆𝒓𝒔𝒂𝒖 𝒆𝒔 𝒏𝒊𝒄𝒉𝒕
𝒘𝒂𝒓𝒖𝒎 𝒃𝒊𝒔𝒕 𝒅𝒖 𝒔𝒐?
𝒔𝒕𝒓𝒆𝒏𝒈 𝒅𝒊𝒄𝒉 𝒎𝒆𝒉𝒓 𝒂𝒏

𝑺𝒆𝒊 𝒋𝒆𝒎𝒂𝒏𝒅 𝒂𝒏𝒅𝒆𝒓𝒔
𝑱𝒆𝒎𝒂𝒏𝒅 𝑩𝒆𝒔𝒔𝒆𝒓𝒆𝒔
𝑱𝒆𝒎𝒂𝒏𝒅 𝒅𝒆𝒓
𝑵𝒊𝒄𝒉𝒕
𝑲𝒐𝒎𝒑𝒍𝒆𝒕𝒕
𝑽𝒆𝒓𝒌𝒆𝒉𝒓𝒕
𝑰𝒔𝒕
𝒔𝒆𝒊 𝒎𝒖𝒕𝒊𝒈
𝒔𝒆𝒊 𝒌𝒍𝒖𝒈
𝒔𝒆𝒊 𝒘𝒖𝒏𝒅𝒆𝒓𝒔𝒄𝒉𝒐𝒆𝒏
𝒔𝒆𝒊
𝒅𝒊𝒆
𝑩𝒆𝒔𝒕𝒆
Im Endeffekt - sei alles außer du selbst.
Dahingehend öffnet dieses Jugendbuch wirklich nochmal enorm die Augen.

Durch Alice hat man das Ausmaß einer bipolaren Störung erlebt,  die dazu führte, dass Lily sie mit aufgeschnittenen Armen am Badezimmerboden fand, wodurch ihre Depressionen erst begannen und sie sich fragen musste, ob sie an derselben Krankheit leidet wie ihre Schwester. Diese Parts waren besonders heftig und anschaulich, Lilys Überforderung und Wut waren absolut nachvollziehbar, zumal sie sich ein Zimmer mit Alice teilte, die entweder hoch enthusiastisch die ganze Nacht lang herumwerkelte oder sich tagelang unter der Bettdecke verkroch. Was Krankheiten innerhalb der Familie mit einem Schüler oder einer Schülerin machen, sieht natürlich niemand, es zählen nur die abfallenden Noten, denn was einem zuhause abverlangt wird, wird nicht in Zahlen bemessen.
Sowohl die Klassenkameraden als auch die Eltern und Lehrer waren sehr individuell gestaltet, wirkliche Charaktere und keine bloßen Funktionen, es war sehr sehr gut ausgearbeitet, wirklich als wäre die ganze Geschichte genau so passiert. Hut ab!
Der Schreibstil ist flüssig, die Kapitel haben eine angenehme länge und die Gedichte runden das Ganze hochemotional ab. Toll fand ich auch das von der Autorin gewählte Stilmittel, manche Sätze durchzustreichen, nämlich die, die Lily denkt, aber nicht ausspricht, das hat einfach soo gut gepasst und nochmal verdeutlicht, dass wir offener über unsere Gedanken und Gefühle reden sollen und Freunden und Familie die Chance geben, uns aufzufangen statt sie wegzustoßen.
Am Ende des Buches finden wir eine längere Anmerkung der Autorin zum Thema Angststörungen wie auch Telefonnummern für alldiejenigen, die stark belastet werden durch all die unausgespeochenen Worte, die sie mit sich herumschleppen.
Von mir gibt es eine Leseempfehlung im Mental Health Bereich mit 5+⭐

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Veröffentlicht am 04.10.2023

Eine fantastische Wiederentdeckung antiker Mythologie

Psyche und Eros
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𝔼𝕣𝕠𝕤 & ℙ𝕤𝕪𝕔𝕙𝕖

Durch ein Missgeschick verliebt sich Eros, der Gott des Verlangens, unwiderruflich in die Sterbliche Psyche. Als die beiden durch einen Fluch voneinander getrennt werden, müssen sie etlichen ...

𝔼𝕣𝕠𝕤 & ℙ𝕤𝕪𝕔𝕙𝕖

Durch ein Missgeschick verliebt sich Eros, der Gott des Verlangens, unwiderruflich in die Sterbliche Psyche. Als die beiden durch einen Fluch voneinander getrennt werden, müssen sie etlichen Gefahren und Gottheiten trotzen, um wieder zueinander zu finden.

Der Mythos um Eros und Psyche gehört zu einem der weniger oft erzählten, dennoch ist er nicht weniger bedeutsam oder schön. Auf fast 450 Seiten begleiten wir Psyche vom Kind zur Frau zur Göttin. Dabei lässt sich die Autorin Zeit, die Erzählung wiederzugeben, indem sie sie voll und ganz ausschöpft und dennoch in keinem Augenblick an Spannung einbüßt.
Die Geschichte selbst hat mir unheimlich gut gefallen - wie man die Figuren über die Jahre hinweg begleitete, der historische Hintergrund, der magisch-mythische Plot, die Liebesgeschichte, die Intrigen der Götter, die Nebenfiguren. Ich muss gestehen, ich bin durchweg beeindruckt und habe absolut nichts zu kritisieren! Im Gegenteil, ich fand es super, dass eine eher selten erzählte Geschichte sich ihren Platz in unser Bewusstsein erkämpft hat - aktuell liest man ja wirklich nur Hades hier, Persephone da. Die Autorin hat sich für Gottheiten und Heroen entschieden, die eher unbekannt, keineswegs aber weniger relevant sind. Toll!

Beeindruckend fand ich auch, wie vielen bekannten Gottheiten und Sagengestalten begegnet wird. Zeus, Hera, Aphrodite, Demeter, Persephone, aber auch Zerberos, Cheiron, Medusa, Odysseus Helena, Agamemnon, Achilles und einem Großteil der Troja-Besatzung - und viele mehr.
Die Unfassbarkeit und Unmenschlichkeit um den trojanischen Krieg zeigen die Welt der Sterblichen auf, während sich die Olympischen Götter über Jahrhunderte hinweg wegen Kleinigkeiten zanken und dadurch wie in den meisten Überlieferungen (und Neuinterpretationen) gleichzeitig menschlich, im Gemüt z.T. kindisch, aber auch allmächtig und grausam erscheinen. Erst durch die Liebe zu Psyche wandelte sich Eros' Wesen, was unglaublich schön mitzuerleben war. Dasselbe gilt für Psyche - einzeln waren beide eine kleine große Katastrophe, zusammen legten sie eine 180 Grad Wendung zum Positiven hin. Ich mochte die beiden als Paar richtig gern!

Psyche war eine wundervolle, starke Protagonistin mit Ecken und Kanten. Es war toll, sie bei der Entwicklung von einer eher verwöhnten Königstochter zu einer selbstständigen jungen Frau mit moralischem Kompass zu begleiten. Sie hatte den Mut, nein zu sagen, und ihr Leben lang für das zu kämpfen, was ihr wichtig ist - letztlich auch für Eros.
Und obwohl Eros mit seinen Lügen alles nur verschlimmert hat, lernte ich ihn doch als fürsorglichen jungen Mann kennen, der stets hinter seiner Frau stand, sie ermutigte und für ihre Persönlichkeit und Fähigkeiten bewunderte. Das stand im scharfen Kontrast dazu, wie die Frauen sonst zu dieser Zeit etwa 1200 v.Chr. behandelt wurden, wie junge Mädchen, fast noch Kinder, an runzlige alter Männer verhökert wurden, wie man Jungfrauen brutal opferte für Nichtigkeiten und wie man ihnen eine eigene Meinung absprach. Psyche und vor allem auch die weiblichen Gottheiten wie Persephone standen diesem vehement und äußerst erfolgreich entgegen und sorgten an einigen Stellen für ein feministisches, emanzipatorisches Aufblühen der Interpretation des Textes.

Der Schreibstil passt perfekt zu einer antiken Sage und ist dennoch gut, flüssig, emotional und spannungsgeladen zu lesen. Nur eine handvoll moderner Wörter wie zB. in jmd "verschossen" sein konnten sich nicht so gut in den Rest der Erzählung einfügen, doch das war die sehr überschaubare Ausnahme.
Die Kritik, der Romantasy Part wäre hier nicht gut herausgearbeitet, kann ich absolut nicht nachvollziehen, weil es sich, kurz gesagt, NICHT um Romantasy handelt, sondern über ein mythologisches Ereignis mit dem trojanischen Krieg als Hintergrund, hier etwa 1200 v.Chr. Es ist KEINE moderne Neuinterpretation, Eros ist kein toxischer Badboy mit Sickpack und eigenem Nachtclub und Psyche ist keine freizügige Studentin 😅 Die Autorin hat bei ihrer Recherche hervorragende Arbeit geleistet und die noch vorhandenen Überlieferungen in Romanform gepackt. Und das hat sie wirklich unglaublich toll gemacht, ich würde auch in Zukunft wieder etwas in die Richtung von ihr lesen. Und auch vom Aufbau Verlag finde ich es großartig, dass Mythologie in ihrer ursprünglichen Form neu veröffentlicht wird und man dadurch Zugang zu oftmals vergessenen Erzählungen erhält.
Auch das Cover finde ich mit den kräftigen Farben richtig gut gelungen & das metallische Gold unter dem Schutzumschlag ist ein absoluter Hingucker 😍
Von mir ganz klare 5/5 ⭐👏🏻

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