Ein Jahreshighlight
Selten hat mich ein Buch dermaßen gefangen genommen, die Welt um mich herum, einfach alles vergessen lassen wie „Die Kriegerin“ von Helene Bukowski. Eindringlich und roh erzählt sie die Geschichte zweier ...
Selten hat mich ein Buch dermaßen gefangen genommen, die Welt um mich herum, einfach alles vergessen lassen wie „Die Kriegerin“ von Helene Bukowski. Eindringlich und roh erzählt sie die Geschichte zweier Frauen, die sich nach Stärke sehnten, nach einem Panzer, der ihnen nichts anhaben kann und im Gegenzug von Traumata gebrochen wurden, ihr Innerstes derbe offengelegt. Und doch unterscheiden sie sich von Grund auf, prallen sie wie Wasser und Feuer aufeinander und lernen sich, Jahre nach ihrer ersten Begegnung, neu kennen. Jede Narbe, jeden Atemzug. Atemlose Träume, schlaflose Nächte, Angst. Jede Nacht, jeden Tag wird die Kriegerin von PTBS heimgesucht, verschließt sich Lisbeth gegenüber immer mehr. Und sucht die Rettung in der Distanz, ihre Rollen verkehren sich. Was bleibt, sind ihre Briefe. In der Einsamkeit der Sprache kann sie sich öffnen und ihre Geschichte erzählen. Von den Steinen, ihrer Großmutter, ihrem Standing als Frau an der Front zwischen Männern. Vom Schießen, dem Krieg und dem, was bleibt.
Flimmernd wechselt die Erzählperspektive zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen den Briefen, der fernen Stimme der Kriegerin, und Lisbeths Wirklichkeit, ihrer Geschichte: physischem und psychischem Schmerz, Einsamkeit, Flucht. Schicht um Schicht wird das Bild klarer, werden Fragen beantwortet, die sich auf den ersten Seiten aufdrängten und ein Gefühl der Unsicherheit und Beklemmung in meiner Brust erzeugten, eine labil flirrende Atmosphäre. Helene Bukowski verwandelt vermeintliche Schwächen in Stärken, gibt ihren Protagonistinnen unvorhergesehene Tiefen, macht sie nahbar trotz ihrer Suche um Distanz. Noch immer spüre ich den Sand zwischen den Zehen, das Salz im Haar. Noch immer ist mein Herz irgendwo zwischen Ostsee und dem Ort, wo die Kriegerin nun ist. Ein Jahreshighlight.