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Veröffentlicht am 21.02.2020

Familienbande

Wie wir gehen
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Wie prägen Eltern ihre Kinder? Was heißt es, sich von seinen Eltern zu lösen? Andreas Neeser nimmt mit seinem Buch „Wie wir gehen“ vier Generationen einer Familie in den Blick.

Vier Generationen bedeuten ...

Wie prägen Eltern ihre Kinder? Was heißt es, sich von seinen Eltern zu lösen? Andreas Neeser nimmt mit seinem Buch „Wie wir gehen“ vier Generationen einer Familie in den Blick.

Vier Generationen bedeuten auch vier Antworten auf das, was die Beziehung zwischen den Generationen ausmacht. Vier Generationen: das sind Gottlieb, Johannes, Mona und Noelle.

Der Großvater, Gottlieb, kommt gerade so über die Runden, für seinen Sohn Johannes zeigt er nur wenig Interesse. Johannes muss mühsam lernen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und es gelingt ihm. Selbst sucht er sich einen Ausbildungsplatz, er wird zu einem Kämpfer, dem das Ablösen vom Elternhaus gelingt. Das macht ihn beinahe zu einem Helden des Buches, wäre da nicht Mona, seine Tochter, die sich immer mehr von ihm entfernt. Erst Johannes‘ Krebserkrankung bringt sie dazu, sich mit ihrem Vater und seinem Leben näher zu beschäftigen, bevor es nicht mehr geht.

Dann ist da noch ihre Tochter Noelle, die das Verhalten ihrer Mutter wiederum sehr kritisch hinterfragt und ihr vorwirft, dass ihre Arbeit für Flüchtlinge nur ein Wiedergutmachungsversuch sei.

Neeser erzählt aus dem Leben dieser vier Generationen collagenhaft. Es sind Erzählfäden, die immer wieder aufgegriffen werden, die allerdings nie zu einem Ende geführt werden. Es sind vielmehr die vielen losen Enden, die die Erzähltechnik dieses Romans ausmachen. Fragen werden aufgeworfen, nicht beantwortet. Es sind die unfertigen Leben, die hier präsentiert werden.

Für mich hat das Buch zu viele solcher losen Enden, zu viel was nur aufgegriffen und nicht ausgeführt ist. Nichts ist zu Ende erzählt.

Ich will aber nicht verhehlen, dass das Buch starke Momente hat. Etwa wenn der Flüchtling Salim all die Bilder, die er in Syrien gemalt hat, in Deutschland noch einmal malt, um überhaupt in der Gegenwart anzukommen. Denn „eine Auseinandersetzung mit dem, was er heute war, schien ihm undenkbar ohne das, was ihn dahin gebracht hatte.“ Um die eigenen Wurzeln geht es nicht nur Salim, es ist das Grundthema des ganzen Buches.

Schade, dass sich der Roman dabei zu sehr verliert. „Und jetzt weiß ich auch nicht weiter“ lautet der letzte Satz des Buches. Es ist ein Satz, der mehr über den postmodernen Erzähler verrät als über Mona, die ihn sagt. Auf dieses unfertige Erzählen muss man sich bei „Wie wir gehen“ einlassen können.

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Veröffentlicht am 29.01.2020

Ein Buch zum Blättern...

Ausgestorben - Das Buch der verschwundenen Tiere
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Nikola Kucharskas Buch „Ausgestorben. Das Buch der verschwundenen Tiere“ ist ein Buch zum Anschauen. Durch die Erdgeschichte hindurch zeigt das Buch die Vielfalt an Tieren, die es auf der Erde gab. Fast ...

Nikola Kucharskas Buch „Ausgestorben. Das Buch der verschwundenen Tiere“ ist ein Buch zum Anschauen. Durch die Erdgeschichte hindurch zeigt das Buch die Vielfalt an Tieren, die es auf der Erde gab. Fast schon ähnelt es einem Wimmelbild.
Neben großen Übersichtsseiten, die zumeist mehreren Tierarten gewidmet sind, gibt es auch Seiten, auf denen einzelne Tierarten wie etwa Dinosaurier in ihren unterschiedlichen Unterarten dargestellt sind. Angenehm ist, dass zu jedem Tier ein Satz zu einem besonderen Merkmal steht, so dass man nicht mit Wissen überfrachtet wird.
Besonders gefallen haben mir die allgemeineren Übersichtskarten, allen voran die „Fossile Weltkarte“, bei der die verschiedenen Fossilienfunde von Dinosauriern eingezeichnet sind. Auch die unterschiedlichen Theorien, weshalb die Dinosaurier ausgestorben sind, sind fr Kinder sehr ansprechend mit Bildern auf einer Seite zusammengefasst. Zwischendurch werden auch einzelne Tiere näher beschrieben, so ist etwa dem Auerochsen eine Seite gewidmet.
Das Buch eignet sich keinesfalls dafür, es einfach durchzulesen. Man sollte es vielmehr immer wieder in die Hand nehmen, darin blättern und sich faszinieren lassen von der Vielfalt der Arten.

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Veröffentlicht am 04.01.2020

Gut lesbare Luther-Biographie

Luther
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Eric Metaxas hat mit „Luther. Der Mann, der Gott neu entdeckte“ eine Luther-Biographie geschrieben, die zu lesen lohnt.

Natürlich hat Metaxas das Rad nicht neu erfunden. Mit neuen Erkenntnissen wartet ...

Eric Metaxas hat mit „Luther. Der Mann, der Gott neu entdeckte“ eine Luther-Biographie geschrieben, die zu lesen lohnt.

Natürlich hat Metaxas das Rad nicht neu erfunden. Mit neuen Erkenntnissen wartet der amerikanische Journalist nicht auf. Das muss er aber auch nicht. Denn Metaxas gelingt das, was mancher Kirchenhistoriker nicht vermag: er kann erzählen.

Überall, wo Metaxas Luthers Biographie ausführlich darstellt, beginnt er irgendwann zu erzählen, oft auch, indem er sich in die Personen hineinversetzt. So hat der Leser bei Metaxas ein klares Bild vor Augen, wie ein Reichstag ablief – inklusive vieler sozialgeschichtlicher Hintergründe.

Im Vordergrund von Metaxas‘ Lutherbiographie steht die These Metaxas‘, dass Luther alle Auseinandersetzungen und Anfechtungen nur aufgrund seines Gottvertrauens überstanden habe, dass das Vertrauen in Gott Luther zugleich geprägt und gestärkt habe. Im Hintergrund von Metaxas‘ Lutherbiographie steht die Frage, was Luther angestoßen hat, was er Neues in die Welt gebracht hat.

So wundert es nicht, dass Metaxas in seiner Biographie den Schwerpunkt auf die Jahre zwischen dem Thesenanschlag und dem Wormser Reichstag legt. Hier scheut sich Metaxas auch nicht – und das gehört zu den Stärken des Buches! – längere Original-Zitate abzudrucken, so finden sich unter anderem alle 95 Thesen im Wortlaut.

Zwar führt die Darstellung des Kampfes zwischen einfachem Mönch und Papsttum zu einer gewissen Heroisierung Luthers, dennoch unterschlägt Metaxas aber nicht die negativen Seiten Luthers. So wundert er sich über Luthers Selbstsicherheit und führt dieses auf sein hohes Gottvertrauen zurück, das ihm die Sicherheit gegeben habe, in all seinen Disputen auf der richtigen Seite zu stehen – und ihm auch die Erlaubnis gab, in der Wortwahl mehr als etwas derb zu werden. Irritiert zeigt sich Metaxas allerdings davon, dass Luther seine Gegner auch schonmal als vom Teufel geleitet sieht, etwa Zwingli beim Augsburger Religionsfrieden. Da stellt Metaxas, dem man übertriebene Kritik nicht vorwerfen kann, sich am Schluss dann doch die Frage, ob Luther nicht ein „unerträglicher, scheußlicher Dick- und Querkopf“ gewesen sei, der nicht in der Lage war, Kompromisse zu schließen. Bei Metaxas bleibt es allerdings bei der Frage.

An anderer Stelle hat Metaxas keine Probleme, sich Luthers engstirniger, kompromissloser Sicht der Dinge anzuschließen und sein dualistisches Denken von Gut (Glaube, Gott) und Böse (Unglaube, Teufel) zu übernehmen. So überrascht es sehr, wie deutlich sich Metaxas bei der Bewertung des Bauernaufstands auf die Seite Luthers schlägt. Das Argument, dass ansonsten Chaos in Deutschland ausgebrochen wäre, genügt ihm. Auch bei der Beurteilung anderer reformatorischer Strömungen spricht Metaxas ganz im Duktus Luthers von Dämonen, denen mit der Reformation die Tür geöffnet worden sei. Nur gut, dass 2019 der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann ein Buch über die Täufer veröffentlichte, das hier eine deutliche Korrektur der negativen Wahrnehmung, die Metaxas kolportiert, vornimmt.

Positiv ist Metaxas aber zugutezuhalten, dass er einer Verklärung Luthers nicht anheimfällt. Vor negativen Zitaten scheut er nicht zurück, etwa bei Luthers Urteil zum Bauernkrieg, wo Luther rechtfertigt, man habe den Bauern „die Ohren mit Geschossen aufknöpfen“ müssen, „dass die Köpfe in die Luft sprangen“. So wird auch bei Metaxas in Luther der Mann des Mittelalters sichtbar, der er war. Auch auf Luthers Schrift gegen die Juden geht Metaxas ein – heute, schreibt Metaxas, stehen wir rat- und fassungslos davor. Was Luther hier geritten hat: für Metaxas ist es unverständlich.

Somit ist Eric Metaxas mit „Luther. Der Mann, der Gott neu entdeckte“ ein Buch gelungen, das einerseits Luthers Kampf für die gerechte Sache in den Vordergrund stellt, dabei aber negative Begleiterscheinungen nicht unter den Teppich kehrt. Hervorzuheben ist auch die schöne Aufmachung des Buches. Es wirkt sehr hochwertig, die Schrift ist elegant und gut lesbar. Nur an einzelnen Stellen ist Metaxas‘ Sprache etwas zu pathetisch geraten, ansonsten gelingt es ihm, überzeugend zu erzählen, ohne die Quellen zu vernachlässigen.

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Veröffentlicht am 28.12.2019

Sträter-Texte aus den letzten drei Jahren

Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein
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Was Torsten Sträter ausmacht, ist sein Understatement. Belangloses wird aufgegriffen, ausgeweitet, verformt und es entsteht eine zumeist grotesk anmutende Geschichte. Auch in seinem neuen Buch ...

Was Torsten Sträter ausmacht, ist sein Understatement. Belangloses wird aufgegriffen, ausgeweitet, verformt und es entsteht eine zumeist grotesk anmutende Geschichte. Auch in seinem neuen Buch „Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein“ schreibt Torsten Sträter so seine Texte.

So ist das, was Torsten Sträter hier präsentiert, ein Konglomerat aus einerseits billigem momenthaftem Klamauk und andererseits witzigen Einfällen, aus denen echte Geschichten werden. Die Geschichten aus seiner Kindheit, die sich langsam entwickeln, gehören zu stärksten Texten des Buches. Auch Anspielungen zwischen den Texten sind hier zu finden. Allerdings nur dort, wo sie aus einer Feder sind, sprich aus dem gleichen Bühnenprogramm stammen.

Die bunte Mischung, die in „Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein“ zu finden ist, bringt mit sich, dass jeder hier etwas finden kann, das ihm gefällt. Von den fantasievollen Beschreibungen unerklärlicher Gegenstände aus der Fernsehsendung „Sträters Männerhaushalt“ über die Pressesprecher-Texte aus „extra 3“ bis hin zu den erzählenden Texten wie „Omma“.

Ein großer Wurf ist das Buch keinesfalls. Dafür ist es zum einen zu sehr Sammelsurium, zum anderen sind auch zu viele schlechte Texte zu finden. Bei den Pressesprecher-Texten fehlt oft der eine rote Faden – um billiger Gags willen wird eine inhaltlich klare Linie aufgegeben. Andere Texte sind einfach inhaltlich schlecht wie etwa „Plastikmüll“, wo ein ernstes Thema wenig gekonnt aufgegriffen wird. Es scheint so, dass Sträter inhaltliche Positionierungen auf Teufel komm raus vermeiden will. Da hilft auch Sträters sprachliche Virtuosität nicht weiter.

Andere Bücher von Sträter haben mir besser gefallen.

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Veröffentlicht am 15.11.2019

Ein herrliches Stück Literatur

Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier
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Einen herrlich verspielten Roman präsentiert uns Gerhard Roth in diesem Jahr. „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ lautet der Titel. Solchen Teufeln begegnet die Hauptperson, der Übersetzer ...

Einen herrlich verspielten Roman präsentiert uns Gerhard Roth in diesem Jahr. „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ lautet der Titel. Solchen Teufeln begegnet die Hauptperson, der Übersetzer Lanz, in üppiger Zahl.

Der Roman beginnt jedoch damit, dass ebendieser Lanz sich das Leben nehmen will. Zu langweilig ist es ihm geworden. Zu bedeutungslos. Doch just in dem Moment, wo er sich auf die Suche nach dem richtigen Ort für seinen Plan macht, verliert sein Leben seine Bedeutungslosigkeit und wird spannender als es sich Lanz wünschen könnte.

Was beginnt, ist ein großartiges Spiel mit dem Leser und dem literarischen Stoff. Gerhard Roth hat ein Verwirrspiel geschaffen, das ein Lesegenuss ist. Lanz beobachtet einen kaltblütigen Mord – und wird fortan zum Gejagten. Von wem, bleibt lange im Unklaren, ebenso die Frage, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Die Odyssee durch Venedig hält für Lanz viele Überraschungen parat. Er stürzt von einem Abenteuer ins andere, genauer: er plumpst hinein, ohne dass er etwas dagegen tun kann.

Zu guter letzt bleibt die Frage, ob das alles überhaupt real ist. Denn schließlich begann alles, als sich Lanz unter einen Holunderbusch zum Schlafen legte. Und wer den „Goldnen Topf“ des E.T.A. Hoffmann gelesen hat, der weiß, dass damit der Ausflug ins Reich der Phantasie beginnt.

Überhaupt die Anspielungen. Gerhard Roth liebt sie, die kleinen Seitenhiebe in die Literaturgeschichte. Allein der Titel seines Buches ist Shakespeares „Sturm“ entnommen. Dass es in Roths Venedig zu einem Sturm kommt – es kann nicht verwundern.

Überhaupt wirkt vieles so märchenhaft, dass es den Kriminalroman im Roman verunmöglicht. Zugleich aber ist der Kriminalroman so brutal in der Darstellung, dass er alles Märchenhafte mit einem Schuss wegwischt.

„Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss. Gelingt dies, kann man sich an einem herrlichen Stück Literatur erfreuen.