Wurzelsuche
Rote SirenenWarmherzig und sehnsuchtsvoll erzählt Victoria Belim in ihrem autobiographischen Debüt „Rote Sirenen“ von der Spurensuche um die Geschichte ihrer ukrainischen Familie, ihrer eigenen Wurzeln. Während ihrer ...
Warmherzig und sehnsuchtsvoll erzählt Victoria Belim in ihrem autobiographischen Debüt „Rote Sirenen“ von der Spurensuche um die Geschichte ihrer ukrainischen Familie, ihrer eigenen Wurzeln. Während ihrer Zeit in der Ukraine wohnt sie bei ihrer Großmutter Valentina, die sich in Schweigen hüllt. Sie möchte nicht über das reden, was ihren Eltern geschah, was sie selbst erlebte, zu schmerzhaft sind die Erinnerungen an den Hunger, die Zeit des Holodomors, die Angst. Noch immer beobachtet Victoria, wie das Erlebte den Alltag ihrer Großmutter prägt, wie sie ihren Obstgarten, die Kirschbäume pflegt, sich um die Aussaht und Ernte der Kartoffeln sorgt. Sie kennt es nicht anders. Und sie ist nicht die Einzige: Victoria reist in die Dörfer, wo ihre Verwandten einst lebten, stößt immer wieder auf Statuen und Straßen zu Ehren sowjetischer Machthaber, lernt ukrainisches Kunsthandwerk kennen, läuft durch Museen und ihr vertraute Waldstreifen. Doch ihre Suche scheint wenig ergiebig, bis sie sich entschließt, das Haus der Roten Sirenen aufzusuchen, das frühere Hauptquartier des sowjetischen Geheimdienstes, um Einsicht in alte KGB-Akten zu erbeten. Und überall lauert der Schmerz des Vergangenen, wabert wie ein Schleier über den Köpfen der Menschen, die sie auf ihrer Reise trifft, und sie in Schweigen hüllt. Es sei einfacher.
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Gleichermaßen emotional wie sachlich verbindet Belim die Erfahrungen und Fragmente, die sie auf ihrer Reise sammelt, mit historischen Bildern, Aspekten der ukrainischen Kultur- und Landesgeschichte sowie politischen Entwicklungen, die ihre Familiengeschichte beeinflussten, das Leben und Lieben ihrer Urgroßeltern prägten und deren Auswirkungen sie noch heute, zurück in ihrer Heimat, auf der Datscha spürt. Sie schreibt lebendig, macht mit detaillierten Beschreibungen ihre Umwelt erfahrbar, spürbar: den Geruch frischen Gebäcks und feuchter Erde, den kalten Wind auf dem Land, die Feinheit gewebten Stoffes. Ich mochte diese Passagen sehr, das Erfahren und "Sehen" mir unbekannter Traditionen und Landschaften, eine Ahnung des Lebensgefühls zu erhalten, doch teilweise uferte es ein wenig aus, überwog der eher deskriptiven, journalistisch geprägten Stil, und fehlte es an dem gewissen Etwas, das ich noch immer mit Worten greifbar zu machen versuche. Dennoch habe ich eine Menge gelernt, gefühlt, gedacht: über die aktuelle Situation in der Ukraine, meine eigenen Wurzeln und wie sie mich prägen, über das Schweigen und wie es von Generation zu Generation weitergegeben wird, um gebrochen zu werden. Für das Leben im Heute.