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Veröffentlicht am 02.09.2019

Verschlüsselte Blumengrüße

Vanitas - Schwarz wie Erde
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„Einen Teil dessen, was Freda Trussek herausgefunden hat, habe ich nun ebenfalls kapiert, ich bin fast sicher. Ich verstehe die Hintergründe, aber nicht, warum sie diese Lawine an Gewalt auslösen. Oder ...

„Einen Teil dessen, was Freda Trussek herausgefunden hat, habe ich nun ebenfalls kapiert, ich bin fast sicher. Ich verstehe die Hintergründe, aber nicht, warum sie diese Lawine an Gewalt auslösen. Oder doch – aber warum ausgerechnet jetzt?“


Inhalt

Carolin Springer, die weder den richtigen Vor-noch Nachnamen trägt, wird von ihrem Beschützer Robert beim LKA auf eine heiße Spur angesetzt. Nur wenn sie sich in München in das Leben der Bauunternehmertochter Tamara Lambert schleicht und diese bezüglich der Pläne ihrer Familie aushorcht, wird er für ihren weiteren Personenschutz sorgen, der sie vor den Fängen der russischen Mafia bewahrt.

Carolin ist eine Getriebene, ständig auf der Flucht, gut ausgebildet durch ihre Zeit beim organisierten Verbrechen, eine gewiefte aber doch verängstigte Privatermittlerin, die zwar ein gutes Gespür für zwischenmenschliche Fallstricke beweist, sich aber immer wieder ihrer eigenen Probleme bewusst wird. Denn egal, welche Leichen im Keller der Familie Lambert ruhen, ihre größte Sorge gilt dem Schutz ihrer eigenen falschen Identität. Doch die Neugier und der Auftrag lassen sie nicht los und als sich die Todesfälle häufen, nachdem sie sich als wohlhabende Nachbarin Tamaras ausgegeben hat, möchte Carolin doch zu gern hinter das wahre Geheimnis der vorbildlichen Unternehmerfamilie kommen …


Meinung

Prinzipiell muss ich sagen, dass Ursula Poznanski zu meinen Lieblingsautorinnen zählt, deren Schreibstil gerade in ihren Thrillern immer ein hohes Tempo und viel Spannung erzeugt. Doch mit „Vanitas – Schwarz wie Erde“ unterbricht sie diese Sogwirkung, die ein richtig guter Thriller entwickeln kann, eindeutig.

In weiten Teilen des Buches habe ich entweder den Sinn des Textes für den Verlauf der Handlung nicht erkannt, oder es war dermaßen kryptisch, dass es in die Kategorie „uninteressant“ fällt. Das große Problem dieses Thrillers, der sich auf den Sachverhalt konzentriert, dass echter Frieden nur einkehrt, wenn alle Rechnungen bezahlt sind, ist seine vielschichtige, doch unbekannte Vergangenheitsgeschichte.

Gerade der Verfolgungswahn der Hauptprotagonistin erklärt sich nur dadurch, dass sie selbst Todesangst hat, doch ihre Kontakte zum organisierten Verbrechen werden nur stümperhaft und viel zu spät im Buch thematisiert. Als Leser kann man sich dadurch nicht auf das Hauptgeschehen einlassen, zumal dieses gähnend langweilig erscheint: Eine wohlhabende Bauunternehmerfamilie mit zwielichtigen Machenschaften, die nach außen ihren guten Ruf pflegt und sich eine blütenreine Weste zugelegt hat.


Fazit

Sicherlich ein paar spannende Highlights auf dem Weg zum Erfolg hält auch dieses Buch bereit, nur leider konzentrieren sie sich ausschließlich auf ein wirklich gutes, dramatisches und meines Erachtens schlüssiges Finale. Die letzten 50 Seiten konnten mich mit den restlichen eher mäßig lesenswerten Seiten versöhnen, so dass ich meine Gesamtwertung auf 3 Sterne aufrunden möchte.

Ich mag den Schreibstil der Autorin und ihre kurzweilige Erzählweise, die sie hier mit der mysteriösen Sprache der Blumen aufwertet, aber wenn der Inhalt nicht stimmt, dann wirkt auch das Gesamtpaket nicht überzeugend. Als Fan kann man gerne auch zu diesem Buch greifen, doch wer Ursula Poznanski wirklich erleben möchte, sollte sich ein anderes Werk schnappen. Allerdings könnte ich mir gerade bei diesem Inhalt eine Verfilmung sehr gut vorstellen, dort kämen dann auch all die Rückblenden wesentlich besser zur Geltung als in der Buchfassung.

Veröffentlicht am 02.09.2019

Die grausamen Morde der Heiligen

Blutzeuge
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„Polizisten waren da wie Terroristen – sie warfen verheerende Bomben in das Leben der Freunde und Angehörigen der Opfer, und dann standen sie da und betrachteten den Schaden, den sie angerichtet hatten.“


Inhalt


Jane ...

„Polizisten waren da wie Terroristen – sie warfen verheerende Bomben in das Leben der Freunde und Angehörigen der Opfer, und dann standen sie da und betrachteten den Schaden, den sie angerichtet hatten.“


Inhalt


Jane Rizzoli und Maura Isles werden diesmal mit einer Mordserien konfrontiert, die wie ein biblisches Szenario wirkt, denn die Opfer, egal ob männlich oder weiblich werden durch ein Betäubungsmittel außer Gefecht gesetzt, anschließend erstickt und post mortem in einem bizzaren Bild präsentiert, welches an die Todesart katholischer Heiliger anknüpft. Willkür kann ausgeschlossen werden, denn Maura findet mit Hilfe des Priesters Daniel Brophy heraus, dass die jeweilige Verstümmelung der Toten an das Geburtsdatum der Opfer angepasst ist. Wer immer der Mörder ist, seine Rache scheint vollkommen.

Schon bald stößt Jane auf eine Verbindung in die Vergangenheit, nachdem sie eine junge Frau ausfindig gemacht hat, die mit allen Opfern in direkter Verbindung stand. Denn Holly Devine war vor vielen Jahren ein Kind, welches in einen spektakulären Fall von Kindesmissbrauch unter Schutzbefohlenen beteiligt war. Die Familie der Betreuungspersonen ist damals zu einer langjährigen Haftstrafe verurteil wurden, doch der Sohn der Verurteilten wurde vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen und scheint nun seinen Rachefeldzug begonnen zu haben …


Meinung


Auch in ihrem derzeit aktuellsten Fall der Rizzoli-Isles-Reihe vermag es die amerikanische Bestsellerautorin Tess Gerritsen eine psychologische Geschichte rund um Schuld und Rache mit einer gruseligen Mordserie zu verbinden und den Leser in ein spannungsgeladenes Intermezzo zu schicken.

Gerade die wechselnden Perspektiven aus Sicht des Ermittlerduos und des potentiellen nächsten Opfers fand ich sehr gelungen, zumal man schnell merkt, dass die anscheinend bedrohte junge Frau weit mehr verbirgt, als sie zugeben möchte. Dadurch nimmt die Spannung im zweiten Teil des Buches zwar etwas ab, dafür möchte man nun unbedingt wissen, wie die genauen Zusammenhänge in diesem verzwickten Fall sind.

Warum werden alle Beteiligten, die damals Zeugen in einem Kindesmissbrauchsprozess waren so grausam hingerichtet? Warum beteuert der Verurteilte und nun wieder freie Mann, mit den Morden nichts zu tun zu haben? Wer möchte den letzten beiden Opfern nun Schaden zufügen? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter?

Tess Gerritsen spielt die Klaviatur des Grauens ganz vorzüglich, sie entwirft einen interessanten Plot mit fragwürdigen, undurchschaubaren Protagonisten und schickt den Leser auf eine Reise quer durch die menschliche Gefühlspalette.


Fazit


Auch der 12. Band dieser Reihe ist sehr lesenswert für Thrillerfans und bekommt 4,5 Lesesterne (aufgerundet 5) von mir, sowohl für die Idee als auch ihre Umsetzung: Ein Kinderhort mit Missbrauchsfällen, eine aktuelle Mordserie, ein Szenario rund um Schuld und Rache und ein aufmerksames Ermittlerteam, welches sich nicht so schnell auf die falsche Fährte locken lässt. Krimiliteratur vom Feinsten!

Veröffentlicht am 02.09.2019

Im Wandschrank des Vertrauens

Alles still auf einmal
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„Denn Daddy machte es auch: Er redete nicht so über Andy, wie er wirklich war. Und so weinen zwar alle und waren traurig, aber nicht über den echten Andy, sondern über einen erfundenen. Es war, als ob ...

„Denn Daddy machte es auch: Er redete nicht so über Andy, wie er wirklich war. Und so weinen zwar alle und waren traurig, aber nicht über den echten Andy, sondern über einen erfundenen. Es war, als ob keiner richtig Abschied von ihm nimmt. Ich wäre am liebsten aufgestanden und hätte alle angeschrien, dass sie aufhören sollen, über meinen Bruder zu lügen.“


Inhalt


An der Schule des kleinen Zachary Taylor bricht von einer Sekunde zur nächsten das Chaos los, als ein bewaffneter Amokläufer die Türen der Klassenzimmer aufreißt und wahllos auf die Kinder und Lehrer feuert. Geistesgegenwärtig versteckt seine Lehrerin die Kinder und sich selbst im Wandschrank und hofft auf ein glückliches Ende der Situation. Doch nachdem die Polizei den Amokläufer stoppen konnte, zählt man dennoch 19 Todesopfer. Darunter auch Andy, den großen Bruder von Zachary, der bereits in der vierten Klasse war. Fortan bricht die heile Welt von Zachary vollkommen zusammen, denn nicht nur sein eigenes Trauma muss er überwinden, sondern er erlebt auch direkt den Zerfall seiner Familie. Während seine Mutter einen Schock erleidet und später Rachegelüste gegenüber der Familie des Täters hegt, zieht sich sein Vater immer mehr zurück und streitet unaufhörlich mit seiner Frau. Zach versteht längst nicht alles, was genau zwischen den Erwachsenen vorgefallen ist, aber keiner schenkt ihm ein offenes Ohr und spendet Kraft. In seiner Einsamkeit sucht sich Zachary ein Versteck im Wandschrank seines verstorbenen Bruders, dort durfte er früher nie hin, doch jetzt sitzt er auf dessen Schlafsack und erzählt Andy von den Dingen, die ihn wirklich bewegen …


Meinung


In ihrem Debütroman nimmt sich die junge Autorin Rhiannon Navin eines nicht alltäglichen, aber doch bedrohlichen Zustands an, zu dem sie ihr eigenes Kind nach einer entsprechenden Schulübung inspiriert hat. Der Verlag verspricht eine Geschichte wie aus Dunkelheit und Licht: traurig und dabei in jedem Augenblick voll Hoffnung. Und genau so habe ich das Gelesene auch empfunden: direkt, ungeschönt und zutiefst beeindruckend, ganz besonders, weil hier die kindliche Erzählfigur gewählt wurde, die weniger mit dem Verstand als mit dem Herzen denkt und die gerade deswegen den Verlust des großen Bruders in einem ehrlichen, aufrichtigen Licht erscheinen lässt, unabhängig davon, was man angeblich fühlen darf und soll oder auch nicht.

Ganz herausragend finde ich die Charakterisierung der Menschen aus Sicht des 6-jährigen Zacharys, der beide Elternteile irgendwie an diese Ausnahmesituation verliert und sich nichts sehnlicher wünscht als seine Mutter und den Vater so zu bekommen, wie er sie bisher als verlässlich und belastbar erlebte, kannte und liebte. Gerade weil die Autorin sehr geschickt eine Geschichte zwischen den Zeilen entwirft, wird deutlich warum Melissa und Jack nicht so weitermachen können wie bisher, eben weil ihr Leben vor dem Amoklauf auch nicht mehr aufrichtig und in beiderseitigem Einvernehmen stattfand, nur das sie diesen Umstand gegenüber ihren Söhnen gut verbergen konnten.

Wirklich traurig und bedrückend ist das Buch aber nicht, denn Zachary zeigt zwar die gesamte Gefühlspalette zwischen Angst, Trauer, Wut und Einsamkeit, aber immer wieder schöpft er auch Hoffnung, findet kurzzeitigen Trost in Kleinigkeiten und ist sich sicher, dass er seine Eltern hier unterstützen muss, denn diese sind im Angesicht des Schicksalsschlags vollkommen hilflos.

Irgendwie eine verkehrte Welt, wenn sich kleine Kinder genötigt fühlen, ihren Eltern zu helfen, die ihrerseits nicht einmal die Kraft aufbringen, ihrem jüngsten Sohn die Wahrheit zu sagen und ihn in verschiedene Dinge einzuweihen. Dieser Umstand hat mich während des Lesens enorm gefesselt, denn er zeigt, wie viel kleine Kinder wahrnehmen, wie viel ihnen zuzumuten ist und warum es in meinen Augen essentiell wichtig ist, sich auf gleicher Augenhöhe mit den Kindern zu verständigen, ihnen zuzuhören und auch schlimme Situationen im Gespräch zu verarbeiten. Sowohl Melissa als auch Jack können das nicht und deswegen sucht sich Zachary lieber den schweigsamen Wandschrank als emotionalen Rückzugsort, um dort seinem Bruder Andy nachzuspüren.


Fazit


Für diesen ungewöhnlichen, emotionalen Roman mit vielen Denkansätzen und liebevoll gezeichneten Charakteren und Situationen vergebe ich 5 Lesesterne. Tatsächlich ein unverbrauchtes Thema, ein kindlicher Ansatz, ein großes Drama und all das innerhalb eines kleinen Familienverbandes, der durch das Schicksal gebeutelt und geprüft wird. Sicherlich ein Unterhaltungsroman aber kein seichter, sondern einer, der nachdenklich stimmt und Eltern-Kind-Beziehungen aus diversen Blickwinkeln betrachtet. Gerade wenn man selbst Kinder hat, findet man hier wichtige Grundsätze, die man verinnerlicht haben muss, um Vorbildfunktion leisten zu können. Diese Geschichte berührt den Leser, sie macht ihn aufmerksam auf das wichtige im Leben und die Unverzichtbarkeit von Zuwendung und Zärtlichkeit. Absolut empfehlenswert!

Veröffentlicht am 02.09.2019

Ein Bild des Jammers und der Schuld

Brennendes Grab
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„Manche Leute halten Mord für einen sinnlosen Akt. Ich bin da anderer Meinung. Mord ist zweifellos ein brutaler Akt, grausam und unmoralisch. Ein Unrecht vor dem Auge des Gesetzes, eine Sünde im Angesicht ...

„Manche Leute halten Mord für einen sinnlosen Akt. Ich bin da anderer Meinung. Mord ist zweifellos ein brutaler Akt, grausam und unmoralisch. Ein Unrecht vor dem Auge des Gesetzes, eine Sünde im Angesicht Gottes. Für jeden anständigen Menschen ist Mord geradezu undenkbar. Aber sinnlos ist er nur selten.“


Inhalt


Chefermittlerin Kate Burkholder jagt in ihrem 10. Fall den Mörder des jungen Daniel Gingerich, er hat sein amisches Opfer unter Vortäuschung falscher Tatsachen in eine alte Scheune gelockt und ihn dort mit samt des Gebäudes angezündet. Seltsam nur das vorher die Tiere gerettet wurden und das es anscheinend überhaupt kein Motiv zu geben scheint, denn die ersten Zeugenaussagen stellen Daniel als ein geschätztes, arbeitswilliges Mitglied der amischen Gemeinde in Painters Mill/ Ohio dar, der kurz vor der Verlobung mit seiner Freundin stand und sich nie etwas zu Schulde kommen lies. Doch Kate glaubt nicht an ein willkürliches Verbrechen und gräbt tiefer in der Vergangenheit des jungen Mannes.

Durch Zufall entdeckt sie, dass Daniel höchstwahrscheinlich für den Selbstmord einer Frau, die in ihn verliebt war, mitverantwortlich ist und darüber hinaus der Vater eines Kindes, welches mittlerweile bei seiner Mutter lebt und dem Vater als „Kuckuckskind“ untergeschoben wurde. Als schließlich noch Daniels ehemaliger bester Freund von einer ganz besonderen Nacht erzählt, weiß Kate, dass der Ermordete nicht so unbescholten ist, wie zunächst geglaubt …


Meinung


Die Reihe rund um die Ermittlerin Kate Burkholder und den Verbrechen in der stark gläubigen Gemeinde der Amischen habe ich bereits im vergangenen Jahr komplett gelesen und fühlte mich fast immer bestens unterhalten. Auch der nun vorliegende 10. Fall der Ermittlerin stand deshalb ganz weit oben auf meiner Wunschliste. Ganz klar, wer den Erzählstil der Autorin mag, wird auch diesen Thriller mögen, denn man spürt nach wie vor den einerseits leichten, andererseits fesselnden Unterton, im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen. Nicht unbedingt ein brutaler, schockierender Fall über Mord und Totschlag, sondern vielmehr Unterhaltungsliteratur mit dem gewissen Etwas an Spannung.


Gerade hier nimmt die Autorin erstmals einen Fall ins Visier, den die Polizistin nur zu gut verstehen kann, da er einige Parallelen zu ihrer Jugend aufweist. Dieser Umstand macht es Kate schwer, diesen Mordfall aufzuklären, nachdem sie festgestellt hat, dass Daniel Gingerich eigentlich sein frühzeitiges Ableben in gewisser Weise selbst verschuldet hat. Immer wieder versinkt sie in Gewissensbissen und benötigt die klare, objektive Sicht ihres Freundes John Tomasetti, der eben nicht mit dem Fall und seinen Auswirkungen zu kämpfen hat.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen abwechslungsreichen, unterhaltsamen Thriller in bekannter Manier. Der Verlag feiert das Jubiläum dieser einzigartigen Erfolgsserie und „Brennendes Grab“ passt tatsächlich gut in die Kriminalreihe, setzt diese gewissermaßen nahtlos fort. Prinzipiell muss ich sagen, dass ich bei dieser Serie einen größeren Abstand zwischen den Einzelbänden ganz gut finde, weil man dann nicht so fieberhaft auf den Fortgang wartet, sich aber immer wieder positiv an das Gesamtleseerlebnis erinnert. Ich empfehle dieses Buch allen Fans von Linda Castillo aber auch Neulesern, die bisher keine Berührungspunkte mit der Autorin haben. Ein leichter, zum Schmökern einladender Kriminalfall, der zwar nichts Neues bringt aber die Story gut verpackt.

Veröffentlicht am 19.08.2019

Er findet sein Thema nicht

Die Leben der Elena Silber
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„Sie vermisste eine Heimat, von der sie – bis sie sie verlassen hatten – nicht einmal wusste, dass es sie überhaupt gab. Sie hätte auch jetzt nicht beschreiben können, wie sie aussah, ihre Heimat. ...

„Sie vermisste eine Heimat, von der sie – bis sie sie verlassen hatten – nicht einmal wusste, dass es sie überhaupt gab. Sie hätte auch jetzt nicht beschreiben können, wie sie aussah, ihre Heimat. Sie spürte nur die Sehnsucht.“


Inhalt


Konstantin Stein führt den Leser durch die Geschichte seiner Ahnen, die er selbst erst mit Ende 40 für sich entdeckt, nachdem ihm seine Mutter Maria auf die Idee gebracht hat, sich doch der Chronik der Elena Silber anzunehmen, seiner verstorbenen Großmutter, die eine Tochter des ermordeten russischen Revolutionärs Viktor Krasnow war. In zwei groß angelegten Erzählsträngen taucht der Leser nun zum einen in den Alltag von Konstantin ein und seine realen Erinnerungen an die Großmutter, seine Tanten und Onkel. Und im zweiten kommt Elena selbst zu Wort, die aus verschiedenen Zeiten ihres Lebens Bericht erstattet über ihren Mann, die fünf Töchter und die Suche nach einer echten Heimat zwischen der Kindheit in Russland und dem Erwachsenenleben in Deutschland an der Seite ihres Mannes Robert Silber…


Meinung


Der mehrfach ausgezeichnete deutsche Autor Alexander Osang lässt sich in diesem komplexen zeitgenössischen Roman von seiner eigenen Familiengeschichte inspirieren und entwirft das Bild eines Jahrhunderts, geprägt von diversen politischen Ereignissen, die verschiedene Menschen zu ganz unterschiedlichen Meinungen bringt und sich im Kern dem Leben innerhalb der direkten Verwandtschaft widmet.

Ursprünglich hatte ich eine klare Vorstellung an die Verarbeitung des Themas, angesiedelt zwischen Familien – und Geschichtsroman mit Einblicken in historische Ereignisse, die sich möglicherweise im Verlauf des individuellen Lebens von Elena anders anfühlten als in ihrem tatsächlichen Ausmaß. Doch eigentlich trifft die Geschichte diesen Kern überhaupt nicht, sie tangiert ihn eher peripher.

Im Zentrum steht hier eine Frau, der zeitlebens nichts geschenkt wurde, die ihre Stärke und Entschlossenheit entwickelt hat, weil die Möglichkeiten ihr keine freie Wahl ließen und die doch so distanziert und ernst wirkt, dass mir für eine Familiengeschichte einfach die Warmherzigkeit und Liebe zwischen den Angehörigen fehlt.

Während mir ihr Enkel Konstantin zunächst sehr nah und empathisch vorkam, verliert sich sein Potential mit dem Verlauf der Geschichte. Als Sohn kämpft er mit dem Verlust seines Vaters, der in einem Pflegeheim mit der Diagnose Altersdemenz festsitzt und eine dominante Mutter, die ihm vorwirft, noch immer nicht sein Thema gefunden zu haben. Nebenbei erzieht er einen jugendlichen Sohn, der bei seiner Mutter lebt, von der sich Konstantin allerdings schon geraume Zeit getrennt hat.

Im Grunde genommen lesen sich beide Erzählstränge nicht schlecht, aber sie fördern auch keine bahnbrechenden Wahrheiten zu Tage. Spätestens ab der Hälfte des Romans plätschert die Geschichte so vor sich hin, so dass ich auch hier die reichlich 600 Seiten Text als übertrieben empfinde. Eine Kürzung und Straffung des Geschehens wäre wünschenswert gewesen.

Besonders gestört hat mich im Verlauf der Geschichte die wirklich unnötige Wiederholung ein und desselben Sachverhalts mit fast gleichem Wortlaut (Konstantin findet sein Thema nicht) und darüber hinaus die irrelevanten Nebeninformationen, die anscheinend als Füllmaterial dienen, jedoch keinerlei Nutzen für den Leser darstellen. Hin und wieder blitzt dann aber wieder ein toller Satz auf, der mich zum Nachdenken anregen konnte: „Es ging immer weiter. Dafür liebte er seinen Sohn. Er würde ein anderer Mann werden, als er es war, so wie er ein anderer Mann geworden war als sein Vater. Aber etwas blieb erhalten. Nichts war umsonst. Die Saat war ausgebracht. Vielleicht ein Segen, vielleicht ein Fluch.“


Fazit


Ich vergebe 3,5 Lesesterne für diesen komplexen, ausführlichen Familienroman, die ich jedoch eher auf 3 reduzieren möchte. Das größte Problem der Geschichte ist ihre nichtsagende Wirkung ohne konkrete Aussage, ohne einen roten Faden. Zu oft regiert die Willkür des Lebens, das einfache, unauslöschliche Geschehen des Alltags und das unaufhaltbare Voranschreiten der Zeit, die Erinnerungen trübt, Menschen verblassen lässt und Ungerechtigkeiten belanglos erscheinen lässt.

Dem Autor gelingt es leider nicht Vergangenheit lebendig werden zu lassen und auch nicht, einprägsame Charaktere zu schaffen. Und so bleibt dieser Roman gewissermaßen in seinen Kinderschuhen stecken und hinterlässt nur vage Eindrücke, die bald wieder verblassen werden. Sehr schade, denn der Stoff der Geschichte birgt großes Potential und möglicherweise hätte mir schon ein Wechsel der Erzählperspektive in die erste Person Singular weitergeholfen, um mich den Leben der Elena Silber näher zu fühlen.