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Veröffentlicht am 03.05.2024

Solider Thriller ohne große Überraschungen

Die Stille der Flut
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„Die Stille der Flut“, der Auftakt zu einer neuen Kriminalromanreihe, geschrieben in gemeinsamer Autorinnenschaft von Anna Johannsen und Elke Bergsma, spielt in der Kreisstadt Aurich in Ostfriesland. ...

„Die Stille der Flut“, der Auftakt zu einer neuen Kriminalromanreihe, geschrieben in gemeinsamer Autorinnenschaft von Anna Johannsen und Elke Bergsma, spielt in der Kreisstadt Aurich in Ostfriesland. Der Einstieg ins Buch ist relativ spröde geschrieben. Die beiden Hauptfiguren Lina und Kea werden doch sehr dramaturgisch eingeführt, geballt, fast listenhaft werden alle wichtigen Informationen über die beiden in kurze Kapitel gedrängt. Dabei ist die Figurenkonstruktion recht klischeehaft: Lina versammelt ungefähr alle möglichen Traumata in sich, die mensch sich nur vorstellen kann, ihr Gegenüber Kea ist die klassisch überforderte Mutter von Teenies, in einer schwierigen Trennung lebend, verknallt in ihren Arbeitskollegen und der auch in sie, aber geht natürlich nicht, die beste Freundin ist natürlich auch noch gestorben, die neue Freundin nur ein billiger Ersatz. Das ist alles sehr durchsichtig am Reißbrett gebaut und wird nicht viel Überraschung bergen. Natürlich sind beide auf ihre Art Karrieristinnen, Lina überehrgeizig (beweisen, dass sie was kann und wert ist, auch das sehr durchsichtig konstruiert nach dem Lehrbuch Psychologie), Kea eher Underachieverin und jetzt endlich ihre Chance sehend. Viel Kampfpotenzial also zwischen den zwei Frauen, zumal Kea als Polizistin zu Recht spürt, dass an der Neuen etwas nicht ganz sauber ist und Lina wiederum zu Recht damit kämpft, sich nicht wirklich auf das Team einlassen zu können. Ganz gut eingewoben wird dafür die richtige Dosis Lokalkolorit, das ist nicht aufdringlich gemacht und setzt doch klar eine Atmosphäre. Schriftstellerisch sehr spannend finde ich die doppelte Ich-Perspektive, das ist sehr ungewöhnlich und beim Lesen oft auch herausfordernd, sich zu merken, welches Ich gerade schreibt, aber das finde ich mal eine tolle Idee! Habe mich sofort gefragt, ob die Autorinnen jeweils einen Strang der Geschichte geschrieben haben nach gemeinsamem Plotting? Leider krankt die Idee daran, dass sich hier handwerklich nicht die Mühe gemacht wurde, eine klare Figurensprache zu entwickeln, wodurch die lesende Person ständig zurückblättern muss, um zu wissen, wer hier gerade nochmal spricht.
Die Handlung kommt auf jeden Fall gut im Schwung, ist zwar auch recht klar konstruiert, aber grundsätzlich gut gemacht und logisch, folgt meistens auch einen ganz guten Spannungsbogen. Linas Auftrag, einen Maulwurf zu enttarnen, rückt neben den Ermittlungen an einem aktuellen Mordfall dabei immer weiter in den Hintergrund. Es gibt ein paar gleichwertige Verdächtige im Raum für die Position des Maulwurfs, das ist ganz geschickt gemacht, wie die wechselseitig in den Fokus gerückt werden. Lina kommt zunehmend besser in Aurich an und taucht tiefer in die Strukturen ein. Dafür, dass sie Undercover ermitteln soll, geht sie mir viel zu sehr nach vorn in die Präsenz, das erscheint mir sehr unprofessionell und sie unterschätzt meiner Meinung nach die Struktur einer Mittelstadt von 40.000 Einwohnern – da ist schnell rum im Milieu, wenn jemand neu auftaucht. Solche Nachlässigkeiten häufen sich im Verlauf des Krimis, es gibt viele kleine Unstimmigkeiten und unglaubwürdige Konstruktionen, die mich immer wieder haben stolpern lassen. Das kulminiert am Ende des Romans in einer Verfolgungsjagd, die so viele logische Fehler beinhaltet, dass meine Spanungskurve gegen Null ging. Gut gefallen hat mir die Loverboy-Thematik, ein leider aktuelles Thema, zu dem noch nicht viel Bewusstsein in unserer Gesellschaft herrscht. Auch die zunehmende Verknüpfung des aktuellen Mordfalls mit dem Ausgangsgrund für Linas Versetzung, einem Drogenkartell und einem dazugehörigen Maulwurf, ist gut gemacht.
Alles im allen ein halbwegs solider Thriller also, aber auch kein Kracher, sehr deutlich in der Oberflächenkonstruktion und daher mit wenig Überraschungen aufwartend, geschrieben vor allem mit dem Ziel einer Fortsetzung. Den Folgeband würde ich wohl lesen, aber nur, weil mich die weitere Geschichte der beiden Frauen miteinander interessiert.

Ein großes Dankeschön an lovelybooks.de sowie Edition M für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Geht nicht in den Buchladen. Lauft. Rennt!

Zuckerbrot
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Das Tolle an Rezensionsexemplaren ist, dass man dadurch immer wieder Bücher liest, die normalerweise im Buchhandlungsregal stehengeblieben werden. Ein solch überraschender Glückgriff ist für mich „Zuckerbrot“ ...

Das Tolle an Rezensionsexemplaren ist, dass man dadurch immer wieder Bücher liest, die normalerweise im Buchhandlungsregal stehengeblieben werden. Ein solch überraschender Glückgriff ist für mich „Zuckerbrot“ von Balli Kaur Jaswal. Das Cover in warmen Orangetönen gepaart mit einem lila Buchrücken und Lesebändchen vermittelt so viel Wohlfühlatmosphäre, gepaart mit einer Familiengeschichte, die in der Punjabregion spielt, eine Kultur, zu der ich trotz Verwandten in eben dieser Region sehr wenig Verbindung habe und bei der ich bei Büchern immer – alle Vorurteile auf meiner Seite – Bollywoodromantik vermute, dass ich das Buch wahrscheinlich nicht in meinen Warenkorb hätte wandern lassen. Dumm von mir, denn Zuckerbrot ist ein wundervolles Buch, ja, auch zum Wohlfühlen, aber eben absolut nicht nur. Und es bringt der lesenden Person nicht nur eine Kultur, sondern vor allem das Leben, die Klüfte zwischen Generationen, die Verbindung, die das Blut doch schafft, sowie auch die Grenzen, die wir manchmal zu früh setzen, auf sehr lebendige Art und Weise näher.
Lebendig ist eine perfekte Überleitung, denn sehr lebendig startet mensch auch ins Buch und wird sofort hineingeworfen in die Atmosphäre Singapurs, mit seinem einerseits so maximal geordneten Alltag, den vielen Regeln, der extremen Sauberkeit, den klaren Familienstrukturen und abseits davon den dann doch chaotisch-lauten, überbordenden Märkten und all dem, was unter der Ordnung brodelt. Hier in Singapur wächst Pin, in der Haupthandlung zehn Jahre alt und weiblich gelesen, auf – mit ihrer Mutter, die sie regelmäßig daran erinnert, bitte nicht so zu werden wie sie, eine Mutter, die anders als Pin extrem auf sich und ihre Erscheinung achtet, und ihrem Vater, der zu wenig Geld von der Arbeit nach Hause bringt, ein Pragmatiker ist, wie er im Buche steht, aber auch ein Fels in der Brandung, ein kleiner Fels, und der nichts lieber tut, als dem Loseglücksspiel zu frönen, denn irgendwann muss der große Gewinn ja kommen. Pin hat das Problem, das viele Kinder haben: Zu viele Rätsel bei diesen komischen Erwachsenen, die einem Kind nicht erklärt werden. Warum soll sie nicht werden, wie die Mutter, was ist vorgefallen zwischen dieser und deren Mutter, die nun in die beengte Wohnung der Kleinfamilie einziehen wird, warum ist ihr Vater so verständnisvoll für all die Launen der Mutter, wieso gibt es so viel Streit mit der Verwandtschaft, und, wichtige Frage: Warum kocht ihre Mutter ihre Stimmungen? Die ersten Kapitel geben wenig Antworten und stellen viele offene Fragen in den Raum, aber über allem liegt eine unglaubliche Nähe und Wärme, obwohl die Figuren wie kleine Solitäre nebeneinanderher kreisen. Was es mit dem Titel auf sich hat, wird früh geklärt (fast schon schade), wofür er symbolisch steht, entpuppt sich erst mit der Zeit.
Das Buch spielt auf verschiedenen Zeitebenen. Auf der ersten, 1990, erleben wir, dass die 10jährige Pin nicht nur die schon genannten Schwierigkeiten hat, leider sieht sie sich zusätzlich als Stipendiatin an einer Eliteschule, die finanziell nicht mithalten kann und als Inderin in Singapur, die dem Glauben der Sikhs angehört, jeden Tag mit Rassismus, Ausgrenzung, Verachtung und viel Einsamkeit konfrontiert. Selbst beim Fußballspielen mit den Jungs darf sie nur auf den Platz, wenn einer der anderen nicht mehr kann oder sich verletzt. Als ihre Großmutter zu ihnen in die beengte Wohnung zieht, zieht mit ihr auch die Vergangenheit von Pins Mutter ein und Pin verliert nicht nur ihr Zimmer, das sie fortan mit der Großmutter teilen muss, sie verliert auch die Düfte, die durch die Wohnung ziehen, wenn ihre Mutter kocht und an denen sie deren Stimmung erkennen kann, sie verliert auf eine Art ihre Kindheit, weil sie dem Geheimnis ihrer Mutter nicht mehr entgehen kann. Die Haut ihrer Mutter, die an Neurodermitis leidet, ist ein Spiegel dieser Entwicklung, blutrot wird sie und der Ausschlag wird immer heftiger. Mit der Großmutter zieht auch noch etwas anderes ein: „... ein furchtbares Schweigen, als ob etwas in unsere Wohnung eingedrungen wäre und alle Geräusche hinausgesaugt hatten.“
Auf der zweiten Zeitebene, 1967, lernen wir Pins Mutter Jini als Kind kennen, die Pin in dem Alter verblüffend ähnelt. Langsam entblättert sich, was dazu führte, dass Jini 1990 doch ganz anders wirkt als Pin und wieso das Verhältnis zu Pins Großmutter und zum Rest der Familie so unglaublich angespannt ist. Über all dem schwebt Gott – zu dem Pin nun wiederum ein sehr angespanntes Verhältnis hat, das die Autorin Balli Kaur Jaswal mit einer so wundervollen Komik wiedergibt, dass ich sie einfach nur dafür Knutschen könnte. Dennoch liegt unter der Komik auch viel Ernst, denn deutlich zeigt sie auch auf, warum Kinder und Religion eine ganz zerstörerische Kombi sein können.
Gemeinsam mit Pin und Jini reisen wir auch noch in andere Jahre ihres Lebens, aber noch mehr soll hier nicht verraten werden. Denn dieses Buch ist eine Entdeckung, sollte auf keinem Fall im Bücherladenregal versauern und muss, MUSS! unbedingt von ganz vielen Menschen gelesen werden. Es ist ein herzerwärmendes Plädoyer FÜR das Miteinandern, für das miteinander reden, gegen das Schweigen, für einen Gott, der Erbarmen hat, wenn es ihn denn schon braucht, für das Zuhören und den Glauben, aber nicht den an egal welchen Gott, sondern den Glauben aneinander. Und ganz nebenher ist es auch noch ein Buch gegen Alltagsrassismus, gegen Ausgrenzung und Intoleranz, aber: Das bemerkt mensch gar nicht, was eine weitere Leistung dieses einfach nur zu schätzenden Buches ist. Geht nicht in den Buchladen. Lauft. Rennt!

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Veröffentlicht am 29.04.2024

Chance verpasst

Die Telefonistinnen - Stunden des Glücks
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„Die Telefonistinnen – Stunden des Glücks“ von Nadine Schojer, erschienen 2024 im Bastei Lübbe Verlag, der Auftakt zu einer neuen Frauenromanreihe, die in der Nachkriegszeit spielt, startet entspannt mit ...

„Die Telefonistinnen – Stunden des Glücks“ von Nadine Schojer, erschienen 2024 im Bastei Lübbe Verlag, der Auftakt zu einer neuen Frauenromanreihe, die in der Nachkriegszeit spielt, startet entspannt mit einer Warteszene auf die D-Mark und viel Kölner Lokalkolorit – weitestgehend gut eingebettet, insgesamt war es mir dann doch ein bisschen viel Geschichtsreferat „Die prägenden Ereignisse der Kölner Nachkriegszeit“ – zumal die Autorin eigentlich nur Wissen bemüht, dass Wikipedia und andere auch schnell hergeben.
Die Figuren werden nach und nach in die Handlung eingeführt, was ich gut und hilfreich fand, so konnte ich sie alle gut kennenlernen und zuordnen und mir die Beziehungen klarmachen. Auch gefällt mir gut, dass sich, ohne dass sich das aufdrängt, die Kapitel gerade am Anfang ein bisschen Themen zuordnen, also z.B. Kapitel 1 „Köln in der Nachkriegszeit“, Kapitel 2 „Versicherung Pering und Arbeitsklima“, in Kapitel 3 lernen wir Hanni kennen usw. Die Atmosphäre der Nachkriegszeit ist gut gegriffen, das Leben zwischen Trümmern, der langsame Wiederaufbau, der vom Mangel an Baumaterial geprägt ist, die große Ungewissheit, die über allem schwebt, kommen die Männer noch zurück, sind sie verstorben, die vielen kleinen Neuerungen, mit denen die Menschen konfrontiert sind, das politische Misstrauen der Entnazifizierung, das hier und da leise anklingt, das Gefühl von Aufbruch aber auch die immer wieder sich hineindrängenden Erinnerungen an das Kriegsgeschehen, das gefällt mir alles sehr gut. Und über all dem die schwebende Ungewissheit, ob die noch fehlenden Männer wiederkommen werden oder doch verstorben sind.
Schön herausgearbeitet auch die Beziehungen zwischen den sehr unterschiedlichen Frauen und ihrer Annäherung, sehr lebendig, ich hatte direkt Bilder vor Augen. Alle Frauen tragen ein Geheimnis, nicht jedes entpuppt sich schon in diesem Band.
Der Schreibstil ist flüssig und die, meist sehr guten, Sprachbilder sind gut dosiert und drängen sich nicht in den Vordergrund. Teilweise rutscht da etwas unnötiger Kitsch rein „fühlte sie die Verlassenheit, die mit eisigen Armen nach ihr griff. Genau an der Stelle, wo sie früher die warmen, schützenden Hände Heinrichs gespürt hatte.“ (S. 19) Da wäre dann weniger mehr, andere Formulierungen gefallen mir nämlich dagegen sehr gut! „Sachte klopfte Gisela ihrem Sohn die Zweifel von der Schulter.“ (S. 16) Atmosphärische Wechsel sind immer sehr gut gegriffen und sinnlich beschrieben. Da gefällt mir auch die Dynamik. Die Kapitel haben auch für mich eine gute Länge, das lässt sich alles grundsätzlich sehr gut lesen.
In der zweiten Buchhälfte, die deutlich besser geglückt ist als die erste, zieht die Handlung deutlich an, die im ersten Teil oft noch hinter Beschreibungen zurücktritt. Es scheint so, als ob die Autorin selbst mit den Figuren warm geworden ist, das Kriegs- und Nachkriegskolorit wird sinnvoller und dosierter eingebunden, insgesamt ist der Bogen besser gespannt. Es gibt ein paar Dinge, die mich überrascht haben im Handlungskonstrukt und teilsweise gelungene Plottwists. Insgesamt aber bleibt leider alles ein bisschen sehr auf der Oberfläche, die Handlung ist im Überblick dennoch relativ vorhersehbar und wirkt reißbrettartig konstruiert und was mich wirklich stört, ist das Prinzip der Erlösung durch Männer für die Frauenfiguren. Hier bestünde die Chance, wirklich starke Frauengeschichten zu schreiben, aber zumindest in diesem ersten Band der Reihe braucht es am Ende immer einen Mann, um die Frauen zu erlösen und ihre Probleme zu beheben. Dabei ist auch das Konstruktionsprinzip „fast Erlösung – nochmaliges Hindernis – dann doch Erlösung“ einfach sehr simpel. Frauen scheinen auch grundsätzlich läufige Hündinnen zu sein, das hat mich streckenweise wirklich angeekelt, dieses Bild, noch dazu von einer weiblichen Autorin. Für meinen Geschmack ist der Fokus auf Lovestorys einfach zu groß – aber das mag anderen Leser:innen natürlich anders gehen. Der Titel des Buches lässt einen anderes erwarten, viel mehr Fokus auf die Arbeitswelt, auf den Aufbau der BRD, auf Frauen, die es schaffen, unter widrigen Bedingungen allein durchs Leben zu gehen. Das wird alles nicht erfüllt.
Sehr erhellend war für mich die Danksagung, in der klar wird, dass die Idee zur Reihe an die Autorin vom Verlag herangetragen wurde und nicht andersherum. Ich finde, das merkt man dem Buch auch deutlich an, es wirkt so, als hätte sich die Autorin mit diesem Band selbst erst einmal an die Geschichte heranschreiben müssen, wäre ihr noch eher fern und müsste ein paar klare Ziele erfüllen (Zeitkolorit, Romance, Spice, verschiedene Handlungsstränge anlegen, die man dann mit Nachfolgebänden fertig schreiben kann, man ahnt ja schon, der nächste Band wird Hanni in den Fokus stellen). Immer wieder verschwinden ihr auch angelegte Figuren aus dem Fokus, Julia z.B. ist im zweiten Teil eigentlich kaum mehr vorhanden, über die Emotionen von Giselas Sohn Peter, den ein Schicksalsschlag ereilt, erfahren wir sehr wenig, obwohl er in der ersten Buchhälfte durchaus eine Hauptfigur ist.
Insgesamt hätte ich mir von diesem Auftakt deutlich mehr erhofft und konnte, trotz des deutlich besser gelungenen zweiten Abschnitts, noch nicht wirklich viel Hunger auf die Folgebände entwickeln. Da die zweite Hälfte aber deutlich besser als die erste geschrieben ist, lohnt es sich vielleicht doch, der Reihe eine Lesechance zu geben. In diesem ersten Band wurde die Chance auf eine spannende Nachkriegsfrauengeschichte für mich verpasst.

Ein großes Dankeschön an lesejury.de und den Bastei Lübbe Verlag für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 28.04.2024

Unglaublich gut – ein Pageturner Deluxe

Krähentage
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Wir müssen reden – und zwar als erstes über das geniale Cover von Benjamin Cors neuem Thriller „Krähentage“. Im Motiv eine bedrohlich bewölkte Fläche, auf ihr sitzend auf einem Ast in schwarz lackiert ...

Wir müssen reden – und zwar als erstes über das geniale Cover von Benjamin Cors neuem Thriller „Krähentage“. Im Motiv eine bedrohlich bewölkte Fläche, auf ihr sitzend auf einem Ast in schwarz lackiert die Krähe und als sähe das noch nicht cool genug aus, gibt es auch noch ein Innencover, das die Atmosphäre weiterspinnt – einfach richtig gut, so machen Bücher Spaß! Und auf diesen Spaß folgt erst einmal: Wow! Die ersten zwei Kapitel formen womöglich einen der besten Thriller-Starts, die ich je gelesen habe. Dass Cors schreiben kann, ist bekannt, aber das hier ist einfach richtig gut. Mit knappen, schlanken Sätzen formt er eine ideale Einführung in das Setting des Thrillers, am Ende weiß mensch alles, was benötigt wird und doch kein bisschen zu viel. Von dort aus wird ein Spannungsbogen gespannt, der die Lesenden nicht für eine Sekunde loslässt. Die beiden Leitenden der neu aufgesetzten Gruppe 4, Mila und Jakob, sind ein tolles Gegensatzpaar, beide bergen ein Geheimnis, was sie zu sehr spannenden, vielschichtigen Figuren macht – und auch die weiteren vier Mitglieder der Gruppe 4 sind einfach großartige Charaktere. Über den Plot will ich nichts verraten, einfach zu gut hat Cors hier etwas ausgedacht, was bis zur letzten Seite voller Überraschungen steckt. Dabei geht es auch ganz gut zur Sache, meine Ekelgrenze wurde aber nicht gesprengt, Cors hat auch hier ein extrem gutes Gespür für die genau richtige Dosis. Ein paar kleine Fragen bleiben, hier und da ist es nicht zu hundert Prozent plausibel und gerade das Ende lässt mich schon fragen, ob ich das in der Realität für vorstellbar halte – aber hey, geschenkt. Was für ein Meisterwerk. Ich bin Fan. Muss jetzt erstmal den Puls wieder runterkriegen. Eine ganz klare Leseempfehlung, ich halte es jetzt schon nicht aus, auf den nächsten Band der Reihe zu warten, denn natürlich hat Cors auch noch Cliffhanger gebaut, die das Gedankenkarussell dauerhaft aktiv halten werden. Ideal den Lesestart auf ein freies Wochenende legen – denn dieses Buch will mensch nicht mehr aus der Hand legen, bis die letzte Seite gelesen ist.


Ein großes Dankeschön an dtv für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 27.04.2024

Zwischen Idee und Umsetzung steckengeblieben

Die Tage des Wals
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„Die Tage des Wals“, der Debutroman von Elizabeth O,Connor, spielt auf einer fiktiven sehr kleinen Insel vor der walisischen Küste im Jahr 1938. Erzählt wird die Geschichte von der gerade 18-jährigen Manod ...

„Die Tage des Wals“, der Debutroman von Elizabeth O,Connor, spielt auf einer fiktiven sehr kleinen Insel vor der walisischen Küste im Jahr 1938. Erzählt wird die Geschichte von der gerade 18-jährigen Manod und ihrem zurückgezogenen, kargen Leben auf der Insel – das im Verlauf der Handlung von zwei Ereignissen unterbrochen wird: Dem Stranden und Verenden eines Wals und der Ankunft von zwei Ethnologen oder Anthropologen, Joan und Edward, die für ein paar Monate auf der Insel verweilen und sie und ihre Bewohner:innen erforschen.
Der Einstieg ins Buch ist sehr gelungen. Ein Gedicht in walisischer Sprache versetzt die lesende Person sofort atmosphärisch auf die Insel und ein kurzes Vorabkapitel mit Informationen ist sehr hilfreich, um die Dramatik der Ereignisse für die Bewohner:innen einordnen zu können. Sehr schön auch die Gestaltung des Schutzumschlages, der sowohl die Natur der Insel als auch den Walkörper in einer leicht abstrakten Form aufnimmt, und dann das darunter liegende Hard Top in den Farben grün und weiß, bestimmt nicht zufällig die Farben der Schuluniform (und der Flagge von Wales). Btw. „Wales – des Wales“, oder „Wales – Whales“ I mean... Die gewählte Sprache passt hervorragend zu der Insel, die kurzen, etwas sperrigen Sätze lassen sofort die Kargheit der Insel, die wenigen Ereignisse, das Leben, das so wenig Raum für Entfaltung bietet, spüren. In diesen kurzen Sätzen findet O’Connor dennoch Platz für großartige Sprachbilder.
Die Isolation auf der Insel wird sehr deutlich, die wenigen Möglichkeiten für Manod, wenn sie in die Zukunft schaut, ihre für den Zeitraum, in dem der Roman spielt, Ende der 30er, typische Funktionalisierung als Frau (heiraten, gebären), die Herzlosigkeit oder Überforderung des Vaters, der sie immer mit dem Namen des Hundes anspricht, zu dem er eine innigere Beziehung zu haben scheint, die aus all dem resultierende Sehnsucht nach dem Festland, die sich unter anderem im Versuch abbildet, zumindest in der Mode mitzuhalten und nicht ganz so insularisch zu sein.
Der Bevölkerungsschwund ist eine logische Folge der Rückwärtsgewandtheit der Insel und er ist bedrohlich: „Auf der Insel gab es mehr leere Häuser als bewohnte, hinterlassen von Familien, die aufs Festland gezogen waren.“ Das hat mich an den großen Leerstand in vielen Städten in Ostdeutschland erinnert kurz nach der Wende. Wie sehr diese Abschottung der Insel real ist, merkt man vor allem daran, dass sogar die Anbahnung des zweiten Weltkriegs nur eine Nachricht in der Zeitung ist, wie zwar bemerkt wird, dass auf dem Festland große Veränderungen vonstatten gehen, sich auf der Insel aber eigentlich nichts bewegt.
Bis auf den Wal. Der eines Tages am Strand festliegt und für einen kurzen Moment eine kleine Sensation bietet. Und kurz darauf gefolgt wird – ohne dass es einen kausalen Zusammenhang gäbe – von Joan und Edward, deren Ziel es ist, die Insel und ihre Bewohner:innen zu erforschen. Und mit deren Eintreffen für Manod alles anders wird und sie zunehmend Hoffnung bekommt, dass doch ein besseres Leben fern der Insel möglich sein könnte. Die Atmosphäre, die O'Connor erzeugt, ist dabei durchweg sehr eindrücklich. Und lässt die Lesenden immer tiefer in die Insel eintauchen.
Dennoch fehlt es im weiteren Verlauf an vielem. Die Handlung geht einen erwartbaren Gang, der titelgebende Wal verkommt fast zum Dekor, die sehr kurzen Kapitel werden zunehmend redundant, nicht nur das Meer wird immer grauer, die Erzählung scheint zunehmend in einer Idee festzustecken. Figuren wie der Vater von Manod erhalten kaum Tiefe, vieles wird nur angerissen, z.B. die Frage, wie wichtig Religion der Gemeinschaft ist.
Am Ende bleibt viel offen und ich weiß nicht, so richtig mitgenommen hat das Buch mir nicht, ich hätte mir im zweiten Teil eine bessere Geschichte erhofft. Für mich ist das Buch solide, ich sehe eine schöne Schreibe und teils ganz spannende Figuren, gute Beschreibungen von Situationen und Landschaften, aber insgesamt geht es mir um zu wenig und bleibt es für mich noch eher im Ansatz stecken. Richtig gepackt hat mich nichts. Der Wal ist letztlich auch nur ein Symbol für die Vergänglichkeit und das Festsitzen, vom Titel her dachte ich da eher an irgendwas irgendwie Magisches – aber er ist eigentlich eher eine Randfigur. Schriftstellerisches Talent ist hier in hohem Maß vorhanden, Ideen auch – jetzt braucht es noch mehr Plot für die Langstrecke Roman. Zwischen Idee und Umsetzung steckengeblieben – das gilt hier sowohl für die Hauptfigur als auch für den Roman.

Ein großes Dankeschön an lovelybooks.de sowie den Karl Blessing Verlag für das Rezensionsexemplar!

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