Einbrecher trifft Aktivist
Auster und Klinge„Brutalität liegt im Körper, ein heftiger, roher Ausbruch, eine zügellose Salve von Schlägen; Grausamkeit liegt im Geist, eine Haltung, gefühllos, unbarmherzig, eine Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen, ...
„Brutalität liegt im Körper, ein heftiger, roher Ausbruch, eine zügellose Salve von Schlägen; Grausamkeit liegt im Geist, eine Haltung, gefühllos, unbarmherzig, eine Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen, Grausamkeit ist ein egozentrischer, kontrollierter Zustand.“
Inhalt
Victor versucht nach seinem Gefängnisaufenthalt wieder im „normalen“ Leben Fuß zu fassen. Dort wo seine Frau und die gemeinsame 4-jährige Tochter auf ihn warten. In einer Welt, in der er sich mit einem Restaurant eine gesicherte Existenz aufbauen möchte, denn sein zweites Standbein als notorischer Einbrecher, darf sich nicht mehr wiederholen, zu wertvoll sind ihm dafür die Menschen in seiner Nähe. Seine Zufallsbekanntschaft mit dem Künstler Georg, der zwar aus einer erfolgreichen Schlachterdynastie mit dem nötigen Kleingeld stammt, jedoch als schwarzes Schaf der Familie einen anderen Weg einschlagen möchte, erweist sich zunehmend als Bedrohung. Denn Georg will in erster Linie Aufmerksamkeit für seine äußerst fragwürdigen Projekte, die vor allem schockieren, abschrecken und polarisieren sollen, um der Gesellschaft zu zeigen, wie scheinheilig jeder noch so unbescholtene Bürger tatsächlich lebt. Und dann kommt ihm die grandiose Idee, dass er Victor mit einer Finanzspritze unter die Arme greifen könnte, wenn dieser ihm im Gegenzug zeigt, wie man unbeobachtet in fremde Häuser einsteigt. Und Victor ist auf das Geld dringend angewiesen, denn wie sonst soll er sich den Traum vom idyllischen Familienleben erfüllen?
Meinung
Wie so oft bin ich von den frischen, modernen Autoren und ihren vielfältigen, oft sehr innovativen Ideen überzeugt wurden, denn auch die Münchner Schriftstellerin Lilian Loke, inszeniert hier eine ungewöhnliche Ausgangssituation, die den Leser immer mehr in den Strudel des Geschehens zieht, hinein in eine Geschichte, in der sich persönliche Erlebnisse mit gesellschaftskritischen Elementen verbinden und in der zwei Männer sinnbildlich für die zahlreichen Verfehlungen stehen, die sie einerseits selbst verschuldet haben und die ihnen andererseits aufgedrängt wurden.
So begegnet man dem reuigen Einbrecher auf der Suche nach einer zweiten Chance, der sich mit dem gebeutelten Aktivisten einlässt, um dessen hochtrabende Pläne zu verwirklichen, nur um erneut in eine Zwangslage zu geraten, bei der andere Menschen verletzt werden. Das Dilemma zwischen Gewissen, Gewinnen und Gemütslagen entfaltet eine sehr spannende, ungemein aktive Erzählung, der man sich nicht mehr entziehen kann, denn verstehen kann man beide Hauptprotagonisten, selbst wenn sie echte Antihelden mit zahlreichen Charakterschwächen sind, so ist ihr Verhalten doch allzu menschlich und oftmals nachvollziehbar. Nur wünscht man sich bitte Distanz, Abstand zu den handelnden Personen und ihren schockierenden Missetaten.
Die Autorin versteht es, ihre Protagonisten auszustatten, mit einer Vergangenheit, einer gegenwärtigen Gemütslage und natürlich mit ihren zukünftigen Vorstellungen, dadurch ermöglicht sie eine sehr umfassende, nicht immer ansprechende aber dennoch glaubwürdige Charakterisierung zweier sehr unterschiedlicher Männer, die eher ein Zweckbündnis, denn eine Freundschaft verbindet und die sich dem Leser mit all ihren Schattenseiten kristallklar präsentieren. Darauf aufbauend eine immer weiter zugespitzte Situation, die beide in die Enge treibt, die zeigt wie leicht die Dinge aus dem Ruder laufen können und deutlich macht, wie brüchig das Glück sein kann, wenn man einmal den falschen Weg eingeschlagen hat.
Der Schreibstil selbst ist eingängig, sehr spannend und man kann trotz zahlreicher Aufzählungen dem Text gut folgen. Auch die Zeitsprünge sind nachvollziehbar und die Nebenfiguren bekommen Format, wirken auf die Geschichte ein, ohne ihren Lauf direkt zu bestimmen. Dennoch schreckt mich der Roman stellenweise sehr ab, insbesondere die brutale Schilderung der Ereignisse, der Hang zu körperlicher Gewalt, das Fehlen jeglichen Anstands aber auch die detaillierte Beschreibung des Schlachterprozesses, des Tötens, die ständige Präsenz des rinnenden Blutes haben mir ganz deutlich gezeigt, was ich in einem Roman eigentlich nicht lesen möchte. Doch es ist Teil dieser Geschichte und passt durchaus zum Szenario, nur spricht es eben nicht direkt mein Leserherz an.
Fazit
Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen andersartigen, fesselnden Roman über eine seltene Männerbekanntschaft mit all ihren Tücken. Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete, es impliziert darüber hinaus eine sehr negative Lebensgrundhaltung, bei der man meinen könnte, der Einzelne hat nur einen begrenzten Einflussbereich auf das Gelingen seines eigenen Lebens - auch das einer meiner Kritikpunkte. Dennoch, ein gelungener Roman über Randfiguren der Gesellschaft, die zwischen Integration und Andersartigkeit wählen, die selbstbestimmt ihren Weg gehen und denen es zwar an Zurückhaltung und Kompromissbereitschaft mangelt, die allerdings sehr anschaulich zeigen, welche Alternativen es gibt, wenn man bereit ist, den entsprechenden Preis zu zahlen. Dieser Roman ist anders, er behandelt keine alltägliche Thematik und spiegelt doch vortrefflich ein Gesellschaftsbildnis wider, dem man mit gesundem Menschenverstand eigentlich nur entkommen möchte.