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Veröffentlicht am 23.01.2019

Wem kannst du vertrauen?

Alles, was du fürchtest
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"Wieder das Geräusch. Es kam von der Tür, die in den Keller führte. Sie öffnete die Tür, und da stand Alan und streckte ihr die Hände entgegen.“


Inhalt


Nachdem Kate Priddy Opfer eines gewalttätigen ...

"Wieder das Geräusch. Es kam von der Tür, die in den Keller führte. Sie öffnete die Tür, und da stand Alan und streckte ihr die Hände entgegen.“


Inhalt


Nachdem Kate Priddy Opfer eines gewalttätigen Freundes geworden ist, der sie traumatisierte, leidet sie unter Panikattacken und fühlt sich in jeder Lebenssituation bedrängt. Immer rechnet sie mit dem Schlimmsten und versucht nun einen Neuanfang in Boston zu wagen. Ihr Cousin Corbin hat ihr einen Wohnungstausch angeboten, der es ihr ermöglicht, die Enge ihrer Londoner Wohnung hinter sich zu lassen und sich stattdessen im geräumigen Appartement des Verwandten einzurichten. Aber an dem Tag, als sie ihr neues Domizil bezieht, wird bekannt, dass ihre jetzige Nachbarin zum Mordopfer geworden ist. Und als sich kurz nach ihrer Ankunft der gutaussehende Alan, der ebenfalls im Gebäudekomplex lebt, um die Bekanntschaft mit ihr bemüht, bleibt Kate ein Nervenbündel. Sie weiß einfach nicht, wem sie vertrauen kann und wer es nicht gut mit ihr meint. Für die Polizei rückt wenig später auch noch ihr Cousin Corbin ins Visier der Ermittlungen, so das Kate auf eigene Faust Recherchen durchführt. Wenig später entdeckt sie Fotos von Frauenleichen im Keller, die ganz genauso ermordet wurden, wie die Nachbarin. Für Kate ist es eindeutig: diesmal wird sie nicht mit dem Leben davonkommen …


Meinung


Der amerikanische Autor Peter Swanson hat sich bereits mit mehreren Spannungsromanen einen Namen gemacht und wird von der Presse für sein rasantes Tempo und die unvorhersehbaren Wendungen in seinen Thrillern gelobt. Dieses Buch ist mein erstes aus der Feder des Autors und ich habe mich auf psychologisch spannende Lesestunden mit dem entsprechenden Nervenkitzel gefreut. Leider gelingt es dem Autor nicht, mich von seinem Werk zu begeistern, gerade im Genre der Psychothriller ist diese Erzählung doch eine schwächere, der es an Überraschungsmomenten und einer gewissen Logik fehlt.

Zunächst einmal kommt die Geschichte mit einer überschaubaren Handlung daher, nur wenige Protagonisten, alle werden ausführlich und detailliert beschrieben, so dass sie eine gewisse Rolle spielen und diese auch begleiten. Intensiv geht Swanson auf Kates Nervosität ein, auf Corbins zu Gewaltausbrüchen neigenden Charakter ebenso wie auf Alans Unvermögen direkten Kontakt zwischen sich und seiner Angebeteten herzustellen. Stilistisch nutzt der Autor dazu wechselnde Erzählperspektiven, die jeden der handelnden Personen zu Wort kommen lassen. Dadurch entsteht ein objektiver, weitsichtiger Blick des Lesers auf das Geschehen, weil man immer mehr weiß, als die Betroffenen selbst – dieses Element hat mir zugesagt und die Lektüre über weite Strecken abwechslungsreich und interessant gestaltet.

Die Charaktere selbst strapazierten allerdings meine Nerven. Nicht nur, dass es die stets wiederkehrenden Handlungen von ihnen sind, die der Geschichte den Wind aus den Segeln nehmen, nein es sind allesamt sehr fragwürdige, nicht wirklich lebensechte Figuren, die hier ein ebenso ungewöhnliches wie anstrengendes Miteinander führen. Gerade für die Hauptprotagonistin fehlte mir definitiv das Verständnis, denn obwohl sie doch kaum aus der eigenen Haut kann und von ihren Panikattacken dominiert wird, begibt sie sich wissentlich und vollkommen unerschrocken immer wieder in Gefahrensituationen. Verschreckt und leichtgläubig – keine direkt glaubwürdige Charakterkombination. Ein weiteres Manko des Thrillers ist die viel zu frühe Bekanntgabe der eigentlich elementaren Wendung im Handlungsverlauf. Der Autor schafft es doch tatsächlich, bei knapp der Hälfte des Buches die Auflösung zu präsentieren und es kommt danach auch kein nennenswerter Wandel. Stattdessen katapultiert er den Leser nun in den Kopf des Mörders und beschreibt aus allen Facetten die Beweggründe und Motive in der verqueren Denkweise eines Serienkillers. Gerade dieser Schachzug hat mir die Lesefreude vergällt, insbesondere weil Vieles so banal so ohne schwerwiegenden Grund passiert.


Fazit


Ich vergebe 3 Lesesterne für einen gut lesbaren, lockeren Thriller, dem es allerdings an Spannung und Logik fehlt. Inhaltlich ist es mal eine andere, nicht so vorhersehbare Situation, die auch mit wenig Blut und Schockelementen auskommt. Doch die psychologische Komponente wird nicht so deutlich, wie erhofft. Mein Urteil: Kann man lesen, muss man aber nicht. Die angerissene Thematik über Stalking hat mir gut gefallen und ich hätte mir gewünscht, dass dieses Phänomen, andere aus der direkten Nähe zu beobachten, ohne selbst unter Beobachtung zu stehen ausführlicher beleuchtet wird – doch auch das verläuft irgendwie im Sand. Schade, hier bleiben die guten Ansätze im Keim stecken und münden in einen mittelmäßigen Roman, der mir nur wenig Gänsehautmomente beschert hat.

Veröffentlicht am 09.01.2019

Zwei Leiber - ein Leben

Einsame Schwestern
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„Das Schreiben ist wie ein Spiel, man spricht von sich, als wäre man jemand anderes. Jedoch wie alle Spiele ist auch dieses Spiel nur Schein. Hört man damit auf, hat man das gleiche Problem vor sich wie ...

„Das Schreiben ist wie ein Spiel, man spricht von sich, als wäre man jemand anderes. Jedoch wie alle Spiele ist auch dieses Spiel nur Schein. Hört man damit auf, hat man das gleiche Problem vor sich wie zu Beginn, ein Problem, dem man nicht entkommen kann und das den Namen Leben trägt, das glücklose Leben von Lina und Diana.“


Inhalt


Lina und Diana haben es geschafft, im Verborgenen aufzuwachsen und vor den Blicken jeglicher Fremder geschützt zu bleiben. Ihre Großmutter, hat sich um die Erziehung der siamesischen Zwillinge gekümmert und sie zu Hause unterrichtet. Doch nun stirbt diese einzige Bezugsperson und die beiden 17-jährigen Mädchen sind auf sich allein gestellt. Ein Hochwasser wird ihnen zum Verhängnis, weil sie ihm nicht entkommen können und so landen sie auf der Krankenstation eines öffentlichen Krankenhauses. Plötzlich stehen sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und müssen sich mit wildfremden Menschen arrangieren. Ihr weiterer Verbleib ohne Verwandte ist ungewiss und sie werden in die Obhut eines Zirkus gegeben, der sich bereiterklärt für Kost und Logis zu sorgen, wenn sich die Mädchen an Auftritten beteiligen. Und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich in die neue Situation einzufinden: herausgeputzt, gedrillt und zur Schau gestellt – so gestaltet sich ihre nähere Zukunft. Ihr einziger Lichtblick ist das Tagebuch schreiben und der Zauberer Sascha, der ihnen ein bisschen Zuneigung schenkt. Doch zu spät erkennen sie, das auch diese Aufmunterung ihren Preis hat.


Meinung


Aufmerksam geworden bin ich auf diesen Roman durch die begeisterten Leserstimmen, die ich mit großem Interesse verfolgt habe und so habe ich mir den Debütroman der georgischen Autorin Ekaterine Togonidze zur Hand genommen, um selbst von dem berührendem Schicksal der beiden Mädchen zu lesen, die sich von der Taille abwärts einen Körper teilen.

Auch mich konnte die Geschichte auf ganzer Linie überzeugen, weil es ihr gelingt nicht nur das normale Leid siamesischer Zwillinge aufzugreifen, die sich ihr Lebtag lang einen Körper teilen müssen und trotz verschiedener Charaktere und unterschiedlicher Vorlieben alles gemeinsam machen müssen, sondern auch weil sie den gesellschaftlichen Aspekt dieser „Rarität“ so schonungslos und bitter in den Fokus der Erzählung rückt.

Interessant ist auch der literarische Schachzug, beide Mädchen in Form von Tagebucheinträgen zu Wort kommen zu lassen. Dabei wird sehr realistisch beschrieben, wie verschieden die zwei wirklich sind, wie viele Kompromisse sie ertragen müssen, um durch jeden Tag zu kommen. Lina, die offenere, lebensbejahende, versucht alles mit Emotionen zu erfassen, sie schreibt Gedichte, glaubt an die große Liebe und singt gerne Lieder. Diana ist viel pragmatischer, sie zweifelt mehr, hinterfragt die Dinge und sieht eher das Problem in der Entwicklung als die Chance. Dennoch brauchen beide einander, als wären sie nur ein Mensch, die eine kann ohne die andere nicht existieren.

Besonders traurig und erschütternd wird das Schicksal der beiden durch die Tatsache, dass ihr leiblicher Vater nicht von ihrer Existenz wusste, oder diese nur durch Gerüchte bestätigt hörte, denen er natürlich aus Selbstschutz keinen Glauben schenkte. Wer will schon der Vater eines Monsters sein? Erst nach ihrem Tod, wird er durch die Behörden ausfindig gemacht und mittels DNA-Test wird die Richtigkeit der Behauptung untermauert. Für Rostom Mortschiladze, der bisher ein unscheinbares Leben führte, wird dieses Wissen zur bitteren Wahrheit. Für ihn, der er damals die Mutter der beiden hat sitzenlassen, für ihn der nicht einen Tag an die mögliche Existenz der beiden glaubte, bleibt nun nur noch die Aufgabe für die Beerdigung seiner Töchter zu sorgen. Gerade dieser interfamiliäre Konflikt war es, der mich so berührt hat. Zeigt er doch, welche Sicht die Öffentlichkeit auf Behinderungen jeglicher Art hat. Welcher Makel auch die Angehörigen trifft, welch schiefe Blicke ihnen zugeworfen werden und wie einfach es ist, dem wahren Leben den Rücken zu kehren und sich Nichtwissen als Schutzschild zuzulegen.


Fazit


Hier kann ich nur volle 5 Lesesterne vergeben, denn auf wenigen Seiten vermag es die Autorin nicht nur ein Einzelschicksal glaubwürdig zu schildern, nicht nur zwei junge Menschen in ihrer gänzlichen Verzweiflung zu charakterisieren, sondern zusätzlich noch den Wert der Zuneigung und Liebe bzw. deren komplette Abwesenheit zu offenbaren. Die Erzählung ist emotional aber nicht rührselig, die Botschaft wird klar transferiert und ist doch nur zwischen den Zeilen zu finden. Der Nachklang und die folgende Auseinandersetzung des Lesers mit der angeschnittenen Thematik sind allerdings immens. Immer wieder gibt es Aspekte, die man aufgreifen kann, jede Perspektive hat ein Für und Wieder und am Ende bleibt trotzdem nur die schnöde, willkürliche Existenz eines bitteren Lebens – wunderbar umgesetzt und absolut empfehlenswert, für alle die einmal mehr darüber nachdenken möchten, was das Menschsein eigentlich ausmacht.

Veröffentlicht am 08.01.2019

Wenn die Familie verlorengeht

Grenzgänger
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„Was hast du getan? Das war das Gewicht, das mit einer solchen Wucht auf ihrer inneren Waage aufschlug, dass es das angesparte Referenzgewicht endgültig aushebelte.“


Inhalt


Im Jahre 1970 muss Henni ...

„Was hast du getan? Das war das Gewicht, das mit einer solchen Wucht auf ihrer inneren Waage aufschlug, dass es das angesparte Referenzgewicht endgültig aushebelte.“


Inhalt


Im Jahre 1970 muss Henni Bernhard einen Prozess über sich ergehen lassen, in dem sie der Tötungsdelikte an ihrem Vater und einer Schwester aus dem Kinderheim bezichtigt wird. Ihr beharrliches Schweigen spricht leider nicht für ihre Unschuld, ebenso wenig wie das fehlende Alibi. Nur ihr Mann und die Freundin aus Jugendtagen Elsa Brennecke sind davon überzeugt, dass Henni keine Schuld trifft. Stück für Stück legen sie Teile der Wahrheit frei, befassen sich mit den reellen Bedrängnissen der Vergangenheit und decken verjährte Untaten auf, doch Recht und Gerechtigkeit sind vor dem Gesetz verschiedenen Begriffe …


Meinung


Voller Vorfreude habe ich mir den aktuellen Roman der deutschen Autorin Mechtild Borrmann zugelegt, die mich bereits mit ihrem historischen Kriminalroman „Trümmerkind“ von ihrem schriftstellerischen Können überzeugt hat. Auch in „Grenzgänger“ greift sie auf tatsächliche Begebenheiten aus der jüngeren Deutschen Geschichte zurück, die menschenverachtende Erziehungsmethoden in Kinderheimen thematisieren. Auf hoch interessante Art und Weise kombiniert sie einen bewegenden persönlichen Erfahrungsbericht mit fiktiven Elementen, die dennoch sehr nah an schockierenden Wahrheiten bleiben.


Ungewöhnlich ist jedoch die verwendete Erzählperspektive, die diverse Personen als Beobachter und Betroffene gleichermaßen auftreten lässt. Einerseits entsteht dadurch eine bunte Vielfalt, die den echten Vorbildern der Geschichte gerecht wird, andererseits hat mir diese Interaktion nicht 100 prozentig gefallen. Henni Bernhard, geborene Schöning, war für mich die leuchtende Protagonistin, deren Verhalten bewundernswert und unverständlich gleichermaßen war, doch sie kommt hier nicht ausreichend zu Wort. Die Innensicht dieser kämpferischen, jungen Frau bleibt etwas unbestimmt und ist für mich nicht flächendeckend greifbar, deshalb ziehe ich auch einen Bewertungspunkt ab.


Was die Erzählung allerdings bestens vermag, ist die zielgerichtete, intensive Auseinandersetzung zwischen Schicksalsergebenheit, Lebensmut, Widerstandskraft und menschlichen Verfehlungen. Dabei steht sowohl der Kampf um Gerechtigkeit als auch der Verlust der Unbeschwertheit im Zentrum der Story– manchmal überwiegt der Schmerz, dann wieder die Zuversicht aber immer die Liebe zur Wahrheit.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen historisch angelehnten Aufarbeitungsroman über die Zwänge und Notstände in Kinderheimen, über elterliches Unvermögen, fehlende Zuneigung und dramatische Ereignisse ohne direkte Schuldige. Für Betroffene eine emotionale Fundgrube, für Interessierte ein Stück Zeitgeschichte, für alle anderen ein perspektivenreiches Lesevergnügen. Frau Borrmann hat den Finger sehr genau auf dem Herzen ihrer Erzählungen und das gefällt mir ausgesprochen gut, weitere Romane der Autorin sind von mir geplant.

Veröffentlicht am 08.01.2019

Zurückgekehrt ist nicht der Deine

Die Frau, die liebte
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„Sie sah, wie sie hilflos auf einer großen Welle der Missverständnisse und verfehlten Gelegenheiten nach vorn getragen wurde und im Begriff war, eine noch größere Sünde zu begehen als die, vor der sie ...

„Sie sah, wie sie hilflos auf einer großen Welle der Missverständnisse und verfehlten Gelegenheiten nach vorn getragen wurde und im Begriff war, eine noch größere Sünde zu begehen als die, vor der sie sich gefürchtet hatte.“


Inhalt

Bertrande de Rols wird bereits als Kind mit Martin Guerre verheiratet, weil die Eltern diese Verbindung gutheißen und sich davon Sicherheit und Wohlstand erhoffen. Sie hat das große Glück, sich sowohl mit ihren Schwiegereltern als auch mit dem Gemahl immer besser zu verstehen. Tatsächlich wird aus der Zweckverbindung eine große Liebesbeziehung, die bald schon mit einem gemeinsamen Kind gekrönt wird. Doch der junge Martin möchte selbstständig handeln und sich nicht mehr hinter die Wünsche und Vorhaben seines Vaters stellen. Eigenmächtig trifft er Entscheidungen, zu denen er nicht befugt ist und bespricht mit seiner Frau, dass er nun zumindest für eine Weile dem elterlichen Hof den Rücken kehren wird, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Bertrande verschweigt ihr Mitwissen und wartet sehnsüchtig auf Martins Rückkehr.

Doch die Jahre vergehen und aus Hoffnung wird Betrübnis, allein muss sie nun den Sohn großziehen und ihr Geliebter ist wahrscheinlich im Kampf gefallen. Als schließlich der Hausherr verstirbt, kehrt plötzlich und unerwartet Martin zurück, merklich gealtert aber voller Elan an der Fortführung seines Haushalts. Mit offenen Armen wird der Zurückgekehrte empfangen, nur Bertrande beschleichen immer wieder Zweifel. Sie erkennt den Mann nicht wieder, ist sich unsicher, ob er es wirklich ist und bringt schließlich mit einer initiierten Gerichtsverhandlung den Stein ins Rollen. Und während die Richter sich alle Zeugenaussagen anhören, wird Bertrande klar, dass jedes Urteil in diesem Fall ihr persönlicher Untergang sein wird …


Meinung


Die 1998 verstorbene amerikanische Autorin Janet Lewis greift in diesem Roman einen der berühmtesten Rechtsfälle Frankreichs auf und beleuchtet mit einer fiktiven Geschichte die historischen Überlieferungen. Ein sehr gelungener Mix, der trotz seiner Unglaublichkeit in den Bann zieht. Bertrande de Rols wird dabei als eine starke, entscheidungsfreudige Frau dargestellt, die mit aller Macht an das Gute und an die Liebe glaubt, sukzessive wird dieses Urvertrauen jedoch unterwandert und aus der hoffnungsfrohen jungen Frau wird eine leidgeplagte Mittdreißigerin, die ihren Wünschen und Sehnsüchten nichts zu geben vermag. Die Autorin schafft genau die richtige Basis, damit der Leser sich der Protagonistin entsprechend nahe fühlt, und sich mit Tiefe und Empathie in deren Leben einfühlen kann.


Umso spektakulärer und erschütternder ist nun der Fortgang der Handlung, denn als gottgläubige Frau, die ihrem Gemahl treu ergeben ist, wäre ein Ehebruch eine Sünde und dann auch noch eine selbstverschuldete, da sie den neuen Mann zunächst durchaus willig aufgenommen hat und mit ihm ein weiteres Kind zeugte. Die Seelenqualen und Zweifel der jungen Frau sind spürbar und konsequent, so dass man sich als Leser tatsächlich eine Aufklärung erhofft.


Das besondere an dieser Erzählung ist die Perspektive, die der Leser einnimmt, denn obwohl man sehr genau die Zerrissenheit der jungen Frau wahrnimmt, bleibt das tatsächliche Verschwinden des Martin Guerre ziemlich schwammig. Mir drängte sich stark die Frage auf: „Warum ist er so lange fortgeblieben?“ oder „War es wirklich nur die Angst vor dem Zorn des Vaters, die ihn aufgehalten hat?“ vielleicht auch nur „Warum hat er Frau und Sohn, für die er doch starke Gefühle hegte, so ohne weiteres verlassen?“. Und da diese Hintergründe bis zum Schluss ungeklärt bleiben, komme ich nicht umhin, eine eher negative persönliche Meinung über Martin Guerre zu haben. Und auch das Ende lässt mich betrübt zurück, kann man doch davon ausgehen, dass die Liebe der Bertrande de Rols einfach nicht reichte, um Bestand zu haben.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen höchst interessanten, dramatischen, historisch inspirierten Roman, der sich minutiös mit Gewissensfragen einer geplagten Seele beschäftigt. Der empathisch und ehrlich erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man die eigene feste Überzeugung ziehen lassen muss und sich mit bitteren Wahrheiten konfrontiert sieht. Ein kleines, feines Büchlein für schöne Lesestunden, welches zu Fragen über den Bestand der Liebe anregt, über den willkürlichen Verlauf des Schicksals und die Kraft der Wahrheit. Ich kann es getrost weiterempfehlen, es hat mir gut gefallen, sowohl was den Unterhaltungswert anbelangt als auch die erzählerische Dichte.

Veröffentlicht am 07.01.2019

Die Liebe, der Verrat, das Unvermögen

Stella
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„Aus der Entfernung hatten die Deutschen groß gewirkt, aus der Nähe wirkten sie so klein wie ich. Groß waren nur die Kulissen, die Fahnen vor allem. Die deutschen Fahnen waren sehr groß. Ich nahm mir vor, ...

„Aus der Entfernung hatten die Deutschen groß gewirkt, aus der Nähe wirkten sie so klein wie ich. Groß waren nur die Kulissen, die Fahnen vor allem. Die deutschen Fahnen waren sehr groß. Ich nahm mir vor, bald weiterzureisen.“


Inhalt


Friedrich ist Schweizer und nimmt sich entgegen jeder Vernunft vor, im Jahre 1942 die Heimat zu verlassen und sich ins Zentrum Deutschlands, in die Großstadt Berlin zu begeben. Sein familiäres Zuhause hält ihn nicht, denn die Ehe seiner Eltern ist schon viele Jahre zerrüttet, die Mutter ist Künstlerin und darüber hinaus Alkoholikerin, der Vater schwimmt zwar in Geld, lebt aber sein ganz eigenes, irgendwie weltfremdes Leben.

Schon kurz nach seiner Ankunft trifft Friedrich in einer Kunstschule eine junge Frau, die sich an seine Fersen heftet. Sie heißt Kristin und symbolisiert für ihn das blühende Leben, die so lang ersehnte Freiheit. Nicht nur ihr einnehmendes Wesen und die unkomplizierte Art imponieren ihm, nein auch ihr Mut, ihre Raffinesse, ihr Esprit – all jene Charaktereigenschaften, die ihm zu fehlen scheinen. Und aus Kristin und ihm wird ein Liebespaar.

Wenig später aber ist sie verschwunden und steht kurz darauf mit geschorenen Haaren, blauen Flecken und Tränen in den Augen vor ihm, um zu gestehen, dass sie eigentlich Stella heißt, eine Jüdin ist und sich gezwungen sieht für die Gestapo zu arbeiten, wenn sie sich selbst und das Leben ihrer Eltern retten will. Friedrich ist mit dem Geständnis überfordert, denn ihn stört zwar nicht die eingestandene Lüge aber doch, die nun drohende Alltagssituation. Immer wieder verschwindet Stella, geht ihren Aufträgen nach, lässt ihn auflaufen und entzieht sich mehr und mehr seinem Einfluss. Sein Unvermögen gegenüber der neuen Entwicklung treibt Friedrich zur Verzweiflung und ihm wird immer deutlicher bewusst, dass er die Gegenwart nicht mehr ertragen kann, das es eine Zukunft mit der Frau seiner Träume nicht geben wird und das es an ihm selbst ist, sein Leben zu ändern …


Meinung


Meine Erwartungshaltung an diesen Roman war sehr hoch, zum einen weil ich mich vom Schreibstil und der literarischen Umsetzung des Autors bereits in seinem Vorgängerroman „Der Club“ überzeugen konnte, zum anderen weil ich mit Vorliebe Literatur mit dem Handlungsschwerpunkt Nationalsozialismus bzw. Zweiter Weltkrieg lese und da schon sehr oft wahre Perlen gefunden habe.


Und so gelingt es dem begabten Autor leider nicht, mich restlos von „Stella“ zu überzeugen und das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zunächst einmal hat mich hier der nüchterne, eher pragmatische Erzählton gestört, der es mir nicht möglich machte, mich in irgendeine der Personen tatsächlich einzufühlen. Eher im Gegenteil, ich habe mich stellenweise geärgert, wie ruhig und unbeteiligt die vermeintlichen Freunde zusammensitzen und dekadentes Essen genießen, sich ihrer Privilegien durchaus bewusst und nach wie vor zu Späßen aufgelegt. Es gibt ihn nicht, weder den Sympathieträger, noch den Bösewicht, auch nicht die Frau, die beschützt werden muss, noch nicht einmal den Protagonisten, der Ursachenforschung betreibt. Irgendwie schade, denn wenigstens eine Person hätte mich gerne an die Hand nehmen dürfen und durch den Text führen.


Der andere Kritikpunkt ist eine für mich uneinsichtige Argumentation bezüglich der Straftaten, die hier zwar immer wieder mittels Zeugenaussagen fokussiert werden, deren Ausübung oder vielmehr noch die Motive für die Handlungen der Stella Goldschlag aber im Dunkeln bleiben. Demnach lässt mir der Autor zu viel Spielraum für eigenes Ermessen und zu wenig emotionale Beteiligung an den Geschehnissen. Tatsächlich waren es diese Punkte, die inhaltlich wesentlich besser zu dem Roman „Der Club“ passten und ihn zu einem Highlight gemacht haben.


Dennoch mag ich die literarische Umsetzung auch hier, selbst wenn sie nicht meine persönlichen Lesevorlieben trifft. Es sind mehr die moralischen Punkte, die hier bedient werden, die innere Zerrissenheit eines liebenden Mannes, der sehr genau zwischen Recht und Unrecht unterscheiden kann und schmerzlich erfahren muss, dass er sich hier in einem persönlichen Dilemma befindet. Das Buch geht eher der Frage nach, ob man verzeihen kann, oder lieber die Augen verschließt, ob man unverzeihliche Fehler dennoch vergibt, eben weil man liebt oder wie weit die Integrität reicht.


Und ein weiterer Punkt auf der positiven Bewertungsseite ist die Glaubwürdigkeit der Einzelpersonen. Stella hasst den Teil ihrer Selbst, der andere ausliefert, um die eigene Haut zu retten. Tristan von Appen, Freund und Feind gleichermaßen und darüber hinaus ein hohes Tier bei der Gestapo, sonnt sich in seiner Macht und den Vorzügen seiner Stellung, doch würde es den Rahmen nicht geben, wäre auch er ein anderer. Und schließlich Friedrich, der stille Beobachter, der Unbeteiligte, der jederzeit gehen könnte und es doch nicht tut. Der auch später im Leben auf seine Zeit in Berlin zurückblickt und Stella niemals aus der Erinnerung streicht – diese zwiespältigen Verhaltensweisen in Anbetracht der historischen Hintergründe füllen diesen Roman mit einer erzählerischen Dichte, die mir ausgesprochen gut gefallen hat.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen fiktiven doch historisch angelehnten Roman über das Leben der Jüdin Stella Goldschlag und ihrem Wirken im Rahmen des Nationalsozialismus. Eingebettet in tatsächliche Begebenheiten, untermalt mit echten Straftaten und belebt mit einer dramatischen Liebesgeschichte kann man hier in eine andere Zeit eintauchen, psychologische Aspekte menschlicher Verhaltensweisen hinterfragen und sich entspannt zurücklehnen. Etwas mehr Emotionalität hätte der Erzählung aus meiner Sicht gutgetan, ich habe sie aber auch gerne aus der pragmatischen Perspektive betrachtet, für die Wahl des Schauplatzes und der Zeit eine eher sachliche Herangehensweise. Vom Können des Autors bin ich überzeugt, er bringt Leser und Buch zusammen und schildert eindringlich und präzise seine Ausführungen.