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Veröffentlicht am 15.11.2019

schöner Schmöker

Schiff der tausend Träume
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Obwohl das Buch den Titel „Schiff der tausend Träume“ trägt, spielen nur die ersten 50 Seiten des Romans auf der Titanic. Der Leser erfährt dennoch einiges über dieses beeindruckende Schiff und die Beweggründe ...

Obwohl das Buch den Titel „Schiff der tausend Träume“ trägt, spielen nur die ersten 50 Seiten des Romans auf der Titanic. Der Leser erfährt dennoch einiges über dieses beeindruckende Schiff und die Beweggründe der Passagiere, an der Jungfernfahrt teilzunehmen. Für manche ist es pure Abenteuerlust, für andere hingegen die letzte Hoffnung, aus ihrem alten Leben zu entfliehen und einen Neuanfang zu wagen. Eindringlich und anschaulich beschreibt Leah Fleming die Klassenunterschiede der Passagiere, die sich auch an Bord der Titanic deutlich zeigen, zum Beispiel in den unterschiedlichen Unterkünften oder am Kleidungsstil der Menschen. Die Katastrophe des Untergangs ist ebenfalls sehr eindringlich beschrieben. Die Verzweiflung und Angst der Passagiere wird für den Leser greifbar und es fühlt sich so an, als stecke er mittendrin in diesen schrecklichen Geschehnissen.

May und Celeste werden von Beginn an sehr lebendig beschrieben und auf diesen beiden Frauen liegt eindeutig das Hauptaugenmerk der Autorin. Den Nebenfiguren widmet sie sich auch recht umfassend, aber es wird schnell klar, dass das Schicksal dieser beiden Frauen im Vordergrund steht. May sucht nach der Beerdigung ihrer Mutter zusammen mit Mann und Kind einen Neuanfang, Celeste hingegen reist an Bord der Titanic, um zu ihrem Sohn und ihrem brutalen Ehemann zurückzukehren. Der Untergang des Schiffes führt die beiden jungen Frauen zusammen und zwischen ihnen entwickelt sich eine wunderbare Freundschaft. Ihre Wege trennen sich nach kurzer Zeit wieder, aber über die Laufe der Jahre bleiben sie in ständigem Briefkontakt. Diese wechselseitigen Briefe sind im Buch abgedruckt und teilweise bestehen die kurzen Kapitel allein aus diesen Briefen, die die Handlung vorantreiben.

Im Verlauf des Buches entwickelt die Handlung viele Nebenstränge, die die Autorin verfolgt und dem Buch so eine gewisse Breite und Tiefe verleiht. Celestes Ehemann, ihr Sohn, ein Pfarrer, ein Italiener – sie alle spielen für die Entwicklung des Buches eine Rolle und werden in die Handlung einbezogen. Oft findet mit jedem neuen Kapitel ein Sprung zu einem anderen Handlungsstrang statt, aber es fällt dennoch leicht, der Geschichte zu folgen.

„Schiff der tausend Träume“ ist zwar ein sehr umfangreicher Schmöker, lässt sich aber aufgrund des angenehmen Schreibstils der Autorin schnell und leicht weglesen. Die Ausdrucksweise von Leah Fleming ist nicht zu ausgefeilt, sondern für einen Roman passend und angemessen. Dazu kommt, dass die Handlung sehr abwechslungsreich ist und ständig etwas passiert, sodass so gut wie keine Längen aufkommen. Nachteilig ist dadurch aber, dass sich die Autorin für manche Ereignisse zu wenig Zeit nimmt und diese zu schnell abhandelt, wodurch der Roman stellenweise etwas oberflächlich wirkt. Das Buch nimmt im Jahr 1912 seinen Lauf und die Ereignisse des Ersten Weltkrieges werden nur mit wenigen Worten erwähnt. Dafür nimmt sich die Autorin jedoch viel Zeit für die Schicksale ihrer Figuren. „Schiff der tausend Träume“ ist ein Entwicklungsroman, bei dem die Charaktere im Vordergrund stehen und ihr Leben über viele Jahre hinweg verfolgt wird. Manche Entwicklungen sind vorhersehbar, andere kommen völlig unerwartet. Durchweg bleibt das Interesse des Lesers an den Einzelschicksalen geweckt, sodass der Roman gute Unterhaltung bietet.

Mein Fazit:

Ein handlungsreicher Schmöker, bei dem die Entwicklung der zahlreichen Figuren im Vordergrund steht.

Veröffentlicht am 15.11.2019

Tiefgründig!

Das verborgene Haus
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„Das verborgene Haus“ ist ein enorm melancholischer und wehmütiger Roman. Die Ehe zwischen Viola und Axel kann kaum noch als liebevoll oder schön bezeichnet werden. Die Stimmung zwischen den beiden ist ...

„Das verborgene Haus“ ist ein enorm melancholischer und wehmütiger Roman. Die Ehe zwischen Viola und Axel kann kaum noch als liebevoll oder schön bezeichnet werden. Die Stimmung zwischen den beiden ist durchweg gereizt und angespannt, was hauptsächlich an den scheinbar unkontrollierbaren Wutausbrüchen von Axel liegt. Die beiden Ehepartner gehen kaum noch zärtlich miteinander um, haben sich voneinander entfernt und bringen nur noch wenig Geduld oder Interesse für den anderen auf. Dabei wird für den Leser nicht deutlich, warum vor allem Axel sich so unangebracht verhält. Zwar wird erklärt, dass er vor nicht allzu langer Zeit unter einer schweren Krankheit litt, aber diese wird nicht genauer beschrieben und es wird nicht deutlich, warum sich diese so auf seine Gemütsfassung ausgewirkt hat. Der Urlaub in dem schwedischen Sommerhaus erscheint wie ein letzter Ausweg der beiden, um ihre Ehe zu retten. Es macht nicht viel Spaß, die beiden zusammen zu erleben und zu beobachten. Die Stimmung, die von der Ehe der beiden ausgeht, ist sehr bedrückend und unschön, wenig hoffnungsvoll und überträgt sich direkt auf die Gemütsfassung des Lesers.

Axels Mutter befindet sich in einem Pflegeheim in der Nähe des Sommerhauses, wo sie wegen ihrer fortgeschrittenen Demenz behandelt wird. Axel und Viola besuchen sie am zweiten Tag ihres Urlaubs und erneut kommt es zu Spannungen und Problemen zwischen den beiden, da Viola es nicht aushält, sich in der Nähe ihrer Schwiegermutter aufzuhalten, deren Leid sie sehr mitnimmt und bewegt. Daher läuft sie orientierungslos durch das Pflegeheim, bis sie auf eine andere Heimbewohnerin – die neunzigjährige Lea – trifft und in ihrer Nähe die Zeit vergisst. Lea wirkt mit ihrer offenen und direkten Art sehr beruhigend auf Viola und mit ihr wird sie in den nächsten Tagen sehr viel Zeit verbringen. Lea ist es, die Viola eine Mappe überreicht, in dem sich Erzählungen finden, die auf indirekte Art und Weise sehr viel über Lea und ihre Erfahrungen und Erlebnisse als Missionarin in China berichten. Auch diese Erzählungen sind traurig und bewegend und sorgen zusätzlich für die bedrückende Grundstimmung des Buches. Dennoch lesen sie sich sehr interessant und machen einen wesentlichen Teil des Romans aus.

Als Viola schließlich von einem Arzt zum Ausgang des labyrinthartigen Pflegeheims geführt wird und Axel die beiden zusammen sieht, hegt er ab sofort den Verdacht, seine Frau habe eine Affäre mit diesem Arzt. Die Stimmung ist von nun an noch gereizter und hoffnungsloser und Viola zieht sich immer mehr zurück, sehnt sich immer mehr nach den Mut und Kraft gebenden Worten Leas und entfernt sich immer mehr von ihrem Mann.

Es fällt sehr schwer, als Leser eine Beziehung zu den Figuren des Buches aufzubauen. Axel wirkt mit seiner unbeherrschten Art von Anfang an unsympathisch und unnahbar. Aber auch Violas Verhalten ist nicht immer nachvollziehbar und stößt auf Bedenken. Sicherlich lernt sie im Verlauf des Buches viel über sich selbst und entwickelt sich auch weiter, aber dennoch bleibt sie dem Leser zum größten Teil fremd.

„Das verborgene Haus“ ist ein sehr intelligenter und tiefgründiger Roman, bei dem man stellenweise zwischen den Zeilen lesen muss und die Charakterisierung der Figuren eher durch ihr Verhalten erfolgt als durch Beschreibungen der Autorin. Das ist sicher der Erzählperspektive geschuldet, passt aber auch einfach zur Stimmung und Grundaussage des Buches. Der Schreibstil der Autorin ist recht anspruchsvoll, wodurch ihr neuestes Werk kein seichter Roman, sondern anspruchsvolle Literatur ist.

Mein Fazit:

Ein tiefgründiger und intelligenter Roman, dessen melancholische und wehmütige Grundstimmung sich direkt auf den Leser überträgt.

Veröffentlicht am 15.11.2019

Das traurige Schicksal der einst so majestätischen Drachen

Drachenhüter
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Obwohl „Drachenhüter“ der erste Teil eines eigenständigen Zyklus ist, ist es doch hilfreich, wenn man sich als Leser bereits ein wenig in der Welt der Autorin Robin Hobb auskennt. Denn Drachenhüter spielt ...

Obwohl „Drachenhüter“ der erste Teil eines eigenständigen Zyklus ist, ist es doch hilfreich, wenn man sich als Leser bereits ein wenig in der Welt der Autorin Robin Hobb auskennt. Denn Drachenhüter spielt in derselben Welt wie andere ihrer Zyklen, „Die Zauberschiffe“ und „Die Weitseher“-Bücher. Man kann die Handlung sicherlich auch nachvollziehen, wenn „Drachenhüter“ das erste Werk der Autorin ist, das man liest. Wichtige Zusammenhänge werden von Robin Hobb hergestellt und der Leser erhält genügend Hintergrundinformationen, um der Handlung folgen zu können. Aber es macht einfach mehr Spaß, Zusammenhänge selbst herzustellen und an Ereignisse aus älteren Büchern erinnert zu werden. Und letztlich kann man dadurch auch viel tiefer in die Welt von Robin Hobb eintauchen.

Der Autorin ist es gelungen, eine tolle fantastische Welt zu gestalten. Diese entspricht zum größten Teil den gängigen fantastischen Welten mit mystischen Wesen und magischen Figuren, enthält aber auch einige Besonderheiten. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass sehr begehrtes magisches Holz in den Wäldern zu finden ist, aus dem fahrende Händler ihre Schiffe bauen, die unter ganz bestimmten Umständen dann sogar lebendig werden können. Die Grundlage dieses Holzes hängt mit der Entwicklung der Drachen zusammen, die aus diesem Holz schlüpfen.

Diese Informationen bilden die Grundlage des Buches und mit entsprechenden Szenen wird der Leser gleich zu Beginn des Buches konfrontiert. Aber er erlebt auch, dass die Drachen schon längst nicht mehr die majestätischen und prachtvollen Tiere sind, die sie einst waren. Sie werden gejagt und haben natürliche Feinde bekommen. Die Entwicklung von einer Schlange zu einem Drachen wird erheblich von Natureinflüssen beeinträchtigt und es gibt nur noch wenige Drachen, die stark genug sind, den Geburtsprozess zu überstehen. Den Leser erwarten hier sehr eindrucksvolle, aber auch sehr verzweifelte Szenen im Kampf um das Leben und Überleben der Drachen. Ihr Leid wird förmlich greifbar und ebenso wird deutlich, dass sie auf Hilfe angewiesen sind, um ihr Überleben zu sichern.

Das Buch enthält eine Handvoll Handlungsstränge mit vielen Charakteren, die abwechselnd verfolgt werden, sich im Verlauf des Buches berühren und verbinden. Dadurch, dass die Kapitel so umfangreich sind, erfolgen Sprünge zwischen den Handlungssträngen nicht zu oft und es fällt leicht, den Überblick zu behalten. Am Anfang ergeben die Handlungsstränge noch kein rundes Bild, da der Leser nicht nur von Figur zu Figur springt, sondern auch Ort und Zeit wechseln. Aber im Verlauf des Buches legt sich dieses kleine Durcheinander, wenn sich die Handlungsstränge nach und nach verbinden. Gleichzeitig bleibt die Handlung durch die unterschiedlichen Stränge sehr abwechslungsreich – im Prinzip passiert ständig etwas, wenn auch nicht in jedem Handlungsstrang.

Dafür wird jeder von ihnen ausgiebig verfolgt und dem Leser werden die Figuren, die Einzelschicksale und die Handlungsumgebung bildhaft nahegebracht. Robin Hobb versteht es, ihre Charaktere lebendig zu zeichnen und sie dem Leser nahezubringen. Freud und Leid der Figuren werden greifbar, sie werden umfassend beschrieben und wirken allesamt authentisch. Selbst der griesgrämigste Schiffskapitän wirkt durch die tolle Zeichnung der Autorin sympathisch.

Die erste Hälfte des Buches nimmt ungefähr die Vorgeschichte auf, in der zweiten Hälfte des Buches haben sich dann die meisten Handlungsstränge miteinander verbunden und die Handlung nimmt richtig an Fahrt auf. Robin Hobb hat ein Auge für Details, dennoch wirkt die Handlung nicht überladen. Alles, was für die Geschichte wichtig ist, wird umfangreich erklärt, aber auch mit Nebeninformationen wird der Leser versorgt. Dadurch kann man als Leser richtig schön in die Welt von Robin Hobb eintauchen. Man erfährt Vieles über die Eigenheiten der Menschen, ihre Kultur und Lebensweise. Aber auch ihr Verhältnis zu den Drachen und die Probleme dieser Kreaturen werden verdeutlicht. Über die Handlung lässt sich nicht viel mehr sagen, als im Klappentext steht, ohne zu viel zu verraten. Am besten lasst ihr euch einfach auf die Geschichte ein und erlebt sie selbst.

Der Stil der Autorin ist sehr bildhaft und anschaulich. Robin Hobb beschreibt die Handlungsumgebung und die Figuren sehr lebendig und detailliert, sodass es leicht fällt, ein Kopfkino vor dem geistigen Auge ablaufen zu lassen. Kurzweilige Dialoge erleichtern zudem den Lesefluss und treiben die Handlung voran.

Das Ende des Buches ist kein echter Cliffhanger, aber es ist definitiv ein offenes Ende, das gespannt auf die Fortsetzung macht, die voraussichtlich im Juli 2012 im Heyne Verlag erscheinen wird.

Mein Fazit:

Robin Hobb entführt ihre Leser mit „Drachenhüter“ in ihre eigene, besondere fantastische Welt und berichtet ihnen vom traurigen Schicksal der einst so majestätischen Drachen.

Veröffentlicht am 15.11.2019

Tretet ein und lasst euch vom Nachtzirkus verzaubern!

Der Nachtzirkus
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Ein Zirkus übt auf seine Besucher stets eine besondere Wirkung aus. Man tritt ein in eine andere Welt, die voller Freude und Magie ist, die so völlig anders ist als das Normale und Gewöhnliche und die ...

Ein Zirkus übt auf seine Besucher stets eine besondere Wirkung aus. Man tritt ein in eine andere Welt, die voller Freude und Magie ist, die so völlig anders ist als das Normale und Gewöhnliche und die man am liebsten nie mehr verlassen möchte. Und so ist es auch mit diesem Buch. Es ist ein magisches Buch, ein stimmungsvolles Buch, ein atmosphärisches Buch, das nie enden sollte. Doch leider fliegen die Seiten nur so dahin und viel zu schnell hat man die letzte Seite umgeblättert, die letzte Zeile gelesen und muss den Nachtzirkus verlassen.

„Der Nachtzirkus“ lebt von seinen Artisten, Zauberern und Künstlern, dem Duft nach Popcorn und Zuckerwatte. Viele, viele Zelte, deren Planen allesamt schwarz-weiß gestreift sind, versammeln sich auf einer Wiese und hinter jedem Eingang verbirgt sich eine andere Attraktion, die ihre Besucher in Staunen versetzt, sie zum Lachen bringt oder gruseln lässt. Aber hinter der Fassade steckt noch viel mehr und das Maß an Fantasie, das Erin Morgenstern bewiesen hat, ist unfassbar und grenzenlos. Die Autorin erzählt eine noch nie dagewesene Geschichte und entführt ihre Leser damit in eine andere Welt, in der man alles um sich herum vergisst und sich nur noch nach dem Nachtzirkus sehnt. Von Anfang an gelingt es Erin Morgenstern, eine faszinierende Atmosphäre zu verbreiten, die sofort gefangen nimmt. Dazu sind die Charaktere so einmalig und lebendig, dass es als Leser so einfach fällt, einen Zugang zu ihnen zu finden. Im Handumdrehen gewinnen die Figuren die Sympathie des Lesers und es macht enorm viel Spaß, sie durch das Buch hindurch zu begleiten. Jede Figur ist anders, jeder Charakter überzeugt mit individuellen Eigenheiten, die liebenswert und einmalig, einfach besonders sind. Sie wirken allesamt lebendig und greifbar und es scheint fast so, als würde man sie schon ein Leben lang kennen. Es gibt in diesem Buch keine Hauptfigur. Vielmehr spielt jede von ihnen eine entscheidende Rolle und das Buch wäre nicht halb so schön, würde auch nur einer der Charaktere fehlen.

Über die Handlung des Buches lässt sich gar nicht mehr sagen, als der Klappentext bereits verrät. Man muss diesen Roman einfach selbst erleben und den Nachtzirkus betreten. In jedem Fall ist die Handlung hervorragend durchdacht, logisch und nachvollziehbar konstruiert und dabei doch überraschend. Es gibt eine Handvoll Handlungsstränge, die teilweise parallel verlaufen, sich aber an vielen Stellen berühren und verbinden. Es macht Spaß, zu rätseln, wie die Figuren und Handlungsstränge zusammenhängen könnten und dann zu erfahren, welche Lösung sich die Autorin ausgedacht hat. Sie schafft es, ihre Leser zu erstaunen und für den ein oder anderen Aha-Effekt zu sorgen. Allein das Ende passt nicht ganz zum Rest des Romans, da die Autorin hier zu viel Magie ins Spiel bringt und die Handlung etwas zu sehr auf die Spitze treibt. Nichtsdestotrotz war es ein großartiges Vergnügen, den Nachtzirkus zu betreten und ein Teil von ihm zu werden.

Verstärkt wird dieses Vergnügen dadurch, dass der Leser selbst mit in die Handlung einbezogen wird. Es gibt einige Zwischenkapitel, die sich direkt an den Leser wenden, ihn mit „Du“ ansprechen und ihn mitnehmen auf einen Rundgang durch den Zirkus. In diesen Zwischenkapiteln wird beschrieben, was den Leser erwartet, wenn er den Nachtzirkus betritt, welche Sehenswürdigkeiten und Attraktionen er bestaunen kann, was sein Auge alles wahrnehmen wird und welche Geräusche an sein Ohr dringen werden.

Der Stil von Erin Morgenstern ist direkt und recht schnörkellos, aber von Anfang an einnehmend und begeisternd. Das Buch liest sich praktisch von selbst und dabei läuft ein so bildreicher Film vor dem geistigen Auge des Lesers, dass es eine wahre Freude ist.

Veröffentlicht am 15.11.2019

ungewöhnlich

Schwesterherz
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Einen Roman allein in Email-Form zu schreiben, ist eine sehr kreative Idee. Aufgrund der außergewöhnlichen Erzählperspektive ist es allerdings auch nicht so einfach, dem Leser Informationen über die Figuren ...

Einen Roman allein in Email-Form zu schreiben, ist eine sehr kreative Idee. Aufgrund der außergewöhnlichen Erzählperspektive ist es allerdings auch nicht so einfach, dem Leser Informationen über die Figuren und die Handlung zu liefern, da es keinen Erzähler gibt, der den Leser an die Hand nimmt und ihn durch das Buch führt. Dadurch wirken die ersten Mails sehr gestellt, da sie hauptsächlich dazu dienen, Hintergrundinformationen zu liefern. Die Schwestern Lotta und Lu betonen sehr stark, in welcher Lebenssituation sie gerade stecken, wo sie arbeiten, mit wem sie zusammenleben. Im normalen Leben würden diese Informationen vermutlich nicht ausgetauscht werden, zumindest nicht so betont.

Einen Effekt hat dieser übertriebene Informationsaustausch aber: Man lernt die Charaktere schnell sehr gut kennen. Insbesondere die Unterschiede zwischen den beiden Zwillingsschwestern werden sehr schnell deutlich. Das führt aber nicht dazu, dass man eine der beiden Schwestern mehr mag als die andere. Im Ergebnis mag man entweder beide oder man mag beide nicht. Denn trotz ihrer Unterschiedlichkeit sind sie sich doch sehr ähnlich. Vermutlich wollen sie das einfach nicht wahrhaben. Die übrigen Charaktere bleiben sehr blass und oberflächlich. Zwar kommen auch sie teilweise per Mail zu Wort, doch als Leser kann man einfach keinen Zugang zu ihnen aufbauen – was ebenfalls an der Erzählperspektive liegen mag.

Der Erzählstil der Figuren ist sehr umgangssprachlich und stellenweise scheint es so, als würden sie versuchen, sich mit Phrasen und Sprüchen zu überbieten. Es mag durchaus Menschen geben, die im Alltag ständig mit schlauen Kommentaren und Alltagsweisheiten um sich werfen, aber eventuell wird sich nicht jeder Leser mit einem solchen Charakter identifizieren können. Teilweise wirken die Kommentare einfach zu gestellt und auf die Dauer wird es sehr anstrengend, immer wieder mit Phrasen, Sprichwörtern oder komischen Sprüchen konfrontiert zu werden.

Obwohl der Aufhänger des Buches die Hochzeit der kleinen Schwester Lilly ist, rücken die Hochzeitsvorbereitungen im Verlauf des Romans sehr stark in den Hintergrund. Stattdessen werden die Alltagsprobleme der Zwillinge ausführlich beleuchtet: Probleme in der Ehe, Probleme im Job, Probleme mit den Eltern usw. Lediglich am Ende wird noch einmal auf die Hochzeit Bezug genommen, aber auch das nur sehr oberflächlich. Im Großen und Ganzen ist die Handlung vorhersehbar. Liebe, Verwirrspiele, Missverständnisse, Streit – all das kommt nicht überraschend. Anna Licht hat sich zwar Einiges einfallen lassen, um der Handlung Tiefe zu verleihen, aber meist plätschert diese trotzdem nur so vor sich hin und schafft es nicht vollumfänglich, für Interesse zu sorgen.

Mein Fazit:

Ein in ungewöhnlicher Weise aufgebauter Roman mit einer weniger ungewöhnlichen Handlung.