Trude Teige über die Schmerzen der Vergangenheit und eine Großmutter, die im Regen tanzte
Als Großmutter im Regen tanzteEs gibt viele Bücher über den Krieg, das Geschehen an der Front, die Schicksalsfälle und schrecklichen Erlebnisse der Menschen, während sie um ihr Leben bangen und sich durch schwierigste Umstände kämpfen. ...
Es gibt viele Bücher über den Krieg, das Geschehen an der Front, die Schicksalsfälle und schrecklichen Erlebnisse der Menschen, während sie um ihr Leben bangen und sich durch schwierigste Umstände kämpfen. Seltener sind Geschichten und Überlieferungen über die Zeit danach, die Zeit des Umbruchs und Wiederaufbaus. Trude Teige beschäftigt sich in ihrem Roman "Als Großmutter im Regen tanzte" mit dem Schicksal der sogenannten "Deutschenmädchen" - Frauen, die sich im Ausland in dort stationierte deutsche Soldaten verliebten - sowie den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs, dem was nach der Aufgabe Deutschlands überhaupt noch übrig blieb und wie es weiter ging. Doch der Weg dahin ist etwas "steinig". Wir lernen zunächst Juni kennen, die in das ehemalige Haus der Großeltern auf einer kleinen, abgelegenen Insel Norwegens zieht. Sie flüchtet vor so einigen Problemen bzw. vor ihrem Mann, der sie schlägt, trinkt, ausfallend wird und sie zu allem Übel auch noch geschwängert hat. Sie möchte weder das Kind, noch zu ihm zurück und sieht hier den perfekten Ort um sich eine Auszeit nehmen, neu anzukommen und sich selbst (wieder-)zufinden. Doch sie entdeckt noch viel mehr, denn neben Staub und kleineren Schäden lauern hier sehr viele Erinnerungen. Juni sieht sich schnell mit offengebliebenen Fragen an ihre Großeltern konfrontiert, die plötzlich ein viel größeres Gewicht zu haben scheinen. Gefundene Fotos und Briefe weisen Ungereimtheiten auf und einen Mann an der Seite ihrer Großmutter, den sie vorher noch nie gesehen hat.
"Auf der Stirn hatte sie horizontale Furchen, und die lange Nabe, die sich vom Nasenflügel bis zm Ohr quer über die Wange zog, trat deutlicher hervor. Ich habe sie einmal gefragt, woher diese Narbe stamme, aber sie sagte nur, sie könne sich nicht erinnern, das sei alles so lange her."
Aber vielleicht wollte sie sich auch einfach nicht mehr erinnern, denn gerade mit dieser Narbe begann eine der schwersten und tragischsten Zeiten in ihrem Leben. Als junge Frau begegnete Tekla einem deutschen Soldaten, in den sie sich sofort verliebte. Doch das sahen weder ihre Eltern, noch die Menschen aus der Gegend gern. Der Deutsche, der Feind, wie konnte sie nur? Bei einem Ausritt kam es dann so weit, dass sie von anderen aufgehalten, ihrer langen Haare beraubt und als Deutschenmädchen, als Hure und Verräterin brutalst gekennzeichnet wurde. Sie war hier unerwünscht. Und so kam es, dass sie übereilt mit Otto nach Deutschland zurückkehrte, ihre Familie und alles, was sie besaß, hinter sich ließ und ihn heiratete um gemeinsam mit ihm ein neues Leben aufzubauen. Er erzählte ihr häufig vom Hof seiner Eltern, ihren Pferden und dem kleinen Ort Demmin, in dem er zuhause war. Sie malte es sich so schön aus, doch der Krieg hatte nicht viel übrig gelassen. "Demmin hat vor den Russen kapituliert, als sie kamen [...] Die Stadt ist aber trotzdem zerstört worden.", es kam zu Plünderungen, Massenvergewaltigungen und Massenmorde. Viele Familien zog es, beschwert mit Steinen, in einen der angrenzenden Flüsse, wenn sie nicht schon im Krieg starben, erhängten oder vergifteten sich nun aus Angst vor der Roten Armee. Aber nicht nur das, die Russen zündeten die Stadt an und besetzten Häuser. So, wie auch den ersehnten Hof der Familie Adler...
"Nichts, wovon ich geträumt habe, wird jemals in Erfüllung gehen, dachte sie. Otto hat nicht nur die Menschen verloren, die ihm wichtig waren, er hat alles verloren. Er hat jetzt nur noch mich."
An sich finde ich diesen Roman nicht nur sehr beeindruckend, sondern auch wahnsinnig faszinierend. Trude Teige widmet sich einer sehr spannenden Liebes- und Familiengeschichte, sowie Nachkriegsgeschichte und deren Folgen bis in die Gegenwart. Die Protagonistin Juni versucht dem Unausgesprochenen ihrer Familie auf die Spur zu kommen und folgt aufgrund einiger gefundener Schriftstücke und Fotos dem einstigen Weg ihrer Großmutter Tekla von Norwegen nach Deutschland. Ja, die Ausgangslage ist nicht ganz neu und dennoch mochte ich die Entwicklung dieses Romans recht gern. Was mir dabei besonders gefiel, ist dass Trude Teige sich über die Grenzen hinaus mit dem Schicksal der Norwegendeutschen und dem Geschehen der sehr düsteren, tragischen Nachkriegszeit in der Kleinstadt Demmin, auseinandersetzt, ohne zu viele fragwürdige und massiv überzogene Handlungen einzufügen. Vielleicht ist die Geschichte im weiteren Verlauf um die Liebe zwischen Tekla und dem deutschen Soldaten Otto Adler etwas auf die Spitze getrieben, dennoch gab es in und um Demmin sehr viel Leid, Tod, Vergewaltigungen und Enteignungen - ein Schicksal einer Stadt und größten Verlierer des Krieges, das viel zu lange verschwiegen wurde und dessen Schatten sich bis heute hält. Die beschriebenen Szenen setzen setzen sich dabei aus vielen realen Vorfällen und Geschichten zusammen, die Trude Teige auf ihrer Recherche durch Demmin und Berlin sammelte. Und so kam eine sehr intensiv, tragische Geschichte heraus, die das Leid der Frauen von damals aufgreift und in einem weiteren Erzählstrang einen Fokus auf die heutige Sicht und Überlieferungen lenkt.
Allerdings machte mich die Klammer/das Setting aus der schwangeren Krankenschwester, die vor ihrem gewalttätigen Mann flieht und ausgerechnet auf der Insel, auf der sie wieder zu sich finden möchte, einen Mann kennenlernt, der sie ermutigt auf Spurensuche zu gehen und zwischen denen sich irgendwie etwas anbahnt und der sie verteidigt, nicht ganz so glücklich. Wahrscheinlich wäre der Roman auch ganz gut ohne diesen Teil ausgekommen. Die Vermischung von Fakten und Fiktion, die Empfindungen beim Lesen, die Sogwirkung und das Gefühl sich der Geschichte noch einmal neu zu nähern, fand ich wirklich beeindruckend.
"Der Regen ist der Applaus des Lebens, hatte meine Großmutter immer gesagt.", sobald sie im Regen durch den Garten tanzte... und irgendwie muss ich bei jedem Regenschauer nun auch ein bisschen an diese eindrucksvolle Geschichte denken.