Keine leichte Kost
Der VerdachtMEINE MEINUNG
Hier lesen wir die Geschichte von Blythe und ihrer Familie. Ihre Tochter Violet ist ein Wunschkind und Blythe und ihr Ehemann Fox versuchen die besten Eltern zu sein und ihrer Tochter alles ...
MEINE MEINUNG
Hier lesen wir die Geschichte von Blythe und ihrer Familie. Ihre Tochter Violet ist ein Wunschkind und Blythe und ihr Ehemann Fox versuchen die besten Eltern zu sein und ihrer Tochter alles zu geben, was sie braucht. Doch als Violet das erste Mal nach ihrer Geburt in den Armen ihrer Mutter liegt, fühlt sich für Blythe irgendetwas nicht richtig an. Sie kann das Gefühl nicht einordnen, aber das Gefühl der Liebe, das eine Mutter bei der Geburt ihres Kindes verspüren sollte, stellt sich bei ihr nicht ein. Je älter Violet wird, desto mehr spürt auch Blythe ihre Ablehnung und Feindseligkeit ihr gegenüber, ohne dass sie sich erklären kann, woher diese rühren. Bildet sie sich alles nur ein, oder ist Violet tatsächlich so böswillig, wie ihr Gefühl es ihr vermittelt? Ihr Ehemann Fox bekommt von alldem nichts mit, er liebt seine Tochter über alles und kann das Verhalten seiner Frau nicht nachvollziehen. Er sieht das Problem bei Blythe. Als eines Tages das schrecklichste passiert, was einer Familie passieren kann, muss Blythe sich ihrer Wahrheit stellen.
Die erste Besonderheit an dieser Geschichte, ist die Erzählperspektive: Blythe erzählt aus der Ich-Perspektive in der Du-Ansprache. Dabei ist das gemeinte „Du“ ihr Ex-Ehemann Fox, dem sie die ganze Geschichte aus ihrer Perspektive schildern möchte. Diese ungewöhnliche Art des Erzählens ist zuerst vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig, allerdings fand ich es auch sehr besonders und es hat mir wirklich gut gefallen. Außerdem war es im Kontext der Geschichte auch wirklich sinnig und keine andere Erzählweise hätte besser gepasst. Blythe versucht ihre Sicht der Dinge zu erklären und in vielerlei Hinsicht wirkt ihr Bericht auch wie eine Rechtfertigung.
Blythe versucht sich selbst als Schriftstellerin und das merkt man ihrer Geschichte auch an. Die Erzählweise ist klug und teilweise poetisch. Somit empfand ich das Buch als sehr angenehm zu lesen, mit vielen bildhaften Formulierungen. Durch die Sichtweise von Blythe bekommen wir auch einen tiefen Einblick in ihre Gefühle und ihre Gedankenwelt, sie erzählt unverblümt und authentisch. Blythe sagt die Wahrheit. Allerdings müssen wir auch immer bedenken, dass es Blythes Wahrheit ist. Es ist ihre Sichtweise und was die beteiligten Personen, vor allem Violet und Blythes Ehemann Fox in den jeweiligen Situationen gefühlt und gedacht haben, können wir als Leser nicht nachvollziehen, beziehungsweise miteinbeziehen.
Die Geschichte hat in mir sehr ambivalente Emotionen hervorgerufen. Zum einen ist da die Mutter, die ihr Kind nicht bedingungslos lieben kann. Alleine diese Vorstellung entspricht nicht dem, was man für gewöhnlich erwartet und bei einer Mutterschaft voraussetzt. Auf der anderen Seite erfahren wir, wie Blythe Violets Verhalten gesehen hat, was Violet getan hat. Wenn sie nun wirklich das Böse in sich trägt, hat sie die Liebe ihrer Mutter überhaupt verdient? Aber ist sie denn so böse, wie Blythe sie tatsächlich empfindet? Das alles ist schwer zu beurteilen, denn wie bereits erwähnt, kennen wir nur Blytes Perspektive.
Wir lesen das Portrait einer zerrütteten Familie, in der allem Anschein nach so viel schief gelaufen ist. Wer trägt die Schuld? Ist Blythe wirklich nur das Opfer oder resultiert Violets Verhalten aus der Wechselwirkung mit Blythes Verhalten ihr gegenüber? Spürt Violet, dass Blythe sie nicht bedingungslos lieben kann und verhält sich deswegen so? Schock, Ekel, Mitleid und Mitgefühl, Sprachlosigkeit und vor allem tiefe Trauer waren die Emotionen, die mich beim Lesen dieser Geschichte begleitet haben. Die Autorin hat es unglaublich eindrucksvoll geschafft, mich in den Bann zu ziehen und mitfühlen zu lassen, hat es aber auch geschafft, mich die ganze Geschichte überdenken zu lassen.
Das Buch behandelt eine heftige Thematik, in gewisser Weise ein Tabu-Thema. Eine Mutter, die ihr Kind nicht lieben kann. Dabei wirkt der Vater Fox völlig unterkühlt, verständnislos und distanziert, aber auch hier musste ich mich ständig fragen, ob er das tatsächlich auch ist. Schließlich kannte ich nur Blythes Empfinden. Trotzdem hatte ich aber auch das Gefühl, dass Blythe versucht, ihre Geschichte vollkommen ungefiltert zu erzählen. Sie gesteht sich Fehler ein, erkennt auch die guten Seiten ihrer Tochter, weshalb ich sie nicht nicht mögen konnte.
Das Ende der Geschichte hat mich schockiert. Ich fand es aber leider ein klein wenig zu krass und hätte es nicht unbedingt gebraucht, was an dieser Stelle aber auch mein einziger Kritikpunkt sein soll.
FAZIT
„Der Verdacht“ ist eine eindrucksvolle Geschichte über ein Tabu-Thema, das Portrait einer zerrütteten Familie, für die wohl jede Hilfe zu spät kommt. Die Autorin hat mich schockiert, traurig gemacht, mitfühlen und vor allem nachdenken lassen. Eine ganz klare Leseempfehlung, auch wenn ich mir ein befriedigenderes Ende gewünscht hätte. Ein wunderbares Buch kann man an dieser Stelle kaum sagen, denn die Thematik war alles andere als wunderbar. Trotzdem war es absolut fesselnd, auch wenn es nicht zur leichten Kost zählt.
https://gedankenbuecherei.wordpress.com/2021/09/12/rezension-der-verdacht-ashley-audrain/