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Veröffentlicht am 12.03.2018

Einbrecher trifft Aktivist

Auster und Klinge
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„Brutalität liegt im Körper, ein heftiger, roher Ausbruch, eine zügellose Salve von Schlägen; Grausamkeit liegt im Geist, eine Haltung, gefühllos, unbarmherzig, eine Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen, ...

„Brutalität liegt im Körper, ein heftiger, roher Ausbruch, eine zügellose Salve von Schlägen; Grausamkeit liegt im Geist, eine Haltung, gefühllos, unbarmherzig, eine Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen, Grausamkeit ist ein egozentrischer, kontrollierter Zustand.“


Inhalt


Victor versucht nach seinem Gefängnisaufenthalt wieder im „normalen“ Leben Fuß zu fassen. Dort wo seine Frau und die gemeinsame 4-jährige Tochter auf ihn warten. In einer Welt, in der er sich mit einem Restaurant eine gesicherte Existenz aufbauen möchte, denn sein zweites Standbein als notorischer Einbrecher, darf sich nicht mehr wiederholen, zu wertvoll sind ihm dafür die Menschen in seiner Nähe. Seine Zufallsbekanntschaft mit dem Künstler Georg, der zwar aus einer erfolgreichen Schlachterdynastie mit dem nötigen Kleingeld stammt, jedoch als schwarzes Schaf der Familie einen anderen Weg einschlagen möchte, erweist sich zunehmend als Bedrohung. Denn Georg will in erster Linie Aufmerksamkeit für seine äußerst fragwürdigen Projekte, die vor allem schockieren, abschrecken und polarisieren sollen, um der Gesellschaft zu zeigen, wie scheinheilig jeder noch so unbescholtene Bürger tatsächlich lebt. Und dann kommt ihm die grandiose Idee, dass er Victor mit einer Finanzspritze unter die Arme greifen könnte, wenn dieser ihm im Gegenzug zeigt, wie man unbeobachtet in fremde Häuser einsteigt. Und Victor ist auf das Geld dringend angewiesen, denn wie sonst soll er sich den Traum vom idyllischen Familienleben erfüllen?


Meinung


Wie so oft bin ich von den frischen, modernen Autoren und ihren vielfältigen, oft sehr innovativen Ideen überzeugt wurden, denn auch die Münchner Schriftstellerin Lilian Loke, inszeniert hier eine ungewöhnliche Ausgangssituation, die den Leser immer mehr in den Strudel des Geschehens zieht, hinein in eine Geschichte, in der sich persönliche Erlebnisse mit gesellschaftskritischen Elementen verbinden und in der zwei Männer sinnbildlich für die zahlreichen Verfehlungen stehen, die sie einerseits selbst verschuldet haben und die ihnen andererseits aufgedrängt wurden.


So begegnet man dem reuigen Einbrecher auf der Suche nach einer zweiten Chance, der sich mit dem gebeutelten Aktivisten einlässt, um dessen hochtrabende Pläne zu verwirklichen, nur um erneut in eine Zwangslage zu geraten, bei der andere Menschen verletzt werden. Das Dilemma zwischen Gewissen, Gewinnen und Gemütslagen entfaltet eine sehr spannende, ungemein aktive Erzählung, der man sich nicht mehr entziehen kann, denn verstehen kann man beide Hauptprotagonisten, selbst wenn sie echte Antihelden mit zahlreichen Charakterschwächen sind, so ist ihr Verhalten doch allzu menschlich und oftmals nachvollziehbar. Nur wünscht man sich bitte Distanz, Abstand zu den handelnden Personen und ihren schockierenden Missetaten.


Die Autorin versteht es, ihre Protagonisten auszustatten, mit einer Vergangenheit, einer gegenwärtigen Gemütslage und natürlich mit ihren zukünftigen Vorstellungen, dadurch ermöglicht sie eine sehr umfassende, nicht immer ansprechende aber dennoch glaubwürdige Charakterisierung zweier sehr unterschiedlicher Männer, die eher ein Zweckbündnis, denn eine Freundschaft verbindet und die sich dem Leser mit all ihren Schattenseiten kristallklar präsentieren. Darauf aufbauend eine immer weiter zugespitzte Situation, die beide in die Enge treibt, die zeigt wie leicht die Dinge aus dem Ruder laufen können und deutlich macht, wie brüchig das Glück sein kann, wenn man einmal den falschen Weg eingeschlagen hat.


Der Schreibstil selbst ist eingängig, sehr spannend und man kann trotz zahlreicher Aufzählungen dem Text gut folgen. Auch die Zeitsprünge sind nachvollziehbar und die Nebenfiguren bekommen Format, wirken auf die Geschichte ein, ohne ihren Lauf direkt zu bestimmen. Dennoch schreckt mich der Roman stellenweise sehr ab, insbesondere die brutale Schilderung der Ereignisse, der Hang zu körperlicher Gewalt, das Fehlen jeglichen Anstands aber auch die detaillierte Beschreibung des Schlachterprozesses, des Tötens, die ständige Präsenz des rinnenden Blutes haben mir ganz deutlich gezeigt, was ich in einem Roman eigentlich nicht lesen möchte. Doch es ist Teil dieser Geschichte und passt durchaus zum Szenario, nur spricht es eben nicht direkt mein Leserherz an.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen andersartigen, fesselnden Roman über eine seltene Männerbekanntschaft mit all ihren Tücken. Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete, es impliziert darüber hinaus eine sehr negative Lebensgrundhaltung, bei der man meinen könnte, der Einzelne hat nur einen begrenzten Einflussbereich auf das Gelingen seines eigenen Lebens - auch das einer meiner Kritikpunkte. Dennoch, ein gelungener Roman über Randfiguren der Gesellschaft, die zwischen Integration und Andersartigkeit wählen, die selbstbestimmt ihren Weg gehen und denen es zwar an Zurückhaltung und Kompromissbereitschaft mangelt, die allerdings sehr anschaulich zeigen, welche Alternativen es gibt, wenn man bereit ist, den entsprechenden Preis zu zahlen. Dieser Roman ist anders, er behandelt keine alltägliche Thematik und spiegelt doch vortrefflich ein Gesellschaftsbildnis wider, dem man mit gesundem Menschenverstand eigentlich nur entkommen möchte.

Veröffentlicht am 05.03.2018

Am Ende des Weges

Die Geschichte des verlorenen Kindes
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„Längst wusste ich, dass jeder sich seine Erinnerungen zurechtlegt, wie es ihm passt, noch immer ertappe ich mich dabei, dass auch ich es tue. Aber es verstörte mich, dass man dahin kommen kann, den Fakten ...

„Längst wusste ich, dass jeder sich seine Erinnerungen zurechtlegt, wie es ihm passt, noch immer ertappe ich mich dabei, dass auch ich es tue. Aber es verstörte mich, dass man dahin kommen kann, den Fakten eine Ordnung zu geben, die sich gegen die eigentlichen Interessen richtet.“


Inhalt


Elena beschließt, nach Neapel zurückzukehren, denn als erfolgreiche Autorin sucht sie nun wieder die Nähe zur Heimat und hofft, den üblen Machenschaften endgültig die Stirn bieten zu können und sich als gebildete, weltgewandte Frau von den Streitigkeiten vor Ort distanzieren zu können. Mit ihren zwei Töchtern zieht sie in das gleiche Haus, in dem ihre Jugendfreundin Lila lebt und fortan verbindet sie wieder eine bereits verloren geglaubte Freundschaft, die sich durch die gemeinsame Erfahrung einer zeitgleichen Schwangerschaft noch verstärkt. Elena erwartet von ihrer großen Liebe ein drittes Kind, von dem Mann, mit den schönen Händen, dem bereits so viele Frauen verfallen sind. Doch kaum ist die gemeinsame Tochter Imma geboren, muss sie feststellen, dass Nino sich niemals auf sie festlegen wird, weder in nächster noch in ferner Zukunft. Seine Liebe ist universell, lässt sich nicht auf eine Frau beschränken und zeigt Elena, dass sie eigene Wege gehen muss, wenn sie wieder glücklich werden will. Lila hilft ihr dabei und hält ihr den Rücken frei, bis eines Tages ein Unglück geschieht, dem sich keine der Frauen entziehen kann und welches ihre Freundschaft erneut auf eine harte Probe stellt.


Meinung


Ich habe ihn sehnlichst erwartet, den vierten Band der Neapolitanischen Saga, der mich ein letztes Mal zu den beiden Freundinnen führen sollte, die auf ihrem bisherigen Lebensweg eine Art Hass-Liebe verband, die zwischen aufrichtiger Bewunderung und nagender Eifersucht schwankte. Nachdem ich insbesondere vom zweiten und dritten Band hellauf begeistert war, freute ich mich nun zu erfahren, wie sich das Leben der beiden im späteren Erwachsenenalter entwickelt und ob es ihnen gelingt, endlich eine tiefere, neidlose, bedingungslose Freundschaft aufzubauen, nach der sie sich zwar gesehnt haben, die ihnen aber bisher nicht möglich war. Der vorliegende Abschlussband fällt, wie ich finde aber wieder etwas von seiner umfassenden Beleuchtung der Befindlichkeiten ab und konnte mich ebenso wie der Auftakt der Tetralogie nicht ganz überzeugten, obwohl ich das Gesamtwerk durchaus als lesenswert und interessant einstufe – insbesondere was die Entwicklung einer lebenslangen Frauenfreundschaft anbelangt. Mit Elena und Lila führt uns die Autorin zwei gegensätzliche Individuen vor, die einander wie Magnete anziehen und sich zeitlebens immer wieder abstoßen, die einander die Welt bedeuten, nur um kurz darauf ein mühseliges Kopfschütteln hervorzurufen. Es ist der zwischenmenschliche Faktor begleitet durch die diversen Schicksalsschläge und persönlichen Verfehlungen zweier starker Frauen, die trotz ihrer differenzierten Sicht auf die Dinge eine gemeinsame, unwiderrufliche Vergangenheit haben und die Kontakt pflegen, weil sie ahnen, dass der Verlust der einen bei der anderen eine nicht zu füllende Lücke hinterlassen würde.


Die Besonderheit des vorliegenden Buches, oder besser der Geschichte in ihrer Gesamtheit ist die einseitig gewählte Erzählperspektive, die den Leser zwar immer wieder zeigt, welche Gedanken Elena als Ich-Erzählerin durch den Kopf gehen, die dennoch ihre Freundin Lila ins Zentrum des Geschehens stellt. So bekommt der Leser einen Eindruck von dieser Frau, die zwischen herzlicher Zuneigung, absoluter Aufrichtigkeit und bitteren Vorwürfen schwankt. Die trotz ihrer unprätentiösen Herkunft viel Ansehen erlangt hat und sich in der Armut ihrer Heimat einen festen Platz erarbeitet hat. Elena hingegen wirkt auf mich trotz ihrer Bildung und eines einigermaßen geradlinigen Lebensweges immer etwas Abseits, nie zollt sie ihrer eigenen Person den gebührenden Respekt und immer scheint sie die Antwort der Freundin zu brauchen, bevor sie bereit ist eigene Entscheidungen zu treffen. Besonders auffallend tritt dieses Unvermögen im vorliegenden Band auf. Gemeinsam mit Elena geht der Leser durch die Höhen und Tiefen ihres Privatlebens und vieles wirkt nicht nur übertrieben, sondern wird direkt als Drama inszeniert. Dieses emotionale Auf und Ab, hat mich hier etwas gestört, weil ich mir erhofft hatte, das mit zunehmenden Alter auch ein innerlicher Reifeprozess eintritt. Doch so sehe ich auch am Ende der Saga nach wie vor zwei individuelle Charaktere, die sich ihrem Leben unterschiedlich genähert haben und dennoch irgendwie auf der Stelle treten.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für den vorliegenden 4. Band der Neapolitanischen Saga, die ich in der Gesamtheit noch etwas besser bewerte als im Einzelnen. Es ist eine andauernde, für mich durchaus italienische Erzählung über die Wertigkeit einer lebenslangen Freundschaft mit all ihren Fallstricken. Der Autorin ist mit dem Gesamtwerk ein interessanter Wurf gelungen, den man sicher auch noch einmal lesen kann, weil er so intensiv und ausführlich über die allseits bekannten Belange eines Menschenlebens spricht. Zwei Frauen, die sich fanden, umeinander Halt zu geben, die sich um den gleichen Mann stritten, die Fehler und Zugeständnisse machen mussten und denen die andere immer wie ein Spiegel vorkam, ein Vorbild, welches nicht erreichbar aber immer im Herzen blieb – die andere Seite der Medaille, die nur so lange so schön glänzt, wie sie gemeinsam brillieren konnten. Ich empfehle die Lektüre in erster Linie Frauen, die auch eine so herausfordernde Beziehung kennen und um ihren unschätzbaren Wert wissen.


Veröffentlicht am 02.03.2018

Der Meister der Düfte

Das Parfum
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„Was er begehrte, war der Duft gewisser Menschen: jener äußerst seltenen Menschen nämlich, die Liebe inspirieren. Diese waren seine Opfer.“


Inhalt


Jean-Baptiste Grenouille kämpft sich ins Leben und ...

„Was er begehrte, war der Duft gewisser Menschen: jener äußerst seltenen Menschen nämlich, die Liebe inspirieren. Diese waren seine Opfer.“


Inhalt


Jean-Baptiste Grenouille kämpft sich ins Leben und nistet sich dort ein. Obwohl er von allen Menschen die ihm begegnen verachtet oder mit Argwohn betrachtet wird, gelingt es ihm zu einem hinreichend erwachsenen Jüngling heranzureifen und sich unbemerkt und wie eine Zecke solange an einen Wirt zu hängen, wie dieser ihm nützlich erscheint. Nur um sich dann still und leise auf den Weg zu noch Größerem zu machen und dabei eine Spur des Todes zu hinterlassen. Schon sehr früh sind ihm die Menschen seiner Umgebung verhasst, denn ihre Gerüche erzeugen bei ihm nur Ekel. Er hat das unbeschreibliche Talent, jedweden Gegenstand auf seine Geruchskomponenten zu reduzieren und nimmt seine Umwelt vielmehr durch die Nase als durch die Augen wahr. So verhilft er fast maroden Parfümerien und ihren Inhabern wieder zu Wohlstand und Ansehen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Sein Ziel ist es vielmehr einen Duft zu kreieren, bei dem alle Menschen verzückt sind und sich in der Liebe verlieren. Sein Plan ist die Gewinnung eines besonderen Parfums, welches ihm zum Glück verhelfen soll. Und er weiß auch schon, welche Komponenten er dafür benötigt. Doch der Liebreiz manifestiert sich olfaktorisch in jungen, rothaarigen Mädchen, die an der Schwelle zur Pubertät stehen und diese sind nicht so leicht einzufangen, wie pflanzliche Duftstoffe …


Meinung


Dieses Buch, war einst Schullektüre und ich habe es vor 20 Jahren bereits gelesen und hatte es als ein äußerst einprägsames Werk in Erinnerung. Nun konnte ich mich erneut davon überzeugen, dass Patrick Süßkind mit diesem ungewöhnlichen Buch ein wirklich faszinierender Kriminalroman gelungen ist, der vielmehr Reize anspricht als so manch anderes Buch. Denn hervorzuheben und immer wieder ausschlaggebend für die Bedeutsamkeit der Geschichte ist diese geniale Idee: Ein Mann ohne Duft, ausgezeichnet mit einem Wahnsinnstalent, ersinnt eine Wahnsinnstat und kann auf herkömmlichem Wege nicht gestoppt werden, da jeder der ihm begegnet, nicht ahnt, was seine wahren Beweggründe sind. Der Meister der Düfte begibt sich auf einen höchst persönlichen Feldzug und nimmt den Leser mit auf eine Reise durch Frankreich, die dieser nicht so schnell vergessen wird.


Im Zentrum der Erzählung steht Grenouille, als ein verachtenswerter Protagonist, der dennoch so genial wie gefährlich ist. Der Autor legt hier nicht nur großen Wert darauf, diesen verkümmerten Menschen zu beschreiben, sondern er ersinnt eine fulminante, derart fesselnde Handlung, die kraftvoll und äußerst mitreißend wirkt. Das Besondere ist dieses eigentümliche Zusammenspiel zwischen tatsächlicher Handlung, innerlicher Überlegungen des Handelnden und der sichtbaren Ausübung seiner Kunst. Als Leser wird man verschreckt und taucht dennoch immer tiefer ins Geschehen ein. Ein minimaler Kritikpunkt meinerseits ist das etwas haarsträubende Finale dieses großen, zeitgenössischen Romans, der einen finsteren Helden stilisiert. Wo endet das Leben, eines Mörders, dem prinzipiell alle Wege offenstehen? Und warum endet es so krass? Bei diesem Roman hätte ich mir zugegeben ein etwas verschwommenes, gern auch weniger dramatisches Ende gewünscht, eines was keinen Schlusspunkt setzt, sondern die Vermutung offenlässt, dass es noch nicht vorbei sein könnte …


Fazit


Ich vergebe volle Punktzahl für diesen sehr speziellen Roman der unmittelbar und sehr resolut, beschränkt auf wenige Faktoren und eine eher überschaubare Anzahl an Personen, das Grauen entwirft, dem man sich nicht entziehen kann. Es ist für mich ein großer Wurf des Autors, der dem Gedankengang des Lesers neue Impulse verleiht, der folgerichtig und objektiv schildert, was passieren könnte, wenn besagte Dinge tatsächlich zusammentreffen. Ich freue mich, dass ich dieses Buch nun in die Reihe meiner Must-Reads aufnehme, die ich getrost weiterempfehlen kann, weil sie mich definitiv überzeugen konnten.

Veröffentlicht am 27.02.2018

Das Recht des Stärkeren

Die Vergessenen
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„Doch sie spürte die Kraft, die in seinen Händen wohnte. Wenn er wollte, könnte er mich damit töten. Einfach so, schoss es ihr durch den Kopf.“


Inhalt


Vera Mändler, die als Journalistin arbeitet und ...

„Doch sie spürte die Kraft, die in seinen Händen wohnte. Wenn er wollte, könnte er mich damit töten. Einfach so, schoss es ihr durch den Kopf.“


Inhalt


Vera Mändler, die als Journalistin arbeitet und sich nach einem beruflichen Vorwärtskommen sehnt, gerät durch ihre Familie in eine seltsame Verkettung von unerklärlichen Umständen. Ihr chronisch blanker Cousin, bettelt mal wieder um Geld, bei der gemeinsamen Tante, die kurz darauf einen Schlaganfall erleidet und ins Krankenhaus eingeliefert wird. Doch auch Cousin Chris ist wenig später tot, weil er anscheinend in Besitz einer besonderen Information war, die Fremde dazu veranlasst, unwillkommene Zeugen auszuschalten. Veras Jagdinstinkt ist geweckt – in welchen längst vergangenen Fall, war ihre schwerkranke Tante, denn verwickelt und wer hat so großes Interesse daran, unerkannt zu bleiben. Sie macht sich auf die Suche nach den ominösen Dokumenten, die angeblich irgendwo versteckt sein sollen, doch davon wissen noch mehr Leute und die beobachten Vera ganz genau. Ein Privatermittler, der selbst ein dunkles Geheimnis hütet, schlägt sich auf ihre Seite, doch auch er muss im Verborgenen bleiben, damit die Gerechtigkeit endlich zum Zug kommt und die Missetaten, die fast in Vergessenheit geraten sind, doch noch ans Tageslicht kommen.


Meinung


Die bekannte deutsche Kriminalautorin Inge Löhnig, schreibt hier unter dem Synonym Ellen Sandberg einen groß angelegten Spannungs- und Familienroman, der sich mit historischen Verbrechen der jüngeren Vergangenheit beschäftigt und zeigt, wie schnell aus Menschen Mörder werden, wie effektiv ein schlechtes Gewissen übergangen wird und wie aus Mitläufern manchmal Mittäter werden. Sie wählt bewusst einen dunklen Punkt in der deutschen Geschichte, der eben nicht in Vergessenheit geraten darf, damit wenigstens diesmal nicht das Recht des Stärkeren, sondern tatsächlich die Gerechtigkeit siegt.


„Die Vergessenen“ ist ein sehr kurzweiliger, unterhaltsamer Roman, der durch verschiedene Erzählstimmen bereichert wird. Einerseits agiert die motivierte, persönlich beteiligte Journalistin, die durch privates aber auch berufliches Interesse in den Fall eingebunden ist, zum anderen handelt der etwas undurchsichtige Privatermittler Manolis Lefteris, dem es nicht nur um Rache für seine eigene Familiengeschichte geht, sondern ganz allgemein um Gerechtigkeit, die den Schwächeren zusteht, die sie aber nur selten erfahren. Und so konzentriert sich das Zentrum der Erzählung auf längst vergangene Missetaten, und ihre endgültige Aufklärung. Der Roman ist dabei ein gelungener Mix aus einer kleinen Portion Historie, einer etwas größeren Portion Familiengeschichte in Verbindung mit Verbrechen, die bisher keiner gesühnt hat.


Ein kleiner Kritikpunkt besteht für mich in der etwas lockeren und dadurch leicht oberflächlich wirkenden Erzählweise, die sehr umgangssprachlich daherkommt und etwas Tiefgang vermissen lässt. Die sehr spannenden Verbrechen der Vergangenheit, tauchen immer wieder in kurzen Episoden auf, verlieren sich dann aber wieder in der seichten Gegenwartshandlung, die auch das Privatleben der Hauptprotagonisten intensiv beleuchtet. An dieser Stelle hätte ich mir persönlich noch mehr Hintergrundwissen und längere historisch inspirierte Erzählmomente gewünscht und im Gegenzug weniger lückenfüllendes Material über das private Leben und Leiden der Protagonisten.


Fazit


Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen klassischen Unterhaltungsroman mit einer spannenden Hintergrundhandlung in stimmiger, leicht lesbarer Erzählqualität. Eine runde Geschichte über die Schatten der Vergangenheit, die lange Hand der Gerechtigkeit und Schuld, die nicht verjährt. Ein Buch für Jedermann, dem es zwar etwas an Aussagekraft und Hintergrund mangelt, welches ich aber als lesenswert und interessant beschreiben würde.

Veröffentlicht am 11.02.2018

Von Menschen, Möglichkeiten und Neuanfängen

Lied der Weite
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„Schauen Sie sich doch an. Eines Tages werden Sie sterben, ohne jemals im Leben genug Sorgen gehabt zu haben. Jedenfalls nicht die richtige Sorte. Das ist ihre Chance.“


Inhalt


Für Victoria, die mit ...

„Schauen Sie sich doch an. Eines Tages werden Sie sterben, ohne jemals im Leben genug Sorgen gehabt zu haben. Jedenfalls nicht die richtige Sorte. Das ist ihre Chance.“


Inhalt


Für Victoria, die mit 17 schwanger ist und von ihrer Mutter nicht mehr unterstützt wird, stellt sich die Frage, wohin sie soll, in ihrem Zustand und dann bald noch mit einem Baby. Ihre Vertrauenslehrerin Maggie hat da eine passable Idee: Am Stadtrand von Holt wohnen zwei ältere Herren, beide Farmer und ohne Familie. Sie ist der Ansicht, dass die beiden Männer und das junge Mädchen eine gelungene Zweckgemeinschaft werden könnten und konfrontiert die Herren, mit ihrem Vorschlag. Tatsächlich sind diese bereit, sich darauf einzulassen und so kann das Leben weitergehen. Doch in Holt gibt es noch mehr Baustellen. Männer, die von Frauen verlassen wurden, Kinder, die ohne Mutter aufwachsen, Schüler die andere ausbeuten und solche, die anderen helfen. Alte und Junge, Starke und Schwache, Schlaue und Dumme – das Kleinstadtleben mit all seinen Vorteilen aber auch den unvermeidlichen Nachteilen, geprägt von Menschen jeglicher Art ist das Herzstück dieses Romans und zeigt, wie es aussehen könnte … das Leben.


Meinung


Der im Jahre 2014 verstorbene amerikanische Autor Kent Haruf hat die idyllische Kleinstadt Holt eigens für seine Geschichten erdacht und nimmt den Leser nun mit auf eine Reise ins Zentrum seines kleinen Universums. Dort, wo die Landschaft noch urig ist, die Menschen bodenständig leben und ihrer geregelten Arbeit nachgehen, dort wo der Ackerbau und die Viehzucht als Wirtschaftszweige dominieren, treffen wir Menschen aller Art, deren Charakterstärken und Ambitionen ebenso zu Tage treten wie ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten. Dieser Roman ist eine sehr liebevoll gezeichnete, unaufgeregte Menschenstudie über das Zusammenleben mehrerer Bewohner dieser Kleinstadt und gleichermaßen die Erzählmöglichkeit, wie es sein kann, wenn sich nicht jeder selbst am nächsten steht, wenn fast Fremde bereit sind, nur durch den ein oder anderen Kompromiss einne Neuanfang zu wagen, um den Gemeinschaftssinn zu stärken.


Zunächst einmal besticht der Roman durch einen humorvollen, ambitionierten Schreibstil, der ebenso Raum lässt für Gefühle wie Einsamkeit, Traurigkeit und Zuversicht als auch für ganz alltägliche, wenn auch leicht abschreckende Abläufe im ländlichen Tagesablauf. Mensch und Tier bildet eine Einheit, ist voneinander abhängig und wirkt aufeinander ein. Das Sterben, die Geburt, Krankheiten und Sorgen, die erste Liebe, der erste Verrat, das schlechte Gewissen, die elementare Wut – ganz egal was es ist, der Leser kann es nachvollziehen, selbst wenn der Autor aus einer übergeordneten Erzählperspektive heraus agiert und ersichtlich wird, das viele Menschen lieber schweigen als ihren Wünschen Ausdruck zu verleihen.


Mein persönlicher Kritikpunkt bezieht sich im Wesentlichen auf recht lose Erzählstränge, die immer wieder wechseln und dann doch recht oberflächlich aus der Außenperspektive schildern, was den Menschen widerfährt. Inhaltlich konzentriert sich die Geschichte auf mehrere Aspekte und Menschen, die mir durch den häufigen Wechsel nicht so recht ans Herz wachsen konnten. Am meisten gestört hat mich dabei die fehlende Reflexion über die Gefühlsebene. Der Leser weiß genau, wie viel Mut oder Überwindung hinter einer entsprechenden Verhaltensweise steckt, aber er entdeckt das nur über die Handlung, nicht über die inhaltliche Auseinandersetzung. Bereits nach der Hälfte des Buches war ich mir sicher, dass mich das Geschehen in einer verfilmten Variante noch mehr angesprochen hätte, da dort auch zwischenmenschliche Töne, wie Körpersprache oder Stimmvariationen wirken können.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen stillen, aber eindringlichen Roman, der Menschlichkeit und Aufopferungsbereitschaft fokussiert. Ich mag Bücher, in denen man eine echte Aussage, eine Botschaft findet und die man mit einem Lächeln zuklappen kann und all das bietet dieses Buch. Es zeigt, auf einfühlsame Art und Weise, wie Nähe entstehen kann, wenn man bereit ist, sie zuzulassen. Der große Vorteil des Buches ist seine leichte Hand, mit der es geschrieben scheint und deshalb auch so wirkt - gleichermaßen interessant wie verständlich, ebenso erschütternd wie aufrüttelnd und doch in sich geschlossen und mit einem hoffnungsfrohen Ende. Ich empfehle den Roman all jenen, die gerne Erzählungen hören, die viele Wahrheiten und lebensnahe Momente aufgreifen und dabei auch noch unterhalten.