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Veröffentlicht am 14.08.2018

Das Leben der Ida Bauer

Ida
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Ida Bauer hat es zu Berühmtheit gebracht. Nicht, weil sie die Schwester des Wiener Sozialdemokraten Otto Bauer war. Vielmehr, weil sie der „Fall Dora“ von Siegmund Freud war. An ihr erforschte Freud seine ...

Ida Bauer hat es zu Berühmtheit gebracht. Nicht, weil sie die Schwester des Wiener Sozialdemokraten Otto Bauer war. Vielmehr, weil sie der „Fall Dora“ von Siegmund Freud war. An ihr erforschte Freud seine Übertragungstheorie, seine Hysterie-Annahmen.

Katharina Adler hat nun ein Buch über ihre Urgroßmutter geschrieben. Ein Buch, das überraschend unspektakulär ausfällt. Denn obwohl Ida Bauer zu einem berühmten Fall der Psychoanalyse wurde, bleibt der Besuch bei Freud nur eine Episode in Katharina Adlers Roman. Betrachtet man allerdings Ida Bauers Leben, so vermag das nicht so sehr verwundern, da sie die Therapie bei Dr. Freud nach nur 11 Wochen wieder enttäuscht abbrach.

Vom Aufbau des Romans her betrachtet, ist die Therapie bei Freud durchaus im Zentrum des Buches, nicht aber, was die Bedeutung angeht. Es ist eine von vielen Episoden in Ida Bauers ereignisreichem Leben und dementsprechend wird ihr nicht übermäßig viel Platz eingeräumt.

Von 1882 bis 1945 hat Ida Bauer gelebt. Eine Ironie des Schicksals ist, dass Freud bei seinem Fall Dora die Lebensgeschichte für äußerst relevant hielt. Aufgeschrieben hat diese nun Katharina Adler, freilich ganz anders als Siegmund Freud dies im Sinn hatte.

Mit „Ida“ begibt man sich in das Wien der Kaiserzeit, erlebt den Aufstieg ihres Bruders Otto zum Außenminister Österreichs und seinen Fall. Mit Ida sieht man den Generalstreik scheitern und muss den Aufstieg der Nazis miterleben wie auch die lange und schwierige Flucht über Frankreich in die USA.

Das ist das eine, was Ida lesens- und hörenswert macht: der historische Kontext ist immer wieder überzeugend in den Roman eingebunden.

Gut gelungen ist auch die Charakterisierung Idas, an der man sich abarbeiten kann. Denn allzu charmant wirkt Ida nicht. Zugleich ist „Ida“ auch eine Studie über das – vermeintliche – Großbürgertum und seinen Untergang. Gespickt hat Katharina Adler ihr Buch zudem mit vielen kleinen Anspielungen, vor allem zum Fall Dora. So spricht Freud während einer Therapiesitzung von „Herrn K.“, was Ida korrigiert – in Freuds späterer Veröffentlichung heißt der Mann, der Ida sexuell bedrängt hat, dann wirklich „Herr K.“.

Wenn es auch am Anfang etwas schwerfällt, wegen der vielen Namen und Zeitsprünge in das Hörbuch hineinzufinden: es lohnt sich. Zumindest lohnt es sich, wenn man nicht nur den „Fall Dora“ erwartet, sondern sich einlässt auf ein Leben zwischen der Jahrhundertwende. Man erlebt ein Kind, das stark gefordert ist, weil es sich um den kranken, anfälligen Vater kümmern muss, zu dessen „Äuglein“ wird, als er sein Augenlicht verliert. Man erlebt eine Jugendliche, die sich den Bedrängungen von Hans nicht wirklich zu erwehren weiß. Und schließlich ist man mit dabei, wenn die 18-Jährige auf Initiative ihres Vaters die Praxis von Dr. Freud betritt.

Hier läuft Katharina Adler dann zur Höchstform auf. Genüsslich schildert sie, wie erfreut Ida ist, dass sie bei Dr. Freud warten muss, weil sie nun weiß, dass er auch andere Patienten hat und nicht nur sie sich diese Gespräche antut. Trotz aller Krankheiten ist Ida als starke Persönlichkeit geschildert, die sich von Freuds Theorien kaum begeistern lässt. Irritiert bleibt sie zurück, wenn Freud ihr gegenüber ausdeutet, was es mit ihrem „Schatzkästlein“ auf sich hat.

Auch wenn der Roman am Ende mit der Emigration nach Amerika ein wenig vor sich hin tröpfelt und man den Eindruck hat, dass der Autorin ein wenig die Puste ausgegangen ist: Katharina Adler hat mit „Ida“ bewiesen, dass sie schreiben kann. Gut schreiben kann. Ihr gelingt der Blick aufs Detail wie aufs große Ganze. Sie beherrscht den leichten, persiflierenden Ton genauso wie die bewusste, liebevolle Distanz zu ihren Figuren.

Veröffentlicht am 08.08.2018

Geschichten über den Anfang der (Roh-)Ölindustrie im Kaukasus

Öl und Blut im Orient
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Hasardeur könnte die passendste Bezeichnung für Essad Bey sein. Für einen Berichterstatter sind seine Geschichten aus dem Orient zu märchenhaft geschmückt, für einen Aufschneider steckt zu viel Wahrheit ...

Hasardeur könnte die passendste Bezeichnung für Essad Bey sein. Für einen Berichterstatter sind seine Geschichten aus dem Orient zu märchenhaft geschmückt, für einen Aufschneider steckt zu viel Wahrheit in ihnen. Bereits als 1929 sein Buch „Öl und Blut im Orient“ in der Erstauflage erschien, zeigten die Reaktionen deutlich, dass Bey die Provokation liebt. Übertreibungen und Münchhausiaden finden sich massenhaft in seinem Buch. Essad Bey inszeniert sich selbst als Orientale, obwohl er als Ausländer der Vermittler ist, der dem Westen die Welt des Orients erklärt.

Zunächst gibt Bey einen Einblick in die Ölstadt Baku und ihre politisch-wirtschaftliche Gemengelage. Er selbst beschreibt sich als Sohn eines Ölbarons, der vor dem Ersten Weltkrieg durch die beginnende Rohölindustrie reich geworden ist. Spannend sind die Ausführungen, wie die Industrie funktionierte: durch private Wachdienste (die sogenannte Ölgarde), Arbeiter von außerhalb, die in heruntergekommenen Baracken leben. Ausgeschmückt sind diese Ausführungen mit kleinen Geschichten über die (vermeintliche) Weisheit der Herrscher bis hin zu der Geschichte von seiner eigenen Entführung. Dass dabei im Orient Könige, Fürsten und Räuber nicht immer leicht zu unterscheiden sind, macht Bey mehr als einmal deutlich. So schildert Bey auch ausführlich, dass Räuber immer wieder – zur Erhaltung der Ordnung – zu Provinzgouverneuren gemacht werden.

Allerdings muss man manches, was Bey schreibt, mit Vorsicht genießen. So weist das Nachwort bereits darauf hin, dass manches, was beschrieben ist, so nicht stimmen kann. In Blick auf die Jesiden kolportiert Bey zum Beispiel das Vorurteil, es handle sich um Teufelsanbeter. Der goldene Pfau, den sie anbeten, stehe für den Teufel, sagt Bey und verweist auf Jesiden, mit denen er sich unterhalten habe. Freilich war der goldene Pfau schon zu Essad Beys Zeiten das Symbol für den obersten Erzengel.

Fast schon humoristisch wirken Beys Ausführungen zu den Rassen. So vertritt er die These, dass das Klima die Rassen verändere – und zwar im Sauseschritt. Als Beispiel führt er die Kinder blonder Männer an, die plötzlich schwarze Haare hätten. Hier sind doch andere Antworten deutlich plausibler. Aber Bey will den Menschen glauben, die ihm erzählen, dass man niemals nie auf die Idee käme, mit jemandem einer anderen Rasse zu verkehren.

Zu wissen, dass nicht alles, was Bey beschreibt und erzählt, stimmt, mindert ein wenig den Lesegenuss. Trotzdem sind die Beschreibungen von Land und Leuten spannend zu lesen. Dazu gehören etwa die Traditionen der Wüstenbewohner oder auch die Beschreibung von Samarkand, was Bey als Ursitz seiner Familie bezeichnet.

Immer wieder schildert Bey auch die Grausamkeit des Orients. Ein wenig wirkt es bei Bey so, als ob Massaker eben zum Orient dazugehören. Der Schrecken wird am ehesten noch bei den Massakern der Sowjetunion deutlich. Mit der Flucht vor den Russen endet auch das Buch. Als auch das Land Georgien, in das Bey mit seinem Vater geflüchtet ist, russisch wird, geht es zurück nach Europa.

Lesenswert ist das Nachwort von Sebastian Januszewski, der vor allem auf die Ungereimtheiten in der Biografie Beys eingeht, aber auch die Historizität des Textes kritisch hinterfragt.

Veröffentlicht am 30.07.2018

Gleichnisse für unsere Zeit ?

Der Fremde im Zug
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„Der Fremde im Zug“ hat mich nicht begeistern können. Die Übertragung biblischer Gleichnisse ins Heute, die Attila Jo Ebersbach vornimmt, bleibt deutlich hinter meinen Erwartungen zurück. Es fehlt der ...

„Der Fremde im Zug“ hat mich nicht begeistern können. Die Übertragung biblischer Gleichnisse ins Heute, die Attila Jo Ebersbach vornimmt, bleibt deutlich hinter meinen Erwartungen zurück. Es fehlt der Pfiff, der Clou – sprich: die Überraschung, die einen zum Nachdenken bringt.
Attila Jo Ebersbach hat die Handlung biblischer Gleichnisse (wie auch einzelne biblische Verse, zumeist Aussagen Jesu) in ein anderes Setting gepackt, einen Deutungsansatz darauf, was die biblischen Gleichnisse und Texte heute aussagen können, bietet er jedoch nicht.
Was die Qualität der Geschichten angeht, fand ich manche interessant zu lesen, da sie einem die Handlung der Gleichnisse deutlicher vor Augen führten, andere jedoch fand ich sehr konstruiert, zu ausführlich und auch ist nicht immer prägnant die Pointe des Gleichnisses herausgehoben.
Dennoch bin ich der Meinung, dass einige der Geschichten in Bibelkreisen Verwendung finden könnten, kommt man doch recht schnell von ihnen zum biblischen Gleichnis und kann dann über den Sinn des Gleichnisses reden. Gleichnisse für unsere Zeit sind es freilich nicht.

Veröffentlicht am 25.07.2018

Mörderisches Klassentreffen

Nichts ist verziehen
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Ein Klassentreffen ist ist der Ausgangspunkt von Ninni Schulmans neuem Krimi „Nichts ist verziehen“. In einer Hütte mitten im Wald soll übernachtet werden, so wie sie es früher in der neunten Klasse bereits ...

Ein Klassentreffen ist ist der Ausgangspunkt von Ninni Schulmans neuem Krimi „Nichts ist verziehen“. In einer Hütte mitten im Wald soll übernachtet werden, so wie sie es früher in der neunten Klasse bereits taten, inklusive nächtlicher Gespensterwanderung. Doch dann wird Jack, der Serienstar geworden ist, während der Wanderung ermordet. Und es bleibt nicht bei einem Toten.

So spannend es ist, zu sehen, wie die alten Beziehungsgeflechte der Schulzeit während des Klassentreffens wieder reaktiviert werden: ein Klassentreffen bedeutet viele Personen und dies wiederum führt in „Nichts ist verziehen“ zu einer großen Unübersichtlichkeit, die sich nur sehr langsam auflöst, indem einzelne Personen wie etwa der alkoholabhängige Ted stärker in den Fokus gerückt werden.

Hinzu kommen noch jede Menge Ermittler, die jedoch mehr mit sich selbst und ihren Beziehungsproblemen beschäftigt sind als dass sie den Fall lösen. Letztlich wird die Journalistin Magdalena Hansson, die selbst beim Klassentreffen war, zur Ermittlerin, die dem Täter auf die Spur kommt. Warum Ninni Schulman in ihrem Krimi den anderen Ermittlern so viel Raum gegeben hat, ist nicht erkennbar. Gutgetan hat es dem Krimi jedenfalls nicht.

Einigermaßen überzeugen konnte mich der Krimi erst am Schluss. Nachdem er nur langsam in Fahrt kommt, wird er zum Ende hin fast zu rasant inklusive einer Verfolgungsjagd. Die Auflösung ist recht interessant, sie bietet vor allem viel Stoff, um über die Beweggründe nachzudenken. Allerdings gibt die Autorin einen viel zu großen Schuss Weichspüler hinzu, um das Privatleben der Ermittler wieder ins Lot zu bringen. Warum Ninni Schulman es vorher aus dem Lot bringen musste, bleibt ihr Geheimnis. Interessant ist daran jedenfalls nichts. Die Journalistin Magdalena Hansson überzeugt da schon eher als Figur, wenn auch einiges aus ihrer Vorgeschichte im Unklaren bleibt. Auch wenn „Nichts ist verziehen“ der dritte Band der schwedischen Värmland-Krimis ist, hätte man sich doch mehr Informationen in Kurzform über sie – und ihren Sohn – gewünscht.

Mir persönlich hat zudem nicht gefallen, dass es – neben dem extrem ausgebreiteten Beziehungsleben der zudem kaum ermittelnden Ermittler noch Nebenhandlungen gibt, die mit dem Fall so gar nichts zu tun haben, jedoch immer wieder aufgegriffen werden. Sicherlich: es sind falsche Fährten, die jedoch so weit ausgeführt sind, dass man sich mehr wünscht, als dass sie einfach nur unwichtig sind.

Auch die Rückblicke, die mehrfach eingestreut sind, haben mich nicht überzeugt. Sie wirken einfach nur wie ein Fremdkörper, auch wenn sie später noch eine Funktion bekommen. Das hätte man auch anders lösen können.

Fazit: Ein Krimi, der nur bedingt überzeugt. Zu viele Personen, zu viel Nebenhandlung durch – letztlich überflüssige – Ermittler. Viel Verwirrung also, die durch die interessante Auflösung der Morde nicht aufgewogen wird.

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Veröffentlicht am 13.07.2018

Gelungener Reisebericht

Mit 50 Euro um die Welt
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Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen – besonders, wenn die Reise vier Jahre dauert. So lange reiste Christopher Schacht um die Welt. Von Europa aus ging es an Afrika vorbei Richtung Südamerika, ...

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen – besonders, wenn die Reise vier Jahre dauert. So lange reiste Christopher Schacht um die Welt. Von Europa aus ging es an Afrika vorbei Richtung Südamerika, dann nach Asien und über Indien zurück nach Deutschland. Die Reise wollte er als Reise erleben und verzichtete deshalb auf das schnelle Flugzeug als Transportmittel.

„Ich habe gelernt, das Leben mit anderen Augen zu sehen“: so fasst Christopher Schacht die Erfahrung dieser vier Jahre zusammen. Die Reise finanzierte er durch Arbeit unterwegs, gestartet ist er mit nur 50 Euro in der Tasche. Immer wieder fand er Schipper, die ihn mitnahmen, lernte Leute kennen, bei denen er übernachten und wohnen konnte. Von diesen Begegnungen vor allem handelt Schachts Buch. Sie waren es wohl, die Schacht so sehr geprägt haben, dass er seinen Plan, Informatik zu studieren aufgab und nun nach seiner Weltreise mit einem Theologiestudium begann.

In seinem Buch „Mit 50 Euro um die Welt“ präsentiert sich Schacht nicht als großen Held, der – bildlich gesprochen – alle sieben Meere besegelt hat, sondern kommt immer wieder zum Nachdenken. So reflektiert er beim Besuch eines Indianerdorfes den Umgang mit den Ureinwohnern, stellte sich die Frage, wie aus Korea ein hochtechnologisiertes Land werden konnte. Und vieles, was ihm möglich war, sieht er als Glück an – oder besser: als Schicksal. Zufrieden, schreibt Schacht, sei er mit wenig gewesen. Übernachten in der Hängematte? Für Schacht kein Problem. Eine kurzfristige Absage für die Mitfahrt auf dem Segelboot? Etwas warten, und die nächste Möglichkeit bietet sich. Nicht nur einmal lief Schacht tatsächlich Gefahr, seine Reise ab- oder unterbrechen zu müssen. Für alle Probleme gab es aber schließlich Lösungen.

Was er alles auf seiner Reise durch 45 Länder erlebt hat, schildert Schacht eindrücklich und immer wieder mit einer Prise Humor. Versehen ist das Buch zudem mit wunderschönen Bildern und Karten, auf denen die Route (und vor allem die großen Entfernungen) deutlich wird.

Mit 19 Jahren startete Schacht nach dem Abitur seine Weltreise, mit 24 kam er zurück – weiser und verlobt. Die Wiedersehensfreude der Familie kann man sich da lebhaft vorstellen.