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Veröffentlicht am 10.08.2019

R.I.P.

R.I.P.
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Zwei Jugendliche werden brutal ermordet. Die Ermittler stehen vor einer Fülle an Puzzleteilen, die so gar nicht zusammenpassen wollen. Nur ein Motiv findet sich in Yrsa Sigurdardóttirs neuem Kriminalroman ...

Zwei Jugendliche werden brutal ermordet. Die Ermittler stehen vor einer Fülle an Puzzleteilen, die so gar nicht zusammenpassen wollen. Nur ein Motiv findet sich in Yrsa Sigurdardóttirs neuem Kriminalroman „R.I.P.“ immer wieder: Mobbing.

Über Mobbing zu schreiben, scheint der isländischen Krimi-Autorin ein Anliegen gewesen zu sein, denn sie spielt das Thema die Klaviatur rauf und runter. Ja, es kann ein Motiv für einen Mord sein. Aber muss dann auch noch die in die Ermittlungen einbezogene Psychologin früher ein Mobbingopfer gewesen sein? Muss dann auch noch ein Mobbing-Experte zum Verdächtigen werden? Und vor allem: müssen sich Polizisten so zickig verhalten, dass man von Mobbing sprechen könnte? Zudem ist das, was inhaltlich über Mobbing gesagt wird, nicht allzu tiefschürfend. Es scheint so, als hätten die Ermittler zum ersten Mal damit zu tun.

So sehr mir der Plot von „R.I.P.“ und die Auflösung gefallen hat: die Spannung ist sehr stark getrübt durch die vielen Querelen innerhalb der Polizei. Die beiden ermittelnden Hauptfiguren werden von ihrer Chefin kaltgestellt – nur zufällig finden sie Wesentliches für die Lösung des Falls heraus. Generell arbeitet man bei der Polizei eher gegeneinander als miteinander. Die ständigen Streitereien während der Ermittlungsarbeit ziehen sich durch das ganze Buch – und das macht das Lesen hin und wieder doch sehr mühsam.

Es mag sein, dass Yrsa Sigurdardóttir das sogar beabsichtigt hat. Der klare Blick des Lesers, der sieht, was bei der Zusammenarbeit alles nicht richtig läuft, steht gegen das, was Mobbing ermöglicht: wegsehen, nicht ernst nehmen, verharmlosen. Allerdings haben die andauernden Querelen und Zickereien zur Folge, dass die Ermittler in „R.I.P.“ allesamt zutiefst unsympathisch wirken.

Was den Plot angeht, ist „R.I.P.“ spannend erzählt. Die vielen Puzzleteile, die lange nicht zusammenpassen wollen, sind gut konstruiert. Dass manches dabei etwas unwahrscheinlich ist, tut keinen Abbruch. Zudem zeigt Sigurdardóttir moderne Ermittlungsarbeit: die Polizisten müssen sich mit Snapchat beschäftigen, Anträge stellen für die Einsichtnahme in Chatprofile. Dagegen wirkt der Zugriff auf die isländische Gendatenbank fast schon einfach.

Veröffentlicht am 14.07.2019

Der Zopf meiner Großmutter

Der Zopf meiner Großmutter
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„Wüascht“ – so würde man im Schwäbischen wohl die Großmutter beschreiben, die im Zentrum von Alina Bronskys neuem Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ steht. Tyrannisch wacht sie über ihr Enkelkind, das ...

„Wüascht“ – so würde man im Schwäbischen wohl die Großmutter beschreiben, die im Zentrum von Alina Bronskys neuem Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ steht. Tyrannisch wacht sie über ihr Enkelkind, das ihrer Meinung nach zu gar nichts taugt und zudem noch sämtliche Krankheiten dieser Welt in sich vereine. Kurzum: wer solch eine Großmutter hat, der braucht keine Feinde mehr.
Max hat solch eine Großmutter – und er leidet unter ihr. Es gelingt ihm nur selten, der Tyrannin, die nichts anderes kann als ihren Enkel niederzumachen, zu entfliehen, und so nimmt er hin, dass sie ihn als Idioten und lebensunfähigen Nichtsnutz beschimpft wie er auch hinnimmt, dass er so gut wie gar nichts essen darf, da er angeblich nichts verdauen kann.
Hier und da findet Max Schlupflöcher, um den Klauen der Großmutter zu entkommen – so schlägt er eine (bezahlte) Aufpasserin vor, um der Anwesenheit der Großmutter in der Grundschule zu entgehen. Ob Max, aus dessen Sicht alles beschrieben wird, einfach nur übertreibt bei der Beschreibung der Großmutter oder ob es ihm gelingt, einfach alles hinzunehmen ohne allzu verkorkst zu werden, bleibt offen.
Allerdings geht dem Buch recht bald die Puste aus. Die Figuren verändern sich nicht. Es kommt – außer durch Einwirkung von außen – keine Entwicklung der Handlung zustande. Die Witze über russische Einwanderer wiederholen sich, ebenso das Spiel mit Vorurteilen. In unterschiedlichsten Schattierungen wird beschrieben, was für ein „Besen“ die Großmutter ist. Irgendwann weiß man das und will nicht noch eine Variation dazu lesen.
Interessanter ist da, dass die Großmutter keineswegs bereit ist, ihren Mann zu verlassen, als der sich in eine andere, jüngere Frau verliebt und mit dieser ein Kind zeugt. Die Spannung zwischen ihrer Rigorosität und dem Einlenken in die neuen Verhältnisse gibt dem Roman nochmals etwas an Schwung.
Nichtsdestotrotz hat es mich doch sehr gewundert, wie positiv das Buch auch in der überregionalen Presse besprochen wird. Außer der brachialen Figur der Großmutter gibt es meines Erachtens nichts, was dem Buch Kraft verleiht. Nichts, was das Buch als Ganzes aufleuchten lassen würde.

Veröffentlicht am 29.06.2019

Spannender, gut geschriebener Roman

Mengele Zoo
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Manchmal dauert es ein wenig, bis ein Buch ins Deutsche übersetzt wird. Bei Gert Nygårdshaugs „Mengele Zoo“ dauerte es genau 30 Jahre, bis der Roman in diesem Jahr nun in deutscher Übersetzung veröffentlicht ...

Manchmal dauert es ein wenig, bis ein Buch ins Deutsche übersetzt wird. Bei Gert Nygårdshaugs „Mengele Zoo“ dauerte es genau 30 Jahre, bis der Roman in diesem Jahr nun in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde. Eine lange Zeit, wenn man bedenkt, dass das Buch in Norwegen ein Erfolg war.

An Aktualität hat das Buch dennoch kaum verloren. Am Beispiel des Schmetterlingssammlers Mino zeigt Gert Nygårdshaug auf, welche Konsequenzen die Abholzung des Regenwaldes für die Bewohner hat. Minos Vater ernährt seine Familie mit Schmetterlingspräparaten. Mino ist es, der als Kind für seinen Vater die Schmetterlinge fängt. Während Mino im Dschungel auf Schmetterlingsjagd ist, wird eines Tages das komplette Dorf ausgelöscht – es war mitsamt seinen Bewohnern einer Ölfirma im Weg.

Das zweite Drittel des Buches handelt schließlich davon, wie es Mino gelingt, Waise der er nun ist, wieder Fuß zu fassen, indem er sich einem Magier anschließt und zum Assistenten des Zauberers wird. Im letzten Drittel des Buches – so viel sei angedeutet – macht sich Mino schließlich erneut auf den Weg – und wird zum Rächer und Retter des Regenwaldes.

Auch wenn ich den Titel des Buches nicht für gelungen halte, da er einfach nur reißerisch wirkt, aber das Thema des Buches nicht trifft, so hat mich das Buch fasziniert. Es ist sprachlich sehr gelungen, man liest mit Genuss die Beschreibungen des Regenwaldes, der Schmetterlinge und der Reisen. Zum Schluss hin allerdings hat das Buch deutliche Längen, sodass ich mehrfach Seiten grob überflogen habe.

Der Schutz des Regenwaldes vor den Interessen der Industrie (und des Staates) zieht sich als roter Faden durch das Buch. Leider hat sich in den letzten dreißig Jahren nichts daran geändert, dass der Regenwald in seiner Existenz bedroht ist. Deshalb ist „Mengele Zoo“ ein Roman, der nicht nur aufgrund seiner sprachlich herausragenden Darstellungen der Natur und der genauen Beschreibung von Personen lesenswert ist, sondern immernoch aufgrund seines Themas, dem Schutz des tropischen Regenwaldes.

Lassen wir uns überraschen, wie lange es dauert, bis die weiteren Bände der Mino-Reihe den Weg in die deutsche Übersetzung finden.

Veröffentlicht am 16.06.2019

12 Tage Unsicherheit

#ichwillihnberühren
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So ganz warm geworden bin ich mit dem Buch nicht. Die Geschichte von zwei Freunden, die sich schließlich finden und lieben, hat ihre Reize. Die Idee, nur eine kurze Zeitspanne von 12 Tagen als Erzählzeit ...

So ganz warm geworden bin ich mit dem Buch nicht. Die Geschichte von zwei Freunden, die sich schließlich finden und lieben, hat ihre Reize. Die Idee, nur eine kurze Zeitspanne von 12 Tagen als Erzählzeit zu nutzen, funktioniert. Alles ist verdichtet auf die Frage, ob der andere auch das Gleiche fühlt. Auch die Idee, das Internet bzw. das „Jodel“-Forum um Rat zu fragen, ist gut. Aber nach einer Weile des Lesens hat mir doch der Pepp gefehlt. Die Rückblenden fand ich zumeist nicht interessant, das doppelte Erzählen des Geschehenen aus zwei Perspektiven war nur am Anfang interessant, später wirkt es doch zu wiederholend. Auch die Freundin von „Er“ hat mir zum Schluss hin zu viel Raum eingenommen.

Veröffentlicht am 26.05.2019

Leise Töne

Papaverweg 6
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Es sind die leisen Töne, die Margarita Kinstner in ihrem Buch „Papaverweg 6“ anschlägt. Das Leben geht seinen Gang in dem Mehrfamilienhaus in Wien, das im Papaverweg 6 gelegen ist. Papaver heißt nichts ...

Es sind die leisen Töne, die Margarita Kinstner in ihrem Buch „Papaverweg 6“ anschlägt. Das Leben geht seinen Gang in dem Mehrfamilienhaus in Wien, das im Papaverweg 6 gelegen ist. Papaver heißt nichts anderes als Mohn, und so steht der Papaverweg für einen vergleichsweise ruhigen Wohnort.

Zehn Wohnungen gibt es in diesem Haus, deren Bewohner man nach und nach kennenlernt. Ganz unterschiedliche Menschen wohnen in dem Haus: von der alleinerziehenden Mutter bis zur Weltreisenden, vom Sozialarbeiter bis zur Öko-Aktivistin. Und gegenüber wohnt Oskar. Oskar, der Alte, der am Fenster sitzt, hinüberschaut und beobachtet, was sich alles in dem Haus abspielt. Oskar, der Alte, der ein Buch führt mit den Namen der Mieter. Vielleicht weil er neugierig ist, vielleicht, weil er sich um seine Mitmenschen Gedanken macht, vielleicht, weil er vergesslich geworden ist.

Oskar ist die heimliche Hauptfigur des Romans. Nicht nur, dass sein Blick aus dem Küchenfenster immer wieder das Haus mit all seinen Bewohnern ins Zentrum rückt, auch sein Leben wird immer mehr entfaltet. Der schmerzliche Tod seiner Frau, die beginnende Demenz und ein Geheimnis, das in der Erde ruht – all das breitet Margarita Kinstner mit ihrem liebevollen Blick auf den Menschen aus.

Es ist nicht der voyeuristische Blick zum Nachbarn, der Thema ist. Dazu passiert im Papaverweg viel zu wenig, als dass das interessant sein könnte. Es ist der Alltag all dieser unterschiedlicher Menschen, den man als Leser irgendwann nicht mehr vermissen möchte. Gerade auch, weil jeden etwas ganz anderes umtreibt.

Margarita Kinstner erzählt unaufgeregt, langsam, präzise. Das ist es, was mir an dem Buch so gut gefallen hat.