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Veröffentlicht am 16.11.2023

Schönheit als Anker - in Zeiten der Dunkelheit, der Vergänglichkeit; in einer rasenden Welt

Der Trost der Schönheit
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"Ich werde hier gewiss nicht versuchen, eine Kulturgeschichte der Schönheit zu schreiben. Das haben berufenere Geister längst getan. Ich will den Weg gehen von >Bloß nichts fühlen< zum lebendigen, couragierten ...

"Ich werde hier gewiss nicht versuchen, eine Kulturgeschichte der Schönheit zu schreiben. Das haben berufenere Geister längst getan. Ich will den Weg gehen von >Bloß nichts fühlen< zum lebendigen, couragierten Empfinden von Schönheit. Den Weg vom Eiskeller in den Trost..." und damit zur "inneren Sicherheit", die Schönheit überall zu sehen, egal wie verzwickt alles scheinen mag, finden. Und ich denke, das ist Garbiele von Arnim mit diesem Buch wirklich gut gelungen. Viele, fast schon altbekannte/-bewährte Gedanken, Anekdoten und Beobachtungen reihen sich hier an Arnims Geschichte und ihr Empfinden. Teilweise fühlt sich das 'Gesagte' wie ein umhüllender Mantel an, liebgemeinte Worte, die Trost spenden und eine Hilfe sein können. Für mich ist dieses Buch auch so eine Art kluges Beispiel, dass Schönheit auch in der vermeintlichen Dunkelheit zu finden ist, sofern wir uns Zeit nehmen, die Augen öffnen und (kleineren) Dingen wieder einen größeren Wert geben. Und so gern ich nun dieses Buch dafür loben mag, so muss ich doch gestehen, dass diese Art der Erzählung recht wenig in mir ausgelöst hat, sei es durch die fast schon allgemeingültigen Gedanken oder die für mich fehlende Entwicklung und Reifung. Generell habe ich bei deutscher Literatur hier häufig ein Problem, denn oftmals wird nur das Ergebnis der Suche nach dem Sinn präsentiert, teilweise gar belehrend runtergebetet, während englischsprachige Romane hier viel weitreichender und nahbarer sind, sowie viel mehr Raum für das Vorher, die Dunkelheit und die Suche selbst lassen. Allerdings, und vielleicht ist das sogar der Grund für meine nur semi-Begeisterung, habe ich den Vorgänger "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand" bis dato noch nicht gelesen und vielleicht würden beide Bücher, zusammen betrachtet, jedes einzelne für sich noch viel größer wirken lassen. Meine Neugier, mehr von Gabriele von Arnim lesen zu wollen, hat dieses Buch jedenfalls nicht geschmälert, nur den Trost in der Schönheit... ich suche mal nach meinen eigenen Weg.

"Dinge können uns Halt geben und AtemMut, weil das, was wir schön finden, eine kleine Schneise mäht in die große Kummerwiese, uns für Momente tief und froh Luft holen lässt. Schöne Dinge können uns daran erinnern, dass wir sind."

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Veröffentlicht am 24.10.2023

Ein Sommer in den Hamptons oder Emma Clines faszinierender Roman über Spiel und Täuschung, Vermögen und Nichts.

Die Einladung
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Alex hat es drauf sich bei anderen durchzuschnorren, sich einen Lebensstil anzueignen, der gar nicht zu ihr und ihrem Background passt, und allen mit der Zeit mehr Schaden als Freude zuzufügen... bis eben ...

Alex hat es drauf sich bei anderen durchzuschnorren, sich einen Lebensstil anzueignen, der gar nicht zu ihr und ihrem Background passt, und allen mit der Zeit mehr Schaden als Freude zuzufügen... bis eben das selbst erbaute Kartenhaus zusammenfällt. Schon in NewYork versuchte ihre WG sie zu meiden, bei anderen hatte sie Schulden, man lauerte ihr vor der Haustür auf und Alex suchte dringend nach einem Ausweg aus ihrer Misere. Und dann war er plötzlich da. Sie fand Simon, ihren wohlhabenden, deutlich älteren Retter mit einem Sommerhaus in den Hamptons. "Und es tat gut, jemand anderes zu sein. Zu glauben, und sei es nur einen halben Moment lang, die Geschichte sei anders. Alex hatte sich ausgemalt, was für eine Person Simon gefallen würde, und das war die Person, die Alex ihm vorgab zu sein. Alex' ganze abgeschmackte Vergangenheit wurde herausgelöst, bis es sogar ihr selbst allmählich so vorkam, als wäre nichts davon je passiert." Sie lebte sich ein, umgarnte ihn, passte sich an. Er machte ihr Geschenke, kaufte ihr teure Kleider, vieles, was sie älter als 22 wirken lassen sollte und sie schenkte ihm dafür sich selbst und ihre Aufmerksamkeit. Doch dann passieren verschiedene Kleinigkeiten, Unfälle, die Simon wieder in Ordnung bringen würde... zumindest glaubt sie es, bis es irgendwann einfach zu viel wird und er sie vor die Tür setzt.


“Er war sauer auf sie, ja. Genau in diesem Moment. Aber sie kannte Simon. Den Teil seiner Person, der einsam und gierig war und Angst hatte, nicht die Dinge zu kriegen, die er wollte - er würde anfangen, sie zu vermissen. Schon sehr bald.”


Doch ist es wirklich so? Alex versucht ihm etwas Zeit zu geben, sich weiterhin so durchzuschlagen, nicht aufzufliegen, sich zugedröhnt Menschen aufzudrängen, mit ihnen Zeit zu verbringen oder besser gesagt eine Unterkunft zu finden. Sie kann nicht zurück in die Stadt, sie weiß, dass man dort auf sie warten würde. "Die Party [bei Simon] war schon in wenigen Tagen. Dies war nur eine Wartezeit, damit Simon sich beruhigen konnte, eine Pause. Dann würde alles wieder sein, wie es war." So ihr heimliches Mantra. Bis zur Party muss sie es schaffen und dann wird sicher alles wieder gut...


Diesen Roman von Emma Cline finde ich wahnsinnig faszinierend. Nicht nur, weil Alex eigentlich eine sehr unsympathische Protagonistin und Hochstaplerin ist und sie es doch immer wieder schafft, die Menschen um sie herum zu überzeugen, sowie die Leserinnen in ihren Bann zu ziehen. Sondern auch, weil man gerne Clines Geschichte folgt, auf das große Unglück wartet, das dank Alex' Schauspiel, wieder und wieder nicht eintritt, und man ist mehr oder weniger sehr lange davon überrascht, dass eben nichts passiert. Alex versucht so lange wie möglich ihre Fassade aufrecht zu halten, versucht sich anzupassen, durchzuschlagen, einen gewissen Lebensstil vorzugeben... alles, was sie eigentlich so gar nicht hat und ist. Und das funktioniert in einer Welt, in der sich alles um die eigene Persönlichkeit dreht, scheinbar sehr gut. So sieht man sich als Leserin mit einem sehr interessanten, gesellschaftlich-menschlichen Phänomen konfrontiert. Menschen, wie Alex, die um jeden Preis ein wohlhabenderes Leben leben wollen, vieles nur vorgeben und damit im Leben sehr weit kommen, vielleicht aber auch sich selbst hintergehen, prallen auf Lebensrealitäten einer vermögenderen Gesellschaftsschicht und damit auf Menschen, die sich vieles leisten können, sich doch sehr einsam fühlen und bereits ihren Kindern ein sehr egozentrisches Weltbild vermitteln, während ärmere Menschen komplett ausgeblendet werden, in ihren Augen gar verschwinden. Und die Grenzüberschreitungen, ihr steter Kampf um Simons Gunst, die Macht von Manipulationen, der Täuschung, vielleicht sogar dem bewussten getäuscht werden... ein sehr interessantes, sommerliches Schauspiel, das zeitgleich sehr viel über das bestehende Vermögens-/Machtgefälle und die Abhängigkeiten in der Welt offenbart. Und über den Menschen selbst. Was macht eine Geschichte glaubhaft? Kann man wirklich seine eigene Herkunft und seinen Werdegang überschreiben? Wie lange kann man dieses Spiel aufrecht erhalten? Und was sagt das alles über unseren doch recht oberflächlichen Umgang miteinander aus?


“Im Wasser war sie genau wie alle anderen. Nichts Ungewöhnliches an einer jungen Frau, die allein im Meer schwamm. Unmöglich zu sagen, ob sie hierhergehörte oder nicht.”


Cline gibt in ihrem Roman keine wirklichen Antworten, was es bedarf um 'hierherzugehören', sie schildert mehr Alex k(r)ampfhaftes Überwasserhalten, bis eben zu jener Party, die alles retten soll. Und das ist eine wirklich sehr überzeugende Beobachtung, wenn auch die Lösungswege hin und wieder von ein paar fragwürdigen Ideen begleitet werden. Ich bin jedenfalls angefixt und möchte nun unbedingt mehr von Emma Cline; hier in der Übersetzung von Monika Baark, lesen.

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Veröffentlicht am 13.10.2023

Spannendes Thema, doch die Erzählart... schwierig

Elternhaus
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Fast zeitgleich zu Doris Knechts Roman "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe", in dem es u.a. um den bevorstehenden Auszug der Kinder geht, beschäftigte ich mich mit Ute Manks Roman ...

Fast zeitgleich zu Doris Knechts Roman "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe", in dem es u.a. um den bevorstehenden Auszug der Kinder geht, beschäftigte ich mich mit Ute Manks Roman "Elternhaus" in dem der Alltag und das Haus den Eltern über den Kopf wächst und deren Tochter sie nun zu einem Umzug bewegt. Eigentlich eine spannende Gegenüberstellung - das Gewinnen neuer Freiheiten und das Ausziehen in der Jugend und die Einschränkungen das Alters. Das Setting und die Herangehensweise an dieses Thema ist in beiden Fällen ein komplett anderes. Während Knecht sich eher autofiktional ihren Gedanken und Sorgen stellt, erzählt Mank von einer Familienkonstellation, die bereits an sich einige Schwierigkeiten bereithält. Drei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, deren Leben sich in komplett unterschiedliche Richtungen entwickelte und die auch persönlich, wie räumlich ganz andere Abstände zu den Eltern pflegen. Sanne, Gitti und Petra, sind es, die neben den Eltern und unzähligen Erinnerungen, die beim Ausräumen der Wohnung aufploppen, in den Fokus geraten und gerade ihre Lebensläufe, Handlungen und Gedanken haben mir das Lesen unglaublich schwer gemacht und recht schnell das Interesse an diesem Roman geraubt. Mank springt sehr viel zwischen den einzelnen Geschwistern und Lebensrealitäten, während die eigentliche Geschichte der Entwurzelung irgendwie so weiterläuft und kaum einen Raum bekommt. Zeitweise folgen recht unlogische bis fragwürdige Handlungen, offen stehende Fenster, die scheinbar niemanden so recht interessieren wollen. Ich weiß nicht, aber irgendwie habe ich mir einen ganz anderen, feinfühligeren Roman über das Problem des Auszugs, der Bedeutung von Erinnerung und Verbundenheit, vorgestellt. Diesen fragwürdig, unterhaltsamen Roman habe ich irgendwie erleichtert nach 100 Seiten wieder zur Seite gelegt. Das war einfach nicht meins.

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Veröffentlicht am 06.10.2023

Erst hui, dann hmm.

Das Pferd im Brunnen
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Ich tue mich wirklich schwer etwas über Valery Tscheplanowas Roman "Das Pferd im Brunnen" zu sagen, zu sehr war ich begeistert und enttäuscht zugleich. Hätte Tscheplanowa sich auf die Geschichte der Familie ...

Ich tue mich wirklich schwer etwas über Valery Tscheplanowas Roman "Das Pferd im Brunnen" zu sagen, zu sehr war ich begeistert und enttäuscht zugleich. Hätte Tscheplanowa sich auf die Geschichte der Familie mit Urgroßmutter Tanja konzentriert, wäre dies womöglich eins meiner liebsten Bücher geworden, zu sehr hat mich diese Beziehung zwischen ihr und ihrer Urenkelin mitgenommen, aber als nach etwa 50 Seiten Mischa und Nina im Fokus der Erzählung stehen, verliert diese Geschichte für mich nach und nach ihre Besonderheit und den Glanz, die Wärme und leider dann auch mein Interesse. Gerade die bildhafte, poetische Sprache, die Beschreibungen, die unterschiedlichen Charaktere, das leichte Russische, der Aberglaube... haben mich zu Anfang wahnsinnig begeistert. Ich liebte bereits das Bild des seit neun Jahren leerstehenden Schaukelstuhls, als Beginn einer Spurensuche nach der eigenen Herkunft und Familiengeschichte. Das Zitat, das sich zugleich auf der Rückseite des Buches befindet...

"Als ich sie kennenlernte, war ich siebzehn. Ich hatte sie oft gesehen, als Kind, aber sie war stets unterwegs vom Einkaufen zur Arbeit, von einer Wartschlange zur nächsten auf hohen Absätzen mit strammen Fesseln, die kleinen Brüste stets frech nach vorn gestreckt, laut und zornig und so charmant mit ihren kleinen, flachen Zähnchen lächelnd. Ich wusste nicht, ob ich sie mochte."

machte mich neugierig und formte erste Bilder einer vielbeschäftigten Frau, deren Geschichte sich Walja und die Leser*innen langsam nähern, aber dann wurde es für mich einfach nur noch mühevoll, kühl und distanziert, was natürlich einerseits auch ihrem Charakter, der beschriebenen, schwierigen Zeit und Gesamtsituation innerhalb der Familie geschuldet ist, andererseits fühlte es sich plötzlich wie ein ganz anderes Buch an, das mich inhaltlich etwas überforderte, mich abdriften ließ, leider auch langweilte und mich so dann einfach nicht mehr begeistern konnte.

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Veröffentlicht am 05.10.2023

ein sehr informatives, aufrüttelndes Buch

Tasmanien
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Für mich ist es immer wieder spannend autofiktionale Romane von Autorinnen zu lesen, die mir bereits durch frühere Werke aufgefallen sind - sei es als eine Form der Ergänzung oder um herauszufinden wie ...

Für mich ist es immer wieder spannend autofiktionale Romane von Autorinnen zu lesen, die mir bereits durch frühere Werke aufgefallen sind - sei es als eine Form der Ergänzung oder um herauszufinden wie sympathisch mir jemand ist bzw. ob sich mein bestehender Eindruck bestätigt. Und so freute ich mich sehr auf die Übersetzung von Paolo Giordanos Roman "Tasmanien"; aus dem Italienischen von Barbara Kleiner, zumal mir neben "Den Himmel stürmen", "Die Einsamkeit der Primzahlen" auch "Der menschliche Körper" noch sehr positiv in Erinnerung geblieben ist. In diesem Buch lernen wir nun einen suchenden, vielleicht sogar verlorenen Paolo kennen, der gefangen in einer gewissen Trostlosigkeit durch die Welt irrt, während die komplexen Probleme der heutigen Zeit immer mehr Aufmerksamkeit erfordern, gar Taten einfordern. Doch ist er überhaupt bereit dazu?

Paolo läuft davon, versucht sich seinen persönlichen Problemen, seiner kriselnden Ehe und ihren gemeinsamen Zukunftsplänen zu entziehen. Er befindet sich auf der Suche nach Freunden und Ablenkung weit entfernt von seiner Frau. Er stürzt sich in Diskussionen über klimatische Veränderungen, berichtet aus verschiedenen Orten und Ländern, besucht Klimakonferenzen, lehrt an einer Hochschule, hält sich als Journalist über Wasser und sucht dabei stets nach Lösungen und Anzeichen für Veränderungen und drohende Kipppunkte... vielleicht um wenigstens hier eine vage Version einer Zukunft zu finden. Und so sinniert er mit Studenten über die Globalisierung, mit Professoren und Bekannten über Wolkenformationen, unterhält sich mit einer Kriegsreporterin über den internationalen Terrorismus, berichtet vom Bau und der Geschichte der Bombe, sowie Nuklearwaffen und deren Auswirkungen u.a. am Beispiel von Hiroshima. Der Mensch - eine tickende Zeitbombe, damals, wie heute. Vielleicht müsse man die Menschheit daran erinnern, dass alles von ihr abhängt, die Auslöschung der Menschheit keine dystopische Fantasie ist, sondern eine plausible Tatsache. Wir müssten viel mehr öffentlich darüber diskutieren, einlenken und nicht nur an uns und das Jetzt denken.
"[Du] glaubst ernsthaft daran, dass wir uns angesichts der Möglichkeit unserer Auslöschung so viel anders verhalten würden?" Wahrscheinlich nicht bzw. wie würde man sich denn passender Weise verhalten, wenn man auch so schon kaum für seine Positionen eintritt? Was tun, wenn ausgerechnet ein Freund eine falsche Denkweise an den Tag legt? Was, wenn wir wirklich mit voller Kraft dem Abgrund entgegensteuern und die Welt aus den Fugen gerät? Auswandern vielleicht? In diesem Roman scheint Tasmanien aufgrund seiner Lage ein guter Ort für Einzelne zu sein, doch was ist mit den anderen? Lauern die Gefahren nicht ständig überall?

"Und wohin führt uns deine Überlegung? [...]
Ich weiß es nicht. Vielleicht zu der Idee, dass auch die intelligentesten Menschen auf der Welt - denn es besteht kein Zweifel, dass diese Physiker [,die die Atombombe erfanden.] das waren - in Wirklichkeit nichts von der Gegenwart verstehen. Als ob man von der Gegenwart nur... überrannt werden könnte."

Ich wünschte nun, dieser Roman enthielte DIE Lösung für all die Probleme der heutigen Zeit, und man könnte sich an Giordano ein Beispiel nehmen, doch "Tasmanien" ist mehr so ein vorgehaltener Spiegel. Wir wissen vieles, sollten durch Entwicklungen, Gespräche mit Experten und unsere Geschichte einiges gelernt haben, machen uns sehr viele Gedanken, suchen nach Lösungen und steuern doch häufig nur von einem Dilemma zum Nächsten. Oder greifen in entscheidenden Momenten nicht ein, sind wie gelähmt, schauen nur zu oder laufen gar weg, um nicht negativ aufzufallen oder jemanden zu enttäuschen und doch sind wir am Ende mehr oder weniger allein. Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, dass wir versuchen alles zu überblicken und dabei das Wesentliche aus den Augen verlieren?

Eines der größten aktuellen, globalen Probleme der Menschheit ist neben der fehlenden Empathie und dem wachsenden Egoismus, unbestritten der Klimawandel. Giordano beschäftigt sich sehr intensiv damit und lässt uns als Leser
innen gerade hier an seinen Erfahrungen, Gesprächen und Gedanken über die heutigen Katastrophen teilhaben.
Anfangs war ich wirklich überrascht wie klimalastig dieser Roman ist und gleichzeitig schaffte Giordano es mich binnen kürzester Zeit genau dafür zu begeistern. Ich googelte nach Wolkenformationen und Pflanzen, Phänomene oder Klimakonferenzen und machte mir Gedanken über die Auswirkungen der Globalisierung und den Einfluss der Nachrichten auf uns Menschen. Das beschriebene Schicksal eines seiner Studenten hat mich dabei sehr getroffen und mich lange über die Frage "Ist es möglich [...], dass ein Wissensgebiet Oberhand über dich gewinnt?" grübeln lassen.
Diese entstehenden Gedanken und Erklärungen sind eindrucksvoll und gleichzeitig so gewaltig, überfordernd. Genau dies zeigt Giordano auch an seiner Figur in diesem Roman.
Ich kann nicht sagen ob er mir dadurch nun sympathischer oder unsympathischer geworden ist. Einerseits hätte ich mir bei vielen Problemen oder in einigen der beschriebenen Situationen etwas mehr Einsatz, Stärke und Positionierung erhofft. Andererseits entspricht das Beschriebene der heutigen Zeit, unserem eigenen Verhalten und dem Versuch Dilemmas zu umgehen in der Hoffnung, dass sich alles schon wieder zurechtrüttelt. Und das in einer Welt, die ganz viele Baustellen unterschiedlichster Themen bereithält. Insbesondere die Wolkenthematiken, Tasmanien - der 'Ort des letzten Auswegs' - und die Folgen der Globalisierung; das Ausbreiten von Pflanzen in der Welt, der Zufall, dass Hiroshima Ziel der Atombombe wurde und und und haben mich an diesem Buch sehr fasziniert und so hallt auch noch Wochen nach dem Lesen dieses Buch zumindest in Fragmenten in mir nach. Giordano als Figur verblasste etwas, aber im Vergleich zu den Problemen der Welt, ist das vielleicht das kleinste Problem.
"Tasmanien" ist ein sehr interessanter, informativer und aktueller Roman, den ich gerne vielen empfehlen würde und zeitgleich ist es mir bewusst, dass dieses stets mitschwingende, verstärkende Gefühl der Verlorenheit und Überforderung nicht gerade ein angenehmes Lesevergnügen bietet.

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