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Veröffentlicht am 09.06.2023

Tierische Zukunft

Von Ameise bis Wombat: Tierisch geniale Bautricks für unsere Zukunft
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Wie unsere Zukunft aussieht? Schwer zu sagen, die Welt ist schließlich mehr als nur ein bisschen im Wandel. Aber: Wir können durchaus manches von denen lernen, deren Lebensraum wir viel zu häufig verdrängen ...

Wie unsere Zukunft aussieht? Schwer zu sagen, die Welt ist schließlich mehr als nur ein bisschen im Wandel. Aber: Wir können durchaus manches von denen lernen, deren Lebensraum wir viel zu häufig verdrängen – den Tieren. Christiane Dorion und Yeji Yun zeigen in „Von Ameise bis Wombat“ genau die im Untertitel genannten tierisch genialen Bautricks für unsere Zukunft.

Von der Physis des Dornteufels über Biberdämme hin zu den starken Netzen von Darwins Riesenspinne sind hier verschiedene Aspekte des tierischen Lebens vertreten – Körperbau, Wohnungsbau, Arbeitsmaterialien. Und, das ist in Kinderbüchern ja auch häufig ein Renner, Häufchen. Oder besser gesagt: würfelförmiges Wombat-Kacka, das nicht einmal stinken soll. Sachen gibt’s.

Das spannende Buch ist wundervoll illustriert und schön gebunden und allein daher schon ein Hingucker wie Handschmeichler und sicher einer der Gründe, warum es immer wieder angeschleppt wird. Aber auch die Inhalte sind kindgerecht geschrieben und gesetzt, so dass es schon bei knapp Vierjährigen Spaß macht, Neues zu entdecken und regelmäßig erneut anzusehen. Der Favorit hier ist übrigens The Gherkin in London, die direkt im Second Screen geöffnet werden muss.

Kleiner Wermutstropfen: Manchmal fehlt doch ein bisschen die Tiefe. Ja, es ist ein Buch für die jüngeren Kinder ab 5 Jahren (geht aber auch schon vorher), trotzdem wäre für Kinder wie Eltern manchmal spannend zu erfahren gewesen, worin Besonderheiten liegen, was vielleicht schon umgesetzt wurde oder auch woran es bislang scheitert. Bei manchen Tieren ist das der Fall, z. B. beim Gießkannenschwamm und der genannten Gurke im Zentrum Londons, bei anderen, wie beim Dornteufel oder beim Wombat wäre mehr tatsächlich mehr gewesen.

Alles in allem aber ein spannendes Buch, das nicht nur einen tollen Einblick in die Welt der Tiere gibt, sondern auch zeigt, wie sich der Mensch auf die Zukunft vorbereitet, aber auch vorbereiten muss. Das abschließende Quiz zeigt dann auch noch einmal schön, ob man alles im Kopf behalten hat, oder das Buch noch einmal lesen sollte. Aber das ist hier eh keine Frage – dafür macht es viel zu viel Spaß.

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Veröffentlicht am 02.06.2023

Feuer auf Sparflamme

Idol in Flammen
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Akari ist Fan eines Pop-Idols. Nicht ungewöhnlich für Teenager. Als ihr Idol Masaki beschuldigt wird, einen anderen Fan geschlagen zu haben, scheint ihre heile Welt zu zerbrechen. Aber: Richtig dramatisch ...

Akari ist Fan eines Pop-Idols. Nicht ungewöhnlich für Teenager. Als ihr Idol Masaki beschuldigt wird, einen anderen Fan geschlagen zu haben, scheint ihre heile Welt zu zerbrechen. Aber: Richtig dramatisch wird Rin Usamis „Idol in Flammen“ nie. Gut für Akari, etwas schade vielleicht für die Leser:innen.


Eigentlich geht es gut los. Ein Skandal, der Schlag, macht die Runde. Und dieser erschüttert Akaris kleine Welt. Sofort tauscht sie Nachrichten mit ihrer Freundin Narumi aus, am nächsten Tag im Schulbus ist es auch sofort das erste Thema:

„Echt stark, dass du noch [zur Schule] gehst.“

„Erst habe ich >echt stark, dass du noch lebst< verstanden.“
„Das natürlich auch.“

Der Fan-Wahnsinn, der hier angerissen wird, ist jedoch nicht Teil des Romans. Akari vernachlässigt die Schule, ihren Nebenjob, den sie eh nur hat, um sich Merch von Masaki und seiner Band zu kaufen, und ihre Familie. Aber sie denkt nicht an Suizid, ihre Welt fällt nicht in Scherben und auch ihr Idol steht nicht in Flammen, maximal in einem Feuer auf Sparflamme, trotz Shitstorm in sozialen Medien.

Trotzdem ist „Idol in Flammen“ keine Enttäuschung, sondern ein phasenweise durchaus spannender Einblick in die japanische Pop-Industrie, die Fans jeden Yen aus dem Sparschwein ziehen möchte – und das bei Akari auch schafft. Die Stars von Masakis Band haben alle ihre persönliche Farbe, mit Lichtstäben kann auf Konzerten gezeigt werden, wer die Favoriten der Fans sind. Auch Akaris Zimmer strahlt in Masakis Blautönen. Regelmäßig wird das beliebteste Band-Mitglied gewählt, abstimmen darf nur, wer die neueste Platte kauft – Akari bestellt sie gleich dutzendfach, damit Masaki nach dem Skandal nicht Letzter wird. Immerhin: Geld für persönliche Treffen und Selfies für gemeinsame Selfies mit ihrem Idol gibt sie nicht aus, auch an einer Beziehung ist sie (scheinbar) nicht interessiert.

Und dann ist Usamis Debütroman auch noch etwas anderes: eine Art Aufstehhilfe. Ein kleines, kurzes, schnell gelesenes Buch, das zeigt, wie ein Drama das eigene Leben erschüttern kann, wie schwer es fällt, wieder auf die Füße zu kommen, dass es aber gelingen kann. Und das sollte zumindest jugendlichen Leser:innen Mut machen, wenn ihr Idol oder ihre eigene Welt in Flammen steht.

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Veröffentlicht am 04.05.2023

Innerer Schweinewolf

Wolf
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Kemi muss ins Zeltlager. Die Ferien sind lang, seine Mutter muss arbeiten, der Vater ist weg. Bocklevel? Im Minusbereich. Und dann ist da auch noch Jörg, der einfach „andersiger“ ist. Ein typisches Opfer. ...

Kemi muss ins Zeltlager. Die Ferien sind lang, seine Mutter muss arbeiten, der Vater ist weg. Bocklevel? Im Minusbereich. Und dann ist da auch noch Jörg, der einfach „andersiger“ ist. Ein typisches Opfer. Wird in der Schule gemobbt und natürlich auch im Feriencamp. Kemi findet das ziemlich mies – aber wird er sich trauen, Jörg zur Seite zu stehen?

Saša Stanišić ist ja mittlerweile fast schon ein alteingesessener Kinderbuchautor. Nach seiner bunt-verrückten Geschichtensammlung „Hey, hey, hey Taxi“ und der abgedrehten „Panda-Pand“ geht’s nun also in den Klassiker der deutschen Feriengestaltung – ins Zeltlager. Die Zielgruppe von „Wolf“ ist entsprechend älter, irgendwo so frühe Sekundarstufe, zwischen Spielerei, Zankerei und erster Gefühlsduselei. Eieiei. Aber auch: Eltern, die wissen wollen, was so auf ihre Kinder zukommt. Und Erzieher:innen, die lernen möchten, wie man besser kein Camp leitet. Denn wenn Kemi oder Benisha sie auf die zielscheibige Präsenz von Jörg aufmerksam machen, gibt’s nur Empfehlungen. Abstand halten. Konflikte alleine lösen. Sowas eben. Bloß nicht selbst einmischen, lieber irgendwo heimlich Melone futtern oder „Minigolf spielen“.

Am spannendsten ist aber Kemis Gefühlswelt. Wie er Jörg beschreibt, Episoden aus dem Schulleben aufzeigt, wie er sich die Gedanken von „man müsste mal“ zu „ich müsste mal“ wandeln, sich dem Bully Marko und den Dreschkes entgegenzustellen nämlich, wie er aber auch immer mit einem inneren Schweinewolf zu kämpfen hat, der ihn in seinen Träumen heimsucht. Den typischen Ängsten, über seinen Schatten zu springen, Courage zu zeigen.

Stanišić ist selbst Vater und das tut „Wolf“ richtig gut. Denn dieser Kinder- oder Frühe-Jugend-Roman ist kein Buch von oben herab, sondern auf Augenhöhe erzählt. Kein Ratgeber, mehr ein Erfahrungsbericht, in dem viele doof sind, Kinder wie Erwachsene, und in dem in den vermeintlichen Außenseitern die größten Held:innen stecken. Fast augenzwinkernd wird auch der typische Alltagsrassismus angeschnitten – Pinneberg-Türkei-Albanien, Leser:innen wissen mehr – was sich Stanišić als gebürtiger Bosnier auch gut rausnehmen und aus einem vermutlich unangenehmen Schatz eigener Erfahrungen zehren kann.

Am Ende ist das Ferienlager irgendwie fast zu schnell vorbei – vielleicht nicht für Kemi – aber zumindest für mich als Leser, ein kleiner Wermutstropfen eines großartigen Romans, der in ein paar Jahren hoffentlich auch die jüngere familiäre Zielgruppe begeistern wird. Und wer weiß, wie viele Romane Saša Stanišić bis dahin noch veröffentlicht hat. Für Groß, für Klein oder, wie hier, für alle.

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Veröffentlicht am 04.05.2023

(Vielleicht zu) Wholesome

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
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„Das Leben ist lang. Zwischendurch muss man auch mal innehalten, Pause machen. Du ankerst hier nur ein Weilchen, und wenn du dich wieder erholt hast, stichst du wieder in See.“

Eigentlich sind in „Die ...

„Das Leben ist lang. Zwischendurch muss man auch mal innehalten, Pause machen. Du ankerst hier nur ein Weilchen, und wenn du dich wieder erholt hast, stichst du wieder in See.“

Eigentlich sind in „Die Tage in der Buchhandlung Morisaki“ gleich zwei Geschichten versteckt. Die erste handelt von Takako, deren Leben aus den Fugen gerät, als ihr Freund sich verlobt – aber nicht mit ihr. Sie kündigt, zieht sich zurück, bis ihr Onkel anbietet, über seinem Antiquariat zu wohnen. Der Buchhandlung Morisaki. Die zweite Novelle schließt anderthalb Jahre später an, lässt sich aber wenig beschreiben, ohne zu spoilern.

Satoshi Yagisawas Erzählungen sind, in einem Wort beschrieben, wholesome. Die Figuren erleben traurige Momente und schaffen es, mit der Hilfe anderer und etwas Zeit für sich, ihr Leben in eine positive Bahn zu lenken. Beide Novellen lassen sich in einem Rutsch durchlesen, die perfekte Lektüre also für eine längere Bahnfahrt, einen Abend auf dem Balkon oder eingemümmelt mit Tee unter einer Sofadecke. Aber!

Mir persönlich war das manchmal etwas zu flach. Zu gut, zu nett, zu schön, zu lieb, zu, ja, wholesome. Nicht, dass ich Feel-Good-Storys nicht mag, aber dennoch verschenkt der Autor hier das Potenzial, das er gelegentlich aufblitzen lässt, wenn er die Protagonistin durch Klassiker der japanischen Frühmoderne blättern lässt. Vielleicht sind hier ein paar Anspielungen versteckt, die europäische Leser:innen nicht ganz greifen können, wenn sie diese Romane kennen. Aber hier hätte ich, besonders im ersten Teil, gerne mehr erfahren, mehr gelesen, denn asiatische Romane schaffen es häufig, unbekannte Welten zu öffnen, neues aus fremden Kulturen zu lernen.

Gelegentlich klappt dies sehr gut, wenn zum Beispiel Takaros Onkel das Viertel Jimbōchō ganz liebevoll beschreibt und sie sich irgendwann doch entschließt, aus ihrem Zimmer heraus die Welt neu zu entdecken, ins Café zu gehen und andere Antiquariate zu durchstöbern. Wenn es im zweiten Teil des Buches hinaus geht aus der Stadt, in die Berge, in einen Schrein. Doch leider sind diese Momente ein bisschen zu rar gesät, genau wie der Tiefgang der Geschichten. Ja, da sind Dramen in beiden Teilen, doch durch die Erzählweise sind diese nicht so emotional, wie sie sein könnten, vielleicht auch müssten.

Das macht „Die Tage in der Buchhandlung Morisaki“ zu keinem schlechten Buch, im Gegenteil. Aber auch zu einem Doppelroman, der mehr hätte sein können. Aber vermutlich muss das auch nicht immer sein. Schließlich fühlt man sich nach der Lektüre weniger betrogen oder um etwas gebracht, sondern eigentlich ausnahmslos … gut.

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Veröffentlicht am 19.04.2023

Unschärfen

Seemann vom Siebener
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Ein Flimmern in der Luft. Der Blick durchs Wasser. Die Vergangenheit, die Gegenwart und ja, auch die Zukunft. Alles ist unscharf an diesem Tag im Schwimmbad von Ottersweiler. Und das ist richtig gut, größtenteils.

Arno ...

Ein Flimmern in der Luft. Der Blick durchs Wasser. Die Vergangenheit, die Gegenwart und ja, auch die Zukunft. Alles ist unscharf an diesem Tag im Schwimmbad von Ottersweiler. Und das ist richtig gut, größtenteils.

Arno Frank lässt in „Seemann vom Siebener“ die Erinnerungen an die Kindheit hochleben. Freibadpommes und Flutschfinger. Arschbomben und Sandkuchen. Bienenstiche und … okay, Daddelautomaten gab es bei uns nicht. Aber trotzdem schafft er es locker, eine Atmosphäre zu schaffen, die vielen Leser:innen vertraut vorkommen wird.

Im Schwimmbad, gelegen in der Pfälzer Provinz, treffen alle aufeinander. Eine frühere Lehrerin, deren Mann das Bad entworfen und gebaut hat. Ihre Schüler, mittlerweile selbst irgendwo um die 40. Teils weit gereist, teils dortgeblieben. Der Bademeister, damals wie heute in Dienst und Schlappen. Die heutige Jugend, ein Geschwisterpaar und ein paar ihrer Mitschüler. Und zwei Vorfälle, die die meisten der Besucher:innen verbinden, und dennoch – das ist kein Spoiler – eher vage bleiben.

Zwei Sachen machen richtig Spaß: Arno Frank hat hier einige spannende Figuren geschaffen, die gar nicht so sehr aus der Welt gefallen sind. Der Weitgereiste, nach langer Zeit zurück in der Heimat. Die Jugendliebe, frisch verwitwet, aber darüber nicht traurig. Die tumbe Tagesmutter, nah an den Parolen der AfD gebaut. Der Bademeister, der ein Trauma nicht überwunden hat. Die Dame im Kassenhaus, die aufgrund eines Alkoholproblems ihren Job in der Sparkasse verloren hat. Die Frau des Schwimmbadarchitekten, oft verloren in Tagträumen und Erinnerungen. Die Schwester, die an diesem Tag Großes vor hat. Und – die zweite schöne Sache – das alles verdichtet in nicht einmal einen Tag, in ein paar Stunden von kurz vor der Freibadöffnung bis in den Nachmittag hinein.

Die Unschärfen von Franks Roman liegen auch in dem, was zwischen den Zeilen geschieht. Einem Geheimnis, den die Leser:innen vielleicht auf die Spur kommen. In den Verbindungen zwischen den Figuren. Allerdings: Für das große Ganze hätte es, muss man leider sagen, auch nicht jede Figur, nicht jede Geschichte gebraucht. Vielleicht. Vielleicht ist auch eine nicht zu Ende erzählte Geschichte Teil des heißen Tags, der flirrenden Hitze und wohltuenden Kühle am Ende eines Sommers in Ottersweiler, die dafür sorgt, dass Leute sich wiedersehen und das Bad mit Leben füllen.

„Seemann vom Siebener“ ist eines dieser Bücher, die mit gutem Gewissen und Vorfreude in die Sommerurlaubstasche gepackt werden können, aber auch schon jetzt, im langsam beginnenden Frühling, schon Lust machen auf einen langen, heißen Sommer und – vor allem – an die Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend, so unscharf diese mittlerweile auch sind.

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