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Veröffentlicht am 22.04.2019

Hervorragend aufgearbeitetes Zeitdokument

Paul und der Krieg
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Beim Durchsehen des Nachlasses ihres Vaters stieß Dorothee Haentjes-Holländer auf eine Fülle an Dokumenten über dessen Einsatz im Zweiten Weltkrieg. Entstanden ist daraus das Buch „Paul und der Krieg„, ...

Beim Durchsehen des Nachlasses ihres Vaters stieß Dorothee Haentjes-Holländer auf eine Fülle an Dokumenten über dessen Einsatz im Zweiten Weltkrieg. Entstanden ist daraus das Buch „Paul und der Krieg„, in dem sie die Geschichte von Paul erzählt, der als 15-Jähriger als Flakhelfer eingezogen wird und für den als 17-jähriger Soldat der Krieg dann in amerikanischer Gefangenschaft endet.

Was Paul zwischen 1943 und 1945 erlebt hat, wird allerdings nicht nur erzählt. Dorothee Haentjes-Holländer hat zudem viele sachkundige Informationen ergänzt und zahlreiche Abbildungen machen das Beschriebene anschaulich. So ist ein Buch entstanden, das man auf der einen Seite als Geschichte lesen kann, das man aber auch aufgrund der Vielzahl an zusätzlichen Informationen als Sachbuch zur Hand nehmen kann.

Das, was dem Buch seine besondere Qualität gibt, sind die vielen persönlichen Briefe, die Paul geschrieben hat, allen voran an seinen Bruder. Als Leser bekommt man so einen ungefilterten Eindruck von dem, was einen 15-Jährigen damals beschäftigte, der schneller erwachsen wurde als er sich träumen ließ.

Der Stolz, nicht mehr Schüler zu sein, weicht bald der Ernüchterung. Der jugendliche Flakhelfer hat mit Übermüdung zu kämpfen, mit Läusen und mit Lehrern, die keine Rücksicht nehmen und bei Disziplinlosigkeit für ungerechtfertigten Urlaubsentzug sorgen. Der Leser erhält so einen genauen Blick auf den Alltag des 15-Jährigen bei der Flak und erlebt mit, wie aus dem Flakhelfer in den letzten Kriegsmonaten schließlich noch ein Soldat wird.

Es sind oft die Kleinigkeiten, die Nebensächlichkeiten, die für uns heutige Leser am interessantesten sind: der kurze Bericht eines Kameraden, der ausrastet, weil er den Lagerkoller kriegt, der durchgeboxte Wunsch nach Religionsunterricht (wo sonst alle Lehrer beim Teufel bleiben sollten!), der Versuch sein Schicksal durch freiwilliges Melden für eine Ausbildung selbst in die Hand zu nehmen.

Mit „Paul und der Krieg“ ist ein hervorragend aufgearbeitetes Zeitdokument entstanden, das durch die Perspektive eines eher unpolitischen Jugendlichen und die genaue Beschreibung des Lebensalltags einen guten Einblick in die Herausforderungen, vor denen Jugendliche damals standen, gibt. Ohne dass es eigens gesagt werden muss, wird auf jeder Seite des Buches der Schrecken des Krieges deutlich.

Veröffentlicht am 20.04.2019

Keine Helden

Heldenhaft
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Nein, in Andreas Thamms neuem Jugendbuch „Heldenhaft“ kommen keine Helden vor. Auch keine heldenhaften Taten. Im Gegenteil: Andi, Ferdi und Lea sind durchschnittliche, „typische“ Jugendliche um die 17 ...

Nein, in Andreas Thamms neuem Jugendbuch „Heldenhaft“ kommen keine Helden vor. Auch keine heldenhaften Taten. Im Gegenteil: Andi, Ferdi und Lea sind durchschnittliche, „typische“ Jugendliche um die 17 Jahre. Und sie erleben wie alle Jugendliche eine ganz und gar durchschnittliche Jugend auf dem Land. Sie trinken Alkohol, auch zu viel, üben sich in Mutproben, auch gefährlichen, probieren Drogen, allerdings nur einmal. Sie schlagen über die Stränge, aber in verhaltenem Maße. Sie hören noch auf ihre Eltern, wenn auch nicht immer. Sie merken, wenn sie Grenzen überschreiten. Sie wissen instinktiv um den Wert von Freundschaft.

In dieses Landidyll passt einer nicht so richtig: Mitch. Bei ihm ist es immer einen Zacken mehr. Sogar ins Gefängnis muss er, für ein Jahr. Und als er wieder rauskommt, ist die Stimmung zwischen den Freunden etwas angespannt, denn Andi hat vor Gericht nicht für ihn gelogen. Mitch ist aber nicht Andis einziges Problem. Denn da ist noch Lea, das Nachbarsmädchen, das mit ihm in eine Klasse geht, in das er ordentlich verschossen ist. Doch traut er sich nicht nur nicht, sie anzusprechen: die Familie ist zudem noch in einer religiösen Sondergemeinschaft, Lea ist also immer unter Beobachtung.

Viel Stoff also für eine gute Handlung. Allerdings nutzt das Buch diesen Stoff nicht wirklich. Zu viel Geplänkel, zu viel Belanglosigkeit, zu wenig Ernsthaftigkeit und Konsequenz stehen dem im Wege. Während die Handlung anfangs etwas schleppend in die Gänge kommt, nimmt sie im zweiten Teil rasant an Fahrt auf – fast schon zu viel, denn der Schluss ist einer Vollbremsung ähnlich.

Insgesamt kommt das Buch ein wenig zu behäbig daher, allen Kraftausdrücken, die darin vorkommen, zum Trotz. Obwohl Mitch (nicht etwa Andi, aus dessen Perspektive die Handlung erzählt wird) die interessanteste Figur des Buches ist, bleibt sie vergleichsweise blass. Das Unberechenbare an ihm gibt ihm dennoch keine Farbe, lässt ihn nicht lebendiger wirken. Vielleicht hätte eine andere Erzählperspektive dem Buch gutgetan.

Die Protagonisten schlittern von einem ins andere, daran ändert auch Mitch nichts, der immer wieder wie aus der Versenkung wieder auftaucht. Kaum etwas nehmen sie selbst in die Hand und wenn, dann ist es schlecht bis gar nicht durchdacht und bleibt dennoch ohne Konsequenzen. Von einem Jugendbuch hätte ich mir hier etwas mehr Kontur erwartet: dass die Freunde sich aneinander (zumindest aber an Mitch) richtig reiben, dass durch Konflikte Wege geebnet werden. Die einzige aber, die das am Schluss zumindest ansatzweise tut, ist Lea.

Die Wunderkerze, die auf dem Cover des Buches dargestellt ist, fängt bei mir nicht zu funkeln an. Das Besondere des Buches fehlt mir. Ein wenig mehr Tiefgang, ein wenig mehr Folgen und Konsequenzen, ein wenig mehr bewirkte Veränderung, ein wenig mehr Ernsthaftigkeit, die ins Leben einzieht – das hätte ich mir von diesem Buch erhofft.

Veröffentlicht am 18.04.2019

Ein Buch, das mich nicht überzeugen konnte

Nie so sein
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Es gibt Bücher, da ist man froh, wenn sie endlich rum sind. So ein Buch ist auch "Nie so sein" von Martina Klein. 

Dabei fängt das Buch gar nicht so schlecht an: Die 16-jährige Ada zieht nach der Trennung ...

Es gibt Bücher, da ist man froh, wenn sie endlich rum sind. So ein Buch ist auch "Nie so sein" von Martina Klein. 

Dabei fängt das Buch gar nicht so schlecht an: Die 16-jährige Ada zieht nach der Trennung ihrer Eltern zu ihrem Vater nach Kiel, überrumpelt beim Gerichtstermin dafür ihre Mutter. Ein taffes Mädchen, das sich durchsetzen kann, das weiß, was sie will. Gefühle lässt sie kaum an sich heran.

Den gewünschten Neuanfang in Kiel schafft sie aber nicht. Ihren Freund wollte sie hinter sich lassen, ihre beste Freundin war sowieso nicht mehr in Freiburg. Aber der Start in Kiel gelingt nicht. Ada sitzt lieber im Café als auf der Schulbank. Überraschend lange gelingt es Ada, das Schwänzen zu vertuschen. Zu den schönen Stellen im Buch gehört, wie die Mutter, von Berufs wegen Pychologin, so gar nicht verstehen kann, wie man so lange einfach nichts (N.I.C.H.T.S) machen kann. Überhaupt gehören die Gespräche zwischen Mutter und Tochter zu den Highlights des Buches. Es ist einfach köstlich komisch, wenn die Mutter - gerade auf einem Kongress - ihre Tochter fragt, ob sie ihren Traum zur Vorstellung beim Kongress abwandeln dürfe, damit er "klassischer" sei. 

Doch dass Ada so gar nichts macht, als sie die Schule schwänzt, stimmt nicht. Denn sie trifft einen - scheinbar - Seelenverwandten, wie sie Schulschwänzer, wie sie mit vielen Gedanken im Kopf. Die beiden lernen sich kennen, auch durch ihr gemeinsames Hobby, sich Palindrome auszudenken. Beide sind abgeklärt und verletzlich zugleich. 

So weit, so gut. Was den zweiten Teil des Buches angeht, kann man nur sagen: So weit, so schlecht. Das bunte Gemenge von erzählter Handlung, Blogeinträgen, online-Unterhaltungen und Ähnlichem wird ergänzt durch einen wirren, durchgeknallten Fortgang der Handlung, den man sich alberner und unrealistischer wohl kaum ausdenken könnte.

Warum um alles in der Welt ein Amoklauf sich hier anschließt, man weiß es nicht. Was man aber weiß: es schadet dem Buch ungemein. So wie der neue Deutschlehrer von Ada eine reine Karikatur ist, so ist auch der Amoklauf nicht anders zu verstehen. Hier ist weder im Vorfeld noch später etwas angelegt, was einer ernsthaften Auseinandersetzung mit diesem Thema gerecht werden würde. 

Ich zumindest war froh, als ich das Buch endlich zuklappen konnte. 

Veröffentlicht am 02.04.2019

Spannende Reiseberichte, allerdings etwas einseitig

Die große Heuchelei
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Eine Mischung aus politischen Statements und Berichten von persönlichen Schicksalen bietet Jürgen Todenhöfer in seinem neuen Hörbuch "Die große Heuchelei". Wen Todenhöfer als Heuchler entlarven will, macht ...

Eine Mischung aus politischen Statements und Berichten von persönlichen Schicksalen bietet Jürgen Todenhöfer in seinem neuen Hörbuch "Die große Heuchelei". Wen Todenhöfer als Heuchler entlarven will, macht der Untertitel deutlich: "Wie der Westen seine Werte verrät".

Besonders neu oder besonders originell ist an diesem Teil seines Buches nur wenig. Der Unterschied zu anderen Sachbüchern ist nur, dass Todenhöfer von vorneherein eine moralische Verurteilung vornimmt, die insgesamt allerdings sehr pauschal ausfällt.

Seine zentrale These ist, dass das deutsche Volk über die wahren Kriegsgründe belogen wird. Dabei scheint Todenhöfer davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Bundesbürger tatsächlich glaubt, dass Kriege nur aus humanitären Gründen geführt werden.

Hier unterschätzt der ehemalige Bundestagsabgeordnete der CDU aber seine Mitbürger wohl fulminant: Es dürfte wohl kaum jemanden geben, der nicht zustimmt, dass Rohstoffe oder geostrategische Überlegungen eine militärische Intervention begünstigen. Warum sonst sagte ein früherer Verteidigungsminister, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt? Natürlich geht es immer auch um Interessen.

Man könnte dies als Naivität abtun und darüber hinwegsehen, wenn es nicht bei Todenhöfer immer wieder zu einer Schieflage führen würde, zu einer Einseitigkeit, die problematisch ist. So behauptet Todenhöfer, Horst Köhler wäre als Bundespräsident wiedergewählt worden, wenn er nicht in einem Radiointerview von "außenpolitischen Interessen Deutschlands" gesprochen hätte. Dass die Diskussion hier aber vielmehr darum ging, inwiefern die Auslandseinsätze der Bundeswehr vom Grundgesetz gedeckt sind (und inwiefern sie gedeckt sein müssen), erwähnt Todenhöfer nicht.

Vom Syrienkrieg sagt Todenhöfer, dass er leicht vermieden hätte werden können. Der "ungerechteste Friede wäre besser gewesen", weiß er. Als ob man das im Vorhinein hätte sagen können - wer hätte schon vermutet, dass der Krieg jahrzehntelang dauern wird?

Eine große Schlagseite hat das Hörbuch auch in Blick auf die Schuldfrage. Zumeist wird den USA der Schwarze Peter zugeschoben. Sie nehmen keine Verhandlungsangebote an, haben keinerlei Strategie im Nahen Osten, verschleiern zivile Todesopfer bei Angriffen, haben überhaupt keine Ahnung vom Nahen Osten.

Todenhöfers Kritik an der Berichterstattung im Westen mag richtig sein. Manches wird unter den Teppich gekehrt, manches wenn überhaupt nur am Rande berichtet. Aber ist darauf die Antwort, ebenso einseitig dem Westen pure Scheinheiligkeit vorzuwerfen? Todenhöfer bemüht sich redlich, die Namen der zivilen Opfer zu nennen - im Nahen Osten. Müsste er nicht ebenso die Namen westlicher Opfer nennen?

In vielem, was Todenhöfer sagt, kann ich ihm im Grunde zustimmen. Kriege sind keine einfache und oft nicht einmal eine praktikable Möglichkeit der Konfliktlösung. Kriege haben zu viele zivile Opfer. Kriege werden nur am Rande aus humanitären oder anderen ehrenhaft anmutenden Gründen geführt.

Was aber bei Todenhöfer herausgekommen ist, ist eine Fülle an Abenteuergeschichten über den Besuch von Kriegsgebieten, eine unglaubliche Pauschalisierung, keinerlei Differenzierung - Pazifismus wird quer durch alle Zeiten und Orte proklamiert.

Veröffentlicht am 30.03.2019

Sperrig aber lesenswert

Ein Mensch allein
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"Ein Mensch allen" von Jean Giono ist ein sperriges Buch. Sperrig vor allem deshalb, weil seine Hauptfigur, Langlois, ein sperriger Protagonist ist. 

Man lernt ihn zunächst als etwas eigenwilligen Gendarm ...

"Ein Mensch allen" von Jean Giono ist ein sperriges Buch. Sperrig vor allem deshalb, weil seine Hauptfigur, Langlois, ein sperriger Protagonist ist. 

Man lernt ihn zunächst als etwas eigenwilligen Gendarm kennen, der das Verschwinden von Personen in einem kleinen Dorf untersucht. Er versucht sich dabei, in den Täter hineinzuversetzen - doch hat nicht er den Verdienst, den Fall aufzuklären. Dennoch fällt er selbst das Urteil über den Täter. Später dann kehrt Langlois in das Dorf zurück, dieses Mal als Major des Wolfsjagdkorps. Und wieder arbeitet er wie zuvor als Gendarm. Er will den Wolf in die Enge treiben, will ihn selbst zur Strecke bringen.  

Seinem Charakter kann man beim Lesen kaum habhaft werden. Ist er doch einerseits hochmütig und abweisend, so wirkt er - zumindest aus der Ferne - freundlich und humorvoll, wenn er etwa um der neugierigen Dorfbewohner willen extra einen falschen Weg einschlägt, um sie auszutricksen und ihnen dann mit dem Taschentuch zuwinkt. So bleibt Langlois, egal wie viel man über ihn lebt, ein Sonderling, sperrig und verquer. 

 Jean Gionos Buch aus dem Jahr 1946 ist enorm spannend, wenn der Fall der verschwundenen Personen aufgeklärt wird. Allerdings merkt man bald, dass es gar nicht die Absicht von Giono ist, Spannung aufzubauen. Die Aufklärung ist enorm einfach erzählt, fast schon banal und ist nicht einmal der Schlusspunkt des Buches. 

Nein, Giono will etwas ganz anderes mit seinem Buch erreichen: Immer mehr rückt die Person des Langlois in den Vordergrund, die Umgebung, die Menschen: all das spielt ihm zu, bildet den Horizont, auf dem Langlois abgebildet wird. Ein Bestimmer, ein Anführer, zugleich aber der höfliche Nachbar, zurückhaltend und einsam. Ein Mensch allein, Langlois, vereint all diese Eigenschaften in sich. 

In seinen Beschreibungen entpuppt sich Jean Giono als großer Erzähler. Egal ob er eine Wolfsjagd, eine Buche oder eine Person beschreibt, die Sprache zieht einen nach und nach in ihren Bann. Der Erzähler nimmt den Leser an die Hand, stellt ihm Personen vor, entschuldigt dies und jenes ("Man muss Bergues entschuldigen, der Junggeselle und ein wenig ungehobelt ist"), anderes dafür nicht ("Meine Mutter war Stiefelstepperin und mein Vater ein Zugvogel"). 

Immer ein wenig neckisch führt der Erzähler durch das Geschehen. Manchmal ist es mühsam, ihm zu folgen - vor allem dann, wenn Nebenschauplätze betreten werden und Personen, von deren Wichtigkeit man noch nichts weiß, ausführlichst präsentiert werden. Insgesamt aber macht es eine große Freude, dem Erzähler in angemessener Entfernung zu folgen.