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Veröffentlicht am 18.04.2019

Onkel Willis letzte Reise

Rückwärtswalzer
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„Wir haben gelernt, dass man nicht jedem jede Geschichte erzählen kann. Manche Geschichten sind dafür da, dass man sie allen erzählt. Andere dafür, dass man sie nur mit wenigen ausgewählten Menschen teilt.“


Inhalt


Lorenz ...

„Wir haben gelernt, dass man nicht jedem jede Geschichte erzählen kann. Manche Geschichten sind dafür da, dass man sie allen erzählt. Andere dafür, dass man sie nur mit wenigen ausgewählten Menschen teilt.“


Inhalt


Lorenz Prischinger wird von seinen Tanten mit einer ebenso schwierigen wie verantwortungsvollen Aufgabe betreut. Er soll seinen toten Onkel Willi zusammen mit den drei alten Damen von Wien nach Montenegro bringen, damit Willi dort seine letzte Ruhestädte findet, so wie er es sich zu Lebzeiten gewünscht hat. Als einziges Transportmittel kommt nur das Auto in Frage, da allen Prischingers das Geld für eine offizielle Überführung des Leichnams fehlt. Nach anfänglichen Zweifeln bleibt dem jungen Mann, der selbst gerade eine schwierige Lebensphase durchmacht, nichts weiter übrig als sich den Wünschen seiner drei beherzten Tanten zu beugen. Und gemeinsam erleben sie auf einer gut 12 stündigen Fahrt allerlei turbulente Vorkommnisse und ganz nebenbei führen sie tiefgreifende Gespräche über ihr Leben, die Vergangenheit und erfüllte oder verschobene Lebenswünsche. Onkel Willis letzte Reise setzt ihm ein Denkmal, ist Totenwache und Familienrat gleichermaßen und bestärkt die Prischingers in ihrem seit Kindertagen geltenden Motto: „Niemand wird zurückgelassen.“


Meinung


Dies war mein erster Roman aus der Feder der österreichischen Autorin Vea Kaiser, die mit ihren anderen Werken „Blasmusikpop“ und „Makarionissi“ bereits Bestseller landete. Die vielen positiven Lesermeinungen haben mich darin bestärkt, nun endlich mal ein Buch der Jungautorin kennenzulernen.


Und tatsächlich, der Roman verspricht eine unterhaltsame Geschichte, einen abenteuerlustigen Roadtrip und letztlich ein unvergessliches Familienepos und kann all das irgendwie auch bieten. Das große Plus dieser Erzählung ist nicht unbedingt der Humor, obwohl auch dieser nicht fehlt, nein es sind die warmherzigen Charakterbeschreibungen mehrerer Familienmitglieder, die hier alle gleichberechtigt und authentisch zu Wort kommen und die trotz ihrer Macken und Fehler, immer beherzte Entscheidungen treffen und sich mit den Konsequenzen arrangieren. Dieses sehr genau Bild gelingt durch ein stilistisches Mittel noch besser, denn abgesehen von der Gegenwartshandlung in einem beengten Panda mit einer gefrorenen Leiche auf dem Beifahrersitz, entführt Vea Kaiser den Leser in die Vergangenheit der jeweiligen Protagonisten.


So lernt man die älteste Schwester Mirl kennen, die sich mit dem dicken Gottfried einen echten Schürzenjäger als Mann zulegt, dessen Bauch als Beamter ebenso schnell wächst, wie als hungriger Ehemann. Die mittlere Schwester Wetti, die immer sehr präsent ihr Wissen kundgibt und sich für die Natur und ihre Entwicklung weit mehr interessiert als für Liebesgeplänkel und letztlich die jüngste Hedi, die sich mit Willi als Ehemann glücklich schätzt, sich aber doch nicht immer verstanden fühlte und auch den ein oder anderen Fehltritt zu Lebzeiten zu verantworten hat.


Tatsächlich haben mir die eher ernsthaften Ausflüge in die Familiengeschichte weit besser gefallen als die skurrilen Begebenheiten der „Leichenfahrt“, dort waren mir stellenweise die Handlung und die Vorkommnisse etwas zu dick aufgetragen und nicht mehr ganz so lustig wie beabsichtigt, obwohl es natürlich ein erfundener Roman mit einem bewusst gewählten Szenario ist, hätte ich mir an dieser Stelle eine etwas realistischere Ausführung gewünscht.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für einen sehr unterhaltsamen, humorvollen Roman voller Empathie und kleiner liebenswerter Anekdoten, der in seinem Gesamtbild eine unverwechselbare, einprägsame Familiengeschichte erzählt, die einem ans Herz wächst. Die Reise wird nur zum Anlass genommen, um die eigentliche durch Jahrzehnte reichende Lebenswelt der Familie Prischinger lebendig werden zu lassen. Ein Buch, welches unter der Hand an das Verständnis des Lesers appelliert, an die Möglichkeit trotz verschiedener Lebenswege einen intakten Zusammenhalt zu wahren und sich nicht davor zu verstecken, zu den eigenen Fehlern zu stehen, aber anderen diese ebenso großmütig zu verzeihen. Empfehlenswert ist das Buch für alle engagierten, lebensbejahenden Menschen, die sich gerne auf eine kleine Reise zu den Herzen anderer Menschen begeben möchten. Vielleicht nehmen sie sogar ein Stück Kuchen mit, für ihr eigenes Leben – denn auch darin sind sich die Prischingers einig: mit Essen wird alles etwas leichter.

Veröffentlicht am 18.04.2019

Der Glaube an das Unwahrscheinliche

Milchzähne
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„Ein vertrautes Gebiet verlassen, in dem ich mich blind bewegen könnte. Was bleibt bestehen, und was bleibt übrig, wenn ich gehe? Wer wird sich an den von mir zurückgelegten Weg erinnern?“


Inhalt


Skalde ...

„Ein vertrautes Gebiet verlassen, in dem ich mich blind bewegen könnte. Was bleibt bestehen, und was bleibt übrig, wenn ich gehe? Wer wird sich an den von mir zurückgelegten Weg erinnern?“


Inhalt


Skalde und Edith leben in einer kleinen Gemeinschaft am Rande der Zivilisation. Nach einer scheinbaren Naturkatastrophe, die klimatische und biologische Veränderungen mit sich brachte, deren Ende keiner absehen kann, beginnt ein Wettlauf gegen das Unbekannte. Der Kiefernwald ist das letzte lebenswerte Stück Erde, nur dort herrscht scheinbare Sicherheit vor einer diffusen Gefahr. Die wenigen Bewohner dieser Gegend kämpfen ums Überleben, halten sich mit Tauschhandel über Wasser und beäugen jeden misstrauisch und mit einer direkten Abwehrhaltung. Nicht nur Fremde sind nicht willkommen, auch die unmittelbaren Nachbarn stehen auf dem Prüfstand. Neid und Missgunst sind die Charakterisierungen dieser neuen Zeit, in der nicht einmal mehr die Familie Rückhalt geben kann. Wer sich nicht selbst vernichtet, den vernichten andere oder der Zahn der Zeit. Als ein junges, rothaariges Mädchen in die Siedlung kommt, spaltet sich der Verband erneut. Denn Skalde nimmt das Kind bei sich auf und rückt damit gleich an die zweite Stelle des Feindes – zuerst muss das Kind weg, dann ihre Retterin, andernfalls schweben alle in höchster Gefahr …


Meinung


Die deutsche Jungautorin Helene Bukowski widmet sich in ihrem Debüt einer sehr interessanten Mischung aus dystopischem Roman und zerrütteter Familienbeziehung.

Zunächst einmal schafft sie eine sehr bedrohliche, wenn auch nicht ganz fassbare Endzeitstimmung, die deutlich macht, das die Menschen hier, geflüchtet sind und geblieben, weil sie nicht wissen, wo es noch einen besseren Ort geben könnte. Das Klima wird immer heißer, die Tiere verenden oder verschwinden ganz, keiner weiß, was hinter dem Fluss wartet und ob das Meer irgendwo in der weiteren Umgebung, Verderben sein wird oder eine Chance bieten könnte. Diese Hintergründe streut sie immer wieder in den Text, leider erfährt man so erst nach und nach, mit was die Bevölkerung konfrontiert ist und es erschließt sich auch nicht restlos, welcher Art diese Naturkatastrophe sein soll.

Auf der anderen Seite thematisiert sie eine vollkommen unvorstellbare Mutter-Tochter-Beziehung, die in engem Kontext mit den generell brutalen menschlichen Verbindungen in einer kleinen Gemeinschaft steht. Dorthin, wo die Geschichte den Leser trägt, möchte man tatsächlich keinen Fuß hinsetzen. Neid, Missgunst, Rachsucht und die vollkommene Normalität von Verletzten, Sterben oder Töten prägen die Verhaltensweisen innerhalb der Gruppe und machen weder vor Bekannten, noch Familienmitgliedern und erst recht nicht vor Fremden halt. Jeder gegen Jeden – die Furcht vor dem Fremden, die Sehnsucht nach einer besseren Welt, die Verbundenheit mit einer Heimat, die keine mehr ist – Schnittpunkte und wichtige Bausteine des menschlichen Daseins werden hier aufgegriffen und in Kontext zueinander gestellt.

Prinzipiell liest sich der Roman sehr flott, er unterhält, macht neugierig und stellt viele Fragen. Hinzu kommt eine klare Gliederung und ein kontinuierlicher Handlungsverlauf, vor dem Hintergrund der Frage: „Gehen oder Bleiben?“ Dabei bedient sich Helene Bukowski einiger mystischer Symbole, vieler ansprechender Wörter und einer objektiven, zielgerichteten Sprache. Literarisch habe ich deswegen auch kaum etwas daran auszusetzen. Doch dann kommt das leider viel zu große Feld der Möglichkeiten und Spielräume …

Es ist mir einfach nicht gelungen, eine konkrete Aussage zu finden, die Geschichte verwischt immer wieder in ihren Konturen. Zunächst fehlte mir der dystopische Hintergrund, die Bedrohung war da, die Ursachen jedoch unbekannt. Doch sobald ich mich auf die familiäre Beziehung eingelassen hatte, die voller Abschreckung und Brutalität gekennzeichnet ist, schwenkt die Erzählung hin zur Gruppendynamik. Und auch dort nur ein kurzes Verweilen, mehr ein Augenblick in der Gesamtzeit, wieder hin zum Aufbruch in eine neue Welt.


Fazit


Obwohl ich das Buch wirklich ganz gern gelesen habe, konnte mich die inhaltliche Umsetzung der Thematik nicht überzeugen. Deshalb vergebe ich auch nur 3 Sterne, wobei ich 4 für die literarische Arbeit vergeben möchte und 2 für die Idee und ihre Aussagekraft. Möglicherweise kann man den Text als ein modernes Märchen auffassen, denn er hat Symbolkraft, vielleicht findet man Zugang, wenn man sich mit dem Glauben an Unwahrscheinlichkeiten anfreunden kann. So bleibt die Gesamtwirkung hinter meinen Erwartungen zurück. Mir würde der Roman besser gefallen, wenn sich die Autorin auf eine der beiden Möglichkeiten konzentriert hätte. Allein die Mutter-Tochter-Beziehung in ihrer Vielfalt wäre erzählenswert oder auch die Umstände, die diesen Endzeitcharakter festigen und sichtbar machen. Die Autorin werde ich mir aber vormerken, denn eins kann man von „Milchzähne“ voller Überzeugung behaupten: „Ein Roman jenseits der ausgetretenen Wege, irgendwie innovativ.“

Veröffentlicht am 13.04.2019

Die fensterlose Hütte im Wald

Liebes Kind
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„In seiner Wirklichkeit hatte er mich gefragt, ob ich bereit war zu sterben, und ich hatte mich mit einem stummen Nicken einverstanden gezeigt. Ihm meine Erlaubnis erteilt.“


Inhalt


Seit 14 Jahren wird ...

„In seiner Wirklichkeit hatte er mich gefragt, ob ich bereit war zu sterben, und ich hatte mich mit einem stummen Nicken einverstanden gezeigt. Ihm meine Erlaubnis erteilt.“


Inhalt


Seit 14 Jahren wird die damals 23-jährige Studentin Lena Beck vermisst. Ihre Eltern haben die Hoffnung nie aufgegeben, sie eines Tages wiederzufinden. Doch als Lenas Vater Matthias zu einer Schwerverletzten ins Krankenhaus gerufen wird, um sie möglicherweise als seine Tochter zu identifizieren, wird er enttäuscht. Die Fremde hat ein Martyrium in einer einsamen, fensterlosen Hütte im Wald hinter sich, dem sie nur mit Mühe und Gewalt entkommen konnte. Mit ihr geflohen ist ein 13-jähriges Mädchen, angeblich ihre Tochter Hannah, doch diese sieht Lena frappierend ähnlich und wird mittels DNA-Test auch als Kind der Vermissten anerkannt. Für Matthias stellt sich nun die bange Frage, was aus seiner Tochter wirklich geworden ist, wenn die Misshandelte behauptet, Lena zu sein und doch eine ganz andere ist …


Meinung


Dieses Thriller-Debüt der Münchner Autorin Romy Hausmann ist eine Wucht und vereint alles, was ein grandioser Spannungsroman haben muss. Zunächst fällt eine ungewöhnliche Aufteilung der Protagonisten auf, denn hier spricht nicht nur die Gefangene selbst, sondern auch ein schwer gestörtes Kind und ein psychisch labiler, verzweifelter Vater – und jeder öffnet für den Leser eine andere Tür, um ihn am Höllenszenario in der Hütte teilhaben zu lassen. Äußerst geschickt wechselt die Autorin nicht nur die Erzählstimme, sondern auch die Zeitebene.

Während man manchmal direkt in der Hütte mit dem ausfallenden Zirkulationsapparat, der für die Frischluft verantwortlich ist, auf ein grausames Ende einer rekrutierten Zwangsfamilie wartet, liest man im nächsten Moment die sensationslüsternen Zeitungsartikel über ein angebliches Partygirl, welches sich mit dem falschen Mann eingelassen hat.

Darüber hinaus fesselt aber gerade die gegenwärtige Situation, einer schwer traumatisierten jungen Frau und zweier ebenso beschädigten Kinderseelen, die sich nun in einem Alltag jenseits ihres fensterlosen Zuhauses zurechtfinden müssen. Jede Seite bringt neue Erkenntnisse und macht den Leser auf die Entwicklung neugierig.

Der eigentlich perfekte Schachzug dieses Buches ist jedoch die sich immer mehr verdichtende Möglichkeit, dass der Täter gar nicht tot ist. Vielleicht ist ihm die Flucht gelungen, vielleicht will er seine perfekte kleine Familie zurückhaben und sinnt auf eine Möglichkeit erneut in deren Leben zu treten. Und warum gibt die falsche „Lena“ immer wieder Unwahrheiten kund? Wer schützt hier wen und wovor? Kluge, aufregende Unterhaltungsliteratur, die tiefe Ängste hervorruft und ein Lügengeflecht aufbaut, bei dem sich jeder fragt, was der andere verbirgt.


Fazit


Dieser Thriller spielt in der ganz großen Liga mit und konnte mich auf Anhieb überzeugen, deshalb vergebe ich begeisterte 5 Lesesterne. Definitiv eine neue Richtung und diverse Highlights, die immer genau im richtigen Moment gezündet werden. Dennoch spielt die Handlung mehr auf psychologischer Ebene, sie beschreibt traumatisierte Menschen jeder Altersklasse, sie ruft Beklemmung und Bestürzung hervor und agiert weniger mit wilden Mutmaßungen, als vielmehr mit bitteren Wahrheiten.

Seit langer Zeit hat mich ein Thriller wieder einmal derart ausgiebig gefesselt. Es gelingt dem Text, dass er in Erinnerung bleibt, dass man auch nach der Lektüre noch darüber nachsinnt und sich in die Beweggründe aller Beteiligten hineinversetzen möchte. Durch eine Empfehlung bin ich überhaupt erst auf das Buch aufmerksam geworden, wie gut, dass es immer wieder Überraschungen gibt. Auf weitere Bücher der Autorin bin ich sehr gespannt, ein echtes New-Comer-Talent!

Veröffentlicht am 01.04.2019

Lebensglück im Rückblick

Die Angehörigen
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„Hinsichtlich eines lebenden Menschen konnte man die Fantasie schweifen lassen, im Falle eines verstorbenen Menschen war jedoch alles abgeschlossen. Was sich zwischen dem Toten und einem selbst zugetragen ...

„Hinsichtlich eines lebenden Menschen konnte man die Fantasie schweifen lassen, im Falle eines verstorbenen Menschen war jedoch alles abgeschlossen. Was sich zwischen dem Toten und einem selbst zugetragen hatte, spielte in Gegenwart und Zukunft keine Rolle mehr.“


Inhalt


Gene und Ed sind seit ihren Jugendtagen dicke Freunde, sie haben sich nie aus den Augen verloren und sind gemeinsam mit ihren Frauen gealtert, haben viele Urlaube miteinander verbracht und behandeln die Kinder des jeweils anderen Paares wie ihre eigenen. Doch nun ist Genes Frau Maida plötzlich verstorben, die erste von ihnen, die nun nicht mehr zum eingeschworenen Team gehört. Und dadurch verändert sich unwillkürlich die bestehende Bande, denn Gene merkt, dass Maida ein ganz wesentlicher Bestandteil seines eigenen Ichs war und sich sein Leben ohne die geliebte Frau nun ändern wird. Doch nicht nur das, er beginnt auch seine Vergangenheit zu hinterfragen und bemerkt, dass er niemals zu dem Mann geworden wäre, der er jetzt ist, wenn die Weichen seines Lebens in jungen Jahren anders verlaufen wären. Doch das Alter nimmt keine Rücksicht aus Sentimentalitäten, Gene muss sich mit seiner Gegenwart arrangieren und mit den Erinnerungen aussöhnen …


Meinung


Auf den Debütroman der kalifornischen Autorin Katharine Dion war ich sehr gespannt, nicht nur weil ich mir eine tiefgreifende, melancholische Geschichte erhofft hatte, sondern in erster Linie einen Familienroman, der die Kraft der Zuwendung durch geliebte Menschen gerade in schweren Zeiten thematisiert. Auf die Angehörigen und ihren Einfluss, auf die Verarbeitung eines schweren Verlusts und möglicherweise auch auf schwarze Stellen in der Vergangenheit war ich eingestellt, doch leider konzentriert sich dieser zeitgenössische Roman auf ganz andere Sachverhalte, die er darüber hinaus auch nur willkürlich aufgreift und sie wie Momentaufnahmen skizziert.

Die große Unbekannte ist hier nicht die Ehe oder die Liebe zwischen Gene und Maida, nein es ist der Lebensverlauf eines gealterten Mannes, der plötzlich seine ganze Vergangenheit in Frage stellt und sich pessimistisch auf ein Leben in Einsamkeit einstellt – eine Entwicklung, der die anderen Menschen in diesem Buch fast gar nichts entgegensetzen können, die sich auch ohne sie vollzogen hätte und nicht minder schnell verlaufen wäre.

Auch die Charakterisierung der Protagonisten lässt zu wünschen übrig, erscheinen sie doch alle nicht nur blass, sondern regelrecht abgestumpft. Gene, der sich kurz nach der Trauerfeier in eine Affäre mit der Haushälterin rettet, Dary die ewig einsame, alleinerziehende Mutter und Ed, der dem Vergessen nichts entgegenzusetzen weiß.

Ein prinzipiell philosophisches Thema verliert sich hier zwischen dem Irgendwo und dem Nirgendwo – aber auf keiner Buchseite fühlte ich mich einem der Protagonisten wirklich nahe. Sowohl die Grundidee als auch die sprachliche Umsetzung haben mir gefallen, einige Textpassagen fand ich ausgesprochen gelungen, nur die Handlung folgt keiner klaren Ausrichtung. Zunächst eine Männerfreundschaft, die durch die Frauen bereichert wird, dann ein turbulentes Familienleben mit den Kleinkinder, letztlich zwei Familien, die sich nicht viel zu sagen haben, weder zwischen den Paaren noch in der Interaktion mit den Kindern, alle Kraft, alles Leben steht nun hintenan und verzweifelt begibt man sich auf die Suche nach dem Lebensglück im Rückblick.


Fazit


Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen Roman über das Glück, die Zeit der Erinnerung und die Aussöhnung mit der gelebten Version einer Wunschvorstellung. Irgendwie gehen hier die Ansätze ins Leere, sie zeigen immer nur kurz die Einblicke und stagnieren dann wieder. Dieses willkürliche Verschieben des Grundthemas hat mich ziemlich gestört - ich konnte einfach nicht finden, was ich gesucht habe. Deswegen bin ich gerade von diesem Buch auch ziemlich enttäuscht, denn normalerweise sind es genau die hier angerissenen existentiellen Fragen, die mich persönlich ansprechen, doch vermögen es der resümierende Gene und seine wenigen Vertrauten nicht, mir den Mehrwert der Geschichte zu verkaufen. Prädikat: Nicht so gut, wie erwartet.

Veröffentlicht am 31.03.2019

Die unerschütterliche Verbindlichkeit einer Beziehung

Der Wald
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„Sie hat schon zu viel verloren und weiß, dass es keine Sicherheit mehr gibt. Alles, was wir wirklich wissen, ist das, was der gegenwärtige Moment enthält. Sie muss sich selbst vor der Zukunft schützen ...

„Sie hat schon zu viel verloren und weiß, dass es keine Sicherheit mehr gibt. Alles, was wir wirklich wissen, ist das, was der gegenwärtige Moment enthält. Sie muss sich selbst vor der Zukunft schützen und vor dem, was sie am Ende bringen könnte.“


Inhalt


Pawel wächst in gutbürgerlichen Verhältnissen in Warschau auf und ist durchaus privilegiert, was Bildung und Wohnort anbelangt, doch der Krieg rückt immer näher, der Vater ist im Widerstand gegen den Nationalsozialismus unterwegs, die Mutter und Großmutter rücken zusammen, der Junge merkt, dass sein heiles Leben jeden Moment auseinanderbrechen könnte. Als sein Vater Karol schließlich einen schwer verletzen britischen Soldaten mit nach Hause bringt, hoffen sie nur noch auf das Glück, nicht entdeckt zu werden und als Vaterlandsverräter hingestellt zu werden. Doch bald bleibt ihnen kein Ausweg mehr: Pawel und seine Mutter Zofia, die er abgöttisch liebt, müssen gemeinsam in einer Scheune leben, verborgen im Wald, während Karol immer wieder abtaucht und sie vor der Öffentlichkeit versteckt. Viele Jahre später, der Krieg ist längst vorüber, leben Mutter und Sohn in Großbritannien und immer noch verbindet sie ein gemeinsamer Erfahrungsschatz. Doch so sehr sie sich auch bemühen, die Verbindlichkeit und Verpflichtung, die ihre enge Beziehung geprägt hat, wird nun erneut auf eine harte Probe gestellt.


Meinung


Nachdem ich im bereits „Die Farbe von Milch“ der englischen Autorin Nell Leyshon gelesen habe, war ich sehr gespannt auf den neuen Roman aus ihrer Feder, zumal mich hier sowohl der Schauplatz als auch die Hintergründe des Krieges, die dieses Buch verspricht, sehr angesprochen haben. Mir hat es auch um einiges besser gefallen, als der Vorgänger, obwohl sich beide Geschichten nur schwer miteinander vergleichen lassen und auch im Schreibstil nicht erkenntlich ist, dass sie von ein und derselben Person verfasst wurden.


Grundlegend unterteilt Nell Leyshon ihr Buch in drei große Abschnitte, die Zeit während des Krieges, in der sich die Familie Palinski noch in ihrem häuslichen Umfeld aufhält, die Zeit im Wald, die sich auf das Überleben einer Kleinstgruppe konzentriert und letztlich die Gestaltung der Gegenwart mit verdrehten Rollen, denn nun ist die Mutter gealtert und auf die Hilfe ihres Sohnes angewiesen. Während mir die ersten beiden Abschnitte richtig gut gefallen haben, nimmt der letzte einen doch entscheidenden Stellenwert ein, entfernt sich aber sehr von der ursprünglichen Geschichte. Die Gegenwartshandlung hat dann auch nicht meine Erwartungshaltung an das Buch erfüllt und bietet wenig Parallelen zum Titel und der Ausgangssituation.


Das Hauptaugenmerk dieser Geschichte beruht auf der Betrachtung einer Mutter-Sohn-Beziehung, die sich nicht nur auf eine bestimmte Lebensperiode konzentriert sondern sehr detailliert und umfassend die Gefühle der Beteiligten aufgreift und sich mit den Veränderungen innerhalb des Gefüges und der Zeit beschäftigt. Dabei wechselt auch das Verständnis des Lesers für die Emotionen der beiden Hauptprotagonisten. Während in Pawels Kindheit ersichtlich wird, dass sich der Sohn noch viel mehr um die Liebe seiner Mutter bemüht hat, diese aber nur partiell dazu im Stande war, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erfüllen, zeigt sich, das in Pawels Erwachsenenleben nach wie vor eine Kluft zwischen den mütterlichen Bedürfnisse und denen des Sohnes klafft. Fast scheint es, als ob beide Parteien einander mehr Verantwortungsgefühl schenken als wahre Zuneigung und dieser Umstand erfüllt mich doch mit einer gewissen Traurigkeit, die allerdings mit dem Kriegsausbruch und seinen Folgen überhaupt nichts zu tun hat.


Der Schreibstil ist sehr unaufgeregt, eher still und eindringlich. Er verbreitet keine Dramen, keinen übertriebenen Aktionismus, sondern vielmehr die Entwicklung zweier Charaktere, die beide Kinder ihrer Zeit sind, die sich binden und lösen müssen, Hoffnungen begraben und Träume nicht verwirklichen können. Doch auch die neue Zeit bringt Herausforderungen, denen nicht jeder in gleichem Maße gewachsen ist.


Die Schwermut einerseits und der Wille zur Herausforderung andererseits sind auf jeder Seite spürbar, das macht die Erzählung sehr einheitlich und wirkungsvoll. Und obwohl die Distanz zwischen den echten Gefühlen und den erfolgten Taten doch sehr groß ist, empfinde ich diesen Roman auch als eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Thematik unerschütterlicher Verbindlichkeiten zwischen Kindern und Eltern. Füreinander da sein, sich um den anderen bemühen, aufeinander zugehen, miteinander entscheiden – alles ist möglich, wenn die Beteiligten auch einmal von ihren höchstpersönlichen Wünschen zurücktreten, um allen ein erträglichen Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Nell Leyshon bringt diese Kluft zwischen den egoistischen Wünschen eines Individuums und den auf Liebe basierenden Verzicht für einen anderen Menschen direkt und schnörkellos auf den Punkt. Auch wenn wir nicht alles verwirklichen können, was wir uns wünschen, so bleibt doch die Möglichkeit miteinander einen Teil des Weges zu gehen.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen nachdenklich stimmenden Roman über Mütter, Söhne und den Verlauf des Lebens ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten Einzelner. Die versprochene Geschichte habe ich aber nicht ganz gefunden, gerade die Episode des Krieges kam mir eindeutig zu kurz und scheint nur der äußere Rahmen zu sein, da habe ich mir im Vorfeld mehr historische Gegebenheiten erhofft. Empfehlenswert ist dieser zeitgenössische Roman für Leser, die sich mit einem vielschichtigen Beziehungsgeflecht auseinandersetzen möchten und die Einblicke in Eltern-Kind-Beziehungen wünschen. Zum Nachdenken regt das Buch an – besonders in Hinblick auf den Umgang mit Menschlichkeit, Verantwortung und Selbstverwirklichung. Mir hat es gut gefallen.