Profilbild von frenx

frenx

Lesejury Star
offline

frenx ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit frenx über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.01.2018

Für junge Leser geschrieben

Ikarus fliegt
0

„Ikarus fliegt“ von Sally Christie hat eine große Stärke: es ist für 12-Jährige aus der Sicht eines Zwölfjährigen erzählt. Keine abgehobene Erwachsenenperspektive prägt das Buch. Alex, die Hauptfigur, ...

„Ikarus fliegt“ von Sally Christie hat eine große Stärke: es ist für 12-Jährige aus der Sicht eines Zwölfjährigen erzählt. Keine abgehobene Erwachsenenperspektive prägt das Buch. Alex, die Hauptfigur, schildert seine Sicht der Dinge, und dazu gehört auch, dass er selten so richtig den Durchblick hat.

Während man am Anfang bei „Ikarus fliegt“ noch den Eindruck hat, es handle sich um eine typische Anti-Mobbing-Geschichte, weil Alex ständig darüber philosophiert, auf welche Art und Weise man nicht zum Opfer in der Klasse wird, entwickelt sich das Buch immer mehr zu einer Geschichte um Freundschaft und Mut. Denn ein Mitschüler aus Alex‘ Klasse verteilt heimlich Zettel, die sagen: Ein Junge wird fliegen, wie Ikarus. Und schnell wird klar: Alex‘ Strategie, möglichst nicht aufzufallen, kann bald nicht mehr funktionieren.

Überzeugend ist dabei vor allem die Darstellung, wie zaghaft Freundschaft entsteht. Denn Alex findet heraus, von wem der Zettel stammt und will bei dem Abenteuer Ikarus mitmachen und zwischen den beiden Jungen entsteht nach und nach eine zaghafte Freundschaft. Die Gefahr sieht Alex zunächst nicht.

Dass am Schluss des Buches noch aus einer zweiten Perspektive erzählt wird, um die Handlung zu einer guten Auflösung zu bringen, ist schade. So braucht es doch den deus ex machina, der in die Handlung eingreift. Dabei ist es gerade die Frage, ob der Flug des „Ikarus“ nun gut ausgeht, die für Spannung sorgt. Da bleibt es nicht aus, dass man als Leser ein wenig enttäuscht zurückbleibt.

Fazit: Ein Buch, das für junge Leser bis 12 spannend ist, älteren dürfte die Handlung zu konstruiert und die Charaktere nicht nah genug sein.

Veröffentlicht am 28.12.2017

Falsche Gottesvorstellungen

Lügen, die wir uns über Gott erzählen
0

William Paul Young ist durch sein Buch „Die Hütte“ berühmt geworden. In seinem neuen Buch „Lügen, die wir uns über Gott erzählen“ geht er auf falsche Vorstellungen von Gott ein. Wer seinen Roman „Die Hütte“ ...

William Paul Young ist durch sein Buch „Die Hütte“ berühmt geworden. In seinem neuen Buch „Lügen, die wir uns über Gott erzählen“ geht er auf falsche Vorstellungen von Gott ein. Wer seinen Roman „Die Hütte“ gelesen hat, kennt einige davon bereits.

So ist das Buch vor allem für Leser interessant, die bereits „Die Hütte“ kennen. Denn Young geht immer wieder darauf ein, erklärt, wie das Buch entstanden ist, begründet seine Darstellungen. Zudem erfährt man einiges über Youngs Leben, unter anderem wie ihn seine Kindheit mit einem allzu strengen Vater geprägt hat.

Wer sich für diese Hintergründe nicht interessiert, dürfte mit Youngs Buch über weite Strecken nicht allzu viel anfangen. Für mich waren die 28 „Lügen“ über den Glauben, die Young auflistet, selbstverständlich Irrtümer, der Erkenntnisgewinn war daher eher gering. Die meisten Argumentationen Youngs basieren auf der Bestimmung des Menschen als Beziehungswesen, das Verhältnis zu Gott ein Beziehungsgeflecht. Der Mensch als sündiges Wesen, das sich von Gott trennt? Gott ein Christ? Für Young gehört das zum Glauben seiner Kindheit, den er überwunden hat. Mühsam überwunden hat. Wem eine Selbstverständlichkeit ist, kann Youngs Eifer – wie ich – wohl nicht nachvollziehen bei der Gegenrede.

Manches an Youngs Argumentationen ist für mich gelinde gesagt befremdlich. Wenn er das Wort „Christus“ als verspottende Bezeichnung für Christen darstellt, ohne dabei darauf einzugehen, dass damit der Messias, der Gesalbte, gemeint ist. Ebenso ist verstörend, dass Young behauptet, es gebe im Griechischen kein Wort für Prinzip und Priorität – weil er es in einem Lexikon nicht gefunden hat. Als ob es nicht die Tugend gebe und die Vorherrschaft…

Interessant sind Youngs Ausführungen, wo er sich als Querdenker erweist. So verteidigt er vehement an einigen Stellen, dass dem Menschen Freiheiten geschenkt sind, die Gott akzeptiert – Gott sei ein „fügsamer“ Gott, schreibt Young. Interessant, aber nicht ganz klar sind seine Ausführungen zum Zufall. So wendet er sich vehement gegen die Vorstellung, dass es einen Zufall gebe, wo alles von Gott geschaffen ist, spricht sich aber gleichermaßen gegen die Vorstellung der Vorherbestimmung. Interessant waren für mich auch die Ausführungen zu Jesu Kreuzigung. Zunächst geht Young da der Frage nach, ob Gott die Kreuzigung gewollt habe (seine Antwort: natürlich nicht!) und zum Tod, mit dem eben nicht alles aus sei, sondern ein „heilsamer Prozess“ beginne, der hin zu Gott, zur Liebe, führe. Und dort erst gebe es die Liebe ohne Leiden, in einer Welt ohne Tod. Interessant fand ich auch, wie stark Young verteidigt, dass Gott eben nicht nur den Christen, sondern der ganzen Welt das Heil bringe. Dies war Young so wichtig, dass er an den Schluss seines Buches eine ganze Beweiskette an Bibelzitaten dazu auflistet.

„Lügen, die wir uns über Gott erzählen“ hat für mich beim Lesen ganz unterschiedliche Seiten gezeigt: streckenweise sehr mühsam zu lesen, mit sich ähnlich wiederholenden Begründungsspiralen, streckenweise aber auch interessant zu lesen, mit Aussagen, die zum Nachdenken anregen.

Veröffentlicht am 23.12.2017

Sträter eben

Als ich in meinem Alter war
0

Es ist, als ob man Torsten Sträter lesen hört, wenn man in seinem neuen Buch liest. Die Pausen. Die abgehackten Pointen. Das abrupte Hineinrutschen ins Groteske. Das Lakonische.

„Als ich in meinem Alter ...

Es ist, als ob man Torsten Sträter lesen hört, wenn man in seinem neuen Buch liest. Die Pausen. Die abgehackten Pointen. Das abrupte Hineinrutschen ins Groteske. Das Lakonische.

„Als ich in meinem Alter war“ enthält Sträter-Texte, die teilweise schon etwas älter sind. Viele der Texte dürften eingefleischten Sträter-Fans also schon bekannt sein. Allen voran der Klassiker „Fleischwurst“, in dem Sträter grandios erzählt, wie man ohne Geld eine Fleischwurst kaufen kann und wie man ein Kind in eine Spielhalle schmuggelt.

Sträters Texte sind zumeist durchkomponiert, mit – mindestens – einer Pointe und Querverweisen innerhalb des Textes. Dabei sagt Sträter über sich: „Wissen Sie, ich bin ein ganz schlichter Vogel. Grade was Komik angeht.“ Der trockene Humor Sträters und die Mischung von Komik und Kabarett machen ihn so lesens- und vor allem hörenswert.

Allerdings verliert das Buch im zweiten Teil etwas. Die hohe Qualität der Texte ist hier nicht mehr durchgängig da. Vor allem die Texte zum Thema Sport sind nicht so recht gelungen, und die Qualität der Texte sinkt manchmal vom abstrus Komischen zum Albernen ab. Auch seine Texte als „Pressesprecher“ haben bei mir oft nur ein leichtes Lächeln hervorgerufen. Das wird allerdings im Buch ausgeglichen durch überraschend ernsthafte Texte mit einem Anliegen wie zum Beispiel die Texte „Darmspiegelung“, „Flüchtlingsgesetz“ und „Pegida“ („nichts weiter als eine Butterfahrt des Hasses“) aus dem Jahr 2015.

„Als ich in meinem Alter war“ bietet eine gute Mischung an Texten Sträters, die sich zwischen Alltagsproblemen und Weltkrisen bewegen. Wenn auch nicht alle Texte gleichermaßen ausgefeilt sind: lesenswert.

Veröffentlicht am 22.12.2017

Zwei Familiengeschichten

Mudbound – Die Tränen von Mississippi
0

Es ist ein Schlammloch, ein „mudbound“, wo die Baumwollfarm, die im Zentrum von Hillary Jordans Buch „Mudbound“ steht, zu finden ist. Zwei Familien leben dort, die auf den ersten Blick unterschiedlicher ...

Es ist ein Schlammloch, ein „mudbound“, wo die Baumwollfarm, die im Zentrum von Hillary Jordans Buch „Mudbound“ steht, zu finden ist. Zwei Familien leben dort, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein können.

Auf der einen Seite ist Henry, weiß, der schon immer – im Gegensatz zu seiner Frau Laura – vom Leben auf einer Farm geträumt hat. Auf der anderen Seite steht Hap, der schwarze Pächter, und seine Frau Florence. In den USA der 1940er Jahre ist das mit Konflikten und einem alltäglichen Rassismus verbunden. Dies spitzt sich zu, als die Söhne der beiden Familien aus dem Krieg zurückkehren und sich anfreunden. Die beiden werden zu Außenseitern, denen das Leben immer wieder schwer gemacht wird.

„Mudbound“ ist in allererster Linie eine doppelte Familiengeschichte. Zwei so grundverschiedene Familien leben zusammen an einem Ort, müssen sich irgendwie einleben und miteinander arrangieren. Der Blick ist dabei nicht nur auf die Konflikte gerichtet, auch das Bewirtschaften der Farm wird zum Thema.

Das Leben auf der Farm ist nicht einfach, das müssen beide Familien bitter erfahren. Für Laura, die als Stadtmensch auf die Farm kommt, ist die Umstellung enorm. Und auch wenn sie Henry liebt, fühlt sie sich doch von dessen Bruder Jamie angezogen, der als Lebemann so gar nicht aufs Land passt. Hap hingegen, der schwarze Pächter, scheint mit seinem Leben zufrieden zu sein, kann seine Familie gut ernähren. Doch wird er von den Weißen übers Ohr gehauen und als er mit seiner Arbeitskraft ausfällt, kommt die Familie in arge Schwierigkeiten.

Diese Mischung, das harte Leben auf dem Land und die Rassentrennung, wird von zwei Seiten betrachtet. – Und das macht das Besondere dieses Hörbuchs aus. Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven heraus. Und so treten die jeweiligen Lebenseinstellungen und Vorurteile klar zutage. Beim Zuhören bleibt es da nicht aus, dass man an manchen Stellen ordentlich schlucken muss. Es gibt keinen kommentierenden Erzähler, der radikale Aussagen oder radikales Verhalten wieder zurechtrückt, indem es verurteilt wird. Der Zuhörer bleibt sich selbst überlassen.

Für mich war es gerade das, was „Mudbound“ so hörenswert gemacht hat.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Deutschland im Jahr 2025

Leere Herzen
0

Ihre Herzen sind leer. Lahmgelegt von dem gesellschaftlichen Überdruss. Desinteresse und Lethargie herrschen vor bei den Menschen im Deutschland des Jahres 2025, das Juli Zeh in ihrem neuen Roman „Leere ...

Ihre Herzen sind leer. Lahmgelegt von dem gesellschaftlichen Überdruss. Desinteresse und Lethargie herrschen vor bei den Menschen im Deutschland des Jahres 2025, das Juli Zeh in ihrem neuen Roman „Leere Herzen“ ausmalt. Politik ist zur lästigen Nebensache geworden. Nachdem Angela Merkel den Posten der Bundeskanzlerin an Regula Freyer von der Besorge Bürger Bewegung (BBB) abgegeben hat, ist Deutschland wie erstarrt. Ein Effizienzpaket nach dem anderen hebelt die Demokratie aus.

Zeitungen? Gibt es kaum noch. Dafür aber ein Grundeinkommen, das alle zufriedenstellt. Und um die, die nicht zufrieden sind, kümmert sich die Partei der BBB. Die Anspielungen auf die AfD lassen sich kaum übersehen. So ist „Leere Herzen“ in erster Linie ein politisches Buch, in zweiter Linie ein Roman und zuletzt auch ein Thriller.

Das politische Buch ist ein Appell, sich einzumischen. Moralingetränkt kommt der Schluss daher, dieses „Empört euch! Mischt euch ein! Demokratie muss man ertragen!“ der Juli Zeh. Britta, die Hauptfigur des Werkes, erkennt, dass man mit Zynismus und Nüchternheit die Welt nicht verändern kann. Und: dass es möglich ist, die Welt zu ändern. Mit ihrer Dystopie will Zeh keinen Blick in die Zukunft wagen, sondern den Blick auf die Gegenwart lenken. Daher stört es auch nicht, dass Zehs Zukunftsvision eher zufällig und sporadisch wirkt, wenig durchdacht. Hier und da erfährt man etwas von den Veränderungen, die Deutschland umwälzen. Oft wird es nur am Rande erwähnt.

Mit ihrem Roman fährt Juli Zeh dabei mehrgleisig. Da ist zunächst die Welt zweier Familien, die gegensätzlicher nicht sein könnten. So erinnert der Anfang des Romans ein wenig an Juli Zehs Roman „Unterleuten„. Die kleine Welt der Familien wird geschildert. Hier ist Zeh eloquent und prägnant wie eh und je.

Doch kommt in ihrem Roman „Leere Herzen“ eine weitere Welt hinzu: Britta und ihr Geschäftspartner Babak leiten die Therapie-Praxis „Die Brücke“ für Selbstmordgefährdete. Und sie schlagen Kapital aus ihrer Praxis. Denn wer nicht heilbar ist, wird an Organisationen weitervermittelt, die Selbstmordattentäter suchen. Ein lukratives Geschäft. Die hohe Erfolgsquote dieses Unternehmens lässt Britta ein finanziell sorgloses Leben führen. Für sie zählt das Geschäft, ein schlechtes Gewissen hat sie nicht.

Allerdings endet mit einem versuchten Selbstmordattentat im Leipziger Frachtflughafen ihre Sorglosigkeit. Das waren keine von ihren Leuten. Immer mehr festigt sich in Britta die Gewissheit, dass es sich dabei nicht nur um Konkurrenz handelt, sondern dass „Die Brücke“ vernichtet werden soll. Sofort machen sich Britta und Babak daran, unter Beweis zu stellen, dass mit ihnen zu rechnen ist… Doch können die beiden nur darüber rätseln, wer denn nun gegen sie agiert. Spätestens hier wird aus dem Roman ein Thriller, ein Katz-und-Maus-Spiel mit ungewissem Ausgang.

Doch drei Dinge sind zwei zu viel. Dem politischen Roman fehlt es an substanzieller Gesellschaftskritik, dem literarischen Roman an Ausgestaltung und dem Thriller an Komplexität der Handlung (und an einem glaubwürdigen Ende). So sehr mir vieles in dem Roman gefallen hat: ein rundes Ganzes ist er für mich nicht.