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Veröffentlicht am 28.02.2023

"Liebewesen" - ein rasanter, mutiger Roman mit Achterbahngefühlen

Liebewesen
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Liebesgeschichten, Gedanken über Schwangerschaften, die Zukunft und Erzählungen von glücklichen Beziehungen gibt es in der Buchwelt wie Sand am Meer. An sich ist Liebe ja auch etwas sehr Schönes, doch ...

Liebesgeschichten, Gedanken über Schwangerschaften, die Zukunft und Erzählungen von glücklichen Beziehungen gibt es in der Buchwelt wie Sand am Meer. An sich ist Liebe ja auch etwas sehr Schönes, doch in Romanen wird dies (für mein Gefühl) meistens so überromantisiert und die Wirrungen des Lebens werden oftmals durch die erträumte Partnerschaft am Ende belohnt... aber so ist es eben nicht immer, schon gar nicht in der Realität. Was ist also, wenn alles nicht so rund läuft, die Beziehung anstrengend wird und jeder noch so die eigenen Probleme mit einbringt, vielleicht auch gar nicht mal so beziehungsfreudig veranlagt ist? In Caroline Schmitts Roman "Liebewesen" lernen die Leserinnen zunächst Lio und Miriam kennen. Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Miriam eher locker und leicht auf andere Menschen zugeht, braucht Lio eine Weile, ist eher unentspannt und kämpft stets mit sich und der Welt und doch beschließen sie beide auf einer Party eine gemeinsame WG zu gründen. Das läuft auch ganz gut und irgendwie ergänzen die beiden sich perfekt, nur in Sachen Liebe könnte es für Lio noch besser laufen, findet zumindest Miriam...

">Warum erzähle immer nur ich von Blowjobs und all dem anderen Kram?< [...] Wir kannten uns jetzt seit drei Monaten, in denen ich keine einzige solcher Geschichten beigesteuert hatte. In Miriams Zeitrechnung war das eine unerträglich lange Zeit ohne Sex. In meiner war es die beste meines Lebens."

Und so kümmert sich Miriam darum, dass Lio sehr schnell Max kennen lernt, mit dem sie bereits beim zweiten Date in der Badewanne landet und dann auch intimer wird, gar eine Beziehung eingeht. Doch Lios Körper ist ihr persönlicher Albtraum, sei es durch ihre Erfahrungen in der Vergangenheit, aber auch die Unsicherheit und Nähe stellen für sie oftmals Hindernisse da. Und als sie dann auch noch ungewollt schwanger wird, scheint ihre ganze, mühsam erkämpfte Beziehung und Normalität ins Wanken zu geraten. Sie kann Max nichts von ihrer Schwangerschaft erzählen, eigentlich möchte sie auch gar kein Kind und fühlt sich in ihrer Beziehung gar nicht mal so wohl und doch möchte sie auch... ach, was will sie eigentlich? Gedanken und Erinnerungen beschäftigen sie, Dinge ploppen auf, die sie einfach nur vergessen wollte und doch muss sie sich jetzt damit beschäftigen um endlich ihren eigenen Weg zu gehen.

"Mir wurde kotzübel. Wenn Gott eine Frau war, musste sie doch verstehen, dass Sex der Untergang meiner Welt war, und Gespräche über ihn oder Experimente mit ihm den anderen überlassen. Die meisten Objekte, die in Vulven eingeführt wurden, Penisse, Hände, Dildos, waren noch größer als Tampons. Die Gegenwart dieser Gegenstände nicht nur ohne Panik zur Kenntnis zu nehmen, sondern sogar Gefallen an ihnen zu finden, schien mir unmöglich."

Puh, dieser Roman hat es in sich und das in so ganz unterschiedliche Richtungen. Wäre dieses Buch nicht so dünn gewesen, hätte ich es bereits in der Mitte des ersten Teils abgebrochen, denn Caroline Schmitt legt mit ihrem jungen Roman ein Tempo vor, das es mir wahrlich schwer gemacht hat. So springt sie mit ihren Charakteren ständig von einem Thema zum anderen, ohne wirklich auf etwas einzugehen. Man findet sich irgendwo zwischen Tinder, rasantem Kennenlernen, komischen Dates, Sinnkrisen, Depression, Problemen mit dem eigenen Körper, schwierigen Familienverhältnisse, Sex, Vergewaltigung, Schwangerschaft, Blumenbeeten, Beerdigungen... die Liste ist wirklich lang und gefühlt ploppt mit jedem 3-zeiligen Dialog, der nicht nur aus einzelnen Worten besteht, mindestens ein weiteres Thema auf und bleibt einfach so im Raum stehen. Man muss nicht alles ausführlich erklären, aber zwischen all dem Witz, dem fast schon etwas flapsigen Grundton und der ungewöhnlichen Annäherung zwischen Lio und Max, fühlt man sich als Leser*in zwar irgendwie unterhalten, aber man schrubbelt eben nur an der Oberfläche entlang ohne eine wirkliche Bindung aufzubauen. Aber dann kam der zweite Teil, der zwei Jahre später spielt und doch etwas fokussierter und intensiver, vielleicht sogar etwas ausführlicher ist. Die ungeplante Schwangerschaft, der Abbruch und die kriselnde Beziehung dominieren diese Hälfte, man kann Lios Zweifel und Probleme endlich verstehen, mit ihr mitfühlen und findet sich zeitgleich gedanklich in eigenen Beziehungsproblemen und -geschichten wieder.
Und das fand ich wirklich toll! Im Nachgang verblasst vieles zwar recht schnell wieder, aber "Liebewesen" hat bei mir für den Moment Eindruck hinterlassen. Dieses Buch und meine Lesezeit kann man vielleicht am besten mit einer Achterbahnfahrt beschreiben... zunächst die etwas holprigere, anstrengende Ansteigung, das Fahrt aufnehmen, etwas links und recht anditschen und hin und her geschleudert werden, bevor man rasant dem Abgrund entgegenfährt, nach kurzer Überforderung, Euphorie und einem "Oh, Gott, bloß nie wieder", bleibt nach der Fahrt die Begeisterung und Aufregung noch kurz hängen, aber dann stürzt man sich in ein neues Abenteuer und die Erinnerung verblasst.

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Veröffentlicht am 03.01.2023

"Für euch" - Das Leben einer sehr beeindruckenden Frau

Für euch
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Das Leben schreibt manchmal ganz besondere Geschichten. Ich könnte mich nun kurz fassen und statt ewig nach Umschreibungen und passenden Worten zu suchen, einfach nur sagen: "Für euch" von Iris Sayram ...

Das Leben schreibt manchmal ganz besondere Geschichten. Ich könnte mich nun kurz fassen und statt ewig nach Umschreibungen und passenden Worten zu suchen, einfach nur sagen: "Für euch" von Iris Sayram ist eine große Geschichte über eine sehr beeindruckende Frau, die immer versucht hat alles zu geben und sich bis zum Schluss aufgeopfert hat, damit es ihnen besser geht, ihre Tochter alles haben kann und sie auch endlich das Glück finden. "Für euch" ist die Biografie oder eine Art Liebeserklärung an Iris eigene Mutter, die in ihrem Leben so einiges einstecken musste und sehr viele Herausforderungen gemeistert hat, ohne auch nur einmal zu jammern. Iris Sayram erzählt dabei sehr bewegend und mitreißend von nahezu allen Ereignissen und Dingen an die sie sich erinnert oder die sie in Gesprächen über die Mutter erfuhr - vom Kennenlernen ihrer Eltern, ihrer eigenen Geburt, dem Aufwachsen und Leben in Köln in den 80er und 90er Jahren, ihre eigene Kind- und Schulzeit, der Inhaftierung der Mutter, Iris' eigene Empfindungen bis hin zu den Über-Wasser-halte-Jobs und dem letzten Krankenhausaufenthalt dieser plötzlich sehr gebrechlichen, aber zähen Frau.

Normalerweise wäre für einen Roman an sich der Verlust des Vaters, die Geschichte über die Inhaftierung der Mutter und das Zurücklassen der 14-jährigen Tochter oder wie eine junge Frau von ihrer Familie verstoßen wird, als sie ihren Mann, einen türkischen Gastarbeiter, kennenlernt, ein füllendes Thema, aber Iris Sayram geht noch viel weiter, zieht ihren eigenen Werdegang und den Weg ihrer Mutter nach, deren Leben so einige tiefe Kerben und Spuren hinterlassen hat und das so leicht, nachfühlbar und mitreißend... wahnsinn. "Für euch" ist dabei aber nicht nur so ein bewegender, gar trauriger Lebenslauf, sondern auch eine Art Mutmachbuch, zumindest wenn man nicht zu der vermögenderen Gesellschaftsschicht gehört. Es geht immer irgendwie weiter. Man wird im Leben an so vielen Ecken hängenbleiben, viele Kämpfe kämpfen, teilweise sich gegen die eigene Familie auflehnen, am Hungertuch nagen, Auswege suchen und doch lohnt es sich immer weiterzumachen, aufstehen und nach vorn blicken. Und gerade diese Geschichten sind es, die am Ende bewegen oder wie Cordt Schnibben es so schön sagt: "Manche erben Immobilien, Firmen, Geld. Andere eine große Geschichte."
Für mich ein sehr tolles, starkes Buch und eine sehr berührende Geschichte, die ich mehr als gern gelesen habe.

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Veröffentlicht am 22.12.2022

Weihnachtserinnerungen der ganz besonderen Art

Alle Jahre wieder
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Eigentlich war ich sehr erfreut, als ich gesehen habe, dass das diesjährige Weihnachtsbuch der edition chrismon von David Wagner stammt. Ich habe viele seiner Romane gelesen und immer das Gefühl gehabt ...

Eigentlich war ich sehr erfreut, als ich gesehen habe, dass das diesjährige Weihnachtsbuch der edition chrismon von David Wagner stammt. Ich habe viele seiner Romane gelesen und immer das Gefühl gehabt etwas neues, sehr nahbares und persönliches zu lesen. Gerade „der vergessliche Riese“, das Buch über die Demenz seines Vaters fand ich wahnsinnig toll und bewegend. Und das erhoffte ich mir nun auch von diesem Telefongespräch zwischen Martha und ihren Vater. Der Klappentext verspricht eine leichtfüßige, humorvolle Diskussion/ ein Gespräch über das anstehende Weihnachtsfest, das zum Nachdenken einladen soll… und ja, nachgedacht habe ich wirklich viel über dieses und jenes, denn der Text ist schon sehr überladen mit zahlreichen Themen rund um Bräuche, Traditionen und damals… Krieg, Trauma, Depressionen. Und das machte es dann irgendwie eher zu einem anstrengenden, teilweise gar belehrenden und sehr deprimierenden Gespräch, das mich nicht gerade in Weihnachtsstimmung versetzte. Klar, es gibt auch schöne Momente, die eigene Gedanken über vergangene Weihnachtsfeste hervorlocken oder an die eigene Kindheit denken lassen, aber, ich weiß nicht, will man das wirklich alles zu Weihnachten lesen? Ich jedenfalls nicht, zuerst war ich noch bemüht, dann habe ich’s leider irgendwann nur noch quergelesen und schlussendlich abgebrochen.

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Veröffentlicht am 21.12.2022

"Verbrenn all meine Briefe" - eine ergreifende, wahre Liebesgeschichte, die beinahe eine ganze Familie spaltet und deren Wut Generationen überdauert

Verbrenn all meine Briefe
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Ich bin ja kein großer Fan von Liebesromanen und hätte ich nur den Titel "Verbrenn all meine Briefe" gelesen, wäre dieser Roman wahrscheinlich auch an mir vorbei gegangen, aber Alex Schulman verbinde ich ...

Ich bin ja kein großer Fan von Liebesromanen und hätte ich nur den Titel "Verbrenn all meine Briefe" gelesen, wäre dieser Roman wahrscheinlich auch an mir vorbei gegangen, aber Alex Schulman verbinde ich seit "Die Überlebenden" mit einer sehr starken, intensiven Geschichte und einer ganz besonderen Art des Erzählens, sodass ich diesem Buch zumindest eine Chance geben wollte. Ein Glück, denn was sich mir bot war kein einfacher, schnulziger Liebesroman, sondern die sehr aufwühlende und mitreißende Geschichte einer Frau, die ihr Leben nach ihrem narzisstischen und egomanischen Mann ausrichtete, sich neu verliebte, sich befreien wollte und doch gefangen blieb.

Ausgangspunkt dieses Romans ist allerdings ein ganz anderer. Eines Tages spürte Schulman ein gewisses, stetes Unbehagen, wenn seine Tochter etwas anstellte oder der Meinung war, ihrem Vater etwas nicht recht zu machen. Sie entschuldigte sich häufig, schreckte zurück oder hatte gar Angst vor ihm. Und auch seine Frau wies ihn hin und wieder auf seine wütenden Ausfälle hin, sie litt mehr oder weniger unter seinem Verhalten. Doch woher kommt diese Wut und Aggression, die seine Familie schon sein Generationen nicht mehr loslässt? Schulman begibt sich in Therapie und setzt sich mit seiner Familiengeschichte auseinander. Auffällig ist vor allem, dass väterlicherseits stets alles sehr harmonisch und ausgeglichen wirkt, aber die Beziehungen mütterlicherseits eher wie ein großes Schlachtfeld aus Trennungen, Streitigkeiten und Auseinandersetzungen, gar Hass daherkommen. Umso mehr er sich nun damit beschäftigt umso eher glaubt Schulman, dass sein Großvater, der bekannte Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und -kritiker, Übersetzer, Journalist... einer der gebildetsten Schweden Sven Stolpe Ausgangspunkt für alles ist.

">Papas auffälligster Charakterzug war die Wut<, sagte Mama. >Er wollte leben und erscheinen wie ein guter Christ. Aber in Wahrheit war es kein Glaube und keine Ideologie, die ihn antrieb, sondern Wut.<
Aus unterschiedliche Weise zerstörte Stolpe das Leben seiner Kinder. Und das Gift wirkte über Generationen fort. Wir lernten alle, einander und die Welt zu hassen."

Bei seiner Recherche - und da gibt es tatsächlich viel, denn von Sven Stolpe existieren sehr viele Romane, zwischen 1929 und 1959 erschienen ganze fünfzehn Stück, auch Briefe und andere Schriftstücke wurden eingelagert und aufbewahrt - kehrt Schulman immer wieder auf den Sommer 1932 zurück. Stolpe schreibt in seinen Memoiren über einen Sommer, in dem er "den Glauben an die Menschheit verlor", auch seine plötzlich schicksalsschweren, sentimentalen Texte umschwirren immer eine ähnliche Situation und später heißt es "Im Sommer 1932 wurde ich Opfer eines sexuellen Attentats.". Das ist es also, ein Trauma, das sich seitdem seine Wege bahnt und anscheinend mehr mit seiner Großmutter Karin zutun hat, als ihm lieb ist. Doch was ist, wenn das Opfer, eigentlich der Täter der ganzen Misere ist? Denn Stolpe war es scheinbar, der seine Frau erpresste bei ihm zu bleiben und ihr damit drohte sich selbst, Katrin und ihre große Liebe, den ebenso bekannten Schriftsteller Olof Lagercrantz zu erschießen, sobald sie sich von ihm lossagt.

"Es scheint einen Punkt in Sven Stolpes Leben zu geben, an dem das Dunkle seinen Anfang nahm. Ein banaler Gedanke, kindisch sogar, aber mir gefällt die Idee, dass die dunkle Seite, die ich geerbt habe, von diesem Ereignis herrührt, das vor langer Zeit im Leben meines Großvaters stattgefunden hat."

Und damit, mit dieser Faszination, beginnt eine sehr erdrückende und faszinierende Reise durch die Zeit. Schulman schafft es mit einer Kombination aus Tagebucheinträgen, Briefen, Rückblenden und eigenen Gedanken ein sehr persönliche und aufwühlende, sowie auf wahren Gegebenheiten beruhende Geschichte zu erzählen, die einen als Leser*in komplett in den Bann zieht. Teilweise war es für mich spannender als jeder Krimi, sodass ich das Buch kaum noch aus der Hand legen konnte. Ohne nun zu viel vorweg zu nehmen, ist es ein Roman, bei dem man schnell weiß, dass nichts auf ein Happy End hinausläuft und dennoch gibt es einige überraschende Wendungen, bei denen man immer noch hofft, dass alles ein gutes Ende nehmen wird. Ich habe dieses Buch auf so vielen Ebenen geliebt, bin durch die Zeilen und Zeiten gerast und stelle nun erneut fest, dass Schulman einfach ein großartiger Erzähler von menschlichen Abgründen, Traumata und deren Auswirkungen ist. Und das in einer Form, die nie niederschmetternd, aber sehr mitreißend und aufwühlend ist. Auch die Auseinandersetzung mit der Wut, seiner eigenen Geschichte und die Recherchearbeit, fand ich in diesem Fall wahnsinnig spannend. Für mich ein ganz besonderer Roman und ich freue mich schon jetzt darauf, dass diese erschütternde Geschichte bereits den Weg in die schwedischen Kinos geschafft hat und hoffe nun natürlich auch da auf eine eine deutsche Version.

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Veröffentlicht am 07.12.2022

"Die Kriegerin" - ein Roman über Traumata, Gewalt und die stete Suche nach Sicherheit

Die Kriegerin
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Was macht ein Trauma mit einem Menschen? Menschen, die für andere in den Krieg ziehen, eine ganze Nation beschützen sollen oder im Ausland Dienste leisten, Unvorstellbares sehen, womöglich dem Tod oftmals ...

Was macht ein Trauma mit einem Menschen? Menschen, die für andere in den Krieg ziehen, eine ganze Nation beschützen sollen oder im Ausland Dienste leisten, Unvorstellbares sehen, womöglich dem Tod oftmals viel zu nahe kommen? Wie kann man diesen Szenen entkommen? Wie all das Erlebte an sich einfach so abprallen lassen? Wahrscheinlich gar nicht. Helene Bukowski spürt in ihrem Roman "Die Kriegerin" eben jenen Fragen nach und beschäftigt sich mit der inneren und äußerlichen Verletzlichkeit.

Ihre beiden Protagonistinnen kennen sich seit der Grundausbildung bei der Bundeswehr. Dort wollen sie lernen stark zu sein, sich verteidigen zu können, einen Panzer aufzubauen, gar unverwundbar zu sein. Doch als Lisbeth von einem Feldwebel bedrängt wird, zieht sie sich zurück, muss sich erneut ihrer Verwundbarkeit stellen, die sie seit ihrer Kindheit plagt, und gibt ihre Zukunft auf. Sie versucht sich erneut ein Leben, dieses Mal als Floristin, aufzubauen, gründet eine Familie und scheint einen Weg gefunden zu haben, angekommen zu sein. Doch eines Tages bricht sie auch aus dieser Rolle aus, flieht an die Ostsee; das heilende Meer und Rauschen, das ihr schon früher immer geholfen hat. Doch hier trifft sie nach den vielen Jahren, die bereits vergangen sind, auch auf ihre alte Freundin, die Kriegerin. Die einstigen Momente der Vertrautheit und Anziehung sind zunächst noch da, aber auch sie weichen langsam. Aggressivität, Reizbarkeit, Wut und Angst machen sich breit und ihre Körper werden zur Angriffsfläche. "Mein Körper ist wund vom Hass [...] Ich habe das Gefühl, dass mir das Licht abhandengekommen ist." - Auch die Kriegerin lassen ihre Erlebnisse vom Krieg in Afghanistan kaum noch los. Auch sie wird verfolgt. Auch sie befindet sich auf der Flucht und erneut auf der Suche nach Schutz. Doch wohin, wenn man den Geschehnissen der Vergangenheit nicht mehr ausweichen kann? Wohin, wenn sich plötzlich alles wie eine große, pulsierende Wunde im Körper anfühlt, die nach und nach Besitz von dir ergreift?

"Wer wird verstehen, was ich hier erlebe, was es mit mir macht, wer ich dadurch wurde? Das meiste, was bei einem solchen Einsatz passiert, wird in Deutschland ausgeblendet. Nur die richtig schlimmen Sachen schaffen es in die Nachrichten, wie die Gefechte, bei denen Soldaten fallen oder wenn mehr als fünf Zivilisten unter den Opfern waren. [...] Ich dachte, ich komme stark aus diesem Einsatz zurück [...], aber stattdessen merke ich, wie ich immer brüchiger werde, wie ich kurz davor bin, die Hand zurückzuziehen. Wie lange schaffe ich es nicht, mich zusammenzuhalten?"


Dieser Roman ist gespickt mit vielen Fragen und Kontrasten. Eine Floristin. Eine Soldatin, die Kriegerin. Das aufbrausende Meer und die endlose Freiheit. Ein Aufenthalt auf einem Kreuzfahrtschiff. Genaustens geplante Tage und Abläufe, unerwartete Pausen. Blumen, die gleichzeitig Freude und irgendwie auch Tod bedeuten Aufreißende Haut, schützende Panzer. Stärke und Schwäche. Das alles wirkt so ein bisschen wie ein Moodboard mit zahlreichen Schlagworten und verschiedensten Bildern und doch gelingt es Bukowski fast schon mühelos diese zu einer Geschichte zu verweben, die tief in das menschliche Sein blicken lässt. Ihre beiden Protagonistinnen wählten einmal den gleichen Werdegang und doch entwickelten sie sich, aufgrund verschiedenster Erlebnisse und Übergriffigkeiten in komplett andere Richtungen. Lisbeth, die schon jeher Probleme mit ihrem eigenen 'Schutzpanzer' hat, wirkt ständig von der Unruhe und Fluchtgedanken getrieben - nach Sicherheit suchend. Ihre Freundin, etwas zäher und selbstsicherer, sorgt an der Front für eben jenen Schutz und doch bekommt auch ihre Welt und Standfestigkeit langsam Risse bis sie die Bilder nicht mehr so einfach abschütteln kann und auch sie Halt sucht.
Für mich ist es ein ganz besonderes Bild, das dieser Roman in Verbindung mit dem Krieg und Militär aufzeigt. Wie geht man mit den Folgeerscheinungen um? Was macht das Erlebte mit einem Menschen? Das sind so Fragen, die oftmals einfach viel zu kurz kommen, viel zu wenig im öffentlichen Diskurs stattfinden und vielleicht auch gar nicht ins Bewusstsein der unbeteiligten Bevölkerung dringen (sollen). Die Armee ist in der Wahrnehmung meistens nur so eine Masse, ohne, dass das Individuum noch Beachtung findet. Und wenn man dann noch zwischen Mann und Frau, Rangkämpfen und Ego unterscheiden soll, wird es nochmal etwas schwieriger. Beim Lesen merkt man daher auch, zumindest ging es mir so, wie wenig man eigentlich davon weiß, was so ein Auslandeinsatz eigentlich bedeutet und welche Folgen er für Soldatinnen und Soldaten hat. Bukowski widmet sich hier bewusst dem Schicksal zweier Frauen, eher ruhig und unaufgeregt und dennoch teilweise sehr eindringlich und intensiv. Mit einer Präzision, die wie beim Aufbrechen eine Blüte, sich langsam und mit jedem weiteren Blatt, Schicht für Schicht dem Innersten nähert und damit einen Blick auf den Schmerz, Wunden und das zu Verdrängende freigibt, nähert sie sich dem Körper und der Psyche ihrer Protagonistinnen. So ist es dann auch ein besonderes Buch über Traumata, psychisch und physische Belastungen, sowie Gewalt und der steten Suchen nach Stärke und Sicherheit. Aber, und das mag ich sehr gern daran, Bukowksi erklärt nicht, lässt keine genauen Analysen zu und bewertet auch das Geschehene nicht. Sie schrammt quasi den Ursprung und lässt ihre Protagonistinnen ihren Weg finden und den Leser*innen den nötigen Freiraum damit umzugehen. Allerdings muss ich auch sagen, dass dieser Roman für mich auch so ein paar Schwächen hatte. Das große "Ohh" hat mir gefehlt und das Ende hat mich nicht ganz so glücklich gestimmt, aber vielleicht ist es auch gerade gut, denn eine übertriebene Szene oder ein spannungsgetriebener Plot könnte alles sofort ins Fragwürdige stürzen und das könnte den Betroffenen einfach nie gerecht werden.

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