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Veröffentlicht am 12.07.2023

Mord ohne Leiche?

Mord & Croissants
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„Bei dir ist ein Gast verschwunden, ein alter Mann. An der Wand ist Blut verschmiert, und eine zerbrochene Brille liegt im Mülleimer. Da sollten wir doch wohl etwas unternehmen, oder?“ (S. 25) Richard ...

„Bei dir ist ein Gast verschwunden, ein alter Mann. An der Wand ist Blut verschmiert, und eine zerbrochene Brille liegt im Mülleimer. Da sollten wir doch wohl etwas unternehmen, oder?“ (S. 25) Richard Ainsworth führt seit Jahren ein ruhiges Leben und ein kleines Bed and Breakfast mitten im Tal der Loire. Doch dann verschwinden erst der Gast und direkt danach sämtliche Beweise für das mögliche Verbrechen. Und Valérie d’Orçay, die erst am Vorabend eingecheckt hat, zwingt Richard, mit ihr zusammen deswegen zu ermitteln.

Das Buch lebt neben dem ungewöhnlichen Fall vor allem von den skurrilen Protagonisten und ihrem Zusammenspiel. Richard war früher Filmhistoriker und will nur eins: „… ich bin hergezogen, um ein ruhiges Leben zu führen und mein Buch fertig zu schreiben.“ (S. 69) Das interessiert Valérie allerdings recht wenig. „Vielleicht würde es dir gut tun, dein Leben tatsächlich zu leben, statt nur einen Haufen dummer alter Filme über das Leben zu schauen!“ (S. 70) Sie ist extrem neugierig und durchsetzungsstark und hat anscheinend ein großes Interesse an dem Verschwundenen. Außerdem sieht sie gut aus, liebt den ganz großen Auftritt und schreckt weder vor einem NEIN (z.B. zu dem Verbot von Haustieren im B&B), noch vor ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden zurück, was sie und Richard in die eine oder andere komische bzw. prekäre Situation bringt.
Die internen Grabenkämpfe der beiden sind sehr unterhaltsam. Ich habe mich jedes Mal sehr amüsiert, wenn sie ihn wieder einfach ignoriert und etwas über seinen Kopf hinweg entschieden hat. Sie hat aber auch etwas an sich, das nicht nur Männer schwach werden lässt.
Zu Richards B&B gehört noch das Faktotum Madame Tablier. Sie ist fürs Putzen und die schlechte Laune zuständig, wird oft unterschätzt und leider auch von Valérie und Richard nicht ernst genommen, dabei könnte sie wichtige Hinweise liefern …

„Mord & Croissants“ legt von Beginn an ein ordentliches Tempo vor, nicht nur durch Valéries rasante Fahrweise, sondern auch, weil sich die Ereignisse immer schneller überschlagen und ich zum Ende hin Mühe hatte, den Überblick zu behalten – das hat es besonders spannend gemacht.

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Veröffentlicht am 02.07.2023

Paris ist immer eine Reise wert

Sommertage im Quartier Latin
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Seit ihrem Abitur reist Lola kellnernd um die Welt. Inzwischen ist sie Anfang 30 und in Bordeaux hängengeblieben, als ihr Vater anruft. Ihre Großmutter Rose ist verschwunden, hat nur einen Zettel hinterlassen ...

Seit ihrem Abitur reist Lola kellnernd um die Welt. Inzwischen ist sie Anfang 30 und in Bordeaux hängengeblieben, als ihr Vater anruft. Ihre Großmutter Rose ist verschwunden, hat nur einen Zettel hinterlassen auf dem steht: „Macht euch keine Sorgen. Ich bin auf Reisen.“ (S. 36) Natürlich sorgen sie sich trotzdem. Rose ist über achtzig und Einzelgängerin, war seit Jahrzehnten nicht verreist.
Also fährt Lola nach Paris und sieht sich in ihrem ehemaligen Viertel um, trifft alte Bekannte und lernt neue kennen. Sie fragt jeden nach Rose, der sie kennen könnte, und erfährt einiges neues über sie. Dabei kommt sie einem Familiengeheimnis auf die Spur. Und sie trifft Fabien wieder, den sie mit 14 geküsst und dann ganz schnell vergessen hat – oder doch nicht?! Fabien hingegen konnte sie sich nie aus dem Kopf schlagen und wird immer ganz hibbelig, wenn sie in seinem Café auftaucht …

„Alle scheinen ganz genau zu wissen, wer sie sind und wo sie sein wollen. Nur ich… Ich scheine nie anzukommen.“ (S. 196) Lola hat früh ihre Mutter verloren. Ihr Vater und Rose haben sie zwar liebevoll aufgezogen, aber über den Tod wurde nie gesprochen. Da ihr Vater Portier ist, hat er sie oft mit ins Hotel genommen. Dort verbrachte sie viel Zeit in der Küche, wurde eine talentierte Bäckerin, hat aber nie etwas daraus gemacht. Nach dem Abitur wollte sie nur weg, aber wohin und was sie dort machen will, wusste sie weder damals noch heute. Lola war sich nur sicher, dass sie nie zurück nach Paris wollte. Doch schon nach wenigen Tagen stellt sie fest, dass sie Bordeaux und ihr Leben dort gar nicht vermisst, sondern in Paris heimisch ist.

Hinter dem Pseudonym Lily Martin steckt die Bestsellerautorin Anne Stern und wie in ihrer Reihe um die Hebamme Huld Gold wird es auch in den „Sommertage im Quartier Latin“ etwas spannend, weil Lola nicht nur nach Rose, sondern auch den Beweggründen für ihr Verschwinden sucht.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten erzählt. Neben Lola und Fabien sind das u.a. ihr Vater, ein Lebkuchenbäcker mit dem Hang zu Poesie, eine alternde Operndiva und ein Schulfreund von Lola, der inzwischen Concierge ist. Einzig Rose bleibt (fast) stumm.

Ich habe mich beim Lesen sofort nach Paris ins Quartier Latin zurückversetzt gefühlt, wo wir vor fast 25 Jahren unsere Hochzeitsreise verbracht haben – in einem ganz ähnlichen winzigen Studio wie das, indem Rose wohnt. Der Roman versprüht einen ganz bezaubernden Charme und lässt Erinnerungen und Sehnsüchte wach werden.

Durch die regelmäßigen Personen- und Ortswechsel fühlt es sich an, als würde man mit einem Baguette unterm Arm und einer Flasche Rotwein in der Hand durch das Quartier Latin flanieren. Aus den Cafés und Bistros klingen alte Chansons, die von Sehnsucht und Liebe erzählen. Ein Hauch von Hoffnung liegt in der Luft, aber erst müssen alte Wunden heilen, um bereit für Neues zu sein. Denn „… wo, wenn nicht in Paris, kann man ein neuer Mensch werden? Kann jeden Tag ein anderer sein?“ (S. 121)

Ein zauberhafter Sommerroman mit viel Pariser Flair, einem kleinen Geheimnis und genau der richtigen Prise Romantik.

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Veröffentlicht am 19.06.2023

Wie ein Licht in dunkler Nacht

Lighthouse Bookshop
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… weist der Leuchtturm in Newton Dunbar, mitten in Schottland und weit weg vom Meer, allen Hilfesuchenden und Heimatlosen den Weg zu einem sicheren Ort. Eigentlich betreibt Cullen hier einen Buchladen ...

… weist der Leuchtturm in Newton Dunbar, mitten in Schottland und weit weg vom Meer, allen Hilfesuchenden und Heimatlosen den Weg zu einem sicheren Ort. Eigentlich betreibt Cullen hier einen Buchladen inkl. Antiquariat, aber er hat auch ein Händchen für verlorene Seelen, bietet ihnen Shortbread und Kaffee und ein Ohr zum Zuhören, ohne sie zum Reden zu drängen. Vor 5 Jahren ist Rachel bei ihm gestrandet, als ihr alter Bulli den Geist aufgab. Cullen hat ihr einen Job und ein rundes Dach über dem Kopf gegeben. Seit kurzem kommt der verletzte Kriegsreporter Toby jeden Tag, um hier in Ruhe seine Memoiren zu schreiben. Fast zeitgleich taucht Gilly im Leuchtturm auf, ein junges Mädchen auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen. Zum „Inventar“ gehören auch Cullens Freund Ron, der sich mit ihm erbitterte Schachduelle liefert, und sein Hund Bukowski. Und Edie und Ezra, die zwar direkt nebeneinander wohnen, aber seit 15 Jahren zerstritten sind, ohne dass jemand weiß, warum.
Eines Tages bricht Cullen zusammen, seine letzten Worte an Rachel sind: „In der Decke. Hinter … der Tapete. Wusste nicht, was ich tun sollte. Egoistisch, aber … wollte den Laden behalten …“ (S. 79) Wie soll es jetzt nach seinem Tod weitergehen? Er hat keine Erben und kein Testament gemacht. Sein Anwalt sagt, dass der Turm wahrscheinlich zusammen mit dem restlichen Anwesen verkauft wird. Um das zu verhindern, geht Rachel Cullens Worten nach und entdeckt ein uraltes, wunderschönes und beeindruckendes, aber auch tragisches Geheimnis.

Für Rachel war der Turm das einzige Zuhause, das sie je hatte. Sie erkennt sofort, dass Gilly eine ähnliche Biographie haben muss wie sie, auch wenn sich beide beharrlich weigern, darüber zu reden.
Toby steht vor einem Umbruch, weil ihn mit seiner Verletzung keine Agentur je wieder in ein Krisengebiet schicken wird. Außerdem hat Albträume von dem, was er im Krieg erlebt hat und ist überzeugt, vor Jahren Schuld auf sich geladen zu haben, die er sich nicht vergeben kann.
Edie liebt ihren Blumengarten, den Ezras Ziege regelmäßig zerstört, und die Holzschnitte, die sie anfertigt und die ihren Unterhalt und ihre Unabhängigkeit bedeuten. Als Ezra vor Jahren in das Haus nebenan zog, hatte sich kurz eine Freundschaft und vielleicht auch mehr angebahnt, aber dann ist etwas passiert, über dass sie beide nicht reden, auch nicht miteinander.
Doch so zerstritten sie zum Teil auch sind, sind sie sich auch einig, dass sie den Leuchtturm, den Buchladen und Gilly retten wollen.

Sharon Gosling hat mit dem, was Rachel entdeckt, ein einmaliges Setting und eine zweite Ebene geschaffen, die mir sehr gut gefallen und für extreme Spannung gesorgt hat. Weil Rachel Hilfe braucht, weiht sie Toby in ihre Entdeckung ein und bittet ihn um Unterstützung. Das schweißt sie zusammen, wenn auch nicht so, wie sich Toby insgeheim erhofft.

Schon „Fishergirl´s Luck“ hat mich letztes Jahr verzaubert und auch „Lighthouse Bookshop“ ist ein besonderes, sehr vielschichtiges Buch. Nicht nur der Leuchtturm und sein Standort sind außergewöhnlich, auch die Protagonisten haben alle eine ungewöhnliche Vergangenheit oder ein Geheimnis.
Es ist eine berührende Geschichte von Freundschaft und Liebe, von Hoffnung und (der Suche nach) Heimat, vom Schweigen und Erahnen, vom Zusammenhalt und dass man sich manchmal nur auf seine Stärken besinnen muss.

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Veröffentlicht am 14.06.2023

Angst vor der Liebe

Die Buchverliebten
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„… letztendlich haben die Bücher mir das Liebste in meinem Leben genommen.“ (S. 216) Seit 20 Jahren trauert Gesa um ihre große Liebe, den finnischen Schriftsteller Onni. Sein Tod hat ihr die Freude am ...

„… letztendlich haben die Bücher mir das Liebste in meinem Leben genommen.“ (S. 216) Seit 20 Jahren trauert Gesa um ihre große Liebe, den finnischen Schriftsteller Onni. Sein Tod hat ihr die Freude am Lesen genommen, trotzdem verkauft sie seit über 40 Jahren Buchversicherungen. Doch auch damit könnte es bald vorbei sein, denn „Bücher sind tot … Leider.“ (S. 23). Wenn sie nicht ganz schnell neue Kunden akquiriert, muss sie gehen, sagt ihr Chef. Ihr Zwillingsbruder bringt sie mit Ole Oevermann zusammen, der eine Buchhandlung mit Antiquariat betreibt und auch zu wenig Kunden hat. Zusammen entwickeln sie neuen Mut und eine Idee, um Gesas Kündigung abzuwenden und Oles Laden zu retten.

Gesa ist überzeugt, nicht für die Liebe gemacht zu sein. Zwei Partner haben sie betrogen, Onni ist früh gestorben. Sie tröstet sich mit ihrer Arbeit und der Liebe zu Marzipankartoffeln. Wenn sie sich das Herz ausschütten muss, sind ihre Eltern und ihr Zwillingsbruder für sie da, der in der Liebe ebenfalls kein Glück hat. Außerdem redet sie mit einem ausgestopften Kuukkeli (einem finnischen Unglückshäher, der eigentlich ein Glücksbringer ist), den Onnis Familie ihr zum Trost geschenkt hatte. Aber dann lernt sie Ole kennen, der auch ein Trauma und fast zur gleichen Zeit wie sie seine Frau verloren hat. Erst durch ihren Verlust er zum Lesen gekommen. „Mir bedeuten Bücher alles, Literatur ist mein Lebenssinn.“ (S. 55) Ole ist hilfsbereit, rücksichtsvoll und fürsorglich und scheint ernsthaft an Gesas Dilemma interessiert zu sein und daran, eine Lösung für sie beide zu finden. Sie könnte sich in ihn verlieben, wenn sie nicht solche Angst vor der Liebe hätte, vor einer neuerlichen Enttäuschung. Ole sucht nicht nach der Liebe, die zu seiner Frau war genug für ein ganzes Leben. Doch irgendetwas an Gesa bringt sein Herz zum Schwingen. Er sieht sie nicht nur als Zweckgemeinschaft, sondern erhofft sich mindestens eine tiefe Freundschaft, vielleicht auch mehr. Wenn er seine Gefühle nur begreifen und in Worte fassen könnte. Und außerdem: „Liebe gibt es auch in der Freundschaft, oder nicht?“ (S. 325)

„Die Buchverliebten“ ist ein leiser Roman, getragen von Gesas und Oles Trauer um ihre Liebsten, aber auch mit einem immer wieder durchschimmernden Quäntchen Hoffnung auf Heilung und Veränderung. Mir gefiel die Vorstellung, dass ein ganz ähnlicher Schicksalsschlag sich so verschieden auswirken kann. Gesa hat er von der Literatur entfernt, Ole ihn zu ihr hingeführt.
Es ist ein Buch über die Liebe zu Büchern und zur Literatur das nachhallt und zum Nachdenken anregt. Anja Baumheier hat mit Gesa und Ole zwei ganz besondere Antihelden geschaffen, deren Geschichte einem sofort ans Herz gehen und zu dem ihr poetischer Schreibstil ganz wunderbar passt.

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Veröffentlicht am 29.05.2023

Der Strandphilosoph

Sonntags am Strand
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„Das waren sie, seine sechs Quadratmeter.“ (S. 13) Seit 41 Jahren betreibt Enzo zwischen April und Oktober ein Bagno an der italienischen Küste. Früher hat seine Frau jeden Mittag vorzügliche Pasta für ...

„Das waren sie, seine sechs Quadratmeter.“ (S. 13) Seit 41 Jahren betreibt Enzo zwischen April und Oktober ein Bagno an der italienischen Küste. Früher hat seine Frau jeden Mittag vorzügliche Pasta für die Gäste gekocht, seit ihrem Tod kocht er in Gedenken an sie. An diesem 15. August, Ferragosto, macht er zum ersten Mal ihre Pasta Carbonara. Für die Stammgäste ist damit klar, dass er langsam über ihren Tod hinwegkommt.
Sein Tag am Strand folgt festen Abläufen, genau wie der seiner meisten Gäste, die er zum Teil schon seit Jahren oder Jahrzehnten kennt. Da ist der Fischer Signor Conte, der den ganzen Sonntag bei ihm an der Bar verbringt. Da sind Felice und Alberto, die sich sehr lieben, aber anscheinend zu verschiedene Ansichten haben. Da ist Giacopo, gerade 16, der heimlich in eine Mitschülerin verliebt ist und sich ganz toll um seine jüngeren Geschwister kümmert, während sich seine Eltern immer heftiger streiten und ihre Ehe zu zerbrechen droht.

Alexander Oetkers „Sonntags am Strand“ lässt sofort Urlaubsgefühle aufkommen. Man spürt die Hitze, den Sand unter den Füßen und hat das Wellenrauschen im Ohr. Er beschreibt sehr ruhig ganz alltägliche Szenen, wie man sie selber schon erlebt oder gesehen und für die man sich im Nachhinein vielleicht auch geschämt hat, denn der Strand ist voll und alle bekommen die Streitigkeiten mit.
Er zeigt aber auch, was hinter den Problemen der Paare steht und dass man sich manchmal gegenseitig nur richtig ansehen und hinhören muss, um seinen Partner zu verstehen. Es ist also nicht nur eine leichte Sommerlektüre, sondern auch ein kleiner Beziehungsratgeber.

Die Geschichten gehen zu Herzen, ganz besonders die von Enzo, der mich am Ende zum Strahlen gebracht hat.

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