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Veröffentlicht am 16.04.2024

Ein Buch als Lecture-Performance

Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen
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„Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“ von Dana Grigorcea ist ein Werk, das sich nicht in Schubladen stecken lässt und sich einer Rezension nahezu entzieht, zumindest einer eindeutig wertenden. Und vielleicht ...

„Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“ von Dana Grigorcea ist ein Werk, das sich nicht in Schubladen stecken lässt und sich einer Rezension nahezu entzieht, zumindest einer eindeutig wertenden. Und vielleicht führt das direkt zum Kern der Sache: Der Kunst.
Doch fangen wir außen an: Beim Einband. Wirklich wunderschön kommt der Schutzumschlag daher, haptisch sehr beglückendes, festes Papier und ein fragmentarisch wolkenhaftes Design, das gleichermaßen an Puzzle wie auch Memory erinnert. Das darunterliegende Hardcover verkehrt die Farben ins Gegenteil – und auch das passt so gut zum Inhalt des Romans, der eigentlich fast eher eine Lecture Performance ist.
Zwischen den Buchdeckeln verknüpft Dana Grigorcea auf der Oberfläche zwei Jahrhunderte und zwei Geschichten, bei genauerer Betrachtung sind es doch drei, die sowohl im weiten als auch im engen Sinne die Frage stellen: Was ist Kunst? Und wer darf von sich behaupten, sie zu schaffen? Welche Eigenschaften muss ein Werk haben, dass es sich Kunst, eine Person, dass sie sich Künstler:in nennen darf? Um dieser Frage auf die Spur zu gehen, wechselt das Erzählte zunächst rasant zwischen den bildenden Künstler Constantin Avis, der in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts mit einer Bronzeskulptur nach New York reicht, um dort seinen künstlerischen Durchbruch zu erreichen einerseits sowie andererseits der Autorin Dora, die mit ihrem Sohn Loris und einem Kindermädchen ein Schreibstipendium an der ligurischen Küste antritt, um dort einen Roman über eben diesen Constantin Avis endlich zu Papier zu bringen. Die Perspektiven wechseln in sehr kurzen Kapiteln rasant und es braucht seine Zeit, die Handlungsbögen zu durchdringen. Grigorcea fängt sehr gut die Atmoshpäre der 20er Jahre und die Dekadenz im Künstlertum ein und auch in der zweiten Geschichte an der ligurischen Küste ist das Flair sehr gegenwärtig. Beide Hauptfiguren tragen die Gemeinsamkeit, dass das Leben sie von ihrer Kunst ablenkt oder dieser im Weg steht und verhalten sich sehr hermetisch und um sich selbst kreisend, was sie nicht unbedingt zugänglich macht. Auch nicht für die Liebe.
Dem Roman liegt ein wirklich brillantes Konstruktionsprinzip zugrunde, indem die Lesenden immer einen Teil dessen schon lesen, was parallel Dora erst noch erfindet. Dieses Spiegel-Prinzip, das auch in vielen kleine Motiven auftaucht, gipfelt darin, dass an einer Stelle die Schauspielerin Alba Fantoni im Film Alba Fantoni selbst vor einem Publikum spielt, betrachtet von einem Publikum im Kinosaal, wiederum betrachtet von der diese Geschichte ja schreibenden Dora, wiederum betrachtet von uns Lesenden. Und am Ende des Buches stellen wir fest, dass Fantoni gar nicht ist, was sie scheint. Das ist schon genial ausgedacht. Was ist echt, was ist Imitation, was erzeugt in der Spanne zwischen echt und imitiert etwas Drittes, Neues?
Während die Handlungen der Kunstschaffenden voranschreiten, wird in diese Geschichten hinein noch eine dritte Geschichte erzählt, die Geschichte der Laura Cavallaro – die nicht nur als Kontrast, sondern vor allem dazu dient zu zeigen, wie sehr Dora in der Möglichkeit lebt statt im Tun, wie eigentlich alle Menschen ein Leben lang auf der Suche sind und nicht zur Ruhe kommen, nie wirklich, wie das Suchen belebender ist als das Finden, zum anderen wird dadurch deutlich, wie sehr viele Künstler:innen immer in der Theorie leben, in der Idee. Es sind viele Fragen, denen Grigorcea nachgeht, auch der nach der Unterscheidung von Kunst und Handwerk. Ihr eigenes Handwerk versteht sie dabei sehr gut, ihre schriftstellerische Qualität kann es an vielen Stellen mit der eines Thomas Mann aufnehmen, ich musste tatsächlich oft an seinen Zauberberg denken.
Viel Lob also für Idee, Konstruktion und Sprache, da könnten noch viele Details genannt werden. Und dennoch lässt das Buch und auch sein Ende mich ratlos zurück. Es werden viele Fäden angesponnen und nicht fertig gewirkt, der Blick auf die Figuren bleibt immer distanziert und nüchtern, die Beziehungen wirken fast durchweg ungesund, die Künstler:innen werden als wahnhaft klischiert, alles bleibt offen, nichts verbindet sich wirklich, auch nicht mit mir. Das alles ist sicher kein Zufall, sondern genauso gewollt, zu klug wird hier gearbeitet. Aber genau diese Klugheit lässt das Buch für mich im Abstrakten bleiben, trotz konkreter Geschichten und hat in mir nichts ausgelöst, die zugrundeliegenden Stories bleiben an der Oberfläche, der Blick auf die Kunst einseitig. Und so müsste ich für die schriftstellerische Qualität fünf Sterne geben, für das Gefallen einen. Weshalb ich mich bei drei einpendeln werde und nur vorschlagen kann, sich selbst ein Bild zu machen, in welche Richtung das eigene Pendel ausschlägt.

Ein großes Dankeschön an lovelybooks.de und den Penguin Verlag für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 04.04.2024

Wer wir sind

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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„Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ von Alena Schröder, erschienen 2021 bei dtv, ist ein berührender Roman über die Frage, wer wir sind.
Die junge Studentin Hannah, orientierungslos ...

„Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ von Alena Schröder, erschienen 2021 bei dtv, ist ein berührender Roman über die Frage, wer wir sind.
Die junge Studentin Hannah, orientierungslos und etwas verpeilt gestrandet in einem Leben zwischen Dissertation ohne Antrieb, Affaire mit dem Prof fast nur mit Trieb, Verantwortung für eine Großmutter im Pflegeheim, Schuld daran vermutlich der Herdentrieb, stößt plötzlich durch eben diese Großmutter Evelyn auf eine ihr nicht bekannte entfernt jüdische Abstammungsgeschichte und einen verschollenen Vermeer. Auf der Suche nach mehr Informationen und dem Gemälde findet sie vieles nicht, aber etwas viel Wichtigeres doch: Einen Weg zu sich selbst, den eigenen Wünschen und Bedürfnissen, neuen Zielen oder erst einmal dem Gegenteil davon: Dem Loslassen.
Dieser Roman ist dabei so bewegend, so schwungvoll und liebevoll erzählt, so klar und ehrlich und so voller Sensorik, dass ich ihn in einem Rutsch durchgelesen habe. Und gerade jetzt sind sie wichtig, die Bücher, die uns an unsere Vergangenheit im dritten Reich erinnern und uns ermutigen, Fragen zu stellen. Das Buch stellt diese Fragen nie didaktisch oder vordergründig, aber im Hintergrund wird Geschichte immer wieder erlebbar und macht deutlich, wie wir sicher alle fündig werden in unserer Familienhistorie: Wenn wir nur anfangen zu suchen. Sind wir, was wir waren? Sind wir unsere Abstammung, die Vergangenheit? Ganz sicher nicht, aber das Wissen darum kann unser Sein präzisieren und unserem Weg eine Richtung geben. Ein großartiges Buch, das unbedingt gelesen werden will! Einzig die Liebesgeschichte der Protagonistin hätte ich so nicht gebraucht, feministisch gesprochen würde ich gerade auch Autorinnen wünschen, doch häufiger darauf zu vertrauen, dass eine weiblich gelesene Romanfigur auch ohne auskommt. Dem Lesevergnügen hat das aber keinen Abbruch getan.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Ein Seiltanz ins Glück

Alte Sorten
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„Alte Sorten“ von Ewald Arenz, erschienen 2019 im DuMont Buchverlag, ist ein Buch wie ein Spätsommerabend: warm, irgendwie nostalgisch, summend und glücklich machend.

Liss und Sally sind zwei Menschen, ...

„Alte Sorten“ von Ewald Arenz, erschienen 2019 im DuMont Buchverlag, ist ein Buch wie ein Spätsommerabend: warm, irgendwie nostalgisch, summend und glücklich machend.

Liss und Sally sind zwei Menschen, die auf der Oberfläche der pure Gegensatz sind, innendrin aber so gleich, dass diese zwei Seelen direkt miteinander schwingen wie Ying und Yang eben oder schwarz und weiß – erst miteinander vollkommen. Beide tragen ein Geheimnis, beide tragen tiefe Wunden. Und vielleicht geschieht das ja manchmal wirklich, dass zwei Menschen, die genau den anderen so sehr brauchen, aufeinandertreffen, ganz zufällig, und sich dann nicht mehr loslassen, ganz ohne Zwang, ganz ohne Müssen.

Alte Sorten ist ein Buch voller Melancholie und voller Hoffnung, mit einem packenden Plot, von dem ich nichts spoilern möchte, mit so viel Gefühl und so viel Schmerz, aber vor allem mit Licht! Diesem sanften Licht, das morgens über einer Wiese steht, weshalb das Setting eines alten Bauernhofes nicht besser gewählt sein könnte. Die Alten Sorten, das vergessene Wissen, das viele, was schon immer in uns wohnt, all das kann ein Weg zur Heilung sein und ein Weg raus aus unserer lauten Welt, ohne dass wir diese hassen und verdrängen müssen. Arenz wählt im Schreiben seine Worte so klug, alles ist mit so viel Genauigkeit und Bedachtsamkeit gesetzt, dass mensch hier durch eine Sternstunde des Schreibens schreiten darf und am Ende des Buches voller Sehnsucht ist, noch einmal ungelesen von vorn beginnen zu können. Weil das aber nicht geht, muss ich jetzt diese Rezension beenden, tut mir leid, ich habe keine Zeit, ich muss schnell alle anderen Bücher von Ewald Arenz lesen!

„Es war so selten, dass die Dinge im Gleichgewicht waren. Ohne Glück und ohne Trauer. Oder anders: dass Glück und Traurigkeit in einem so in der Schwebe waren, in so einer perfekten Balance, dass man sich nicht bewegen wollte.“ (S. 127) So ist dieses Buch. Unbedingt lesen.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Ein echter Ostsee-Pageturner

Ostseefinsternis
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Mit >OstseefinsternisOstseefinsternis< und doch wird auch sofort mit unserer Erwartungshaltung gespielt. Stella Böttcher wird nachts auf dem Nachhauseweg überfallen und misshandelt – wider Erwarten überlebt ...

Mit >Ostseefinsternis<, dem inzwischen 19. Band der Pia Korittki-Reihe, legt Eva Almstädt in gewohnt guter Manier erneut einen echten Pageturner vor, den mensch nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Wie gewohnt startet es spannend in Eva Almstädts neuem Ostseekrimi >Ostseefinsternis< und doch wird auch sofort mit unserer Erwartungshaltung gespielt. Stella Böttcher wird nachts auf dem Nachhauseweg überfallen und misshandelt – wider Erwarten überlebt sie den Angriff jedoch relativ unbeschadet (wir haben also gar keine Leiche) und führt uns in die Geschichte einer alten Familienfehde zwischen den „Böttchers“ und den „Hagendorfs“. Ein Inselklassiker In diesem Zusammenhang feiere ich extrem die Aufmachung des Buches mit dem eingefalteten Buchdeckel, hinter dem sich die Stammbäume und Familienkonstellationen der Böttchers und Hagedorns verbergen und so einen guten Überblick geben – die lesende Person wird den Stammbaum mehrfach heranziehen, so kompliziert ist die Gemengelage und auch Pia selbst stöhnt in der Mitte des Buches auf und wünscht sich genau eine solche Grafik, ein schöner Binnenwitz.
Was also hat es auf sich mit diesem Überfall? Almstädt liefert uns auf den ersten Seiten direkt eine Vielzahl von Motiven und Verdächtigen, schafft es für mich aber dennoch gut, dass mensch all die Namen und Personen einsortieren kann und ein Bild von ihnen bekommt. Über all dem wacht die Familienchefin Helmgard, die vielleicht im physischen Sehen eingeschränkt ist, ansonsten aber vielmehr sieht, als manch anderer.
Und Pia? Kämpft erst einmal mit ihrem Privatleben, mit ihrem Sohn Felix, der Angst vor tiefem Wasser hat (wie ungünstig, wenn man in Lübeck, genau zwischen Nord- und Ostsee lebt), dem sie noch irgendwann irgendwie erklären muss, dass eigentlich Marten, ihr Freund, sein Vater ist, mit dem Urlaub, den sie tatsächlich mal machen kann, und von dem wir schon ahnen: Das wird nix.
Der Schreibstil ist, wie immer bei Almstädt, einfach super, genau die richtige Menge an Details, unterlegt mit einem feinen Humor, sehr gute, unaufwändige, oft indirekte, also eher durch die Wirkung auf das Gegenüber erzählte Figurencharakterisierungen und ein spannungsgeladener Faden, der sich durchzieht.
Während sich Pias Konflikt mit sich selbst vertieft, zum einen die Traumatisierung, zum anderen ihre Besessenheit von ihrem Beruf, die es ihr fast unmöglich macht, abzuschalten und dann noch die innere Not, ihrem Sohn zu erzählen, wer wirklich sein leiblicher Vater ist, kommt es nach knapp 50 Seiten dann auch zum Mord.
Wie immer findet Almstädt die genau richtige Dosis zwischen Privatleben der ermittelnden Personen und Handlung des Falles. Und wer das Leben auf dem Dorf kennt, der weiß: Hier ist jede:r mit jede:m verstrickt, so dass sich die Verdächtigen munter die Klinke in die Hand geben und die Verwirrung immer mehr steigt. Hier hätte fast jede:r ein Motiv, was die Mörder:innensuche extrem spannend und vielfältig gestaltet über lange Strecken des Buches. Almstädts flüssiger Schreibstil und ihr herrlicher Humor tun ein Übriges und drumherum immer präsent: Die Ostsee.
Am Ende wurde es für mich leider an einigen Stellen unplausibel und die ermittelnden Personen standen doch mehr auf dem Schlauch, als ich es ihrer Intelligenz und Erfahrung zutraue, dann noch ein retardierendes Moment, das zuvor für mich nicht wirklich sauber aufgebaut wurde und auch kaum Handlungsrelevanz hatte. So hat mich Almstädt trotz eines wirklich 1A rasanten Showdowns dann doch ein bisschen verloren auf den letzten Metern, weswegen es nicht ganz für die 5 Sterne reicht, die ich dem Buch über weite Strecken gern gegeben hätte. Dennoch in jedem Fall ein absolut lesenswerter Krimi, für den mensch sich am besten ein Wochenende nichts vornimmt, denn aus der Hand möchte mensch ihn nicht mehr legen!

Ein großes Dankeschön an lesejury.de und Bastei Lübbe für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 31.03.2024

Ein Leben, das in kein Genre passt?

Das verborgene Genie
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In Marie Benedicts neuem Buch „Das verborgene Genie“ begleiten wir die Ausnahme-Wissenschaftlerin Rosalind Franklin durch ihre zweite Lebenshälfte von 1947 bis 1958. Der Einstieg ins Buch ist etwas holprig, ...

In Marie Benedicts neuem Buch „Das verborgene Genie“ begleiten wir die Ausnahme-Wissenschaftlerin Rosalind Franklin durch ihre zweite Lebenshälfte von 1947 bis 1958. Der Einstieg ins Buch ist etwas holprig, da die Autorin einerseits versucht, sehr viele Informationen in sehr wenige Seiten zu pressen, andererseits noch nicht ganz in einen klaren Stil findet zwischen Roman und Bericht. Nach den ersten Kapiteln kommt aber Schwung ins Ganze, so dass Wissenschaft und wirklich spannende Handlung zunehmend ins Gleichgewicht kommen. Warum es so ist, dass Rosalind Franklin wie viele andere Frauen in der Wissenschaft zeitlebens nie die Anerkennung für ihr bahnbrechendes Schaffen bekamen und sie leider auch heute noch vielen Menschen unbekannt ist, darüber gibt dieses Buch viel Aufschluss.
Sehr gut schafft es die Autorin, das Kolorit der Nachkriegszeit in Frankreich England sowie die hohe Frauenfeindlichkeit in der Wissenschaft darzustellen. Dabei hilft die Ich-Perspektive, in der das Buch geschrieben ist, sehr dabei, in Rosalinds Kopf und Gefühle zunehmend einzutauchen, so dass ich mich schon nach ein paar Kapiteln gut mit ihr verbunden gefühlt habe. Benedict bettet elegant immer wieder in kleinen Häppchen Informationen über Rosalind ein, wie z.B. ihre Herkunft, ihr Alter, ihre Position als Außenseiterin in ihrer Familie, ihren Werdegang und der wissenschaftliche Anteil bis zum berühmten Beugungsfoto 51 ist gut recherchiert. Ein bisschen Interesse für Naturwissenschaft ist allerdings hilfreich, die Vorgänge werden schon sehr fachlich und wenig populärwissenschaftlich erklärt. Schnell wird auch deutlich, wie sehr Franklin kämpft, um für sich eine Rollenbild der Frau zu definieren – und dass sie schnell von Männern beeindruckt ist, die sich in ihrem Wissensgebiet auskennen und ihr ein Gefühl von Geltung geben. Ihr Arbeitseifer, ihre Genauigkeit, ihr Beharren auf Wissenschaftsethos und der totale Fokus auf die Forschung, das alles erlebt man lesend intensiv mit. Bedrückend war für mich der Leichtsinn, mit dem Rosalind in ihrer Arbeit vorgeht und immer wieder die Schutzkleidung ignoriert, aber das war natürlich die Naivität ihrer Zeit. Ein tolles Buch also, um einer großartigen Forscherin auf die Spur zu gehen.
Ein großes Manko war für mich aber, dass Benedict leider immer wieder in den Kitsch abgleitet und sich für mich unnötig mit – teils erfundenen? – scheiternden Liebesgeschichten von Franklin beschäftigt. Und auch das Ende des Buches romantisiert extrem und hat für mich damit Rosalind Franklin in ein Licht gestellt, in das sie gar nicht passt. So pendelt die Autorin immer wieder zwischen Dokumentation, Bericht, Sachbuch, Roman und Romance, was dem Lesefluss nichts Gutes tut. Leider ordnet die Autorin im Nachwort auch nicht ein, welche Anteile ihres Buches fiktiv sind und welche historisch belegt, was für mich auf jeden Fall dazu gehört, wenn man ein solches Buch, noch dazu in der Ich-Form schreibt. Das sind für mich klare Kritikpunkte. Am Ende überwiegen aber viele lesenswerte Abschnitte und die Freude darüber, das Leben von Rosalind Franklin so sichtbar und begreifbar zu machen, eine Wissenschaftlerin, die uns die Struktur des Lebens so unglaublich nah gebracht hat durch ihre Forschung und damit die Basis für viele Erkenntnisse geliefert hat. Also unbedingt reinlesen!

Ein großes Dankeschön an lovelybooks und Kiepenheuer & Witsch für das Rezensionsexemplar!

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