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Veröffentlicht am 16.12.2021

Sternbilder auf der Haut

Sommersprossen – Nur zusammen ergeben wir Sinn
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Inhalt:

Allegra hat ihre provinzielle Heimat verlassen, um nach Dublin zu kommen, weil sie eine Mission hat. Dieser Mission kommt sie jeden Tag auf ihren Streifzügen als Parküberwacherin ganz nah, obwohl ...

Inhalt:

Allegra hat ihre provinzielle Heimat verlassen, um nach Dublin zu kommen, weil sie eine Mission hat. Dieser Mission kommt sie jeden Tag auf ihren Streifzügen als Parküberwacherin ganz nah, obwohl sie sie doch nicht erfüllen kann. Stattdessen hält sie sich am starren Rhythmus ihres Alltags fest. Bis ausgerechnet der Fahrer eines quietschgelben Ferraris diesen gefährlich aus dem Gleichgewicht bringt. Tristan ist ein Geschäftsmann und Parksünder, dem Allegra regelmäßig Bußgeldbescheide hinter die Windschutzscheibe klemmt. Als die beiden das erste Mal persönlich aufeinandertreffen, erzählt er ihr im Zorn von einer Lebensweisheit, die besagt, dass ein Mensch das Produkt, der fünf Personen ist, die ihm an nächsten stehen. Die fünf Personen in Allegras Leben müssten Versager sein, so Tristans Vorwurf, denn nichts anderes sei Allegra selbst. Diese Begegnung ist der Auslöser für einen gedanklichen Umbruch in Allegras Kopf, der nach und nach ihr ganzes Leben verändert.

Meine Meinung:

Zu aller erst: Dieses Buch ist keine Enemies-to-lovers-Romance! Man könnte nämlich auf den Gedanken kommen, dass es sich um solch eine Geschichte handelt, wenn man des Klappentext liest. Damit liegt man allerdings mit daneben.

„Sommersprossen“ von Cecelia Ahern ist ein eher leiser, melancholischer „Lebensroman“, der hauptsächlich die Charakterentwicklung seiner Protagonistin fokussiert. Die Romantik tritt dabei in den Hintergrund.

Allegra ist eine sehr besondere Protagonistin. Ein Charakter, wie man ihn in Büchern selten liest. Ich würde sie als ein Mosaik aus Facetten bezeichnen, die nicht immer gut zusammenpassen wollen. Sie lässt sich schwer kategorisieren, geschweige denn in eine Schublade stecken. Ich kann mir gut vorstellen, dass es Leserinnen geben wird, die Schwierigkeiten haben, sich auf Allegra als Figur einzulassen. Mich selbst hat sie auch immer wieder an den Rand der Verzweiflung gebracht, weil ich sie in verschiedenen Situationen wirklich nicht verstehen konnte. Dennoch hat sie mich sehr berührt. So sehr, dass ich im letzten Viertel viel geweint habe.

Die Autorin zeigt in „Sommersprossen“ viele Konflikte auf, die in Allegras Leben stattfinden, und bietet für all diese am Ende auch Lösungen an. Einige dieser Lösungen haben mir allerdings nicht gefallen, obwohl sie mich emotional wirklich berührt haben. An verschiedenen Stellen war es einfach zu viel. Hier zu schlimm, da zu melodramatisch.

Über der ganzen Geschichte liegt eine Art Schleier, leicht traurig, leicht dumpf. Allegra wird oft missverstanden und erfährt oft Ungerechtigkeit. Manchmal sieht sie auch einfach den Wald vor all den Bäumen nicht. Ich habe sehr mit ihr gelitten und hatte großes Mitgefühl für sie.

Die Nebencharaktere sind bunt und liebevoll gezeichnet. Allerdings sind sie sehr klar in gut und weniger gut unterteilt. Das war mir an manchen Stellen zu einfach. Da war so viel Potenzial für Ambivalenz, das nicht ganz ausgenutzt wurde.

Die Sprache hat mir sehr gefallen. Vor allem im ersten Drittel der Geschichte. Der Einstieg ins Buch ist sehr poetisch und symbolisch. Etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gelesen. Im Verlauf der Geschichte hätte ich mir noch viel mehr davon gewünscht.

Fazit:
„Sommesprossen“ von Cecelia Ahern ist ein sehr besonderes, in seiner eigenen Form für mich einzigartiges Buch, auf das man sich einlassen muss. Es hat viele tolle Momente, aber auch einige, die ich lieber anders gelesen hätte. Ich könnte mir allerdings gut vorstellen, dass Leser
innen, die für gewöhnlich eher zu Gegenwartsliteratur greifen, großen Gefallen daran finden. Eben weil es so sehr aus der Reihe fällt.

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Veröffentlicht am 16.12.2021

Wanderlust

Offene See
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Inhalt:
England, 1946: Der Krieg ist vorbei, Europa erwacht zu neuem Leben, mit knurrendem Magen, weil das Essen knapp ist, aber mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Blick. Hoffnung hat auch der junge ...

Inhalt:
England, 1946: Der Krieg ist vorbei, Europa erwacht zu neuem Leben, mit knurrendem Magen, weil das Essen knapp ist, aber mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Blick. Hoffnung hat auch der junge Robert, als er sich nach der Schule aufmacht, um sein Kohlearbeiterdorf zu verlassen und in der Ferne Abenteuer zu erleben. In der Ferne trifft er auf die sonderbare Dulcie.

Dulcie ist eine Frau, die viel erlebt hat, viel abgibt, und wenig von sich preisgibt. Gemeinsam mit ihr erlebt Robert einen Sommer, der das Leben von beiden verändern wird, der ihm einen Weg in die Zukunft und ihr einen Weg aus der Vergangenheit weist.

Meine Meinung:

„Romantik ist nämlich nicht gleichbedeutend mit Herzschmerz und Rosen. Romantik ist Gefühl, und Romantik ist Freiheit. Romantik ist Abenteuer und Natur und Wanderlust. Sie ist Meeresrauschen und der Regen auf deiner Zeltplane und ein Bussard hoch über einer Wiese und das morgendliche Erwachen mit der Frage, was der Tag wohl bringen mag, um dann loszuziehen und es herauszufinden.“

Ich finde, in diesem Zitat beschreibt Benjamin Myers ziemlich gut, was sein Buch für mich ist: Romantische Literatur des 21. Jahrhunderts.

„Offene See“ steckt voll von Natur und Sommer und gutem Essen und Reiseerfahrungen und Abenteuerlust und Weltschmerz und Sehnsucht.

Ich gebe zu, anfangs hatte ich Schwierigkeiten, mich in das Buch einzufinden. Ich musste mich an die Szenerie und an den Tonfall der Geschichte gewöhnen. „Wann passiert hier denn endlich mal etwas?“, habe ich gedacht, bis mir klar geworden ist, dass die ganze Zeit über etwas passiert und dass es mit dem Reisen ja auch im wahren Leben ganz ähnlich ist: Es braucht seine Zeit, ein bisschen Anlauf, ein bisschen Geduld, bis man in einen Fluss gerät. Bis man sich an das Unterwegssein gewöhnt hat.

Benjamin Myers Beschreibungen vom englischen Landleben, vom Meer und vom Sommer sind unglaublich schön und poetisch. Beinahe jeder Satz ist ein Genuss. Man merkt, dass die Worte mit großer Sorgfalt gewählt wurden. Und an dieser Stelle muss auch unbedingt die grandiose Übersetzung erwähnt werden, die es geschafft hat, die Prosa und auch die Lyrik in diesem Buch, so grandios gut ins Deutsche zu holen.

Ich finde, „Offene See“ ist ein zeitloses Buch, das man in alle Epochen übertragen kann. Die Atmosphäre ist märchenhaft, träumerisch, vielleicht auch etwas unwillkürlich. Es ist ein Buch, das man um das Lesens Willen lesen kann. Einfach, weil Lesen und Worte und Sprache so schön sind. Obwohl auf Handlungsebene tatsächlich wenig geschieht, ist am Ende doch kein Satz und kein Wort zu viel gewesen.

Das Ende hat mich außerdem im Herzen berührt. Ich bin jetzt, wo ich diese Rezension schreibe, immer noch ein wenig emotional, weil ich Robert und insbesondere Dulcie auf diesen 260 Seiten so lieb gewonnen habe, dass es mir nun schwerfällt sie in der Geschichte zurückzulassen. Aber die Geschichten, die wir lesen, bleiben ja auch auf irgendeiner Weise in unseren Atomen, nicht?

Fazit:
„Offene See“ ist ein ganz besonderes, zurecht so hoch gelobtes kleines Stück Literatur. Landliebe, zum Weinen schön. Sollte man gelesen haben.

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Veröffentlicht am 16.12.2021

Eine Sensation in Fragmenten

Der Sprung
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Inhalt:

Thalbach, eine Kleinstadt irgendwo in Baden-Württemberg:

Enge Gassen, Fachwerkhäuser, Idylle, Langeweile.

Eine junge Frau steht eines morgens auf dem Dach eines Mehrfamilienhauses und droht ...

Inhalt:

Thalbach, eine Kleinstadt irgendwo in Baden-Württemberg:

Enge Gassen, Fachwerkhäuser, Idylle, Langeweile.

Eine junge Frau steht eines morgens auf dem Dach eines Mehrfamilienhauses und droht herunterzuspringen. Eine Nachbarin ruft die Polizei und diese rückt mit Großaufgebot an. Ihr folgen die Feuerwehr, die Presse und eine Horde Schaulustige.

In „Der Sprung“ von Simone Lappert geht es in erster Linie nicht um die Frau auf dem Dach, sondern um die Leute, die zu ihr hinaufsehen. Um ihre Biographien, oder wenigstens ein paar Schnipsel davon. Oder vielleicht geht es auch doch um die Frau auf dem Dach und ihre Geschichte, die sich fragmentartig in den Leben der anderen wiederfindet.

Meine Meinung:
Ich liebe Geschichten, die aus vielen unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden, deshalb wollte ich „Der Sprung“ auch schon so lange lesen. Tatsächlich ist das Buch in Wirklichkeit ganz anders, als ich es ursprünglich angenommen hatte. Besser anders.

Man könnte meinen, man hat es hier mit einer schweren, düsteren Geschichte zu tun, immerhin ist das zentrale Thema ein versuchter Suizid. Aber das stimmt nicht. In Thalbach ist es Sommer und im Text auch. Es ist eine melancholische, von Erinnerungen an vergangene Jahre geschwängerte Art von Sommer, aber auch ein heller, hoffnungsvoller Sommer. Beides trifft auch auf das Buch zu.

Die Protagonist*innen, die in der Geschichte zu Wort kommen, sind allesamt Kleinstädter, die irgendwie feststecken in dieser Idylle. Manche von ihnen stehen in enger Verbindung mit der Frau auf dem Dach, andere eher in loser. Aber sie alle beeinflussen sie oder werden von ihr beeinflusst. Vor allem aber nehmen sie die Situation auf dem Dach ganz unterschiedlich war. Diese Situation, die sich immer mehr zu einem Event für Voyeuristen entwickelt.

Ich habe darüber nachgedacht, ob eine ähnliche Szene in der Wirklichkeit entstehen könnte.

Wahrscheinlich nein und wahrscheinlich ja. Je nach dem, ob man die Menschen lassen würde. Vielleicht ist die Geschichte in Ansätzen überzeichnet, ich finde aber dennoch, dass sie eine der schlechtesten menschlichen Eigenschaften ganz eindrucksvoll darstellt.

Die Handlungstragenden sind in meinen Augen sehr spannend besetzt worden. Ich habe all ihre Schicksale gerne gelesen und obwohl jeder einzelne von ihnen nicht oft zu Wort kommt, erhält man doch in den kurzen Kapiteln einen tiefreichenden Blick auf ihre Oberflächen und in ihre Abgründe.

Inhaltlich will ich nicht zu viel verraten, nur dass sich „Der Sprung“ in eine völlig andere Richtung entwickelt hat, als ich anfangs dachte. Die Autorin hat hierfür einen Kniff angewendet, den ich unglaublich spannend und raffiniert finde. Ich glaube, letztendlich geht es in diesem Buch darum, die Kleingeistigkeit der Leute zu entlarven. Darum, wie schnell sich Schubladenstecker gerne gegenseitig in Schubladenstecken. Am Ende gibt es eben doch immer eine Geschichte hinter der Geschichte. Oder sogar viele Geschichten.

„Der Sprung“ von Simone Lappert hat übrigens nicht nur ein Ende, sondern viele Enden, weil jede der Figuren ihr eigenes bekommt. Meiner Meinung nach ist jedes einzelne davon sehr gelungen gewesen.

Fazit:
„Der Sprung“ ist ein Buch über das Leben und den Alltag. Darüber, was passiert, wenn dieses Leben, dieser Alltag, durch ein unerwartetes Ereignis aufgebrochen wird. Das, was dann passiert, davon handelt diese Geschichte. Ich fand’s wirklich klasse! Eine ganz klare und große Leseempfehlung also für dieses eigenwillige und einzigartige Buch, seine individuellen und fein konzipierten Charaktere und seine spannende Handlung.

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Veröffentlicht am 20.11.2021

Luxusgut Liebe

Wenn ich wiederkomme
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Inhalt:

In einer Nacht- und Nebenaktion verlässt Daniela ihr rumänisches Dorf, ihren Sohn und ihre Tochter um in Italien als Altenpflegerin zu arbeiten. Sie verspricht sich, mit dem Geld, das man ihr ...

Inhalt:

In einer Nacht- und Nebenaktion verlässt Daniela ihr rumänisches Dorf, ihren Sohn und ihre Tochter um in Italien als Altenpflegerin zu arbeiten. Sie verspricht sich, mit dem Geld, das man ihr dort bezahl, die Schulausbildung der beiden Kinder finanzieren und ihnen so ein besseres Leben ermöglichen zu können. Doch der Preis, den sie dafür zahlt, ist hoch, und die Entbehrungen schmerzhaft. Harte körperliche Arbeit und prekäre Verhältnisse zehren genauso an ihr, wie die zunehmende Entfremdung und die stillen Vorwürfe der Daheimgebliebenen. Und nicht nur Daniela kämpft. Während sie in weiter Ferne schuftet, entlädt sich zuhause ein jahrealter Konflikt in einer Katastrophe.

Meine Meinung:

Balzano beschreibt eindrucksvoll anhand eines Einzelschicksals die Geschichten so vieler osteuropäischer Gastarbeiter, die in reiche europäische Länder kommen und hier einen maßgeblichen Beitrag dazu leisten, das System aufrecht zu erhalten, ohne dafür jemals entsprechende Würdigung zu erfahren.

Im Gegenteil: Frauen wie Daniela leiden unter katastrophalen Arbeitsbedingungen, Rassismus und Geringschätzung. Das, obwohl sie so viel aufgeben für den Traum von einem besseren Leben. Der Autor bringt diese Entbehrungen in einer dichten ruhigen Sprache auf den Punkt. Dabei zeichnet er seine Protagonisten als wunderbar ambivalente Figuren, mit guten und weniger guten Seiten.
Daniela ist eine starke niemals unfehlbare Heldin, keine Heilige, eine Mutter, die sich selbst der Mutterrolle beraubt, die sich in ihren Träumen verläuft. Sie steht steilvertretend für so viele Frauen, die ihr Leben in die Hand nehmen, in der Hoffnung aus ihren begrenzten Möglichkeiten das Beste machen zu können.
„Wenn ich wiederkomme“ ist ein politischer Roman, der auf ein krankes System aufmerksam macht, das Frauen, Familien und ganze Länder ausblutet. Der Autor stellt nicht nur Danielas Schicksal dar, sondern auch das ihrer in Rumänien gebliebenen Kinder Manuel und Angelica, die unter der Abwesenheit ihrer Mutter leiden müssen. Die Frauen und Männer, die nach Italien oder Deutschland kommen, um hier zu arbeiten, fehlen in ihren Heimatländern nämlich an allen Ecken.

„Wenn ich wiederkomme“ ist also auch ein Roman, über das Schicksal nicht einer, sondern vieler Frauen, die innerhalb dieses Systems kaum gesehen und gehört werden.

Nicht zuletzt handelt es sich aber um einen Roman über die Liebe, und darüber wie es ist, so arm zu sein, dass man sich diese nicht leisten kann.

Fazit:
Balzanos Roman ist ein absolutes Highlight für mich. Selten habe ich ein politisches Thema auf so vielen Ebenen so feinfühlig und eindrücklich umgesetzt gesehen. Das Nachwort des Autors bewegt und spricht für sich.

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Veröffentlicht am 01.11.2021

Wortästhetisch

Uns gehört die Nacht
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Inhalt:
Es ist 1986: Jamie studiert in Yale. Seine Familie gehört zum reichsten Prozent in den USA. Elise wohnt im Haus gegenüber und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch’s Leben. Sie ist nicht wirklich ...

Inhalt:
Es ist 1986: Jamie studiert in Yale. Seine Familie gehört zum reichsten Prozent in den USA. Elise wohnt im Haus gegenüber und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch’s Leben. Sie ist nicht wirklich Weiß, nicht wirkich Schwarz, nicht wirklich Latina, nichts so ganz. Von Zuhause ist sie abgehauen, da gab es bloß Drogen und Kriminalität. Elise ist erst zwanzig, aber man könnte meinen, sie hat schon vierzig Jahre gelebt, so viel hat sie da gesehen. Als sie Jamie trifft, rührt sich irgendetwas in ihr. Am Anfang ist es nur Sex, ziemlich viel, ziemlich obsessiver Sex. Und dann ist es auf einmal Liebe. Eine Liebe, die Jamie, den Jungen, der nie wirklich Verantwortung tragen musste, dazu zwingt, Entscheidungen zu treffen.

Meine Meinung:
Ich habe schon lange nichts mehr so schnell so heftig inhaliert wie die erste Hälfte von „Uns gehört die Nacht“. Ich fand es brutal gut. Und wenn ich schreibe brutal, dann meine ich das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Liebe von Jamie und Elise ist eine brutale Form von Liebe.
Liebesgeschichten zwischen reichen Jungs und armen Mädchen sind in der Literatur ja oft erzählt worden und werden (zumindest von mir) auch immer wieder gerne gelesen. Ich habe eine Schwäche für das Cinderella-Trope, könnte man sagen. Deswegen habe ich „Uns gehört die Nacht“ auch gekauft. Deswegen und wegen der unfassbar schönen Sprache, die mich schon auf der ersten Seite gepackt hat. Die Autorin zeichnet einzigartige Sprachbilder, die das (noch unentdeckte) wortästhetische Zentrum in meinem Gehirn unglaublich stark stimuliert haben. Allein dafür würde ich all ihre weiteren Romane kaufen.
„Uns gehört die Nacht“ ist anders als all die anderen Cinderella-Geschichten, die ihr gelesen habt. Elise ist nämlich kein weichgespültes armes Mädchen aus dem Märchen. Elise ist das, was Leute wie Jamie, „eine Assoziale“ nennen. Sie redet ungehobelt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, sie hat viel Leid und Enttäuschung erfahren, hat ein Vorstrafenregister und mit dreizehn bereits ihre erste Abtreibung erlebt. Mit vierzehn dann die zweite. Elise ist meine Lieblingsprotagonistin im Jahr 2021, weil sie sich trotz all der Kaputtheit so viel stille, unverfälschte Liebe bewahrt hat. Die Autorin hat sie wirklich unglaublich gut charakterisiert. Jamie ist übrigens noch kaputter als Elise, obwohl er auf den ersten Blick alles hat, was man braucht um ganz zu sein. Aber in mancher Hinsicht reicht alles eben auch nicht aus.
Die Beziehung, die sich zwischen Jamie und Elise entwickelt, ist voller Rohheit und Verzweiflung. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist auf eine ganz eigene, schonungslose Art und Weise romantisch. Die Unterschiede zwischen Jamie und Elise sind ein Sinnbild für die verschiedenen Seiten der USA, in denen ein so krasser Reichtum und eine so ausweglose Form von struktureller, sozialer und finanzieller Verarmung möglich ist.
Ein bisschen muss ich meine Begeisterung dann doch relativieren. Grund dafür ist das Ende, das mich enttäuscht hat.
Mir kam es vor, als hätte die Autorin eine grandiose Geschichte nicht richtig zu Ende denken können. Außerdem gibt es in dem Buch irrsinnig viel Sex. Obwohl mich das normal überhaupt nicht stört, war es hier ab einem gewissen Punkt grenzwertig viel.

Fazit:
„Uns gehört die Nacht“ erzählt eine in dieser Form für mich einzigartige, sprachgewaltige Liebesgeschichte. Das Buch ist (abgesehen von kleinen inhaltlichen Abstrichen) ein literarisches Highlight für mich.

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