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Veröffentlicht am 08.01.2019

Zurückgekehrt ist nicht der Deine

Die Frau, die liebte
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„Sie sah, wie sie hilflos auf einer großen Welle der Missverständnisse und verfehlten Gelegenheiten nach vorn getragen wurde und im Begriff war, eine noch größere Sünde zu begehen als die, vor der sie ...

„Sie sah, wie sie hilflos auf einer großen Welle der Missverständnisse und verfehlten Gelegenheiten nach vorn getragen wurde und im Begriff war, eine noch größere Sünde zu begehen als die, vor der sie sich gefürchtet hatte.“


Inhalt

Bertrande de Rols wird bereits als Kind mit Martin Guerre verheiratet, weil die Eltern diese Verbindung gutheißen und sich davon Sicherheit und Wohlstand erhoffen. Sie hat das große Glück, sich sowohl mit ihren Schwiegereltern als auch mit dem Gemahl immer besser zu verstehen. Tatsächlich wird aus der Zweckverbindung eine große Liebesbeziehung, die bald schon mit einem gemeinsamen Kind gekrönt wird. Doch der junge Martin möchte selbstständig handeln und sich nicht mehr hinter die Wünsche und Vorhaben seines Vaters stellen. Eigenmächtig trifft er Entscheidungen, zu denen er nicht befugt ist und bespricht mit seiner Frau, dass er nun zumindest für eine Weile dem elterlichen Hof den Rücken kehren wird, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Bertrande verschweigt ihr Mitwissen und wartet sehnsüchtig auf Martins Rückkehr.

Doch die Jahre vergehen und aus Hoffnung wird Betrübnis, allein muss sie nun den Sohn großziehen und ihr Geliebter ist wahrscheinlich im Kampf gefallen. Als schließlich der Hausherr verstirbt, kehrt plötzlich und unerwartet Martin zurück, merklich gealtert aber voller Elan an der Fortführung seines Haushalts. Mit offenen Armen wird der Zurückgekehrte empfangen, nur Bertrande beschleichen immer wieder Zweifel. Sie erkennt den Mann nicht wieder, ist sich unsicher, ob er es wirklich ist und bringt schließlich mit einer initiierten Gerichtsverhandlung den Stein ins Rollen. Und während die Richter sich alle Zeugenaussagen anhören, wird Bertrande klar, dass jedes Urteil in diesem Fall ihr persönlicher Untergang sein wird …


Meinung


Die 1998 verstorbene amerikanische Autorin Janet Lewis greift in diesem Roman einen der berühmtesten Rechtsfälle Frankreichs auf und beleuchtet mit einer fiktiven Geschichte die historischen Überlieferungen. Ein sehr gelungener Mix, der trotz seiner Unglaublichkeit in den Bann zieht. Bertrande de Rols wird dabei als eine starke, entscheidungsfreudige Frau dargestellt, die mit aller Macht an das Gute und an die Liebe glaubt, sukzessive wird dieses Urvertrauen jedoch unterwandert und aus der hoffnungsfrohen jungen Frau wird eine leidgeplagte Mittdreißigerin, die ihren Wünschen und Sehnsüchten nichts zu geben vermag. Die Autorin schafft genau die richtige Basis, damit der Leser sich der Protagonistin entsprechend nahe fühlt, und sich mit Tiefe und Empathie in deren Leben einfühlen kann.


Umso spektakulärer und erschütternder ist nun der Fortgang der Handlung, denn als gottgläubige Frau, die ihrem Gemahl treu ergeben ist, wäre ein Ehebruch eine Sünde und dann auch noch eine selbstverschuldete, da sie den neuen Mann zunächst durchaus willig aufgenommen hat und mit ihm ein weiteres Kind zeugte. Die Seelenqualen und Zweifel der jungen Frau sind spürbar und konsequent, so dass man sich als Leser tatsächlich eine Aufklärung erhofft.


Das besondere an dieser Erzählung ist die Perspektive, die der Leser einnimmt, denn obwohl man sehr genau die Zerrissenheit der jungen Frau wahrnimmt, bleibt das tatsächliche Verschwinden des Martin Guerre ziemlich schwammig. Mir drängte sich stark die Frage auf: „Warum ist er so lange fortgeblieben?“ oder „War es wirklich nur die Angst vor dem Zorn des Vaters, die ihn aufgehalten hat?“ vielleicht auch nur „Warum hat er Frau und Sohn, für die er doch starke Gefühle hegte, so ohne weiteres verlassen?“. Und da diese Hintergründe bis zum Schluss ungeklärt bleiben, komme ich nicht umhin, eine eher negative persönliche Meinung über Martin Guerre zu haben. Und auch das Ende lässt mich betrübt zurück, kann man doch davon ausgehen, dass die Liebe der Bertrande de Rols einfach nicht reichte, um Bestand zu haben.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen höchst interessanten, dramatischen, historisch inspirierten Roman, der sich minutiös mit Gewissensfragen einer geplagten Seele beschäftigt. Der empathisch und ehrlich erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man die eigene feste Überzeugung ziehen lassen muss und sich mit bitteren Wahrheiten konfrontiert sieht. Ein kleines, feines Büchlein für schöne Lesestunden, welches zu Fragen über den Bestand der Liebe anregt, über den willkürlichen Verlauf des Schicksals und die Kraft der Wahrheit. Ich kann es getrost weiterempfehlen, es hat mir gut gefallen, sowohl was den Unterhaltungswert anbelangt als auch die erzählerische Dichte.

Veröffentlicht am 07.01.2019

Die Liebe, der Verrat, das Unvermögen

Stella
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„Aus der Entfernung hatten die Deutschen groß gewirkt, aus der Nähe wirkten sie so klein wie ich. Groß waren nur die Kulissen, die Fahnen vor allem. Die deutschen Fahnen waren sehr groß. Ich nahm mir vor, ...

„Aus der Entfernung hatten die Deutschen groß gewirkt, aus der Nähe wirkten sie so klein wie ich. Groß waren nur die Kulissen, die Fahnen vor allem. Die deutschen Fahnen waren sehr groß. Ich nahm mir vor, bald weiterzureisen.“


Inhalt


Friedrich ist Schweizer und nimmt sich entgegen jeder Vernunft vor, im Jahre 1942 die Heimat zu verlassen und sich ins Zentrum Deutschlands, in die Großstadt Berlin zu begeben. Sein familiäres Zuhause hält ihn nicht, denn die Ehe seiner Eltern ist schon viele Jahre zerrüttet, die Mutter ist Künstlerin und darüber hinaus Alkoholikerin, der Vater schwimmt zwar in Geld, lebt aber sein ganz eigenes, irgendwie weltfremdes Leben.

Schon kurz nach seiner Ankunft trifft Friedrich in einer Kunstschule eine junge Frau, die sich an seine Fersen heftet. Sie heißt Kristin und symbolisiert für ihn das blühende Leben, die so lang ersehnte Freiheit. Nicht nur ihr einnehmendes Wesen und die unkomplizierte Art imponieren ihm, nein auch ihr Mut, ihre Raffinesse, ihr Esprit – all jene Charaktereigenschaften, die ihm zu fehlen scheinen. Und aus Kristin und ihm wird ein Liebespaar.

Wenig später aber ist sie verschwunden und steht kurz darauf mit geschorenen Haaren, blauen Flecken und Tränen in den Augen vor ihm, um zu gestehen, dass sie eigentlich Stella heißt, eine Jüdin ist und sich gezwungen sieht für die Gestapo zu arbeiten, wenn sie sich selbst und das Leben ihrer Eltern retten will. Friedrich ist mit dem Geständnis überfordert, denn ihn stört zwar nicht die eingestandene Lüge aber doch, die nun drohende Alltagssituation. Immer wieder verschwindet Stella, geht ihren Aufträgen nach, lässt ihn auflaufen und entzieht sich mehr und mehr seinem Einfluss. Sein Unvermögen gegenüber der neuen Entwicklung treibt Friedrich zur Verzweiflung und ihm wird immer deutlicher bewusst, dass er die Gegenwart nicht mehr ertragen kann, das es eine Zukunft mit der Frau seiner Träume nicht geben wird und das es an ihm selbst ist, sein Leben zu ändern …


Meinung


Meine Erwartungshaltung an diesen Roman war sehr hoch, zum einen weil ich mich vom Schreibstil und der literarischen Umsetzung des Autors bereits in seinem Vorgängerroman „Der Club“ überzeugen konnte, zum anderen weil ich mit Vorliebe Literatur mit dem Handlungsschwerpunkt Nationalsozialismus bzw. Zweiter Weltkrieg lese und da schon sehr oft wahre Perlen gefunden habe.


Und so gelingt es dem begabten Autor leider nicht, mich restlos von „Stella“ zu überzeugen und das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zunächst einmal hat mich hier der nüchterne, eher pragmatische Erzählton gestört, der es mir nicht möglich machte, mich in irgendeine der Personen tatsächlich einzufühlen. Eher im Gegenteil, ich habe mich stellenweise geärgert, wie ruhig und unbeteiligt die vermeintlichen Freunde zusammensitzen und dekadentes Essen genießen, sich ihrer Privilegien durchaus bewusst und nach wie vor zu Späßen aufgelegt. Es gibt ihn nicht, weder den Sympathieträger, noch den Bösewicht, auch nicht die Frau, die beschützt werden muss, noch nicht einmal den Protagonisten, der Ursachenforschung betreibt. Irgendwie schade, denn wenigstens eine Person hätte mich gerne an die Hand nehmen dürfen und durch den Text führen.


Der andere Kritikpunkt ist eine für mich uneinsichtige Argumentation bezüglich der Straftaten, die hier zwar immer wieder mittels Zeugenaussagen fokussiert werden, deren Ausübung oder vielmehr noch die Motive für die Handlungen der Stella Goldschlag aber im Dunkeln bleiben. Demnach lässt mir der Autor zu viel Spielraum für eigenes Ermessen und zu wenig emotionale Beteiligung an den Geschehnissen. Tatsächlich waren es diese Punkte, die inhaltlich wesentlich besser zu dem Roman „Der Club“ passten und ihn zu einem Highlight gemacht haben.


Dennoch mag ich die literarische Umsetzung auch hier, selbst wenn sie nicht meine persönlichen Lesevorlieben trifft. Es sind mehr die moralischen Punkte, die hier bedient werden, die innere Zerrissenheit eines liebenden Mannes, der sehr genau zwischen Recht und Unrecht unterscheiden kann und schmerzlich erfahren muss, dass er sich hier in einem persönlichen Dilemma befindet. Das Buch geht eher der Frage nach, ob man verzeihen kann, oder lieber die Augen verschließt, ob man unverzeihliche Fehler dennoch vergibt, eben weil man liebt oder wie weit die Integrität reicht.


Und ein weiterer Punkt auf der positiven Bewertungsseite ist die Glaubwürdigkeit der Einzelpersonen. Stella hasst den Teil ihrer Selbst, der andere ausliefert, um die eigene Haut zu retten. Tristan von Appen, Freund und Feind gleichermaßen und darüber hinaus ein hohes Tier bei der Gestapo, sonnt sich in seiner Macht und den Vorzügen seiner Stellung, doch würde es den Rahmen nicht geben, wäre auch er ein anderer. Und schließlich Friedrich, der stille Beobachter, der Unbeteiligte, der jederzeit gehen könnte und es doch nicht tut. Der auch später im Leben auf seine Zeit in Berlin zurückblickt und Stella niemals aus der Erinnerung streicht – diese zwiespältigen Verhaltensweisen in Anbetracht der historischen Hintergründe füllen diesen Roman mit einer erzählerischen Dichte, die mir ausgesprochen gut gefallen hat.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen fiktiven doch historisch angelehnten Roman über das Leben der Jüdin Stella Goldschlag und ihrem Wirken im Rahmen des Nationalsozialismus. Eingebettet in tatsächliche Begebenheiten, untermalt mit echten Straftaten und belebt mit einer dramatischen Liebesgeschichte kann man hier in eine andere Zeit eintauchen, psychologische Aspekte menschlicher Verhaltensweisen hinterfragen und sich entspannt zurücklehnen. Etwas mehr Emotionalität hätte der Erzählung aus meiner Sicht gutgetan, ich habe sie aber auch gerne aus der pragmatischen Perspektive betrachtet, für die Wahl des Schauplatzes und der Zeit eine eher sachliche Herangehensweise. Vom Können des Autors bin ich überzeugt, er bringt Leser und Buch zusammen und schildert eindringlich und präzise seine Ausführungen.

Veröffentlicht am 27.12.2018

Zuwenig an Liebe, Zuviel an Ohnmacht

Ein Brautkleid aus Warschau
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„Man weiß es sofort, wenn es wahre Liebe ist. Sie steht sicher und fest wie ein Felsen in der Mitte eines Flusses und weicht selbst dem wildesten Toben nicht. Es ist als sei man größer, als man selbst. ...

„Man weiß es sofort, wenn es wahre Liebe ist. Sie steht sicher und fest wie ein Felsen in der Mitte eines Flusses und weicht selbst dem wildesten Toben nicht. Es ist als sei man größer, als man selbst. Als wohne man im Herzen statt das Herz im Körper.“


Inhalt


Marlena verliebt sich Hals über Kopf in Natan einen Journalisten, der für einen Besuch bei seinem polnischen Onkel Szymon untergekommen ist, bevor er wieder nach Amerika zurückkehren wird. Für Marlena ist es die große Liebe, die alle Zweifel verstummen lässt und als sie schwanger ist und ihr Geliebter abgereist, hofft sie auf seine Rückkehr. Doch es sieht schlecht aus – Szymon gibt ihr den Rat, sich diesen Mann aus dem Kopf zu schlagen und ihre Eltern pochen darauf, dass sie sich nun endlich einen Mann sucht, damit ihr Kind nicht in Schande aufwächst.

Marlena flüchtet in die Niederlande, indem sie sich einer Heiratsvermittlung anschließt und den Bauern Andries ehelicht. Doch während Andries voller Liebe das Kind annimmt, welches gar nicht sein ist, sehnt sich Marlena nach einer Rückkehr in die polnische Heimat. Zu Vieles wartet dort auf sie und nicht zuletzt der einzige gemeinsame Bekannte mit Natan, der ihr vielleicht Neuigkeiten mitteilen könnte …


Meinung


Die niederländische Autorin, die ihr ebenfalls als Dramatikerin am Theater tätig ist, wurde für ihren Debütroman, der ein tragisches Dreiecksverhältnis zwischen Marlena und ihren Männern offenbart, bereits mit dem Anton-Wachter-Preis nominiert.

Ein anspruchsvolles Buch, in dem es durchaus um die Liebe geht aber darüber hinaus auch um familiäre Bindungen, falsche Entscheidungen, selbstloses Handeln und verantwortungsvollen Umgang im gemeinsamen Miteinander. Erzählenswert ist nicht nur die Geschichte an sich, sondern auch die Verflechtung der Einzelschicksale mit ihrem entsprechenden Hintergrund. Lot Vekemans wählt dafür drei Perspektiven und bereichert den Roman damit um mehr als eine junge, verliebte, doch unreife Hauptprotagonistin.

Tatsächlich fühlt man sich den Erzählern des Romans dadurch nahe, weil sie alle Fehler haben, weil ihre Vergangenheit und die gesammelten Erfahrungswerte sie zu Menschen gemacht haben, die nun in der Gegenwart versuchen, ihren eingeschlagenen Weg zu beschreiten oder ihn bestmöglich zu verändern. Es sind keine Prototypen, die lediglich für eine bestimmte Rolle agieren, sondern sie wirken lebensnah, realistisch und man wird sich als Leser deutlich darüber bewusst, dass sehr viel Mut dazugehört, über den eigenen Schatten zu springen. Und nicht jeder kann hier das umsetzen, was er sich im Grunde seines Herzens wünscht – das macht manchmal etwas melancholisch beim Lesen, gibt aber auch Urvertrauen zurück.

Das Besondere an diesem Roman ist die feinfühlige, stille Erzählweise, die hintergründig agiert und nicht bloße Handlungen vortäuscht. Dadurch entsteht ein rundes, ein griffiges Bild über die Liebe an sich. Nicht nur die zwischen Mann und Frau, ebenso die zwischen Geschwistern, die voneinander abhängig sind, zwischen Freunden, die mehr füreinander empfinden, zwischen Eltern, die ihre Kinder lieben und Kindern, die ihre Eltern vergöttern. Das egoistische Verhalten kommt hier wunderbar zu kurz, denn immer, wenn eine Person versucht, ihre eigenen Ansprüche vehement durchzusetzen, kommt ihr das Schicksal dazwischen und sie ist gezwungen, sich zurückzunehmen und eine andere Perspektive zu wählen.


Fazit


Ich vergebe sehr gute 4 Lesesterne für diesen empathischen Roman, der verzwickte Lebenswege, falsche Entscheidungen und den Mut der Veränderung thematisiert. „Eine berührende Geschichte über ein Zuwenig an Liebe und ein Zuviel an Ohnmacht“, titelt Noordhollands Dagblad auf dem Buchumschlag und diese Aussage trifft es ziemlich genau auf den Punkt. Empfehlenswert ist der Roman für alle, die Familiengeschichten mögen und sich mit der moralischen und seelischen Entwicklung diverser Charaktere befassen möchten. Ein Buch mit Anspruch, jedoch wunderbar nah dran an den Emotionen und doch ausreichend distanziert für einige Verhaltensweisen – mir hat es sehr gefallen.

Veröffentlicht am 22.12.2018

Den Toten ihre Geheimnisse entlocken

Kalte Asche
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„Ich hatte an genügend Brandermittlungen teilgenommen, um sehr genau zu wissen, was sie bedeuteten. Das Feuer war kein Unfall gewesen. Und dann kam mir ein noch schlimmerer Gedanke, einer, den ich bisher ...

„Ich hatte an genügend Brandermittlungen teilgenommen, um sehr genau zu wissen, was sie bedeuteten. Das Feuer war kein Unfall gewesen. Und dann kam mir ein noch schlimmerer Gedanke, einer, den ich bisher nicht einmal in Erwägung gezogen hatte.“


Inhalt


Der forensische Anthropologe David Hunter wird in seinem zweiten Fall auf die schottische Insel Runa berufen, um den dortigen Ermittlern Unterstützung zu gewähren, da es der übergeordneten Polizeibehörde auf dem Festland nicht möglich ist, ein komplettes Spurensicherungsteam loszuschicken.

Etwas widerwillig beginnt er mit der Arbeit an einer bis Unkenntlichkeit verkohlten Frauenleiche, die in einem alten Cottage gefunden wurde, welches vom Einsturz bedroht ist. Tatsächlich gelingt es ihm mittels Zahnüberprüfungen die Identität der Toten festzustellen, doch die Frau war eine Prostituierte, die mit der Insel selbst anscheinend nur in loser Verbindung stand. Immer mehr beschleicht David aber der Verdacht, dass der Täter unter den Bewohnern von Runa zu finden ist. Denn die zwischenmenschlichen Beziehungen sind alles andere als nett, außerdem sind es die Bewohner gewöhnt, unter sich zu bleiben und Fremden keinen Einblick in ihr Leben und ihre Geheimnisse zu gewähren. Der Grat zwischen Aggressionen und Leidenschaften ist sehr schmal, jeder könnte ein Motiv haben. Als kurze Zeit später die zweite Brandleiche gefunden wird, diesmal der junge Coroner der Polizei, der die Überreste der ersten Leiche bewachen sollte, wird deutlich, dass auf Runa ein Mörder zu Hause ist, dem es missfällt, dass David Hunter seinen Machenschaften zu nah gekommen ist …


Meinung


Dem englischen Autor ist mit seiner Reihe über den stillen, eher unbeteiligten Anthropologen David Hunter eine sehr atmosphärische, detaillierte Kriminalgeschichte gelungen, die in erster Linie durch ihr Setting besticht und die leise, bedrohliche Gefahr hinter der Fassade der Menschen. Er setzt sich intensiv mit sämtlichen Beziehungsmustern der handelnden Personen auseinander und erweckt damit den Eindruck, dass man selbst Teil der Geschichte ist und meint, die Protagonisten zu verstehen und ihre Handlungsmuster nachvollziehen zu können. Doch immer wieder nimmt die Spannung zu, da Andeutungen bald schon zu Gewissheiten werden und sich Grundsätzliches als vollkommen falsch entpuppt. Eine äußerst interessante Variante, die durch die eher klassische Erzählweise sehr gut unterstützt wird.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen gelungenen Kriminalroman, der ein schaurig-schönes Intermezzo auf einer sturmgepeitschten, von der Außenwelt abgekapselten Insel thematisiert und mit zahlreichen unvorhersehbaren Wendungen besticht.

Der Fokus der Erzählung liegt weniger auf einem actionreichen Handlungsverlauf, als vielmehr auf den Geheimnissen einzelner Personen, die alle in einer unerwarteten Verbindung zueinander stehen und weit mehr füreinander sind als die Nachbarn einer kleinen Gemeinde. Die Tötungsdelikte an sich, die sich hier größtenteils auf die Verbrennung von Leichen beschränken fand ich etwas einseitig, zumal ein Forensiker aus der kalten Asche weniger Spuren verwerten kann als aus der natürlichen Verwesung des menschlichen Körpers, deshalb kam hier die medizinische Komponente für meinen Geschmack etwas zu kurz. Wer intelligente, differenzierte Kriminalromane mag, kommt hier aber voll und ganz auf seine Kosten, deshalb mein Gesamturteil: empfehlenswert.

Veröffentlicht am 15.11.2018

Die unsichtbare Ehe auf dem grünen Sessel

Liebe ist die beste Therapie
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„Sie haben gemeinsam etwas geschaffen, und es ist ihnen sicher nicht in den Schoß gefallen. Sie haben eine Ehe aufgebaut. Und auf deren Seite bin ich, für sie spreche ich, weil von Ihnen niemand für dieses ...

„Sie haben gemeinsam etwas geschaffen, und es ist ihnen sicher nicht in den Schoß gefallen. Sie haben eine Ehe aufgebaut. Und auf deren Seite bin ich, für sie spreche ich, weil von Ihnen niemand für dieses unsichtbare Gebilde einsteht, das Sie gemeinsam gebaut haben.“


Inhalt


Sandy ist Paartherapeutin und ihre derzeitigen Klienten sind die Mittdreißiger Charlotte und Steve. Deren Ehe steht kurz vor dem Aus, nachdem beide Affären hatten und sich offiziell getrennt haben, nur schade, dass sie jetzt um die Betreuung ihrer gemeinsamen Kinder streiten und um den Wert ihrer Beziehung überhaupt. Eine Scheidung möchten sie vorerst nicht, doch der Scherbenhaufen, vor dem sie stehen, lässt sie nicht mehr schlafen, lachen und leben. Die beiden begeben sich in die Hände der Therapeutin und erhoffen sich eine Einigung, wie auch immer diese aussehen mag.

Und Sandy bringt sie wöchentlich an einen Tisch, um gemeinsam mit ihnen über Bedürfnisse, Wünsche aber auch Ängste und Perspektiven zu sprechen. Denn als erfahrene Eheberaterin weiß sie, dass nur die wenigsten Ehen wieder zu dem werden, was sie einst waren – funktionierende Beziehungen. Doch während Charlotte einsieht, dass der neue, verheiratete Mann in der Fremde, nicht ihr nächster Partner werden wird, erkennt Steve, dass sein aufgesetztes, schönes Image nicht reicht, um seine Frau dauerhaft glücklich zu machen. Nach und nach arbeiten die drei die bestehende Situation auf und es stellt sich heraus, dass der unbesetzte grüne Sessel im Zimmer der Therapeutin sehr wohl eine Aufgabe erfüllt …


Meinung


Der US-amerikanische Schriftsteller John Jay Osborn greift in diesem Roman eine durchaus bekannte, nachvollziehbare Situation auf und bringt die Thematik einer verletzten Ehe, einer beinahe gescheiterten Beziehung auf einen neutralen Boden. Durch die Interaktion dreier Menschen, deren Verhältnis zueinander nur partiell belastet ist, kommt viel Licht in das Dunkel der Paarbeziehung.

Erzählt wird die Geschichte aus Sicht der neutralen Therapeutin Sandy, die sich bemüht, beide Seiten anzuhören und sich die gegenseitigen Vorwürfe zu Herzen nimmt, ohne sie menschlich zu bewerten. Der resultierende Text ist ein intensiver Abriss, eine gewollt spezielle Auseinandersetzung mit einer anscheinend fast verlorenen Liebe. Der Wechsel zwischen rein erzählenden Passagen und der wörtlichen Rede, bringt Abwechslung und Unterhaltungswert in die Geschichte. Als Leser könnte man eigentlich auf dem leeren grünen Sessel im Zimmer Platz nehmen und der Situation direkt beiwohnen.

Sehr interessant finde ich den Gedankenansatz des Autors, der ganz bewusst keine Schuldigen sucht, sondern sich mehr auf die kleinen, unbewussten Verletzungen stützt, die in ihrer Summe dennoch so großen Schaden anrichten können. Diese Art der Argumentation setzt eine gewisse emotionale Intelligenz voraus, oder auch Empathie für diverse menschliche Verhaltensweisen. Das empfinde ich als das große Plus dieser Lektüre: Menschen, die nicht frei von Fehlern sind und dennoch bereit, füreinander sich selbst und ihre bisherigen Verhaltensweisen grundlegend zu überdenken. Und es gelingt dem Autor auch, seine Protagonisten irgendwie unverbindlich wirken zu lassen, was in diesem Falle gar nicht einmal schlecht ist, weil man sich dadurch mehr auf die Fakten und weniger auf Sympathien stützt.

Manchmal dreht sich die Geschichte aber etwas im Kreis. Zum Beispiel wenn Charlotte an ihren Abmachungen und Prinzipien festhält, die sie jedoch keinen Millimeter weiterbringen oder wenn Steve einfach nicht verstehen mag, dass Charlotte die Trotzreaktion als einzigen Lösungsweg sieht. Dann hadert Sandy mit beiden und das ermüdet in der Wiederholungsschleife den Leser, obwohl ich mir fast sicher bin, dass das so gewollt ist. Denn welche Veränderung wird schon freudejubelnd begrüßt, wenn sie doch bedeutet, sich von den Verhaltensmustern der Gegenwart zu distanzieren?


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen ungewöhnlichen Roman, der viele Facetten hat. Manchmal sind es Wiedererkennungswerte, dann wieder möchte man sich die Haare raufen, ob der Uneinsichtigkeit der Protagonisten. Aber immer bleibt die Objektivität erhalten, die Einsicht, dass es Gefühle geben muss, wenn man sich die Mühe macht, eine Paartherapie zu beginnen. Das Thema ist wunderbar unverbraucht und die Klischees zeigen sich deutlich, ohne überhaupt als solche zu gelten – die Lektüre arbeitet nicht mit Vorwürfen sondern mit Vorschlägen und positiven Lösungsansätzen. Ein unterhaltsamer, abwechslungsreicher Roman mit vielen Denkansätzen und der nötigen Abstraktheit gleichermaßen. Mir hat die Lektüre sehr gut gefallen, vor allem, weil ein Körnchen Wahrheit in ihrer Wirkung steckt.