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Veröffentlicht am 05.03.2018

Zwischen Austern und Realität

Kühn hat Ärger
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"Achtsam ist das neue Nachhaltig. Vater holt Glas. Sohn holt Geschenk, beide werden später die Mutter streicheln. Es ist ein großes Gekuschel und Geschmuse hier. Komische Menschen. Oder sollte es vielleicht ...

"Achtsam ist das neue Nachhaltig. Vater holt Glas. Sohn holt Geschenk, beide werden später die Mutter streicheln. Es ist ein großes Gekuschel und Geschmuse hier. Komische Menschen. Oder sollte es vielleicht so sein? Anderswo schlafen die Frauen im Wohnzimmer auf der Couch, und die Nachbarn erpressen Supermärkte."

Martin Kühn, der sich gerade erst von einem Burn-out erholt hat, stellt sich auf dem Polizeirevier und auch im normalen Leben neuen Herausforderungen. Es könnte alles so schön sein, doch irgendwie zieht er die Probleme einfach nur an. Sein Haus steht auf verseuchtem Boden, eine mögliche Beförderung mit mehreren Mitstreitern, ein nerviger Arzttermin, seine Frau verheimlicht ihm irgendwas und in seiner Nachbarschaft geht irgendwas vor sich. Ein Mordfall bringt ihn dann auch noch in die wohlhabenden Gegenden Münchens, wo alles so toll zu sein scheint und auch noch die Limonade besser schmeckt als zu Hause. Kühn hat es nicht leicht zwischen all jenem einen kühlen Kopf zu bewahren, seine Ehe zu retten und den Mordfall zu lösen.

"Eilmeldung! Offenbar wurde heute Nacht in München ein krimineller Flüchtling von aufmerksamen Mitbürgern verurteilt und gerichtet."

Mit "Kühn hat Ärger" erscheint Jan Weilers zweiter Roman um den eher einfachen und bodenständigen Kommissar Martin Kühn. Was ich an diesem Roman mag? Jan Weiler beschäftigt sich hier neben dem Hauptplot mit zahlreichen gegenwärtigen Themen, mit scheinbarer Wohltätigkeit, Rassismus, Karieredruck und einer Menge unvorhersehbarer Herausforderungen, die das Leben mit sich bringt. Ein Krimi in Romanform, mit viel persönlicher Charakterentwicklung macht dieses Buch so leicht, spannend, menschlich und anders. Kein anderer Roman greift aktuelle Themen in dieser unterhaltenden, hinterfragenden und kritisierenden Form so auf wie dieser. Jan Weiler schafft es die Gesellschaft anzukreiden, ohne dies in den Vordergrund zu stellen.
Tiefgründige Literaten und Gesellschaftskritiker wären mit diesem Buch falsch beraten, aber so für zwischendrin kam dieses Buch für mich genau richtig. Der einzige Minuspunkt, den ich zu vergeben hätte, wäre der Mordfall, dessen Auflösung recht schnell vorhersehbar und für mich am Ende doch etwas zu stark in die Länge gezogen wurde.

"Bei Tageslicht betrachte, ist es niemals langweilig, selbst wenn nichts geschieht. Denn es besteht immer die Möglichkeit, es könne etwas geschehen."

Veröffentlicht am 16.02.2018

Ein ganzes Leben auf 180 Seiten

Ein ganzes Leben
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Bei Ein ganzes Leben von Robert Seethaler handelt es sich um ein sehr eigenes Buch. Man kann noch nicht Mal sagen, dass in diesem Roman wirklich viel passiert und doch ist er recht ausdrucksstark. Nach ...

Bei Ein ganzes Leben von Robert Seethaler handelt es sich um ein sehr eigenes Buch. Man kann noch nicht Mal sagen, dass in diesem Roman wirklich viel passiert und doch ist er recht ausdrucksstark. Nach dem Tod seiner Mutter kam Andreas Egger mit etwa 4 Jahren (so ganz genau weiß man es nicht) in das Dorf am Fuße eines Berges, der ihn schon als Kind sehr faszinierte und nun sein ganzes Leben begleiten werde. Der Großbauer Hubert Kranzstocker nahm sich seiner an, aber betrachtete Egger nie als Kind, er hatte zu arbeiten und zu beten und geschlagen wurde – und das hatte Auswirkungen auf sein ganzes Leben.



„Er war stark, aber langsam. Er dachte langsam, sprach langsam und ging langsam, doch jeder Gedanke, jedes Wort und jeder Schritt hinterließen ihre Spuren, und zwar genau da, wo solche Spuren seiner Meinung nach hingehörten.“



Wir begleiten Egger durch seine schwersten und schönsten Stunden, Tage und Jahre seines Lebens. Knecht, Holzfäller, Seilbahnbauer, Grenzschützer… für rein nichts war er sich zu Schade und versuchte sich stets nützlich zu machen. Die Errichtung einer Seilbahn war für ihn dann knapp sein Lebenswerk. Er verliebte sich, nicht nur in die Berge und blieb dennoch irgendwie immer der einzigartige Eigenprödler, der eine Hürde nach der anderen erklomm, bis die Kraft fern blieb.



„Die kalte Frau […] Sie geht über den Berg und schleicht durchs Tal. Sie kommt, wann sie will, und holt sich, was sie braucht. Sie hat kein Gesicht und keine Stimme. Die Kalte Frau kommt und nimmt und geht. […] Im Vorbeigehen packt sie dich und nimmt dich mit und steckt dich in irgendein Loch.“



Eigentlich traurig, dass ein komplettes Leben auf gerade einmal 180 Seiten Platz findet. Seethaler bleibt inhaltlich wie sprachlich auf einer Ebene, was dem Ganzen nicht unbedingt einen Abbruch tut, aber irgendwie auch schade ist. Gerade als Egger die zweite Frau in seinem Leben kennen lernt, beginnt es tiefgründiger zu werden, aber dies ist innerhalb kürzester Zeit auch wieder verflogen. Egger – ein sehr eigener Mensch, mit vielen Steinen auf dem Weg seines Lebens und einer großen Liebe für seine Frau und einer noch größeren für diesen einen Berg. Von der Art her finde ich diesen Roman großartig, aber ob man ihn unbedingt gelesen haben muss, sei mal dahingestellt.



„Man kann einem Mann seine Stunden abkaufen, man kann ihm seine Tage stehlen oder ihm sein ganzes Leben rauben. Aber niemand kann einem Mann auch nur einen einzigen Augenblick nehmen. So ist das, und jetzt lass mich in Frieden!“

Veröffentlicht am 16.02.2018

Wenn Aufgeben keine Option ist...

Zum Aufgeben ist es zu spät!
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"Ich sterbe. Ich liege auf der Straße und weiß, dass etwas Unverstellbares geschehen ist. Das Blut in meinem Mund schmeckt ekelhaft metallisch, ich spüre, wie es mir aus dem Mundwinkel rinnt, immer weiter, ...

"Ich sterbe. Ich liege auf der Straße und weiß, dass etwas Unverstellbares geschehen ist. Das Blut in meinem Mund schmeckt ekelhaft metallisch, ich spüre, wie es mir aus dem Mundwinkel rinnt, immer weiter, ohne Unterlass. Meine Brust schmerzt, ich bekomme kaum Luft. Mein Oberkörper krümmt sich vor Schmerzen, ich kann nichts dagegen tun. Meine Beine bewegen sich nicht, sosehr ich mich auch bemühe. Denn ich will weg hier, weg von diesem Ort der Katastrophe. Wenn ich es schaffe, von hier wegzukommen, wird alles gut."

Am 19.Mai 1995 baut der 16 jährige Timo Ameruoso mit seiner Vespa einen Unfall, aus Leichtsinnigkeit um ein Mädchen zu beeindrucken. Dieser Tag soll nun sein ganzes Leben verändern und zunächst eine wahnsinnige Herausforderung darstellen. Seine Geschichte, die Liebe zu Pferden und was er aus der Arbeit mit ihnen gelernt hat, verpackt Ameruoso nun in dem Buch "Zum Aufgeben ist es zu spät - Fünf Dinge, die Pferde uns über das Leben lehren"

"Er unterdrückt diesen Groll natürlich, weil er in zivilisierter Mensch ist, aber man merkt ihm an, dass er nicht entspannt ist, sondern unter strom steht. Wut ist jedoch ein Krafträuber, sie schluckt viel Energie, und zwar ohne Nutzen. Sie verpufft einfach irgendwohin, und man ist nicht mehr geerdet, verliert die Bodenhaftung."

Ich bin nun weder Reiter noch habe in irgend einer Weise mit Pferden zu tun, dennoch hat mich dieses Buch sehr fasziniert. Nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich ist dies eine sehr schöne Biografie und Ratgeber zugleich. Ameruoso ist ein anerkannter Experte, wenn es um Pferde geht und Meister in seinem 'Handwerk', dass er nun auch noch im Rollstuhl sitzt, für seinen Traum gekämpft hat und trotz harter Rückschläge immer weiter gemacht hat, imponiert mir sehr. Man kann dieses Buch einfach nicht mit anderen Vergleichen, es ist eine einzigartige Geschichte und noch interessantere Blickweisen, auf ein Tier, dass nicht wie der Mensch 'Jäger' und soziales Wesen ist, sondern ein eigenes, in der Herde lebendes Beutetier. Unter den "fünf Dingen" hatte ich mir leider etwas mehr vorgestellt oder generell einfach mehr erwartet, aber den Biografie- und Pferdeliebhaber unter euch möchte ich dieses Buch schon sehr nahe legen.

"Was ich von den Pferden gelernt habe, habe ich in meinem Leben erkannt. Und deshalb sind meine Geschichte und mein Pferdewissen untrennbar miteinander verbunden. Ich erzähle sie daher parallel - meistens folge ich der Chronologie, manchmal gibt es Rückblicke, ab und zu kleine Umwege, hin und wieder unerwartete Zwischenspiele. So, wie das Leben, wie mein Leben ist und wie es sich entwickelt hat. Also auf geht's!"

Veröffentlicht am 15.12.2017

"Du warst damals wie heute nicht mehr als eine kurze Unterbrechung."

Alles wird unsichtbar
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"Alles wird unsichtbar" von Gerry Hadden ist für mich ein ganz besonderer Roman. Es geht um Milo, einen Jungen, der durch einen Unfall nicht nur seinen linken Arm und seine Mutter Miriam verlor, sondern ...

"Alles wird unsichtbar" von Gerry Hadden ist für mich ein ganz besonderer Roman. Es geht um Milo, einen Jungen, der durch einen Unfall nicht nur seinen linken Arm und seine Mutter Miriam verlor, sondern auch den Halt und ein Teil seines Lebens. Es sind die Phantomschmerzen, die bleiben. Schmerzen, die ihn tagtäglich begleiten und sich andere Ausflüchte suchen. Schmerzen, die ihn in ein tiefes Loch treiben und in der Kriminalität enden.

"Eines Morgens hockst du so im Jugendknast und studierst vor dich hin, die Amöbenhirne von Zellengenossen kommen um die Ecke und geben dir wie selbstverständlich zum siebenhundertvierunddreißigsten Mal auf die Fresse, und im nächsten Moment sitzt du in einem Bus auf dem Weg zu irgendeinem College in der Nähe vom Nordpol, und der Typ neben dir spielt Buchstabierwettbewerb. Gegen sich selbst."

Doch eines Tages erhält Milo eine Chance, ein Förderprogramm, das ihn aus dem Knast holt, auf ein Collage schickt und neue Hoffnung weckt. Über ein Auslandssemester gelangt er in den 80ern mit zwei anderen ehemaligen Sträflingen nach Westdeutschland an die Grenze zur DDR. Hier soll nun die Suche nach der ihm fehlenden Familie, zu sich selbst und seinen Wurzeln anknüpfen. Doch dass hier der Junge aus der Bronx nicht von allen mit offenen Armen willkommen geheißen und es Probleme geben wird, die das ganze Programm und seine Pläne gefährden, war irgendwie zu erwarten.

"Und als ich aufstand und diese Lichter über mich hinwegglitten, ohne innezuhalten, wurde mir wieder einmal klar, dass dieses Etwas nicht ich war, dass ich ebenso im Nichts verloren war wie er, wie Miriam oder das Nichts selbst."

"Alles wird unsichtbar" ist sehr sprachgewaltiges Werk, welches man gar nicht so einfach wiedergeben kann und das mich tief in den Bann gezogen hat. Von Tiefgründigkeit und Emotionen gepackt und nicht mehr losgelassen, fand ich mich lachend, grinsend, ergriffen und heulend wieder. Ich würde nicht unbedingt behaupten, dass es ein Buch für jeden ist und auch nicht, dass es ein stets einfaches, normales Lesevergnügen bietet, aber die Schwere in all diesen gewählten Worten und der Geschichte macht es zu einem wahren, berührenden Kleinod. Haddens erster Roman ist für mich eins der besten Bücher, die 2017 erschienen sind und ich kann nur eins raten: Lesen!

"Und obwohl der Tod nach wie vor eine ganz besondere Faszination auf mich ausübte, war ich immer davon ausgegangen, dass ich mich selbst richten würde, herzlichen Dank."

Veröffentlicht am 18.11.2017

Auf der Suche nach dem Unbekannten

Wer ist B. Traven?
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In Torsten Seiferts Buch "Wer ist B.Traven?" dreht sich alles um die große Frage und Suche nach dem Schriftsteller, um den sich so viele Mythen und Geheimnisse drehen. "Traven ist Schriftsteller. Und nicht ...

In Torsten Seiferts Buch "Wer ist B.Traven?" dreht sich alles um die große Frage und Suche nach dem Schriftsteller, um den sich so viele Mythen und Geheimnisse drehen. "Traven ist Schriftsteller. Und nicht irgendeiner. In Europa geht seine Auflage in die Millionen. Man munkelt, er sei ein heißer Kandidat für den Literaturnobelpreis." Und wer ist er nun? Gemeinsam mit dem aufstrebenden Journalisten Leon Borenstein begeben wir uns auf die Suche des Mannes hinter diesem Pseudonym. Eine Verfolgungsjagd beginnt, denn nicht nur Leon möchte dieses Mysterium lösen. Die erste Spur führt ihn zu einem Filmset in Mexiko, an dem Travens Werk "Der Schatz der Sierra Madre" verfilmt werden soll. Hier lernt er neben den Schauspielern und dem Vertreter Travens auch Maria kennen. Und wie sollte es anders sein? Natürlich verdreht sie ihm den Kopf und er fällt auf sie herein. Denn was er noch nicht weiß, auch sie ist auf der Suche nach dem Mann vieler Namen und damit sollte sie auch nicht die Einzige sein, die ihm in die Quere kommt, und begibt sich dabei zunehmend in Gefahr.

"Dass Menschen unterschiedlicher Herkunft es ab und zu als heiligste Pflicht betrachten, sich gegenseitig abzumurksen, geschieht nur, weil man künstliche Grenzen aufs Papier gezeichnet hat. Mein Vaterland heißt 'ich'. Dort bin ich König und Volk zugleich."

Dieser Roman hat mir sehr viel Freude bereitet. Es ist eine historische Auseinandersetzung über die Geschichte eines deutschen Schriftstellers, dessen Identität und Leben sehr umstritten und unklar ist. Auf eine sehr lebendig unterhaltende Art und Weise präsentiert uns Seifert innerhalb seines Romans eine Art Kurzbiografie über B.Travens faszinierendes Leben und liefert für mich gleichzeitig sehr tiefgründige Denkanstöße.


"Diese Welt mit all ihren Problemen, Enttäuschungen, Schmerzen und Hagelstürmen ist alles in allem immer noch zu schön, um sie zu verlassen. Sogar wenn du krank bist, des Lebens müde oder nahe an einem hoffnungslosen Ende."