Profilbild von jenvo82

jenvo82

Lesejury Star
offline

jenvo82 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit jenvo82 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.10.2018

Engel im Elend trifft den Typ mit der Idee

Die Hungrigen und die Satten
0

„Aber hier gibt es nichts. Hier gab es auch vorher nichts, und deshalb ist hier alles gleich, überall nur eine dicke Zeltschicht auf dem staubigen, verdorrten, versengten Boden. Der Blick geht über die ...

„Aber hier gibt es nichts. Hier gab es auch vorher nichts, und deshalb ist hier alles gleich, überall nur eine dicke Zeltschicht auf dem staubigen, verdorrten, versengten Boden. Der Blick geht über die Zeltdächer in die endlose Weite, ein weißgekräuseltes Planenmeer, zwischen dessen Wellen dunkle Menschen treiben, Hunderte und Hunderte …“


Inhalt


Die omnipräsente Berichterstatterin Nadeche Hackenbusch startet mit einer Live-Story der Extraklasse im deutschen Fernsehen durch. Was anfangs nur eine humanitäre Hilfsaktion über einen begrenzten Zeitraum sein sollte, bekommt durch den motivierten Flüchtling Lionel ein ganz neues, medientaugliches Format. Nadesche und Lionel sind nicht nur ein frisch verliebtes Paar, nein, sie sind wahre Mediengurus und begeistern und erschrecken die Bevölkerung mit ihrer gewagten Aktion gleichermaßen. Mit 150.000 Menschen starten sie einen Feldzug von Afrika nach Deutschland zu Fuß, marschieren mit ihrem Tross durch zahlreiche Länder und bleiben einfach nicht stehen. Was anfangs noch ein imposanter Medienrummel zu sein scheint, verkommt nach und nach zur realistischen Bedrohung. Denn in der Türkei angekommen, sind es mittlerweile 300.000 Flüchtlinge geworden und es sieht nicht so aus, als könnte irgendetwas diese Menschenmassen aufhalten. Der deutsche Innenminister braucht eine unschlagbare Waffe, um seine Landesgrenzen zu schützen, doch wer möchte schon die Verantwortung für eine tödliche Massenexekution tragen?


Meinung


Der deutsche Autor Timur Vermes, der bereits mit seinem Debütroman „Er ist wieder da“ für Furore sorgte, widmet sich in seinem aktuellen Roman einer ebenso politischen, wie aktuellen Debatte um das Problem der immer zahlreicher werdenden Flüchtlingsströme, die mit aller Gewalt nach Europa drängen und jedwede Belastung auf sich nehmen, um ein Leben in Frieden zu führen. Dabei ist dieses Werk vor allem sehr radikal, vielmals überspitzt und doch sehr beklemmend und realistisch umgesetzt. Eine innovative, humorvolle Gesellschaftskritik, bei der ganz klar wird, welche Machtkämpfe zwischen den Gewinnern und Verlierern stattfinden, auch wenn alles in geordneten Bahnen abläuft. Denn nicht nur die Aussichtslosigkeit der Bevölkerung in den Ländern ihrer Heimat wird sichtbar, sondern auch ihre Unerwünschtheit in der Fremde.


Dieses Buch hat mich wirklich begeistert, vor allem weil es so humorvoll und satirisch daherkommt und sowohl die Politik, als auch die Aasgeier der Medienbranche durch den Kakao zieht, ihre Schwächen offenlegt und sie zu den Geächteten deklariert und zum anderen, weil die Idee eines Flüchtlingszuges mit der entsprechenden Logistik und den menschlichen Anstrengungen ausgezeichnet und sehr einprägsam dargestellt wird. Man kann laut lachen, über Nadesches neues Image als Engel im Elend oder sich fasziniert dem Flüchtling Lionel zuwenden, der eigentlich nur allein nach Deutschland wollte und schließlich zum Helden einer Menschenmenge avanciert. Und was mir mindestens genauso gut gefallen hat, ist der Wechsel von einem unterhaltsamen, politischem Roman zu einem bedrückenden, fast schon beängstigendem Szenario, dem eine einzige Entscheidung keinen Einhalt mehr gebieten kann.


Auch die Protagonisten, die hier auf der Bühne stehen, bekommen ein klassisches Profil, so dass man sie bildlich vor Augen hat. Egal ob es die etwas dümmliche, gutaussehende Moderatorin ist, oder der geldgeile, skrupellose Medienboss – jeder steht nicht nur stellvertretend für eine ganze Meute an Personal, sondern gleichermaßen für sein öffentliches Image. Man scheint sie irgendwoher zu kennen, selbst wenn sie andere Namen und Gesichter haben, man fühlt sich als Leser gleichermaßen übergeordnet und eingegliedert.


Dieser Roman bleibt in Erinnerung, nicht nur weil er so anders ist als man erwartet, sondern vor allem, weil sich die Bilder, die er entwirft ins Gedächtnis fressen. Eine Verfilmung stelle ich mir hier auch sehr amüsant und attraktiv vor, sie drängt sich regelrecht auf, stehen doch die Ereignisse, die zwischenmenschlichen Agitationen und die übergeordneten Entscheidungen immer im Mittelpunkt. Beim Lesen braucht man Ruhe und auch Konzentration, weil sich der Lesefluss nicht ganz so flüssig einstellt, wie erhofft. Doch das ist kein nennenswerter Kritikpunkt, gleicht doch die Dichte der Erzählung diesen kleinen Mangel wieder aus.


Fazit


Ich vergebe 4,5 Lesesterne (aufgerundet 5) für diesen innovativen Roman, der die Deutschen und ihr derzeit aktuelles Problem der anrückenden Flüchtlingsmassen gekonnt in Szene setzt. Einprägsam und unterhaltsam, realistisch und bedrückend, aktiv und hilflos – Politiker, Journalisten, und Menschen in Not, die agieren um glaubwürdig zu bleiben, die spekulieren, um Quote zu machen und die nicht anhalten, um zu überleben. Empfehlenswert für alle Leser, die den etwas anderen Blick auf die politische Gesamtsituation werfen möchten und sich auch über das Buch hinaus mit der aufgeworfenen Debatte auseinandersetzen möchten. Den Erstlingsroman des Autors werde ich sicherlich noch lesen, nachdem ich mich hier von seiner Erzählweise überzeugen konnte.

Veröffentlicht am 13.10.2018

Lass deinen Schmerz zu Wort kommen

Du springst, ich falle
0

„Abwesend, lange Zeit habe ich dich abwesend erlebt. Abwesend vom Leben, von der Mutterschaft, von jeglichem Verlangen. Einverständig lächelnd triebst du langsam über dem Leben dahin.“


Inhalt


„Du springst, ...

„Abwesend, lange Zeit habe ich dich abwesend erlebt. Abwesend vom Leben, von der Mutterschaft, von jeglichem Verlangen. Einverständig lächelnd triebst du langsam über dem Leben dahin.“


Inhalt


„Du springst, ich falle“ ist ein autobiografischer Roman der 1980 in Teheran geborenen Maryam Madjidi, die sich mit ihrem Debüt auch ein Stück weit persönliche Lebens- und Leidensgeschichte vom Herzen geschrieben hat. Und das spürt man über alle Seiten hinweg, eine allumfassende, nicht wegzudenkende Auseinandersetzung mit den Wurzeln, die sie so sehr vermisst hat und der Sehnsucht nach der Heimat im Herzen. Die kleine Maryam hatte aber nicht die Möglichkeit, selbst über ihr Leben zu entscheiden, sondern wurde von den Überzeugungen der Eltern förmlich überrollt. Und dann ist da diese schmerzhafte Lücke, die nie zur Ausbildung gekommene Liebe, die Einsamkeit in einem fremden Land, im Haushalt von Menschen, die mit ihrem eigenen Schicksal hadern und kein Verständnis für die Befindlichkeiten ihrer Tochter haben…


Meinung


Die Gegensätze in der Erzählung haben einen gewissen Reiz, denn angefangen über eine dramatische Kindheit, in einem kommunistischen Elternhaus, mit Revolutionären als Erziehungsberechtigten, bis hin zu einem ruhelosen Erwachsenenleben, immer auf der Suche nach dem echten, wirklichen Platz im Leben, fließen alle Gedankengänge in den Handlungsverlauf ein. Dabei sind es kurze Episoden, fast schon Momentaufnahmen, die erst in ihrer Vielzahl ein schlüssiges Bild ergeben – und was der Leser erkennt ist eine verletzte Seele, die sich nach allen Seiten wehrt und jedwede Beeinflussung ablehnt. Aus einer kindlichen Ohnmacht folgt eine latente Unzufriedenheit und ein unterdrückter Groll auf vereitelte Chancen. Die Sprache ist poetisch, klar und formschön zugleich, man könnte auch sagen niveauvoll ohne allzu dominant zu wirken – ein klares Plus bei dieser Erzählung.

Was mir hingegen wahrhaft Bauchschmerzen bereitet hat, ist der Unterton, der Hintergrund, der sich für mich immer mehr in den Vordergrund gespielt hat. Denn die Identitätssuche der Protagonistin ist nicht nur sehr pessimistisch und schmerzhaft auf Grund ihrer fehlenden Heimat, sondern vor allem, weil sie Eltern hat, die ihr keinerlei Halt bieten können, die sie manchmal unterschätzen, dann wieder überfordern und eigentlich zu keiner Zeit das echte Wesen ihres Kindes entdecken. Demnach entwickelt sich die Geschichte weniger zu einer Abhandlung über das Leben in der Fremde mit all den nachempfindbaren Entbehrungen, als vielmehr zu einer Anklageschrift gegen die Eltern und ihre aufgezwungene Lebensweise. Immer wieder habe ich mich gefragt: „Wo ist die Liebe hin, war sie überhaupt jemals da?“ Und ich möchte mich emotional auf die Seite der mir unbekannten Eltern stellen und ihr Handeln irgendwie verteidigen, denn die Undankbarkeit, mit der die Tochter ihnen entgegentritt, bereitet mir Sorgen. Die Eltern wollten Freiheit und nahmen sie mit allen Konsequenzen, die Tochter wollte eine Heimat, hat sie aber nirgends gefunden – traurig, dramatisch und sehr bedrückend.


Fazit


Ich vergebe 3,5 Lesesterne, die ich gerne zu 4 Sternen aufrunde, denn sprachlich ist die Lektüre genau nach meinem Geschmack. Nur die alles überlagernde Schwermut, die Anklage, die innere Unzufriedenheit, all das war nicht Teil meiner Erwartungshaltung. Zu sehr ging es mir um einen innerfamiliären Konflikt, der durch die vordergründige Erzählung einer Emigration, nicht an seiner Schärfe verliert. Möglicherweise hätte mir das Geschriebene weniger abverlangt, wenn es fiktionaler und nicht so deutlich autobiografisch angelegt gewesen wäre. So bleibt aber ein bitterer Beigeschmack und die für mich erschütternde Erkenntnis, wie wenig man in den Kopf enger Familienangehöriger schauen kann und wie differenziert die Betrachtung objektiver Dinge erfolgt, wenn man ganz anders tickt. Definitiv kein Buch, mit dem ich mich identifizieren möchte und das finde ich schade, denn bedeutet es doch, dass mich die Emotionen nicht erreichen konnten.

Veröffentlicht am 08.10.2018

Lebenslügen und Machtspielchen

Bösland
0

„Ich wollte daran glauben, ich malte mir alles schön. Ich war naiv und dumm, weil ich mir wünschte, dass für immer alles so blieb. Schuld, die ich von meinen Schultern auf seine gelegt hatte.“


Inhalt


Ben ...

„Ich wollte daran glauben, ich malte mir alles schön. Ich war naiv und dumm, weil ich mir wünschte, dass für immer alles so blieb. Schuld, die ich von meinen Schultern auf seine gelegt hatte.“


Inhalt


Ben kann sich an den Augusttag, an dem er für den Mord an seiner Klassenkameradin Mathilda weggesperrt wurde nur noch dunkel erinnern. Ein Golfschläger war es, der ihr den Kopf zerschmetterte und der Junge verbringt die nächsten Jahre in der geschlossenen Psychiatrie. Nur mit Hilfe seiner engagierten Therapeutin Frau Vanek gelingt es ihm nun, im Erwachsenenalter ein einigermaßen normales Leben zu beginnen. Die Psychiaterin empfiehlt ihm dennoch, sich den Erinnerungen aus der Vergangenheit zu stellen und seinen Heimatort aufzusuchen, sich mit alten Freunden zu treffen und sich mit seiner Mutter auszusprechen. Ben weiß, dass es ihm gelingen muss, alles aufzuarbeiten und stellt sich der schwierigen Aufgabe. Doch seine Mutter leidet an Demenz, nimmt ihn nur widerwillig bei sich auf. So beginnt Ben auf dem alten Dachboden zu stöbern, dort wo einst sein gewalttätiger Vater Selbstmord beging und sich sein jugendliches Leben vor dem Mord abgespielt hat – sein ganz persönliches Bösland. Er entdeckt das alte Filmmaterial von sich und seinem damals besten Freund Felix Kux und schaut sich alle Videos an. Doch auf dem letzten macht er eine unglaubliche Entdeckung und mit Gewalt dringt die Wahrheit zu ihm durch. Nun muss er unbedingt zu Felix, doch der hat längst kein Interesse mehr an seinem alten Freund …


Meinung


Endlich habe ich es geschafft einen Thriller von Bernhard Aichner zu lesen, von dem bereits mehrere auf meinem SUB lagern. Denn interessant klingen die Klappentexte allemal, versprechen sie doch Geschichten über dunkle Geheimnisse, kaltblütige Morde und hartherzige Menschen. Mit dem Titel „Bösland“ konnte ich zunächst wenig assoziieren, doch erklärt sich alles von selbst, wenn man erst mal in das Buch hineingelesen hat. In kurzen prägnanten Kapiteln entwirft der Autor die Geschichte eines schwer misshandelten Jungen, der nun im Erwachsenenalter versucht, sich mit seiner Vergangenheit auszusöhnen. Die gewählte Ich-Perspektive wirkt sehr persönlich und man spürt deutlich die seelischen Qualen, die der Protagonist erleidet. Denn „Bösland“ ist nicht unbedingt das Psychogramm eines Mörders, sondern auch der Hilfeschrei einer verletzten Seele, die nie gelernt hat, sich der Wahrheit zu stellen und Konsequenzen zu ziehen.


Die weitaus interessantere Figur ist jedoch Felix Kux, der nun in der Gegenwart ein äußerst erfolgreicher Unternehmer eines großen Pharmaziekonzerns ist und sich den lästigen Ben irgendwie vom Hals schaffen möchte. Dennoch teilt er bald sein großes Anwesen, seine knappe Freizeit und wenig später sogar seine Frau mit dem Jugendfreund. Und bei all der trauten Zweisamkeit geht es um nichts anderes als versteckte Machtspielchen und sorgsam bewahrte Lebenslügen. Ben und Felix beginnen ein mörderisches Spiel mit weiteren Opfern und einer der beiden wird dabei auf der Strecke bleiben, fragt sich nur wer den längeren Atem besitzt.


Das Buch hat einen hochspannenden Mittelteil, der mich sehr begeistert hat, fängt aber eher gemächlich an und flaut dann auch wieder ab, so dass das Spannungsniveau eher schwankend zu beurteilen ist. Auch das Seelenleben von Ben empfand ich stellenweise als hilflos, dann jedoch wieder entschlossen und zielgerichtet. Eine ambivalente Figur, die manchmal wie eine Marionette wirkt, dann wieder wie der perfekte Drahtzieher.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen unterhaltsamen Thriller, der weniger Gänsehaut verursacht, dafür aber die Thematik Schuld und Sühne intensiv behandelt und Psychopathen auch mal in einen anderen Kontext setzt. Als Leser ist man hier vor allem auf den Handlungsverlauf gespannt, denn man weiß sehr genau, wer der Held des Buches und wer der Antigonist ist. Sehr aufschlussreich ist auch der Ansatz bezüglich des Geldes und der Handlungsmöglichkeiten innerhalb einer Zweckgemeinschaft und die Auswirkungen von Erpressung und Manipulation. Trotzdem bleibt noch Luft nach oben. Das Ende hat mich etwas enttäuscht, schließt es zwar den Roman, nicht aber meine Gedankengänge folgerichtig ab. Deshalb werde ich gewiss noch ein zweites Buch des Autors lesen, um Vergleichswerte zu haben.

Veröffentlicht am 06.10.2018

Road-Trip zur Selbstfindung

Hippie
0

„Ihm war endlich klargeworden, dass wir letztlich allem, was uns widerfährt, ohne Angst begegnen müssen, weil alles zum Leben gehört.“


Inhalt


Paulo Coelho nimmt uns mit im Magic-Bus nach Nepal, uns ...

„Ihm war endlich klargeworden, dass wir letztlich allem, was uns widerfährt, ohne Angst begegnen müssen, weil alles zum Leben gehört.“


Inhalt


Paulo Coelho nimmt uns mit im Magic-Bus nach Nepal, uns und seine Gefährtin Karla, die regelrecht auf ihn gewartet hat, um gemeinsam mit ihm eine Reise zu unternehmen, die beiden Bereicherung und Sinnhaftigkeit im Leben geben soll. Der Start der Route in Amsterdam ist ganz einfach, es finden sich mehrere Interessenten, die sich kaum kennen und starten für nur wenig Geld und wenig Komfort, um mit zwei Reiseleitern zu einer unkonventionellen Fahrt aufzubrechen.

Längst sind es nicht nur „Hippies“, die im Bus sitzen, sondern auch Menschen, die sich bewusst aus ihrem gutbürgerlichen Leben ausgeklinkt haben, um ihre Wurzeln zu finden. Natürlich schwingt das Lebensgefühl der Generation mit, so dass die Thematik freie Liebe, Konsum von Drogen und eine Antihaltung gegenüber Dogmen jeder Art zur Sprache kommt, doch ist das längst nicht alles. Coelho entwirft vielmehr einen autobiografischen Roman, der sich darauf konzentriert, den Sinn des Lebens, die Wirkung der Spiritualität und auch die verschiedenen Wege aufzuzeigen, die ein Mensch gehen kann – allein für sich selbst oder gemeinsam in einer Gruppe.

Und während Karla am liebsten für immer in Nepal bleiben möchte, fühlt sich der junge Paulo von den Sufis in Istanbul inspiriert. Und weil alle frei sind, entscheidet jeder für sich, wo die Endstation des Magic Busses liegt …


Meinung


Der brasilianische Autor Paulo Coelho zählt zu meinen Lieblingsautoren, weil seine Romane immer Tiefgang haben und die Philosophie des Lebens nutzen, um das Menschsein zu definieren. Seine Texte basieren auf Glaubensgrundsätzen, sie entwerfen ein umfassendes Bild über das Schöne und Erstrebenswerte im Dasein und sparen die Prüfungen, die Steine auf dem Weg nicht aus, vielmehr gleichen die Texte selbst einer Reise durch die Vielfalt des Lebens. Und weil mir dieser Ansatzpunkt so ausgesprochen gut gefällt, finde ich zu jedem seiner Bücher Zugang und teile eine gewisse Warmherzigkeit mit seinen Geschichten.

Zunächst war ich mir unsicher, ob ein autobiografisches Buch, meine Erwartungshaltung erfüllen kann, doch die Zweifel lösen sich schnell auf, was wohl auch darin liegt, dass der Autor von sich in der dritten Person Singular spricht. Dadurch entsteht Distanz, der junge Mann im Buch könnte auch Roberto, Vladimir oder Pascal heißen, sein Leben ein ganz anderes sein und dennoch im Rahmen dieser Erzählung greifen.

Also Vorsicht, wer hier mehr über Paulo selbst erfahren möchte! Bis auf eine eher kleine Passage einer Verhaftung und der daraus resultierenden Angst bezüglich Polizeigewalt, findet man nur wenig Spezielles und außerdem ist es sehr unwichtig, was im Einzelnen geschieht. Die Dominanz des Textes beruht auf der Entwicklung eines Menschen und seiner Suche nach einem übergeordneten System, einem Glauben, einer Ethik, einer alles durchdringenden Empfindung bezüglich der Liebe. Der Magic Bus ist scheinbar nur ein willkürliches Instrument und die Menschen darin eine mögliche Melodie.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne, denn ich mag es, wie der Autor Begriffe aus Religion, Philosophie und spirituellen Handlungen aufgreift und sie zu einer unterhaltsamen Geschichte verknüpft.

Empfehlen möchte ich das Buch aber in erster Linie denjenigen, die seine Texte kennen und mögen, denn es ist nicht sein „bestes“ Buch. Die Botschaft dahinter ist eher versteckt, der Mehrwert liegt nicht unmittelbar auf der Hand, eine Autobiografie der klassischen Art ist es ebenso wenig wie eine rein fiktive Erzählung.

Eigentlich wirkt es wie ein bunter Mix aus Erfahrungen, Enttäuschungen, Hoffnungen und Erkenntnissen – das Leben wird hier auf der positiven Seite betont, ohne dass der Optimismus das tragende Element wäre. Erlebt, Begriffen, Entschieden – jeder so wie er mag.

Veröffentlicht am 30.09.2018

Eine Langzeitbeziehung in emotionaler Schieflage

Porträt einer Ehe
0

„Man kann Feuer nicht mit Feuer bekämpfen. Man kann das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, nicht mit dem Gefühl bekämpfen, die Kontrolle verloren zu haben.“


Inhalt


Die jahrzehntelange Ehe der Edelmans ...

„Man kann Feuer nicht mit Feuer bekämpfen. Man kann das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, nicht mit dem Gefühl bekämpfen, die Kontrolle verloren zu haben.“


Inhalt


Die jahrzehntelange Ehe der Edelmans ist zwar kinderlos geblieben, doch die ambitionierte Malerin Gus und ihr Mann Owen, der an einem Roman arbeitet, haben sich ganz bewusst für ein gemeinsames Leben jenseits der Großstadt entschieden und genießen ihre Zeit lieber in ländlicher Idylle. Er schreibt in der umgebauten Scheune, sie malt im Atelier und versucht sich erstmals sogar an einer Porträtserie über junge Soldaten, die bereits im Alter von 17 Jahren, im Krieg gefallen sind.

Die neue Nachbarin Alison, etwa im gleichen Alter wie Gus stört die Paarbeziehung zunächst nur unwesentlich, doch schon bald verbringen die beiden Frauen viel Zeit gemeinsam, schütten einander ihr Herz aus und werden beste Freundinnen. Owen missfällt diese innige Nähe, doch möchte er sich auch nicht einmischen. Als Alisons Tochter Nora ihre Mutter besucht, dort sogar für einige Zeit einzieht, entspannt sich das Verhältnis wieder, denn die junge Frau ist eine große Bewunderin von Owen und seinen Texten und kommt ihm immer näher. Doch Owen spürt ebenso wie seine Frau die neuerliche Beziehungsschieflage, denn vor Jahren hatte Gus eine Affäre und nun bietet sich Owen die gleiche Möglichkeit. Beide schwanken zwischen Verdruss, Schuldgefühlen und der traurigen Erkenntnis, dass nur Offenheit und Gemeinsamkeit die Ehe retten kann, doch bevor sie sich dieser Entscheidung bewusst sind, ist Nora verschwunden …


Meinung


Von diesem Roman habe ich mir auf Grund zahlreicher begeisterter Rezensionen eine Menge erwartet, ein emotionales Werk mit Tiefgang und vielschichtigen Betrachtungsweisen. Einen ehrlichen Umgang mit dem Phänomen der partnerschaftlichen Liebe in langjährigen Beziehungen und irgendwie auch eine Ähnlichkeit zu persönlichen Erlebnissen. Und obwohl ich letzteres eher nicht gefunden habe, hat das „Porträt einer Ehe“ doch einen sehr universellen Charakter und fängt das Seelenleben aller Protagonisten absolut glaubwürdig und tiefgründig ein.

Die aus Philadelphia stammende Autorin Robin Black versetzt sich wunderbar in die Menschen der Geschichte hinein, reflektiert deren Gedankengänge und baut ein stilles, nachdenklich stimmendes Drama auf, welches mit relativer Handlungsarmut auskommt und dennoch ein großer Wurf ist.

Interessant ist die Ich-Erzählperspektive aus der heraus Gus ihren Umgang mit der Schuld einer längst vergangenen Affäre greifbar werden lässt. Die Nachbarin und ihr Mann scheinen beinahe Spielfiguren in ihrem ganz persönlichen Schicksal zu sein und doch wird plausibel, warum sie ihren Mann so wertschätzt, aber auch, was sie sich an Veränderungen wünschen würde. Man sieht sie vor sich die Menschen, die hier auf engem Raum aufeinandertreffen und ein regelrechtes Wirrwar an Gefühlsregungen einbringen.

Prinzipiell ist das auch das große Plus dieser Erzählung, der man anmerkt, wie lebendig, schuldbeladen und hoffnungsfroh die Stimmung sein kann, obwohl tatsächlich kaum etwas passiert. Alles was sich abspielt sind die intensiven Auseinandersetzungen der handelnden Personen, mit ihren eigenen Gedanken und Wünschen. Dadurch sieht sich der Leser auch nicht gezwungen für irgendwen Partei zu ergreifen, sondern fällt einfach nur in die Rolle des stillen Beobachters zurück. Sehr treffend ist zudem die Wahl des Buchtitels, nicht nur weil er Bezug zum Schaffenskreis der Protagonisten nimmt, sondern weil das Buch tatsächlich feine Schattierungen, detaillierte Befindlichkeiten und ganz nebenbei tiefe Wahrheiten vermittelt. Je länger man sich damit beschäftigt, desto klarer werden die Eindrücke, desto schillernder das Szenario.


Fazit


Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen Abriss über eine Langzeitbeziehung, in der es durchaus Schuldige gibt aber niemanden, der allein verantwortlich ist, für die Entwicklung der Handlung. Herausragend ist der Roman vor allem durch die Dichte und Präsenz ganz differenzierter zwischenmenschlicher Gefühle. Als emotional würde ich ihn nicht bezeichnen, wirken doch die Menschen sehr beherrscht, sachlich und objektiv – darum bemüht, nicht wie der Elefant im Porzellanladen aufzutreten. Aber ihr Innerstes kehrt sich nach Außen und der Leser wird Teil dieser Erfahrung. Ein stilles Buch über Wahrheiten, Versäumnisse und die Kraft der Liebe – toll!